German Police Project Team (GPPT) in Afghanistan - Abbruch nach 19 Jahren: Wertvolle Leistungen der Entsandten, von internationaler + deutscher Politik aber oft vernachlässigt. Berichtsauszüge seit 2002

Von: Nachtwei amSa, 24 April 2021 17:03:32 +01:00

Die strategische Bedeutung der Polizeikomponente bei Kriseneinsätzen ist unstrittig. Dass Deutschland etliche Jahre die Lead-Rolle bei der internationalen Polizeiaufbauhilfe in Afghanistan hatte, ist wenig bekannt und wurde von der Politik zu wenig ernst genommen. Umso wichtiger sind die wertvollen Leistungen der entsandten Polizistinnen und Polizisten von Bund und Ländern, die ihre Arbeit nicht zum Abschluss bringen konnten. Dass der Einsatz nach 19 Jahren abgebrochen werden muss, schmerzt heftig. Ich wünsche sichere Heimkehr!  



German Police Project Team (GPPT) in Afghanistan -

Abbruch nach 19 Jahren: Wertvolle Leistungen der Entsandten,

von internationaler + deutscher Politik aber oft vernachlässigt!

Winfried Nachtwei, MdB 1994.2009 (24.04,2021)

Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei

Am 21. April bestätigte Innenminister Seehofer gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, dass die zzt. noch 20 Beamten des GPPT bis zum 30. April aus Afghanistan abgezogen werden. Bis 24.04. mittags gab es dazu keine weitere inhaltliche Verlautbarung, nicht vom Auswärtigen Amt, nicht vom Bundesinnenministerium, nicht von der Bundespolizei, nicht vom Land NRW als dem Bundesland mit den meisten Entsandten.

Allein das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sportveröffentlichte am 23. Aprileine  Stellungnahme von Landesinnenminister Boris Pistorius.

( https://www.mi.niedersachsen.de/startseite/aktuelles/presseinformationen/deutschland-beendet-polizeiliches-engagement-in-afghanistan-199717.html  )

Warum solches Schweigen um den – neben dem im Kosovo – größten, auf jeden Fall riskantesten internationalen Einsatz deutscher PolizistInnen? OK, wenn Sicherheitsgründe es jetzt erfordern. Ansonsten aber ist der jetzt durch die unilaterale Abzugsentscheidung des US-Präsidenten abgebrochene GPPT-Einsatz sehr der Beachtung und Rede wert: Angesichts der deutschen Leadrolle bei der Koordination der internationalen Polizeiaufbauhilfe bis 2006 und der Praktizierung eines zivilpolizeilichen Ansatzes kam dem deutschen Polizeiprojekt eine ganz besondere Bedeutung zu.

Bei Krisen- und Stabilisierungseinsätzen sind Polizeiaufbau und Förderung von Rechtsstaatlichkeit elementar, um zu mehr nachhaltiger Bürgersicherheit zu kommen. Deshalb hatte ich als Mitglied des Verteidigungsausschusses des Deutschen Bundestages von Anfang an die Polizeikomponente im Blick. Bei fast jedem meiner 20 Afghanistanbesuche traf ich auch mit deutschen PolizistInnen zusammen und begleitete sie mehrfach in ihren Arbeitsfeldern.

Dabei lernte ich ihre Arbeit hoch schätzen. Durchgängig fiel mir auf, dass die deutschen PolizistInnen ihren afghanischen KollegInnen auf gleicher Augenhöhe begegneten und bei diesen sehr anerkannt waren.

Äußerst ernüchternd war hingegen, dass die strategisch so bedeutsame Arbeit des GPPT im Berliner Politikbetrieb, nicht zuletzt beim Bundestag und den zuständigen Ausschüssen, aber auch in den Medien nur unzureichend Beachtung fand – bis heute. Die erste Bundestagsdebatte zum Thema gab es im November 2007, mehr als fünf Jahre nach Start! Bei Mandatsdebatten zu ISAF bzw. Resolute Support wurde die Polizeikomponente oft nicht mal erwähnt, auch nicht bei Dankesworten.

Lebhaft erinnere ich mich an Dutzende KollegInnen von Bundespolizei und Länderpolizeien, die ihren Einsatzauftrag mit Professionalität und Herzblut erfüllten. (Fotos auf meiner Facebook-Seite) Einigen begegnete ich im Vorstand von „Lachen Helfen“, der Initiative von Soldaten und Polizisten für Kinder in Krisen- und Kriegsgebieten, wieder.

Es schmerzt mich zutiefst, dass die Toparbeit so vieler deutscher PolizistInnen so zu Ende geht. (Aber vielleicht ist sie noch nicht zu Ende. Wer weiß, welche Aufgaben auf eine wahrscheinliche künftige UN-Mission in Afghanistan zukommen.)

Der 19-jährige Einsatz der deutschen Polizistinnen und Polizisten in Afghanistan verdient Beachtung, hohe und praktische Anerkennung und großen Dank. – seitens der Politik, der Gesellschaft, aber auch ihrer Vorgesetzten und KollegInnen.

Die folgende Zusammenstellung soll dazu einiges „Futter“ liefern. (Alle meine Berichte und Beiträge zur deutschen Polizeiaufbauhilfe Afghanistan sind zusammengestellt in der Dokumentation „Polizeiaufbau Afghanistan“ I, 2002-2008, 39 S., und II, 2009-2019, 20 S.)

(1) BMI-Kurzdarstellung „Das German Police Project Team (GPPT): Einsatz in Afghanistan

Das deutsche Polizeiprojekt wurde 2002 in Kabul eingerichtet. Ziel ist es, einen Beitrag zu einer rechtstaatlichen und professionellen Polizei in Afghanistan zu leisten. Diese soll der Bevölkerung dienen, sie schützen und sich den Menschenrechten verpflichtet fühlen.

Das GPPT unterstützt mit bis zu 50 Polizisten in den Standorten Kabul und Mazar-e-Sharif den Aufbau der afghanischen Polizei durch Beratung, Mentoring und Fortbildung.

