Alarmierende Nachricht jetzt auch aus Kunduz: Belagerung durch über 2000 Aufständische! Auch dort ist Deutschland nicht raus aus der Verantwortung!

Von: Nachtwei amDo, 28 August 2014 14:37:17 +01:00

Über zehn Jahre war die Provinz Kunduz in Nordostafghanistan ein Schwerpunkt des deutschen Afghanistan-Engagements. Droht jetzt alles wegzurutschen? Über Ukraine, Irak ...  Afghanistan nicht vergessen!



Alarmierende Nachrichten jetzt auch aus Kunduz:

Belagerung durch über 2000 Aufständische! Auch nach der Übergabe

ist Deutschland nicht raus aus der Verantwortung!

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (28./29.08.2014)

Am 27. August berichtete SPIEGEL ONLINE aus der nordafghanischen Provinzstadt, die seit zwei Wochen von mehr als 2000 Kämpfern belagert werde. (www.spiegel.de/politik/ausland/taliban-auf-dem-vormarsch-auf-ehemaliges-bundeswehrcamp-a-988440.html )

(Zehn Jahre lang war Kunduz bis Oktober 2003 der zweitgrößte Stützpunkt der Bundeswehr in Afghanistan. Seit 2008/2009 waren Bundeswehrsoldaten im Raum Kunduz erstmalig in ihrer Geschichte mit einem andauernden und opferreichen Guerillakrieg konfrontiert.)

Die Taliban hätten schon einige Vororte von Kunduz besetzt. Vor allem im Distrikt Chahar Darreh habe es erbitterte Gefechte zwischen Taliban, afghanischen Sicherheitskräften und bewaffneten Einwohnern gegeben. Am 13. August gelang den Aufständischen die Einnahme der Polizeistation von Chahar Darreh, wo früher auch deutsche Soldaten stationiert waren. Laut ANA konnte die Station nach einigen Stunden zurückerobert werden. Ähnlich sei es mit rund zehn anderen Polizeiposten in der der Gegend gegangen.

Laut TOLOnews vom 21. August habe der Angriff schon Ende Juli begonnen. (www.tolonews.com/en/afghanistan/16061-kunduz-battle-against-taliban-led-by-released-taliban ) Immer mehr Aufständische seien hinzugeströmt. Geführt würden sie von Mawlawi Salam, der kürzlich auf Verlangen des High Peace Council aus pakistanischer Haft entlassen worden sei. In Chahar Darreh hätten die Taliban 15 Polizei-Checkpoints erobert und weitere belagert. Nach Kämpfen über einen ganzen Tag und die Nacht hätten die Sicherheitskräfte die Aufständischen zurückgeschlagen. Über 80 Taliban seien nach offiziellen Angaben getötet und über 50 verwundet worden. Von den Polizisten seien zwei getötet und über zehn verwundet worden. ANA-Offiziere beklagen den Mangel an Luftunterstützung und Artillerie. In der Zivilbevölkerung habe es einen Toten und zehn Verwundete gegeben, Hunderte Familien seien auf der Flucht.

Pajhwok Afghan News vom 28. August: Laut Polizeigeneral Gholam Mustafa Mohseni seien im Distrikt Chahah Darreh Aufständische aus fünf Dörfern und im Distrikt Khanabad aus mehr als zehn Dörfern vertrieben worden. Verteidigungsminister Bismillah Mohammadi kritisierte, dass der lang dauernde Wahlprozess und die damit einhergehende politische Unsicherheit das Vorrücken der Taliban in dieser und anderen Provinzen gefördert habe.

