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Vor 30 Jahren: Hoch-Zeit der Friedensbewegung, Korps-Blockade in Münster, Manöver am Rande des Atomkriegs

Veröffentlicht von: Nachtwei am 15. Oktober 2013 10:30:48 +01:00 (99302 Aufrufe)

Exakt vor 30 Jahren erlebte die damalige Friedensbewegung ihre Hoch-Zeit, ich war als Aktivist der GAL-Friedens-AG dabei. Wir warnten vor der atomaren Aufrüstung und kritisierten das System der atomaren Abschreckung. Dass wir in Wirklichkeit im Jahr 1983 so dicht am Abgrund eines Atomkrieges standen, erfuhren wir erst später. Manche haben es bis heute nicht wahrgenommen. Hier einige Berichte und Artikel von mir zur gewaltfreien Blockade des I. Korps in Münster am 17./18. Oktober 1983.

Herbst 1983: Hoch-Zeit der Friedensbewegung im Protest gegen die „Nachrüstung", in unserem Spektrum auch

gegen die atomare Abschreckung in Ost und West

Flugblätter und Artikel von Winni Nachtwei (GAL-Friedens-AG)

 

Vorbemerkung: Vor jetzt 30 Jahren erreichte die damalige Friedensbewegung in Westdeutschland mit einer Aktionswoche vom 15.-22.10.1983 ihren Höhepunkt. Nachdem im Bonner Hofgarten am 10.Oktober 1981 mehr als 300.000 Menschen demonstriert hatten, waren es am 22. Oktober 1983 500.000 - zusammen mit den Demonstrationen in Hamburg, Berlin und der Menschenkette Stuttgart-Ulm 1,3 Millionen. Allein aus Münster fuhren vier Sonderzüge nach Bonn.

Am 17. Und 18. Oktober 1983 beteiligten sich 600 Demonstranten und über 60 Gruppen und Organisationen an einer gewaltfreien Blockade des I. Korps in Münster. Die Bezugsgruppen „Freakadellen", Pax Christi I + II, „Bauchschmerzen", Westfälischer Frieden", „Eierkuchen", Evang. Theologen, „Grüne Frösche", „Staatstreu + lebenslang" (meine BG), Kreuzviertel, Gruppe 23, „Sport, Spiel, Spannung" u.a. hatten vorher dafür trainiert. Bei der völlig gewaltfrei verlaufenden Blockade stellte die Polizei bei 167 Demonstranten die Personalien fest. An einer anschließenden Menschenkette zu einem US-Stützpunkt in Münster-Handorf beteiligten sich über 6000 Menschen. An der wöchentlich tagenden Friedens-AG der GAL in Münster nahmen zu der Zeit 30 bis 40 Personen teil. Unsere AG war nur eine von vielen Friedensgruppen in der Stadt.

Seit einigen Jahren höre ich immer wieder - nicht selten von ehemaligen Mit-Demonstranten - Einschätzungen zur damaligen Situation,

-         als sei die Friedensbewegung damals eine Art „Jugendsünde" und die atomare Abschreckung + westliche „Nachrüstung" letztendlich erfolgreich gewesen;

-         als seien das damals, wo es noch um Landes- und Bündnisverteidigung ging, die „guten alten", übersichtlichen Zeiten gewesen, verglichen mit der heutigen sicherheits- und friedenspolitischen Unübersichtlichkeit, angesichts heutiger Einsatzrealitäten

Vergessen wird dabei, wie krass damals der Verteidigungsgedanke („das Verteidigenswerte erhalten") auf den Kopf gestellt wurde. Was letztendlich glücklich mit Hilfe der unglaublich- friedlichen Revolutionen im Osten endete, war vorher mehrfach knapp an der totalen Katastrophe, an der Selbstvernichtung vorbeigeschrammt. Wohl am knappsten im Jahr 1983, wie sich später, ab 1989, herausstellte:

1983 nahmen die Spannungen zwischen den Supermächten zu, verstärkt durch mehrere Ereignisse: die Ankündigung des Raketenabwehrprogramms SDI durch US-Präsident Reagan, der Abschuss eines koreanischen Passagierflugzeuges mit 269 Menschen an Bord am 1.9. durch sowjetische Abfangjäger. Am 26. September um 0.15 Uhr meldete das sowjetische Frühwarnsystem - fälschlich - den Abschuss erst einer, dann einer zweiten, dritten, vierten, fünften US-Interkontinentalrakete. Der diensthabende Leiter der sowjetischen Satellitenüberwachung, Oberstleutnant Stanislaw Petrow, wertete die 17 Minuten andauernden Alarmmeldungen als Fehlalarm - und verhinderte damit einen Atomkrieg.(FAZ 19.2.2013, www.faz.net/aktuell/gesellschaft/menschen/offizier-petrow-im-gespraech-der-rote-knopf-hat-nie-funktioniert-12084911.html

Am 2. November 1983 begann die zehntägige NATO-Kommandostabsübung „Able Archer", bei der ein Atomkrieg simuliert wurde. Verschiedene Besonderheiten der Übung nährten auf Seiten des Warschauer Pakts den Verdacht, dass unter dem Deckmantel einer Übung ein tatsächlicher Nuklearschlag vorbereitet wurde. Die Streitkräfte des WP wurden alarmiert. Dazu die ZDF History Doku: „1983 - Die Welt am Abgrund", vom 30.4.2012 (www.youtube.com/watch?v=Vc2S1SkPzCE ; vgl. auch „Planspiel Atomkrieg" zweiteilige Dokumentation von Thomas Fischer und Gabriele Trost (SWR), www.daserste.de/planspiel/

In der damaligen Friedensbewegung begann mit dem Verfassen etlicher extra-großer Flugblätter zu Demos und Friedenswochen meine rege politische Schreiberei. Themen waren auch der Frauen-Friedensmarsch und Breshnew-Besuch (1981), das Kriegsrecht in Polen, der NATO-Gipfel in Bonn (1983), Spekulationen zur Polizeistrategie bei der Korps-Blockade, System der atomaren Abschreckung im Ost und West, „die Raketen kommen - wie weiter mit der Friedensbewegung?". Erfahrungen mit der DKP in der Münsteraner Friedensbewegung.

(Vgl. auch „Die Grünen und die Friedensbewegung" von Christoph Becker-Schaun, 11.2.2013, www.boell.de/de/demokratie/archiv-gruene-geschichte-friedensbewegung-1983-16647.html )

 

1982: Anti-»Nachrüstungs«bewegung

 

Am Freitag Start des Ostermarsches »Münsterland» mit ca. 2.000 Leuten. Hatte vorher noch schnell ein Flugblatt erstellt, das wir in 4.000 Exemplaren während der vier Tage verteilten. Schon bei der ersten Kaserne ein schöner Zwischenfall: Reiche einem Soldaten durch`s Tor Flugblätter. Er packt meinen Arm und sagt, er würde am liebsten selbst mitziehen, und wünscht uns alles Gute. Anders dagegen der Posten an der britischen Kaserne an der Roxeler Straße: »Go, go!« und weicht zurück. Toll dann der Zug durch die Baumberge, durch schneidenden Wind und Schneeregen, endlos der Lindwurm. In Dülmen haut`s mich um: Überall Plakatständer mit Sprüchen wie »kein Bock auf Ostblock; Moskau grüßt die Demonstranten; lieber rot als tot, sagt der Hummer, bevor er in den Kochtopf kam«. Bei strahlender Sonne über die Felder vorbei an der St. Barbara-Kaserne. In den Büschen sieht man die Armbinden von Wachtposten, Offiziere hinter Feldstechern, dann am »Sondermunitionslager« Visbeck vorbei - schweigend. Als später wieder Schneeregen runterprasselt, bricht alles in Indianergeheul aus, hinten spielt einer Weihnachtslieder. Im Zug viele Gespräche, viel Vergnügen. Dazu Flugblattverteilen - die allermeisten nehmen interessiert - und Winken zu den Fenstern und entgegenkommenden Pkw`s. Für das Zusammenwachsen der örtlichen Friedensbewegung, für die Unterstützung der kleinen Initiativen auf dem Land, an Sympathien für die Friedensbewegung überhaupt hat der Marsch sehr viel gebracht. Erstaunlich auch diese Mischung aus Chaos und Selbstdisziplin, die sich vor allem in Sachen Abfall zeigt. Die 1000 waren sauberer als eine einzige Schulklasse!