Schwerpunkte des Engagements sind das Innenministerium, die nationale Polizeiakademie in Kabul (ANPA), das Sergeant Training Center in Mazar-e Sharif, die Kriminalpolizei und die afghanische Grenzpolizei. Es bestehen Flughafenpartnerschaften zwischen Bundespolizeidienststellen und der afghanischen Grenzpolizei an den Flughäfen in Kabul und Mazar-e-Sharif sowie eine Partnerschaft der Bundespolizeiakademie in Lübeck mit der ANPA in Kabul.“ ( https://www.bmi.bund.de/DE/themen/sicherheit/nationale-und-internationale-zusammenarbeit/internationale-polizeimissionen/internationale-polizeimissionen-node.html  )

(2) Aktuelle Berichte aus der Einsatzpraxis

„Ein Polizeieinsatz in Afghanistan mit Höhen und Tiefen“, Interview mit Polizeioberkommissarin Lisa Bertelsbeck-Höing aus Recklinghausen, die April 2017 bis Mai 2018 in Kabul arbeitete

https://polizei.nrw/artikel/ein-polizeieinsatz-in-afghanistan-mit-hoehen-und-tiefen

Rückkehr aus dem Ausland – Einmal Kabul und zurück“ von Sven Meck von der Polizei Siegen, der August 2018 bis August 2019 in Kabul arbeitete.

https://polizei.nrw/artikel/rueckkehr-aus-dem-ausland

WIE ES ANFING

(3)  Bericht der Fact Finding Mission von hohen Beamten des BMI, AA, BKA u.a. im Januar 2002 (Auszug)

„Zustand der afghanischen Polizei (…)

3.2 Wiederaufbau der afghanischen Polizei

Die Polizei befindet sich – wenige Monate nach der Auflösung des Taliban-Regimes – in einem kläglichen Zustand. Es fehlt an allen Einsatzmitteln. Seit ca. 20 Jahren hat kein systematischer Unterricht mehr stattgefunden. Mindestens eine ganze Generation ausgebildeter Polizeibeamter fehlt. Neben Wachtmeistern werden ehemalige Kämpfer der Nordallianz als Polizisten eingesetzt. Ziel ist der Wiederaufbau der Polizei in einer Gesamtstärke von ca. 75.000 Stellen. Dieser Wiederaufbau hat vom Innenministerium her begonnen. (…)

3.3 Polizei in Kabul

In der Provinz Kabul existiert eine polizeiliche Sonderorganisation mit 14 Regierungsdistrikten.

Die Stadt Kabul, in der trotz totalen Zerstörung der meisten Stadtteile 1,7 Mio. Menschen leben, ist in der Polizeistruktur in 12 Distrikte (Schutzbereiche) (..) mit insgesamt 44 Revieren aufgeteilt. Sie umfasst derzeit 10.800 Stellen. Das entspricht einer Polizeidichte von 1:155. Die Polizei untersteht General Salangi (Nordallianz).

In einem Gespräch beklagt General Salangi das Fehlen jeglicher Ausrüstung. Die einzigen 10 Kfz werden der Polizei von Offizieren aus Privatbesitz zur Verfügung gestellt. Es gibt keine Funkverbindung zwischen den Distriktleitungen und zwischen ihnen und den Revieren (lediglich zwischen der Kommandantur und den Distriktleitungen). Die einzige Kommunikationsmöglichkeit bilden Kuriere per Fahrrad. Es fehlt an Uniformen, Schlagstöcken und Handschellen. Technische Ausrüstung ist überhaupt nicht vorhanden. Sogar an Waffen fehlt es der Polizei (während in Afghanistan mindestens 600.000 Leute bewaffnet sind).

Bisher haben die Polizeikräfte noch keine Besoldung erhalten.“

(4) Erster Besuch des Projektbüros Polizei Kabul, November 2002

(Aus: „Besuch in Kabul – Langer Atem für Afghanistan“, Bericht, Ende November2002,http://nachtwei.de/druck/druck%20Langer%20Atem%20fuer%20Afghanistan.htm )

Schlüsselfrage des Friedensprozesses ist, wie die relative Stabilität von Kabul vertieft und auch landesweit gefördert werden kann. Verbreitet ist die Forderung, ISAF-Truppen auch in Provinzstädten zu stationieren. Das würde ein Vielfaches der jetzigen Truppenstärke erfordern, die Anforderungen an Führung, Logistik potenzieren und das Risiko erheblich erhöhen. Dazu sind die Staaten nicht bereit.

Umso wichtiger ist deshalb die Förderung afghanischer Sicherheitsstrukturen, der Aufbau eines rechtsstaatlichen Gewaltmonopols aus Armee, Polizei und Justiz. Die USA tragen die internationale Führungsverantwortung für den Aufbau der Armee, Italien für das Justizwesen, Japan für die Entwaffnung und Demobilisierung.

Die Bundesrepublik trägt die Führungsverantwortung für den Aufbau der afghanischen Polizei. 12 Beamte von BGS und Länderpolizeien beraten beim Aufbau von Polizei und Innenministerium, bei der Polizeiausbildung und Rauschmittelbekämpfung und koordinieren die internationalen Unterstützung. Leiter des Projektbüros ist Walter Wolf, Polizeidirektor im BGS, vormals Leiter deutscher Polizeikontingente in Bosnien-Herzegowina und Kosovo und Referent auf der Tagung der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen über „zivile Säulen internationaler Friedensmissionen“ im Oktober 2001 in Berlin.

Wo bisher praktisch nichts war, geht der konkrete Polizeiaufbau immer im Dreischritt Gebäude – Ausstattung – Ausbildung. Hohes Lob gibt es für das THW, dessen 5-6 Mitarbeiter mit Hilfe von mehr als 500 Beschäftigten innerhalb von acht Monaten die Polizeiakademie wieder aufbauten. Hier werden inzwischen 1.400 Polizeischüler aus dem ganzen Land in ein- und dreijährigen Kursen zu Polizeiunteroffizieren und –offizieren ausgebildet. Die Polizeischüler wurden zuvor getestet und auf kriminellen Hintergrund abgecheckt. Die deutschen Polizisten führten train-the-trainer-Kurse durch und erstellten für die Ausbildung Curricula. Inzwischen fand ein erster Workshop mit Polizeikommandeuren aus fast allen Provinzen statt.

Ein erhebliches Problem bleibt die Entlohnung der Polizisten: Sie bekommen 25 $/Monat – 100 $ sind aber notwendig, um eine Familie zu ernähren. Ein weiteres Problem sind die ca. 3.500 Bereitschaftspolizisten, die fast nur aus ehemaligen Mudschaheddin bestehen.

Die Polizeiberater haben inzwischen in zehn Provinzen um Kabul herum eine polizeiliche Bestandsaufnahme durchgeführt. Jetzt kommt es darauf an, auch in den Provinzen sichtbare Hilfe zu leisten. Die Bundesrepublik stellte dafür Tatortkoffer, Polizeikräder und Pick-ups zur Verfügung. Ansonsten gelten strikt die Grenzen der Ausstattungshilfe: Mittel des unmittelbaren Zwanges wie Schlagstöcke etc. werden nicht geliefert.

Die deutschen Polizeiberater sind so wirksam, weil sie sich auf etliche ältere Polizisten (60+) stützen können, die in der Vorkriegszeit u.a. in der Bundesrepublik eine Ausbildung absolviert hatten und ein rechtsstaatliches Polizeiverständnis haben. Da das letzte rechtsstaatlich orientierte afghanische Polizeigesetz aus dem Jahr 1968 stammt, lässt sich hier von einer Art „afghanischer 68er“ reden.

Darüber hinaus wird die internationale Unterstützung koordiniert: Ausbildungsmaßnahmen von Indien, die dreimonatige Polizeigrundausbildung durch die USA, Uniformlieferungen aus China etc.  Hauptfinanzier des Polizeiaufbaus ist bisher noch die Bundesrepublik.