Als erste überregionale deutsche Tageszeitung berichtete die FAZ am 29. August über die Kämpfe von Kunduz: „Artilleriefeuer vor den Toren von Kundus“. Friederike Böge zitiert aus einen bisher nicht veröffentlichten Bericht des „Afghanistan Analysts Network“:

Das letzte Mal, dass die Taliban so nahe daran waren, die Provinzhauptstadt zu übernehmen, war 1997.“ Damals, so Böge, eroberten sie die „strategisch wichtige Provinz, die fortan das Machtzentrum des Islamisten-Regimes im Norden wurde – bis zu ihrem Sturz 2001. Auch wegen dieser Vorgeschichte sind die Kämpfe von Kundus von symbolischer Bedeutung.“ Am 28. August habe sich die Lage nach übereinstimmenden Aussagen von vor Ort vorerst beruhigt. Die Autorin weist daraufhin, dass die Offensive der Taliban ein Muster zeige, dass auch in anderen Provinzen in den letzten Monaten zu beobachten sei: Angriffe in Großformation von mehreren hundert Kämpfern auf Polizeiposten, um Gebiete unter ihre Kontrolle zu bekommen. Begünstigt werde das durch seltenere Luftangriffe internationaler Truppen und Militäroperationen der pakistanischen Armee, die Kämpfer des Haqqani-Netzwerks aus ihren Rückzugsgebieten in Nordwaziristan nach Afghanistan getrieben hätten. In der afghanischen Regierung sei man überzeugt, dass dies Teil einer pakistanischen Destabilisierungsstrategie gegenüber Afghanistan gewesen sei.

Befeuert werde der Taliban-Vormarsch aber vor allem durch den sich seit zweieinhalb Monaten hin ziehenden Wahlprozess. Die Rivalitäten zwischen den Spitzenkandidaten spiele den Taliban direkt in die Hände. „Viele Sicherheitskräfte – auch in Kundus – fühlen sich von den in Kabul um die Fleischtöpfe streitenden Politikern im Stich gelassen. Allen voran die sogenannten Lokalpolizisten, die mit leichten Waffen in entlegenen Außenposten stationiert sind (…) Viele von ihnen haben ihre Posten frustriert verlassen – oder sind gleich zu den Taliban übergelaufen.“ In ihrem Kommentar „Zynische Strategen“ schreibt Friederike Böge, die erheblichen Geländegewinne der Taliban in den vergangenen Monaten seien vor allem „dem kollektiven Versagen der politischen Eliten des Landes zuzuschreiben. (…) Zynische Machtstrategen in den Lagern beider Präsidentschaftskandidaten lassen die Taliban teilweise gewähren, um den jeweiligen politischen Gegner zu schwächen. Dabei war noch im Juni die Hoffnung auf einen friedlichen Machtwechsel in Afghanistan mit Händen zu greifen. Millionen Wähler gaben trotz der Gefahr von Talibanangriffen ihre Stimme ab. Doch diese Chance haben Afghanistans Eliten leichtfertig verspielt.“

Die Kriegsbrände in der Ostukraine, im Irak, in Syrien, Libyen, gerade noch Gaza/Israel

absorbieren alle Aufmerksamkeit und machen fassungslos. Für Südsudan, Zentralafrikanischer Republik, Ostkongo gibt es cnur noch punktuelle Aufmerksamkeit. Trotzdem: Auch die Menschen in Nordafghanistan brauchen Aufmerksamkeit, Unterstützung. Wie unterstützen? Ich weiß es noch nicht – abgesehen von energischem politischem Druck auf die politische „Elite“ in Kabul.

Wenigstens HINSEHEN, Unterstützungsmöglichkeiten checken und klären. „Wir lassen Euch nicht in Stich!“ hieß es in den letzten Jahren hundertfach von deutschen Ministern, Abgeordneten, Entwicklungshelfern, Soldaten, Polizisten gegenüber den Afghaninnen und Afghanen. Die Abertausenden deutschen Frauen und Männer, die sich seit Ende 2003 im Raum Kunduz für mehr Sicherheit, Aufbau und Entwicklung eingesetzt haben, mit großem Engagement, hohen Belastungen und Risiken, die hier Kameraden und Kollegen verloren – sie können nicht wollen, dass alles umsonst war.

Gefragt sind jetzt nicht Kommentare, wie sehr man es schon immer besser wusste, sondern Ideen zum Handeln. Bitte melden + weiterleiten!