(aus: Im Schatten von Lamberti: „Solidarisieren, mitmarschieren!" Eindrücke aus der Münsteraner Demonstrationsgeschichte seit 1967 aus der Feder eines Zeitzeugen, im Stadtbuch Münster 1993)

Atomarer Heimatschutz -

Münsters Beitrag zur Sicherung von Frieden und Freiheit

(Titelgeschichte Münsteraner Stadtblatt 10/1982 von W. Nachtwei)

Mit den Ostermärschen 1982 zog die Friedensbewegung erstmalig im großen Stil vor Atomwaffenlager und Raketenstellungen. Anschaulich bewusst wurde damit, wie voll  gestopft die Bundesrepublik mit diesen Werkzeugen der Völkervernichtung ist.

Der Münsteraner Marsch ging an einem Depot für Atomgranaten bei Dülmen vorbei. Doch kaum einem Teilnehmer wird klar gewesen sein, dass man in Münster nur wenige Meter von einem Gebäude entfernt losgelaufen war, das zentrale Kommandostellen für den „nuklearen Feuerkampf" in Nordwestdeutschland beherbergt.

Grund genug, anlässlich der Friedenswochen dieses ahnungslose Nebeneinander zu durchbrechen und die Rolle des Militärs in Münster in ersten Ansätzen darzustellen.

Eine reiche Tradition (...)

Anfänge der Weimarer Republik (...)

Zweiter Weltkrieg (...)

Garnison Münster (...)

Münster - ein Magnet

Sehen wir uns nun am Beispiel Münster genauer an, was es mit der Bundeswehr-Behauptung auf sich hat, sie produziere Sicherheit.

Hinter dem Wachstum der Friedensbewegung steht die völlig vernünftige Angst, dass die Abschreckung immer mehr abbröckelt, dass ein Atomkrieg in Europa ganz und gar nicht mehr unwahrscheinlich ist. Welche Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das hiesige Militär?

Mit dem I. Korps, dem Luftwaffenunterstützungskommando Nord und dem Lufttransportkommando beherbergt Münster höchste Führungsstäbe der Bundeswehr, Teile des militärischen „Zentralnervensystems": Ohne die Flugsicherung, ohne Munitions- und Spritnachschub oder Instandsetzung wären bedeutende Teile der Bundeswehr völlig aktionsunfähig. Dieser Apparat ist äußerst verletzlich. Militärisch nur logisch ist deshalb, dass diese Knotenpunkte gegnerische Angriffe der ersten Stunde nur so auf sich ziehen. Die unauffälligen Gebäude der Kommandobehörden sind erstrangige Magneten. Was das für Münster bedeuten könnte, haben wir versucht in dem Schaubild darzustellen.

 

(Schaubild: Atomwaffenmagnet Münster Annahme: Explosion einer Atombombe (1 Megatonne) 2000 m über dem Hindenburgplatz

Vom Nullpunkt aus ...

Bis 1,5 km: Feuerball, Menschen und Gebäude verdampfen. In dieser Zone liegt die ganze Innenstadt bis zum Hauptbahnhof, liegen die Uni-Kliniken, das brit. Militärhospital, 32 der insgesamt 48 ausgebauten Schutzräume „neuer Bauart", darunter die bei weitem größten: Aegidiimarkt mit 3.000 und Klinken-Zentralgebäude mit 1.785 Plätzen. Aus Einzelfeuern entstehen Feuerstürme, die Schutzräume in Krematorien verwandeln.

Bis 3 km: Druckwelle bis zu 750 km/h zerstört fast alle Gebäude, keine Überlebenschancen. Diese Zone reicht bis zum Kanal, Allwetterzoo und Gievenbeck, in ihr liegen weitere 12 Schutzräume.

Bis 6 km: Die Hälfte der Menschen stirbt sofort. Die Zone reicht bis Hiltrup, Roxel, Nienberge.

Bis 10 km: 5% der Menschen sterben sofort, 30% der Bäume werden entwurzelt. Die Zone reicht bis Wolbeck und Bösensell. Für die Überlebenden, für die Verbrannten und Strahlenkranken gäbe es keine Hilfe, sie ist nicht organisierbar. Nach der Studie des US-Kongressbüros für technologische Studien von 1979, Spiegel 17/82, auf Münster übertragen.)