(Diese Art beratender Polizeimission ist international ein Pilotprojekt und völlig verschieden vom Exekutiveinsatz der 4.000-köpfigen VN-Polizei im Kosovo. Wollte man die Polizeiausbildung selbst durchführen, würde man dazu enorm viel Ausbilder benötigen. Dazu ist weder die Staatengemeinschaft noch ein Staat willens oder in der Lage.)

Als kleine Erinnerung an die Heimat übergebe ich den Polizisten einen westfälischen Schinken sowie einige Kilo leckeres Weingummi aus dem Münsteraner „Bärentreff“.

Der VN-Sonderbeauftragte für Afghanistan Lakhdar Brahimi lobt später in der Deutschen Botschaft ganz besonders die Arbeit Deutschlands beim Polizeiaufbau.

Da die begleitenden Medienvertreter nicht mit zum Polizei-Termin können, taucht das Thema Polizeihilfe trotz ihrer enormen strategischen Bedeutung nicht in der Berichterstattung über Fischer`s Kabul-Besuch auf. Verglichen mit dem Militäreinsatz bleibt die Polizeihilfe praktisch unsichtbar.

(Im Bereich Justiz und Entwaffnung soll sich bisher wenig getan haben. Das droht in 2003 zu einem massiven Problem für den gesamten Aufbauprozess zu werden.)

(5) Kabul-Besuch August 2003 (Fact Finding vor der ISAF-Ausweitung)

(Aus: Kabul im August 2003 – Afghanistanpolitik am Scheideweg, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=276 )

Innenminister Jalali (er hat den seltenen Ruf von Integrität; er gilt als hoch gefährdet): In der Polizeiakademie haben seit 2002 1.500 Polizeischüler die Dreijahresausbildung für Polizeioffiziere begonnen. Diese soll nun verkürzt werden. Der ANA-Aufbau sei relativ teuer und brauche Zeit. Die Polizei hingegen könne schneller und billiger aufgebaut werden. Sechs Ausbildungszentren seien in Hauptorten parallel zu UNAMA-Niederlassungen und PRT`s geplant.

Für 6.000 Wahllokale müsse Sicherheit gewährleistet werden. In einem Wettrennen mit der Zeit müssten 60.-80.000 Streifenpolizisten und zehn Einheiten Bereitschaftspolizei aufgestellt werden. Die Polizisten bekommen Vierjahresverträge mit Verlängerungsoption. Mit 60 $/ Monat seien aber Freiwillige nicht zu gewinnen – erst recht keine loyalen.

Mit der deutschen Polizeiausbildung habe man sehr gute Erfahrungen gemacht.

Projektbüro Polizei Kabul, nahe beim ISAF-HQ: Das PBPK besteht aus 17 BeamtInnen von BKA, BGS und Länderpolizeien mit dem Leitenden Kriminaldirektor Peter Zumhoff (BKA) an der Spitze. Je ein bis zwei Beamte sind zuständig für Aus- und Fortbildung, IT/Logistik, Werkstatt, Rauschgift, Terrorismus, Kriminaltechnik. Auftrag des PBPK ist, in Wahrnehmung der dt. Lead-Rolle Beratung und Koordinierung beim Aufbau der afg. Polizei – bei der Struktur des Innenministeriums, der Ausbildung, der Rauschgiftbekämpfung, der Ausstattung. Das Büro koordiniert die finanziellen und personellen Unterstützungsleistungen von insgesamt 13 Staaten.

Vorschläge zur IM-Struktur wurden akzeptiert, noch nicht zu Prozessen (z.B. personelle Umbesetzungen, wo Polizeichefs zugleich große Drogenhändler sind).

Ausbildung: Die zerstörte Polizeiakademie wurde mit Hilfe des THW und 300 örtlicher Kräfte wiederaufgebaut. (s.u.). Ein Ausbildungskonzept und Curricula wurden erarbeitet, Lehrgänge durchgeführt und ein Kurs-Katalog für internationale Partner erstellt. Von insgesamt 36 Ausbildungs- und Fortbildungsmaßnahmen organisiert DEU 26, z.B. Train-the-Trainer Lehrgänge Führungslehre, Menschenrechte, Polizei im Rechtsstaat, Seminar mit 30 der 32 Provinzkommandeure, Frauenseminar für 40 Polizistinnen, Verwaltungshandeln – Menschenrechte zusammen mit der gtz in Herat etc. (Seit April haben die USA und Grundausbildung und Ausstattung des einfachen Polizeidienstes übernommen.)

Ausstattung: DEU stellte 190 Polizeifahrzeuge, 150 Motorräder, Uniformen (z.B. für die Grenzpolizei am Flughafen) und Computer zur Verfügung. Hamburg lieferte allerdings 40 Paletten mit unbrauchbar gemachten Uniformen!

(Wieder-)Aufbau von bisher elf Polizeistationen mit Hilfe von CIMIC (60.-85.000 €/Station), des Rauschgifthauses, Umbau des Innenministeriums und des Zentralen Kriminalamtes („LKA“). Geplant sind das Hauptquartier der Grenzpolizei und ein Gebäude Terrorismusbekämpfung.

Schwerpunkte 2003/4 sind: Wiederaufbau weiterer Dienstgebäude in Kabul und auch in den Provinzen, Aufbau von Einheiten für LKA, Kriminaltechnische Untersuchung, Rauschgift- und Terrorismusbekämpfung, Aufbau der Grenzpolizei (12.000 bis 2005) und der Fernstraßenpolizei (2.500 Polizisten innerhalb von drei Jahren gegen illegale „Zöllner“).

Hauptproblemfelder sind Sicherheit für die Verfassungs-Loya Jirga, die Wählerregistrierung ab Herbst (600 Registrierungsteams mit je zwei Fahrzeugen müssen geschützt werden) und die Wahl spätestens im September 2004.

Bisher ist das Polizeimandat auf Kabul beschränkt. Jetzt müsse es auf die Provinzen ausgeweitet werden! Ein zentralistischer Polizeiaufbau allein in Kabul sei aussichtslos. Man warte auf ein politisches Signal.

Zu den PRT: In dt. PRT solle auch ein dt. Polizei-Ausbildungsteam sein. Ein Regionalteam für low level training brauche acht Beamte. Hier seien auch solche des mittleren Dienstes einsetzbar. In anderen PRT sollten ein bis zwei Beamte als Ausbilder tätig sein.

Der Leiter der Polizeiakademie Kabul wünscht darüber hinaus vier bis fünf Polizeiausbilder für Kernfächer.

Das alles würde einen erheblichen personellen und materiellen Mehraufwand zur Folge haben. (Innenminister wie US-Seite tragen den Wunsch nach einer Ausweitung und Verstärkung des dt. Polizeiengagements sehr deutlich vor. Das AA will hierfür weitere zwei Mio. € bereitstellen. Von den 30 Mio. € des AFG-AA-Etats werden 10-12 Mio. für den Polizeiaufbau verwandt.)

