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Redebeitrag (Text) von Winni Nachtwei, MdB, zu AFGHANISTAN auf der Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis 90/Die Grünen

Veröffentlicht von: Webmaster am 25. Oktober 2009 22:46:22 +01:00 (98907 Aufrufe)

Als einzige Partei debattierten Bündnis 90/Die Grünen auf ihrem jüngsten Parteitag das heiße Thema Afghanistan - kontrovers und differenziert. Die Rede von Winni Nachtwei endete mit stehendem Beifall für den ausscheidenden sicherheitspolitischen Sprecher.

Hier der Text des Redebeitrags:

"Liebe Freundinnen und Freunde,

Seit Sommer 2006 warne ich vor der Verschärfung der Lage in Afghanistan, seitdem drängte ich als sicherheitspolitischer Sprecher der Fraktion auf einen deutlichen Kurswechsel. Und das ist ja auch die Position er Fraktion, der Partei seit Köln gewesen.

Zunehmend verärgert und ungeduldig - und ich als ruhiger Vertreter - wurde ich angesichts einer Politik der Bundesregierung, die die Herausforderung von Afghanistan bis heute offensichtlich nicht kapiert hat, die unehrlich ist, halbherzig und dadurch verantwortungslos ist.

(Beifall)

Bei jedem Besuch in Afghanistan erfahre ich die gespaltene Entwicklung, zuletzt, als ich im September dort war:

Gespalten. Vor zweieinhalb Jahren die Provinz Kunduz, richtig hoffnungsvoll, wie ich das bei Besuchen immer wieder gesehen habe. Seit zweieinhalb Jahren geht es dort bergab. Und präzise seit April diesen Jahres ist offener Guerillakrieg, Kleinkrieg, da  gibt es gar kein Vertun, das muss beim Namen genannt werden. Und als es am 4. September zum Luftangriff auf die beiden Tanklaster kam, da war das ein Bruch mit der bisher vertretenen Linie, den Schutz der Zivilbevölkerung auf jeden Fall im Mittelpunkt zu halten bei all den Bundeswehreinsätzen. Es ist ja hier schon deutlich kritisiert worden, vor allem wie sich der Minister, der sogenannte verantwortliche Minister dazu verhalten hat.

Zugleich erfahre ich - und das auch noch im September - gute Fortschritte in  Nachbarprovinzen, in Balkh und Badakhshan, beim Gesundheitswesen, der Wasserversorgung, der Infrastruktur, beim Provincial Development Funds. Bei Besuchen in Teacher Training Centers habe ich Dozenten und Lehrerstudierenden erlebt, die wirklich brennen für die Aufgabe, ihr Land wiederaufzubauen und aus der Kriegsscheiße wieder herauszuführen.

Und immerhin: Im bundesdeutschen Auftrag arbeiten für Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit 185 Deutsche bzw-. Internationale und 1.200 Einheimische, noch mal ungefähr so viele bei NGO`s (genau: 41 Entsandte und ca. 1.000 Einheimische).  Es ist ärgerlich und dumm, wie wenig hierzulande deren Arbeit überhaupt wahrgenommen wird.

(Beifall)

Diese Frauen und Männer verdienen, wie auch die Polizeiausbilder besonnen auftretende Soldaten ausdrücklich Respekt und Dank!

Was aber ist nötig, um den Krieg zu beenden, aus der Gewaltspirale rauszukommen  und Frieden zu gewinnen?

Weiter so, das ist schon oft richtig gesagt worden, mit bloßem Nachjustieren, wie es bei der Bundesregierung immer wieder passiert, nein, das wird die Abwärtsspirale nicht stoppen. Das führt in den nächsten ein, zwei Jahren zum Desaster. Und damit versündigt sich eine Bundesregierung an den  Leuten, an en guten Leuten, die wir hinschicken, und an der afghanischen Bevölkerung.

Zweite Option: Sofort raus mit der Bundeswehr? Ich frage immer wieder. Wer will, wer fordert das in Nord-Afghanistan?

Nicht die Menschen, die im Aufbau engagiert sind.

Nicht die besonders Mutigen z.B. in der Menschenrechtskommission arbeiten, und die zivilen Helfer, die wohl auf Distanz zum Militär achten. Aber die wolle auch nicht, dass sofort abgezogen wird.

Was wären die absehbaren Folgen? Auch darauf habe ich die Leute immer wieder angesprochen. Sie befürchten eine enorme Gewalteskalation, eine regelrechte Entfesselung des gegenwärtig schon in einigen Landesteilen grassierenden Krieges und schließlich Destabilisierungsstoß für das sowie schon schwankende Atomwaffenland Pakistan.

Man sollte sich nichts vormachen: Es gibt nicht die einfache Alternative Truppe raus - Helfer rein. Nein, die meisten Helfer müssten dann mit der Truppe auch tatsächlich rausgehen.

3. Option: Was dann?

Als allererstes, da wiederhole ich andere Rednerinnen und Redner:  Schutz und Zustimmung der Zivilbevölkerung als A + O für alle Politik, alles Verhalten, alle Militäreinsätze.

(Beifall)

Und als Gebot von Friedenspolitik: Die CHANCEN, die noch da sind, zu identifizieren und anzupacken!