Atomarer Heimatschutz

Zweitens geht aber vom I. Korps auch eine „aktive" Gefahr aus - unabhängig vom subjektiven Friedenswillen sicher der meisten Soldaten. Seine 12 Panzerartillerie-Bataillone verfügen über mehr als 200 Panzerhaubitzen M 109 G (203 mm), die Atomgranaten zwischen 0,1 und 5 Kilotonnen Sprengkraft bis 17 km nah verschießen können. Je eines solcher Bataillone mit 18 Geschützen liegt - mit Atomwaffenlagern anbei - in Handorf und Dülmen. Darüber hinaus verfügt das Korps über 6 Raketenartillerie-Bataillone, die zum Teil mit der Lance-Rakete ausgerüstet sind. Diese ist ausschließlich mit Atomsprengköpfen zwischen 5 und 10 Kilotonnen bestückt (Hiroshima-Bombe 13,5 KT), sie reicht 110 km weit. In dem offiziellen Band „25 Jahre I. Korps" heißt es lapidar über die Hauptaufgabe des Korpsartillerieführers, „den Kommandierenden General bei allen Fragen des konventionellen und nuklearen Feuerkampfes zu beraten und in Schwerpunkten den Feuerkampf der gesamten Artillerie des Korps zu koordinieren." Ihm steht hierfür (...) „als Schwerpunktwaffe das RakArtBtl 150 (Wesel) zur Verfügung, das, ausgerüstet mit der Lenkrakete Lance, Ziele in der Tiefe des Gefechtsfeldes bekämpfen kann." (Osnabrück 1982, S. 73)

Wie diese Waffen auf dem Boden der Bundesrepublik eingesetzt würden, ist dem Taktik-Lehrbuch „Convential-Nuclear Operations" einer Generalstabsschule der US-Army in Fort Leavenworth/Kandas zu entnehmen: Vor allem gegen feindliche Panzerverbände würden diese Atomwaffen eingesetzt, aber nicht einzeln, sondern in sog. „Paketen" von mehr als hundert Gefechtsköpfen als „atomares Sperrfeuer". Dabei ist die Schwelle zum Atomkrieg offenbar sehr niedrig. Taktisches Kalkül gibt den Ausschlag für den Einsatz der „Atomartillerie". Da angesichts dieses Einsatzzwecks eine Freigabe der Atomwaffen durch den US-Präsidenten viel zu lange dauern wird, vermutet z.B. der Generalmajor a.D. Löser, dass Entscheidungen für den Einsatz solcher Waffen wesentlich auf Ebene der Korps fallen würden. Im Klartext: Einige Herren vom Hindenburgplatz haben vermutlich den Finger am atomaen Abzug, für den „Einstieg" in den Atomkrieg könnten sie eines Tages mitverantwortlich sein!!

Atomwaffen von der Größe der Hiroshima-Bombe, gedacht für den Einsatz im eigenen Land gar - offensichtlich sind das keine einen Gegner abschreckenden Waffen. Sie sind Ausdruck der NATO-Strategie der flexiblen Reaktion, die - schon lange vor Reagan - von der Begrenzbarkeit eines Atomkrieges ausgeht. Sie verkehrt den Soldateneid in den Auftrag, notfalls „das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes total zu vernichten". Überdies verstößt diese „Verteidigungsstrategie" gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht.

Atomverweigerung

1957 wurden in der Bundesrepublik die ersten taktischen Atomwaffen stationiert. Dazu sagte der damalige Bundeskanzler Adenauer:

„Die taktischen Atomwaffen sind im Grunde nichts anderes als eine Weiterentwicklung der Artillerie" und „das sind ja besonders normale Waffen in der normalen Bewaffnung."

In der NATO-Stabsübung „Schwarzer Löwe" - beteiligt war auch das I. Korps - protestierte ein beteiligter Offizier schriftlich dagegen, dass ein General mehrere bereits eingekesselte sowjetische Divisionen durch einen Atomschlag vernichtete, nur weil er nicht einige Atomwaffen auf Lager hatte! Damals führte auch ein Generalleutnant Röttiger den Begriff des Atomverweigerers" ein, des Soldaten, der nicht bereit ist, „den Einsatz von Massenvernichtungswaffen mit seinem Namen zu decken oder auch nur mitzudecken."

(...) Seit den 50er Jahren sind die in Ost und West aufgehäuften Vernichtungsarsenale ins Unvorstellbare gewachsen, ist die Bundesrepublik zum Land mit der größten Atomwaffendichte der Welt geworden.