Freiwilligengewinnung: Ein ausgeweitetes Engagement erfordert zugleich bessere Anreize für die freiwilligen Polizisten. Bisher seien die Anreize bei Balkaneinsätzen (Relation Risiken/Entfernung zu Leistungen) höher als bei AFG, wo die gesetzlichen Höchstsätze gezahlt werden. So manche gesetzliche Regelung ist unflexibel und behindert die Motivation von Freiwilligen mehr als dass sie befördert wird. Hinzu kommt die Haltung mancher Bundesländer: Einige verweigern ganz die Freistellung von Beamten für AFG. Andere erlauben keine Verlängerung über ein Jahr hinaus, weil sie dann die Gehälter zahlen müssten.

Besichtigungen: Beim künftigen „Zentralen Kriminalamt“ auf dem Gelände des Innenministeriums ist noch die Ausgangslage zu besichtigen: eine alte Fingerabdruckdatei, die von über 70-Jährigen betrieben wird; ein „Labor“ mit wenigen Behältern und ohne technisches Gerät; stinkende Zellen. Neu ist die Interpol-Niederlassung. Die Trakte der Polizeiakademie sind ein Paradebeispiel für Wiederaufbaufortschritte in Kabul. Einige Trümmerreste bleiben mit Absicht stehen. In einem Raum trainieren Polizeischüler mittleren Alters Selbstverteidigungstechniken. Zurzeit wird noch ein Gästehaus für internationale Ausbilder errichtet.

Rauschgiftbekämpfung und Rauschgifthaus: Hier hat GB die internationale Lead-Rolle. Die Drogenbekämpfung ist getrennt von der sonstigen Polizei in diesem von DEU errichteten und ausgestatten Gebäude organisiert. Unter dem deutschsprachigen Herrn Satari arbeiten fünf Einheiten. Die Ermittlungseinheit umfasst 18, die Zugriffseinheit 30 Mitarbeiter. Bisher wurden Polizisten für fünf Provinzen ausgebildet. Eine tägliche Kommunikation mit den Provinzen gibt es nicht. In sieben Schlüsselprovinzen (darunter Kunduz und Herat) wird die Masse des Opiums angebaut. Felder gibt es aber inzwischen in allen Provinzen.

Meist sind sie klein, umgeben von Weizen, zum Teil bewacht und vermint. Die Bauern stecken oft in der Schuldenfalle: Mit 1.000 $ wurde viele in den Mohnanbau gelockt. Mit ihren Ernteerlösen zahlen sie in endlosen Raten ihre Schulden ab. In manchen Landesteilen sind die Parzellen so klein, dass mit dem Anbau von Weizen kein Überleben ist – zumal Weizen sieben Bewässerungen braucht, Mohn aber nur zwei. Insofern ist der Mohnanbau für viele Bauern eine nackte Existenzfrage. Verwickelt in den Opiumanbau und –handel sind viele Machthaber und höchste Beamte, z.B. in Kunduz. Gerade wurden bei einem Militärkommandeur 31 kg Opium beschlagnahmt – zu besichtigen im Asservatenkeller. Die Drogenerlöse fließen vor allem in die Waffenbeschaffung, ganz und gar nicht in die Förderung von Infrastruktur. Solange die lokalen Machthaber nicht entwaffnet werden, sind Zugriffe nicht möglich.

In 2002 wurden ca. 3.400 to Opium in AFG produziert, 2003 können es 5.000 to werden, woraus sich 500 to Heroin erstellen lassen.

Die Nationale Drogenkontrollstrategie ist sehr ehrgeizig, in zehn Jahren sollen alle Opiumfelder vernichtet sein. UNDCP, die Drogenbekämpfungsorganisation der VN, bereist zzt. die Provinzen, um dort Drogenbüros aufzubauen, die mit dem Rauschgifthaus in Kabul vernetzt werden sollen. UNDCP-Einheiten sollen die Zugriffe durchführen. Ihre Aufstellung stagniere.

In AFG hat es niemals funktionierende Drogenbekämpfung gegeben. Das Opiumanbauverbot der Taliban konnte nur durch militärische Gewalt durchgesetzt werden. Zurzeit gibt es keine effektive Drogenbekämpfung. Sie wird mit Ausweitung und Verfestigung von Anbau und Handel immer schwieriger. Wenn die I.G. nicht massiv hilft, droht AFG zu einem „Staat“ zu werden, wo nur noch Drogenhändler das Sagen haben.

Reichweite des Polizeiaufbaus: Die afg Kollegen und Polizeischüler sind sehr offen, lernbereit und gutwillig. Doch wie sollen sie das Gelernte, die rechtsstaatlichen Normen umsetzen?

Sie erhalten einen Sold von 40-50 $. 100 $ sind aber notwendig für ein einfaches Leben, 200 $ für das standesgemäße Leben eines Polizeioffiziers. Der LOTFA-Fonds für die Auszahlung von Polizeigehältern (Einzahlungen von DÄN, IRL, FIN, GB, CAN, SCHWEIZ und DEU) ist notorisch unterfinanziert.

Schwerbewaffnete Truppen vieler Provinzfürsten verhindern jede effektive Polizeiarbeit. Entwaffnung tut not – von der ist aber nichts zu sehen. Der polizeiliche Ansatz greife zu kurz, wo Gouverneure, Militärkommandeure und Polizeichefs die größten Drogenhändler sind, wo gegen sie zu ermitteln Todesgefahr für die Ermittler bedeute. Bestimmte Machthaber müssten raus, loyale Gouverneure und Kommandeure müssten eine Chance haben und sich durchsetzen können – nur wie? Die USA hätten dazu die Power, DEU nicht.

Notwendig sei ein strategischer Ansatz und ein langfristiges Gesamtkonzept, wo Polizeiaufbau von unten und politischer Ansatz von oben Hand in Hand gehen.

Anmerkung: Immer deutlicher wird die strategische Schlüsselrolle des Polizeiaufbaus und die hervorragende Wahrnehmung der dt. Lead-Rolle durch die erstaunlich wenigen Beamten vor Ort. Das wird auch international so gesehen. Im Gegensatz dazu steht die relativ geringe Beachtung, die die dt. Polizeihilfe in Politik – insbesondere Parlament - und Öffentlichkeit in Deutschland findet. Bei Ministerbesuchen mit Medientross – so meine Erfahrung in AFG und Balkan – bleiben die PolizistInnen meistens im Hintergrund. Das ist nicht nur undankbar gegenüber den verdienten Beamten, sondern auch politisch kontraproduktiv. Es behindert die Förderung des immer wichtigeren Instrumentes polizeilicher Auslandseinsätze. Dass diese nicht nur übergangsweise, sondern dauerhaft zum Aufgabenspektrum der Polizeien des Bundes und der Länder gehören, ist bisher zu wenig realisiert worden. Für die neue Aufgabe Auslandseinsatz muss eine Stellenreserve geschaffen werden.