Und zu den Chancen gehört, nur eine Auswahl:

Erstens bei den Führern von Taliban und Aufständischen zu gucken, wo sind solche, die politisch denken, und es gibt sie, die Interesse an ihrem Land und an ihren Leuten haben. Mit denen ist in ganz anderer Intensität was notwendig an Verhandlungen. Das ist schwierig, und da gibt es keine Erfolgsgarantie. Aber das ist elementar, als Alternative zu immer mehr Soldaten.

(Beifall)

Dann zweitens: eine forcierte Förderung von Staatlichkeit und zivilgesellschaftlicher Entwicklung auf allen Ebenen. Das diesjährige Friedensgutachten hat auf die Schlüsselfrage, wie raus aus dem Krieg in Afghanistan, die Förderung von Staatlichkeit auf verschiedenen Ebenen als elementar bezeichnet.)

Ein Beispiel dafür ist der Vorschlag, für die Provinz Kunduz zusätzlich 2.500 Polizisten auszubilden und für zwei Jahre von Deutschland aus zu zahlen. (Bisher wurde der Vorschlag von den Sprechern der Ministerien beiseite gewischt.)

Vereinbart werden muss ein Aufbauplan mit konkreten, realistischen Aufbauzielen. (Kanada und die Niederlande habe das längst vorgemacht.) Das wäre ein Grundriss für eine Abzugsplanung. Und mir wäre wahrlich lieb, man könnte den Abzug vernünftig innerhalb von zwei Jahren hinkriegen. Aber wenn ich mir das alles angucke bei der elementaren Frage Polizeiausbildung. Man braucht, um Polizisten einigermaßen hinzukriegen, dass sie selbst in Distrikten arbeiten können, ungefähr zwei Jahre. Und das heißt: Bis Ende 2011, so wünschenswert das wäre, eine solche Zahl zu nennen, ist pseudogenau und pseudoehrlich. Im Grunde wäre es nicht durchhaltbar.

(Beifall)

Ich meine, dass dieser Vorschlag eindeutig keine Laufzeitverlängerung für Krieg ist. Nein, er ist ein Weg, um aus dieser, ich wiederhole es noch mal, das muss man sich bewusst machen, aus dieser Kriegsscheiße herauszukommen und un da Frieden hinzukriegen.

Ich meine, dass der Antrag des Bundesvorstandes (nicht: Bundesregierung) die einzige verantwortbare Alternative zu einer Politik der Bundesregierung ist, die unverantwortlich ist.

(Beifall)

Und ein letztes ein Wunsch Richtung Fraktion: Dass unserer neue Fraktion auf dieser inhaltlichen Grundlage ihre Position findet. Ihr Neuen habt ja bisher noch kein mal unter Euch über dieses Thema diskutiert. Ich hoffe, dass Ihr dann im Unterschied zu meiner früheren „Generation" es hinkriegt, Euch einmütig auf dieser inhaltlichen Grundlage zum künftigen Mandat zu verhalten. Und wenn es Nichtzustimmung ist, wenn es Ablehnung ist, dann möglichst gemeinsam.

Ich danke Euch."

(lang anhaltender, stehender Beifall)

 

Weitere Informationen dazu:

Zur Debatte standen die Anträge

(a) „Für eine verantwortliche Afghanistanpolitik: Zivilen Aufbau ausbauen - afghanische Eigenverantwortung stärken - militärischen Abzug einleiten" des Bundesvorstandes (www.gruene-partei.de/cms/default/dokbin/310/310749.fuer_eine_verantwortliche_afghanistanpol.pdf);

(b) „Eine Chance für Afghanistan: Deutsche Kriegsbeteiligung beenden, das Land stabilisieren"  von Karl-W. Koch, Robert Zion  u.a. (NATO-Truppenabzug bis Ende 2010, neues UN-Mandat und Übernahme der ISAF-Funktion durch Länder „ohne geostrategische Interessen");

(c) „Für einen friedenspolitischen Aufbruch: Abzug der NATO aus Afghanistan" von Uli Cremer, Wilhelm Achelpöhler u.a. (Abzug bis 1. Halbjahr 2010; www.gruene-friedensinitiative.de);

(d) „Den Afghanistaneinsatz verantwortlich abschließen", beschlossen auf dem Bundeskongress der Grünen Jugend in Weimar (Truppenabzug bis Ende 2011; www.gruene-jugend.de/beschluesse/627814html).

 

Beschlossen wurde wie folgt:

Der Antrag „Eine Chance für Afghanistan ..." (b)  wird zurückgezogen.

Der Antrag „NATO-Abzug" (c) wird mit sehr großer Mehrheit abgelehnt.

Änderungsanträge zum Antrag des Bundesvorstandes (Truppenabzug bis Ende 2011, Festlegung auf Empfehlung an die Bundestagsfraktion, das künftige ISAF-Mandat im Bundestag abzulehnen) werden mehrheitlich abgelehnt.

Der Antrag des Bundesvorstandes wird mit einigen Änderungen und sehr großer Mehrheit angenommen.

 

Hin weis: 

Parteitagsbeschluss "Für eine verantwortliche Afghanistanpolitik"(PDF-Datei).