Die „Atomverweigerung" steht auf der Tagesordnung. (...)

 

Flugblatt zur I.Korps-Blockade am 17./18. Oktober 1983 (verteilt mit kleinen extra dafür gebackenen Broten)

Rüstung tötet täglich

Für eine Pershing-II-Rakete (Stückpreis DM 30 Millionen) könnten 1 Million Menschen in der Dritten Welt 1 Jahr lang mit Reis versorgt werden. (Zeichnung einer Waage, wo der von Waffen überquellende Waffenkorb mit seinem Gewicht den Brotkorb für die sich reckende Menschengestalt unerreichbar macht.)

Ein Stück Brot

möchten wir Ihnen heute aus Anlass des Tages des Antimilitarismus und der internationalen Solidarität überreichen.

Warum?

Seit alters her ist Brot Sinnbild der Fruchtbarkeit und des Lebens. Die älteren Generationen haben noch gelernt, dass man Brot nicht wegwirft. „Unser tägliches Brot gib uns heute ..."

40.000 Kinder sterben jeden Tag, weil sie kein tägliches Brot bekommen. Werden auf der Welt zu wenig Nahrungsmittel produziert?

Täglich wird 1 kg Getreide pro Kopf der Weltbevölkerung produziert!

Aber es wird den Millionenheeren der Hungernden vorenthalten:

-          Durch eine Weltwirtschaft, die einzig und allein auf die Bedürfnisse und verschwenderischen Essgewohnheiten der Industrienationen ausgerichtet ist. Z.B.: Ein Großteil von Nahrungsmitteln der Armen dient als Futtermittel für das Vieh der Reichen. Mehr als die Hälfte der Weltgetreideproduktion wird an Tiere verfüttert, um in „veredelter" Form als Fleisch, Milch, Käse konsumiert zu werden. Bedarf an tierischem Eiweiß pro Jahr: 9,0 Kg, Fleischkonsum oro Kopf/Jahr in der BRD 1980: 91,0 kg, Fleischkonsum pro Kopf/Jahr in der 3. Welt: 3,5 kg. (...)

-          Durch eine Politik, der Waffen wichtiger sind als Brot: Mittel zum Leben werden den Menschen in der 3. Welt vorenthalten, umso reichlicher erhalten sie dafür Waffen: Wo herrschende Minderheiten sich nur mit Waffengewalt an der Macht halten können, versuchen ausländische Mächte, an 1. Stelle die UdSSR und die USA - mit Waffenlieferungen Einfluss zu nehmen. Eines der ärmsten Länder der Welt wie z.B. der Tschad, wo Wasser und Strom Mangelware sind, wird z.Zt. mit modernsten Waffen regelrecht überschwemmt. - Waffenlieferungen sind Öl ins Feuer der 3. Welt -

Ex-US-Präsident Eisenhower: „Jede Kanone, die hergestellt wird, jedes Kriegsschiff, das vom Stapel läuft, jede Rakete, die abgeschossen wird, bedeutet (...) ein Bestehlen derer, die hungrig sind, nicht gespeist werden."

 

An einem Tag werden weltweit 3 Mrd. DM für Rüstung ausgegeben! Schon ei9ne geringe Senkung und Umlenkung der Militärausgaben könnten Großes ermöglichen:

-          Mit 1% der weltweiten Militärausgaben wäre eine einwandfreie Wasserversorgung in allen Ländern zu erreichen

-          Mit 0,5% ein Programm zur Ausrottung der Malaria

-          Mit 2-3% der jährlichen Weltrüstungsausgaben wäre allen unterernährten Menschen das biologische Existenzminimum gewährleistet

-          - für den Preis eines Panzers kann man 100 Traktoren für die Landwirtschaft kaufen - etc. etc.

Rüstung tötet Menschen! Rüstung verhindert soziale Entwicklung und wirtschaftliche Entfaltung! Rüstung vernichtet Arbeitsplätze! Rüstung erhöht die Kriegsgefahr! Rüstung gefährdet die Zukunft unserer Kinder!

Brot statt Waffen für die Welt!

Ãœberreicht von

Bezugsgruppen, die z. Zt. Bei der gewaltfreien Blockade des I. Korps mitmachen, um dadurch mit allem Nachdruck gegen die geplante Stationierung neuer US-Raketen in Europa zu protestieren.