(6) Aus „Dringende Fragen: AFG auf der Kippe?“ Juli 2006 (nach Besuch in Nord-AFG) ( http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=380 )

DEU ist die Lead-Nation beim Polizeiaufbau. Die kleine Zahl deutscher Polizeiberater hat – so auch meine persönliche Erfahrung – sehr gute Arbeit geleistet. Der deutsche Ansatz ist durchdacht, gründlich und rechtsstaatorientiert. Zugleich sind vermehrt Kritiken am Polizeiaufbau zu hören: Die Polizeireform sei „zu gründlich“ und wirke zu wenig in die Breite. Das Image der Polizei sei vor allem wegen der Korruption sehr schlecht. Und schließlich gibt es bei der Um- und Neubesetzung von Spitzenpositionen einen scharfen Dissens mit Karzai und den USA, die an sehr belasteten Polizeigeneralen festhalten wollen.

Zudem macht die Rekrutierung deutscher Polizeibeamter für den Einsatz in AFG erhebliche Probleme.

Um den Aufbau von Polizei, Zollverwaltung etc. nachhaltig werden zu lassen, sind internationale Mentoren gerade auch in den Provinzen von zentraler Bedeutung. Die Bereitschaft der Staaten, solche Mentoren bereitzustellen, ist äußerst gering. Das zeigte sich extrem bei der Doha-II-Konferenz im Februar, wo eine entsprechende Anfrage auf null Resonanz stieß.

(7)  Kabul Oktober2006

(Aus Afghanistan-Besuch im Oktober 2006: Zwischen Anschlagsgefahren und Aufbaufortschritten (mit Exkurs zum Streit über den ISAF-Einsatz in Süd-AFG), 24.11.2006 http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=81&aid=440 )

Polizei ist   d e r  Faktor für nachhaltige Sicherheit. Der Sicherheitsberater des Präsidenten: Die Polizei ist viel wichtiger als die Armee, aber viel schwerer aufzubauen.

DEU hat hier die Lead-Rolle. Zzt. arbeiten 40 dt. Polizeibeamte von Bund und Ländern in AFG (German Police Project Office/GPPO). DEU wendet hierfür 12 Mio. € /Jahr auf, plus 10 Mio. € für den internationalen POL-Besoldungsfonds LOFTA.  Die deutsche Polizeihilfe war anfänglich konzipiert für Friedenszeiten und auf Nachhaltigkeit und Solidität orientiert. Der Polizeiaufbau war auf einem guten Weg. Jetzt befindet sich der Polizeiaufbau in einer kritischen Phase. Seit März ist die Lage in unerwarteter Weise gekippt. Die Polizei erwischte es in einem nicht konsolidierten Zustand. Im Süden versagte sie völlig.

An der vom THW wieder aufgebauten und DEU konzipierten Polizeiakademie werden Polizeioffiziere (Saran) in drei Jahren (plus zwei Jahre berufspraktisch) und Pol-Unteroffiziere (Satanman, wie mittlerer Dienst) in einem Jahr ausgebildet. Bis Ende 2005 waren 251 Saran und 2.299 Satanman ausgebildet und insgesamt 1.687 in der Ausbildung. In 2006 gab es bisher ca. 600 Abschlüsse. Nach einer Evaluierung der Ausbildung wurde ihr praktischer Anteil verstärkt.

Die Frauenförderung bei der Polizei bleibt weit hinter den Erwartungen zurück: Auf die hundert Ausbildungsplätzen für Frauen in der Polizeiakademie gibt es trotz breiter Werbung bisher nur zwei Bewerbungen. Zurzeit sind 0,17% der Polizisten Frauen. An der Geschlechterfrage stellt sich die Frage nach der Reform-Absorptionsfähigkeit der afghanischen Gesellschaft, der Reformprioritäten und –Geschwindigkeiten. Zugleich belegen elf psychosoziale Beratungszentren allein der Caritas in Kabul, wie groß der Bedarf auf Seiten der Frauen nach Unterstützung ist.

Bis Ende 2005 wurden 42.000 einfache Polizisten (Patrolman) in acht US-amerikanisch geführten Regionalen Trainingszentren (auch in Kunduz und Mazar) in 5-7 Wochen ausgebildet. Die Polizisten sind zu 60 % Analphabeten, die Ausbildung ist stark militärisch orientiert und eher im Widerspruch zu europäischen Konzepten. Immer wieder heißt es, die Qualität dieser Ausbildung sei mangelhaft.

Die Polizei gilt als sehr korrupt. Das ist schon angesichts der „Gehälter“ kein Wunder: Der Einstiegssold eines Patrolman lag bisher bei 70 $, eines Captain bei 78 $, eines Brigadegenerals bei 95 $. Nach der Besoldungsreform sollen sie 80/250/550 $ bekommen. Um eine Familie zu ernähren, braucht es 200 $. Bei der Reform der Polizeispitze im Mai (Reduzierung der Generale von 319 auf 120, der Colonels von 1.824 auf 305 et.) setzte der Präsident in eine Liste von 84 Posten 14 bekannte Kriminelle, was zu erheblichem Konflikt führte und noch korrigiert werden konnte.

Die Polizei soll insgesamt 62.000 Personen umfassen. Als umstrittene Notmaßnahme werden auf Präsidentenerlass hin aus Milizen 11.000 Hilfspolizisten rekrutiert. Um die Risiken dieser de-facto-Legalisierung von Milizen einzudämmen, soll die Hilfspolizei von der Regierung – und nicht von den Gouverneuren – bezahlt und heimatfern eingesetzt werden. 

Die USA wollen ihr Militär bis 2010 aus Afghanistan abziehen können und powern deshalb gigantisch in den Polizeiaufbau: nach 200 Mio. US-$ in 2005 in diesem Jahr 1,6 Milliarden, Tendenz weiter steigend. Knapp 600 US-Berater sind im Polizeibereich tätig, davon allein 70 im Stab des Police Reform Directorate (PRD) des Combined Security Transition Command-AFG. Das PRD setzt sich zu 60% aus Militärs und zu 40% aus Zivilisten Sicherheitsfirmen MPRI und Dyncorp zusammen. Von 500 Polizei-Mentoren stellen die USA 450, andere Staaten zusammen 50. (Die US-Mentoren arbeiten in der Regel Vollzeit, dt. Mentoren haben gleichzeitig viele andere Aufgaben.)

Solche Quantitäten prägen den ganzen Polizeiaufbau. „Es ist nicht einfach, als Lead-Nation Juniorpartner zu sein“, so ein dt. Polizist. Es heißt, die USA seien an Kooperation mit den dt. Polizeiberatern interessiert. Angesichts der gigantischen und drängenden Herausforderungen an den Polizeiaufbau und angesichts der akuten Gefahr, bei solchen enormen quantitativen Diskrepanzen marginalisiert zu werden, ist eine Verstärkung des dt. Polizeiengagements (Verdoppelung bis Verdreifachung) unabdingbar. Sinnvoll wäre seine Einbettung in eine ESVP-Mission.

Nicht nachvollziehbar ist, dass Ledige im Unterschied zu Verheirateten (alle zwei Monate) keinen Heimflug bezahlt bekommen.

(vgl. Broschüre Polizeiliche Aufbauhilfe in Afghanistan, hrg. vom AA und BMI, Dezember 2005)

(8) Polizeiaufbau in Afghanistan: NOTRUF, Ende August 2007

Angesichts des Anschlags auf die deutschen Polizisten in Kabul war auffällig, wie schnell die Diskussion wieder nur um Bundeswehr und Mandat kreiste. Dabei verdient der Polizeiaufbau höchste Aufmerksamkeit!

Der Aufbau einer einigermaßen funktionsfähigen und rechtsstaatlichen Polizei hat – neben dem der Justiz und Armee – eine strategische Schlüsselrolle für Gewalteindämmung und Friedensförderung in Afghanistan. Es ist eine notwendige Brücke von flüchtiger Sicherheit durch ISAF zu nachhaltiger Sicherheit. Ein Eckpfeiler dieser Brücke, die EU-Polizeimission EUPOL AFG, droht zu brechen!

 Die Herausforderungen in diesem Bereich sind gigantisch: Eine äußerst schlechte Polizei (Analphabetenrate, Minibezahlung, Korruption, schlechter Ausbildungsstand, anderweitige Loyalitäten) ist mit einer Vielfalt von Gewaltakteuren (kein funktionierendes Gewaltmonopol), grassierender Kriminalität und regelrechten Gewaltkulturen konfrontiert.

Deutschland hatte im Rahmen der internationalen Arbeitsteilung die Führungsverantwortung für den Polizeiaufbau (Großbritannien bei Drogenbekämpfung, Italien bei Justiz). Die nach Afghanistan entsandten PolizistInnen von Bund und Ländern leisteten, so auch mein persönlicher Eindruck, qualitativ gute Arbeit, z.B. beim Aufbau der Polizeiakademie. Mit zuerst 12 und zuletzt 42 BeamtInnen und 12 Mio. Euro/Jahr war das Unternehmen zugleich krass unterdimensioniert. Die Schwäche des deutsch-koordinierten Polizeiaufbaus war die Einladung an die USA, mit ihrer Art von Polizeihilfe loszupowern: mit einem von 200 Mio. auf 2 Mrd. $ steigenden Etat, mit aberhunderten Beratern und Ausbildern, mit dem so teuren wie fragwürdigen Einsatz privater Sicherheitsfirmen, mit einem militarisierten Polizeikonzept.

Um den Polizeiaufbau auf breitere Schultern zu bringen, löste Mitte Juni die EU Mission EUPOL AFG das dt. Polizeiprojektbüro ab.

Der Polizeiaufbau ist seitdem vom Regen in den Wolkenbruch gekommen!

Der personelle Aufwuchs läuft äußerst schleppend. Inzwischen sind erst 60 PolizistInnen vor Ort. Bis März 2008 soll die Planstärke von 195 erreicht werden. Über die vom dt. Polizeiprojekt eingebrachten Fahrzeuge, Räume, Computer hinaus verfügt EUPOL über keine weitere Ausstattung. Weitere Fahrzeuge sind auch nicht in Sicht. Dadurch wird Außenarbeit massiv behindert. Das EU-Budget wurde kurzfristig von 58 Mio. auf 43,6 Mio. Euro gekürzt. Über Projektmittel für Bau- und Ausstattungsprojekte verfügt EUPOL gar nicht. Diese werden über das verbliebene 10-köpfige Dt. Polizeiprojektteam beigesteuert.

Vor Wochen habe ich hierzu an die zuständigen Minister Steinmeier und Schäuble einen regelrechten Brandbrief geschrieben. Er wurde ausweichend und beschönigend beantwortet.

Wo die Zeit drängt, rührt die katastrophale Lage der Polizeimission an den Nerv des ganzen internationalen Afghanistan-Engagements und konterkariert die anderen Aufbaubemühungen.

Die Bundesregierung ist hier in der Pflicht, schleunigst und energisch auf Abhilfe zu drängen.

(9) 2012 Mazar-e Sharif, Expandierende Polizeiausbildung, Bericht von der 17. Afghanistanreise: „Rückzug aus der Verantwortung?“ (12/2012)( http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1183

Im Sommer 2008 erlebte ich beim Besuch von Außenminister Steinmeier die Grundsteinlegung zum Police Training Center direkt ostwärts neben Camp Marmal bei Mazar-e Sharif. Einige Wochen später standen schon die ersten Gebäude im Rohbau. Damals, sechs (!) Jahre nach ihrem Start, bekam die deutsche Polizeiaufbauhilfe endlich einen quantitativen Schub. Vier Jahre später ist das Ausbildungszentrum enorm expandiert und beherbergt auf 500 x 1000 m das Regional Police Training Center North (RPTC) mit der Nebenstelle der Kabuler National Police Academy.  Einen halben Tag verbringe ich bei den gastfreundlichen Beamten des GPPT. Im Rahmen des GPPT arbeiten hier allein knapp 90 deutsche Polizeibeamte, darunter sechs Polizistinnen, inzwischen vor allem als Mentoren und Berater. (61 im RPTC, 15 Administration) An der Polizeiakademie arbeiten 27 dt. Polizeiberater. Von den Polizisten in Mazar kommen 37 von der Bundespolizei, 13 aus NRW, je 6 aus Bayern und Niedersachsen, je 5 aus Berlin und Hessen, 4 aus Rheinland-Pfalz, 3 aus Thüringen, je 2 aus Baden-Württemberg, Sachsen und BKA, je 1 aus Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein, niemand aus Brandenburg (grundsätzlich), aus Bremen, Hamburg, Saarland, Sachsen-Anhalt. Sie werden unterstützt von 47 lokalen Übersetzern.

Die Trainingskapazitäten wachsen auf: in Mazar von 400 in 2011 auf 1.400 (davon 600 Akademie) im Juni 2012, in Kunduz von 120 auf 530. Landesweit wird die polizeiliche Breitenausbildung von bisher 37 Police Training Centers in den RPTC West, South, East, North (mit Außenstellen in Kunduz, 540 Plätze, und Badakhshan, 80 Plätze), dem National PTC Wardak und einem PTC in Helmand konzentriert. Zusammen mit der Polizeiakademie (2.250 Plätze) stehen dann 16.000 Ausbildungsplätze zur Verfügung. Zu bedenken ist, dass einfache Polizisten und Unteroffiziere auf fünf Jahre verpflichtet sind, Offiziere auf zehn Jahre.

Auf einem Übungsplatz beobachte ich Polizeischüler beim Üben einer Fahrzeugkontrolle. In der achtwöchigen Grundausbildung ist 70% Praxis. Bei ca. 70% der Ausbildung geht es um Überlebensfähigkeit. Um der Innentätergefahr vorzubeugen, haben die Polizeischüler nur Holzgewehre.