Wo jede Seite die andere zig Mal vernichten kann,

wo Tag für Tag Zig-Tausende verhungern,

wo es pro Kopf mehr Sprengstoff als Nahrungsmittel gibt,

gibt es keinerlei Rechtfertigung mehr für weitere Aufrüstungspolitik, weder im Westen noch im Osten!

Nicht gegen die Soldaten, sondern gegen eine angebliche Sicherheitspolitik, die durch immer mehr Waffen immer weniger Sicherheit schafft, richtet sich die Blockade.

 

1983: Widerstand durch Niedersetzen

Die Aktivitäten der Friedensbewegung gegen die Stationierung von Pershing II und cruise missiles erreichten in der Aktionswoche im Oktober ihren Höhepunkt: Stadtteilaktionen, öffentliche Verweigerung, 5-vor-12-Aktionen in Schulen und Betrieben, Menschenteppiche (»die-in«), Gottesdienste.

Höhepunkte in Münster sind die Blockade des I. Korps am 17./18. Oktober (nur von Teilen der Friedensbewegung getragen) und die anschließende Menschenkette zum »US-Group Headquarter« in Handorf (zuständig für das Atomwaffenlager Schirlheide). Die Bezugsgruppen (BG) mit Namen wie Freakadellen, Westfälischer Frieden, Tigerenten, Sport-Spiel-Spannung, Pax Christi I+II u.a. bereiteten sich sorgfältig mit Trainings auf die gewaltfreie Aktion vor. Etwas härtere Bewegungsteile (Hausbesetzer, Startbahn West, Anti-AKW) fühlen sich mehr zur Großblockade in Nordenham hingezogen.

»Sechsmal treffen sich zwischen 80 und 100 Vertreter von Bezugsgruppen und teilnehmenden Organisationen. Diskussionen und Entscheidungsfindung laufen schwerfällig und wenig ermutigend. Der Polizei werden unsere Absichten und Motive brieflich in verbindlicher Form mitgeteilt. Ein Vorabgespräch soll nicht stattfinden. Der Auftakt am Montag um 6.30 Uhr ruhig und organisiert. Funktionen wie Polizeisprecher (pro Tor) und Melder werden eingeteilt. Jede Torgruppe (I.V) soll nach Lage selbständig im Rahmen des Konsens über mögliche Alternativen entscheiden.

Um 7.15 sind alle BG`en zur ersten halbstündigen Blockade an ihre Tore geströmt. Die Anlage der technischen Sperren zeigt schon das taktische Konzept der Polizei: Vermeidung von Konfrontation und Eskalation, also keine Verhinderung der Blockade von vorneherein, sondern punktuell Räumung immer dann, wenn »nötig«. Die meisten werden nur beiseite gesetzt, einzelne werden zur Personalienfeststellung rausgegriffen. Die teilweise hemmungslose Zahl an Räumungen (sogar wegen eines Zigarettenlieferanten), die hohe Zahl der vorläufigen Festnahmen macht aber deutlich, dass die Blockierer zugleich eingeschüchtert werden sollen. Heimliche Hoffnungen, Anhänger der Friedensbewegung würden nun en masse zum I. Korps strömen, Spontanblockierer würden die Schichten kräftig verstärken und die Tore »unräumbar« machen, werden enttäuscht. Die Gesamtzahl von ca. 600 ändert sich kaum. Am Dienstag ist die Blockade eingespielt, einzelne BG`en werden flexibel und wechseln mal das Tor - endlich mal ein wenig Unberechenbarkeit.

Das I. Korps reagiert offiziell recht plump: vorab mit einem strahlenden Gefreiten auf Plakat und Zeitungsbeilage, während der Aktion ganz offensiv mit Transparent und schwarz-rot-gold-umrahmten Handzetteln (»Distanzieren Sie sich, liebe Mitbürger, von den Störern«), verteilt von Soldaten in Uniform. Mit keinem Wort wird auf die Argumente der Friedensbewegung eingegangen. Allerdings stellen sich sogar Generäle der Diskussion mit den »Störern«.