In einer Uffz-Klasse halte ich eine kurze Ansprache. Die hier brav sitzenden jungen Polizisten sind zugleich begeisterte Fuß- und Volleyballspieler. Die deutschen Polizisten würden ihnen gegenüber gnadenlos verlieren.

Wir besuchen auch eine Kindertagesstätte mit ca. 20 Kindern der im RPTC beschäftigten Frauen. Die Einrichtung haben die deutschen PolizistInnen gesponsert. Eine ulkige Szene ergibt sich, als vor der Kamera zwei lachende Polizistenpakete neben einem Jungen in die Knie gehen – drei strahlende Glatzen. Draußen sind die Polizeischüler unterwegs zum Mittagessen. Am laufenden Band freundliche Begrüßungen zwischen den afghanischen und deutschen Kollegen.

Hauptzielgruppe des GPPT ist die Afghan Uniform Police (AUP), die allgemeine Polizei. Für die paramilitärische Bereitschaftspolizei ANCOP sind Trainer der European Gendamerie Force zuständig, ausdrücklich nicht die dt. Polizisten. Seit April 2011 hat sich das Aufgabenprofil der deutschen Polizeiberater deutlich verschoben: Weg vom direkten Training hin zum Mentoring der afg. Ausbilder, von Polizisten in Stabs- und Verwaltungsfunktionen, zur Verbesserung der Ausbildungsqualität und Unterstützung der Professionalität. Entscheidend sei, dass die Trainer eigenständig würden, sich Gedanken machen.

Aktualisierung:PTC an das afg. Innenministerium. Seit September ist kein deutscher Polizist mehr vor Ort. Insgesamt wurden 2012 in den von DEU errichteten PTC und Schulen mehr als 10.000 Polizisten ausgebildet, darunter über 750 Polizeitrainer. Lt. „Fortschrittsbericht AFG“ der Bundesregierung vom November 2012 ist DEU damit der größte Akteur im Bereich der Trainerausbildung. (www.auswaertiges-amt.de/cae/servlet/contentblob/632316/publicationFile/174653/121128_Fortschrittsbericht_2012.pdf

Seit 2009 beteiligte sich DEU an dem von den USA initiierten umfassenden Programm zur gezielten Ausbildung und Begleitung ganzer Distrikt-Polizeien (Focused District Development/FDD). Seit 24. Oktober 2011 sind dt. Polizisten nicht mehr an FDD beteiligt. Eigentlich sei es ein gutes Programm gewesen. Es brauchte aber viel Personal, insbesondere die von Soldaten begleiteten Ausfahrten in die Distrikte (je vier Polizisten und Feldjäger, zwei Sprachmittler + Schutzkomponente). Der Sinn von FDD wurde auch dadurch infrage gestellt, dass Polizeichefs und Polizisten immer wieder schnell versetzt wurden und so ein kontinuierliches Mentoring untergraben wurde.

Als Handicap der dt. Polizeihilfe bleibt: Wo die Begleitung nach den relativ sehr kurzen Trainingskursen entfällt, wo es keine Beratung am Arbeitsplatz gibt, ist die „Rückfallquote“ hoch und die Chance auf nachhaltige Wirkung viel geringer. Was bleibt von der Ausbildungsinvestition in den PTC`s?

(Im Mai 2012 betrug der Personalschwund der ANP -1.400, d.h. ca. 1% der Gesamtstärke.)

Aktualisierung: Offen bleibt, wie die militärischen Police Advisor Teams der US-Streitkräfte wirken, die noch das Mentoring in der Fläche praktizieren. Offen bleiben die Parallelstrukturen außerhalb der ANP: Village Stability Operations + Afghan Local Police (ALP), Critical Infrastructure Protection Program (CIPP), „ungesetzliche Milizen“. Der Halbjahresbericht des Pentagon „on Progress Toward Security and Stability in AFG“ vom Dez. 2012 bringt eine Übersicht zur ALP in 137 Distrikten landesweit. Demnach umfasste die ALP in den Distrikten Kunduz Stadt 225, Chara Darah 280, Imam Shahib 295, Dashte Archi 230, in zwei Distrikten von Takhar insgesamt 600, in Pul-e Khumri/Baghlan 321 etc. (www.defence.gov/news/1230_Report_final.pdf )Das CIPP lief offiziell am 30.9.2012 aus. Ein Teil wurde von der ALP übernommen. Das hartnäckigste und andauerndste Problem sind die ungesetzlichen Milizen. Lt. Vorsitzendem des High Peace Council sollen diese Milizen allein in der Provinz Kunduz ca. 4.500 Mann umfassen. Im September gab es mehrere blutige Zwischenfälle mit ihnen – und in Kunduz Proteste für ihre Entwaffnung. (vgl. Bei Afghanistan Analysts Network Gran Heward: Legal, illegal: Militia recruitment and (failed) disarmament in Kunduz, 10.11.2012, www.aan-afghanistan.con/print.asp?id=3108 )

Bewerberlage bei GPPT: Sie sei ausgezeichnet. 90% der Kurzzeittrainer hätten verlängert. Seit 1. Januar 2012 geht das aber nicht mehr. Einige Absolventen der AFG-Kurse an der Bundespolizeiakademie seien jetzt in der Warteschleife. Ich frage nach dem persönlichen Gewinn des Einsatzes: Die Aufgaben seien hier viel breiter als in der Heimat. Man mache hier mehr Erfahrungen als in vier Jahren zu Hause. Es bringe mehr Selbstverwirklichung im Beruf. Für polizeiliche Fähigkeiten im engeren Sinne sei er Einsatz kein besonderer Gewinn. Da sei ein FBI-Besuch ergiebiger. Die Karriereverträglichkeit sei unterschiedlich. Wer bei der Bundespolizei im höheren Dienst was werden wolle, müsse ein Jahr im Ausland gewesen sein. In den Ländern und Dienststellen gebe es eher die üblichen Vorwürfe („Du machst Geld und Urlaub, wir müssen deine Arbeit machen“)

Alphabetisierung und „nachholende Grundbildung“ für Polizisten der ANP: Besuch der

GIZ-PIU (Police Implementation Unit), in der drei afghanische und zwei deutsche MitarbeiterInnen das seit 2009 laufende Programm organisieren. Ca. 70% der afghanischen Polizisten sind Analphabeten. Das Programm für alle 114 ländlichen Distrikte und fast alle städtischen Polizeistationen des ganzen Nordens beinhaltet Kurse von 6-8 Wochen und 6 Monaten. Der 6-Monatskurs schließt Basisausbildung in Polizeiaufgaben und –recht, Menschenrechte, Gender, häusliche Gewalt, Rule of Law, Gesundheitspflege ein. Über 300 einheimische ehemalige Polizisten und Militärs sowie Zivile arbeiten als Lehrkräfte. Für den Unterricht wurden 95 voll ausgestattete Container-Klassenräume und acht Zelte für unzugängliche Gebiete bereit gestellt. Stolz überreicht man mir das erste, von Innenministerium und GIZ herausgegebene Handbuch für Polizeirecht sowie eine Lehrbroschüre für Polizeischüler in einfacher Sprache. Seit 2009 haben knapp 13.000 Polizisten in Nord-AFG die 6-Monatskurse durchlaufen. An den Kurzzeitkursen nahmen 6.250 teil.

Dieses Projekt erscheint mir besonders sinnvoll: Es fördert Basisfähigkeiten bei einer für die Zukunft des Landes besonders wichtigen Personengruppe; die Durchführung ist geprägt von Afghan Ownership. Insgesamt scheinen hier die Voraussetzungen für eine nachhaltige Wirkung am ehesten gegeben zu sein.

(10) Aufbauhilfen in Afghanistan unter immer schwereren Bedingungen – Kurzbesuch in Kabul und Mazar-e Sharif im November 2016, (Begegnungen mit GPPT-Polizisten in Kabul + Mazar), http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1440

(11) Angriff auf Green Village, September 2019, Auszug aus UNAMA-Halbjahresbericht I/2019  + jüngste SIGAR-Berichte zu Zivilopfern, www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1603

03.09. Warnung von neun ehemaligen US-Gesandten(darunter fünf Kabul-Botschaftern, einem Sonderbeauftragten für AFG und einem stv. Außenminister) auf der Website des Atlantic Council: AFG könne in einen „totalen Bürgerkrieg“ kollabieren, wenn Präsident Trupm die US-Truppen abziehe, bevor zwischen der afg. Regierung und den Taliban ein Friedensabkommen abgeschlossen sei. Der anfängliche Abzug dürfe nicht so weit und schnell gehen, dass die Taliban glauben könnten, einen militärischen Sieg erringen zu können. (https://www.tolonews.com/afghanistan/ex-envoys-warn-civil-war-if-us-leaves-afghanistan )

02.09. Kabul, Polizeidistrikt 9, 21.55 Ortszeit:Angriff mit Kfz-Bombe auf das Green Village (Camp von ausländischen Entsandten, Polizisten – auch deutschen -, etc.), 16 Tote (acht Ausländer), 119 – meist zivile – Verletzte (25 Ausländer). 400 Ausländer seien evakuiert worden. Die fünf Angreifer wurden von Special Forces getötet, eine Tankstelle fing Feuer. (Video der Zerstörungen https://www.youtube.com/watch?v=Q18ueelqOow ) Green Village war zuletzt im Januar mit einer Lkw-Bombe angegriffen worden (vier Tote, 90 Verletzte). (https://www.tolonews.com/afghanistan/taliban-truck-bomb-attack-kabul-kills-16 ) Lt. SZ v. 04.09. lief zeitgleich zum Anschlag auf TOLO-TV ein Interview mit dem US-Sondergesandten für AFG, Zalmay Khalilzad zu den Eckpunkten des Abkommens mit den Taliban: Man sei grundsätzlich übereingekommen, dass die USA fünf Militärbasen binnen 135 Tagen räumen und 5.000 Soldaten abziehen. Im Land verbleibende US-Kräfte sollten nur noch gegen den lokalen IS-Ableger vorgehen. Die Taliban wollen im Gegenzug garantieren, „dass ihr Land kein sicherer Aufenthaltsort mehr für Terroristen werde, an dem Attacken gegen die USA und andere Staaten geplant werden.“ Innerafghanische Friedensgespräche sollen folgen. Am nächsten Tag protestierten Anwohner des Green Village für den Abzug der internationalen Niederlassung aus ihrer Nachbarschaft.

01.09. Kunduz: Talibanangriff aus drei Richtungen ab 31.08, 01.30 Uhr über mehr als 24 Stunden. Lt. Innenministerium 20 afg. Sicherheitskräfte und fünf Zivilisten getötet, 80 – meist Zivilisten – verletzt. Am 31. abends schwere Explosion am zentralen Kreisverkehr, gerichtet gegen ein Treffen der lokalen Sicherheitsführung, zehn Tote. Einsatz von Spezialeinheiten von NDS, Polizei und Armee, lt. IM 56 Taliban getötet. (https://www.tolonews.com/afghanistan/20-security-force-members-killed-kunduz-battle )

(12) 20. Und letzter AFG-Besuch: Gespräch mit drei Polizisten des GPPT in Mazar, Oktober 2019 (aus: „Schlechtere Sicherheitslage, lebensnotwendige Unterstützung, durchhaltende Aufbauprojekte“: Bericht von meinem 20. Afghanistanbesuch(Mazar-e Sharif und Kunduz,, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1613 )

In Mazar sind zzt. 15 deutsche Polizeibeamte, in Kabul sollten es eigentlich 35 sein. Nach dem Angriff auf „Green Village“ besteht in Kabul aber keine Arbeitsfähigkeit, geht es um Erhalt von Strukturen.

In Mazar arbeitet GPPT an zwei Schwerpunkten: (a) am Flughafen Beratung der Afghan Border Politice (über 200 Polizisten) bei Passkontrolle, Dokumentenexperten, Vorkontrollen und Interpol-Komponente;

(b) im Sergeant Training Center (STC) der ANP (früher Regionales Ausbildungszentrum, Baustart 2008, deutsch finanziert, 2014 Übergabe an die afghanische Seite) für Polizei-Unteroffiziere, ostwärts an Camp Marmal anschließend. Die Polizeischülerzahlen schwanken zwischen 120/300 und 1.500. Die Absolventen des STC sind bei Operationen an vorderster Front dabei. GPPT-Aufgaben sind:

- Beratung der Leitung

- Fortbildung der mittleren Ebene

- Training für Wachmannschaften des STC

- Insgesamt train the trainer.

Plus der deutschen Polizei sei: Sie war durchgängig da. Das schaffe Vertrauen. Bei Beratungsbedarf werde man als erstes gefragt. Die Afghanen wollen wohl eher deutschen Standard.

Heimatbundesländer: Niedersachsen und Baden-Württemberg tragen die Beteiligung an internationaler Polizeihilfe voll mit. Der Dienstellenleiter des Niedersachsen war selbst im Auslandseinsatz. Insgesamt sei man eineinhalb Jahre weg. Manchmal fehle es an Anerkennung. Das werde von vielen angesprochen.

(Ich bin erleichtert zu hören, dass das Ausbildungszentrum noch gut laufen soll und dass GPPT nicht nur Spitzenberatung betreibt, sondern auch noch dichter an der Ausbildung dran ist. Ob die Beratungskapazitäten ausreichen, um Wirkung zu erzielen, kann ich nicht beurteilen. In diesen Tagen findet am neuen Fachgebiet „Internationale polizeiliche Beziehungen“ an de Dt. Hochschule der Polizei in Münster erstmalig eine Tagung zur Evaluation von polizeilichen Auslandseinsätzen statt. Auf die Ergebnisse bin ich gespannt.)