Für viele Beteiligte enttäuschend war, wie wenig doch behindert werden konnte, wie leichtes Spiel die Polizei mit den Blockierern hatte. Wir waren voll berechenbar, dabei aber auch politisch so stark, dass für die Polizei unmöglich war, die Blockade von vornherein zu verhindern. Trotzdem: Die Blockade war ein politisches Zeichen, wie ernst es uns ist und dass wir nicht mehr alles wortreich, aber tatenlos hinnehmen, was die Rüstungsfanatiker uns vorsetzen. Das wurde deutlich. Unsere Aussagen und unser Verhalten waren glaubwürdig und wurden ernst genommen. Auch bei den Gegnern der Friedensbewegung hat sie Eindruck gemacht.«

1983 bewegte sich am meisten auf Münsters Straßen: 194 Versammlungen und Demos, an der Menschenkette nach Handorf beteiligten sich ca. 6.000 Menschen. Bei insgesamt 474 öffentlichen Veranstaltungen zwischen 1982 und 1984 kam es bei 14 zu Anzeigen: Bis 1985 liefen allein 106 Verfahren gegen Blockierer des I. Korps und 37 weitere gegen Teilnehmer einer Busblockade.

(aus: Im Schatten von Lamberti: „Solidarisieren, mitmarschieren!" Eindrücke aus der Münsteraner Demonstrationsgeschichte seit 1967 aus der Feder eines Zeitzeugen, im Stadtbuch Münster 1993)

 

Internes Papier

Blockade I. Korps - Bilanz

Vorbereitung

Der Vorschlag, im Rahmen der Herbstaktionen das I. Korps zu blockieren, kam im Juni auf. Von Teilen der Münsteraner Friedensbewegung kamen erhebliche Vorbehalte: Bezugsgruppen und Sprecherrat, also die basisdemokratische Organisation, sei unsinnig, Risiken würden übertrieben dargestellt; wenn ein paar tausend das I. Korps einige Stunden belagern würden, könne die Polizei gar nichts machen. (so aus dem  KOFAZ-Spektrum)  Die SPD, deren UB-Vorsitzende und MdB W.M.Catenhusen in Mutlangen mitblockierte, (die aber auch den Kommandierenden General des I. Korps unter ihren Genossen hat), wendet gegen die Blockade des I. Korps ein, das könne als Angriff auf die Bundeswehr überhaupt ausgelegt werden.

Knappe acht Wochen vor dem 17. Oktober kommt der Sprecherrat in die Gänge. Sechsmal treffen sich die zwischen 80 und 100 Vertreter von Bezugsgruppen (BG) und mitmachenden Organisationen. Anfang September wird nach zähem Ringen (I. Korps oder US-Headquarter in Handorf) der Kompromiss gefunden: zweitägige Blockade am I. Korps, am 1. Tag in Intervallen, am 2. Tag nachmittags einmündend in eine Menschenkette zwischen I. Korps und Handorf. Am 17. und 18. soll also das Schärfste und Größte laufen, was die Münsteraner Friedensbewegung je auf die Beine gestellt hat. Die SPD unterstützt nur die Menschenkette, die Blockade wird aber auch nicht verurteilt.

(...)

Wegen der späteren „Beschlusslage" kommt die Öffentlichkeitsarbeit erst ziemlich spät in Gang: 10 000 Aufrufe gehen an die BGen, zeitweilig gibt's keinen Nachschub: von den 1000 gedruckten Plakaten wird nur ein Bruchteil geklebt; ein positiv verlaufenes Pressegespräch bei „Kaufen + sparen" bleibt folgenlos, weil die Verlagsleitung den Artikel stoppt (in der gleichen Ausgabe hat das I. Korps eine Beilage); die Pressekonferenz mit Lokalredakteuren von MZ und WN bringt in den beiden Freitagsausgaben größere und einigermaßen informative Artikel. Presseinformationen gehen auch an den WDR, taz u.a. Hätte eine BG nicht von sich aus am Fr-morgen am I. Korps Aufruf und „Maulwurf" verteilt, wäre gegenüber den Hauptbetroffenen der Aktion gar nichts gelaufen. Hierbei fallen zwei Soldaten auf, die wenige Tage zuvor noch als „Student" und „Heizungsmonteur" sehr interessiert an einer Informationsveranstaltung zur Blockade teilgenommen hatten. Ein im Korps arbeitender Hauptmann berichtet, dort breite sich eine „Bunkermentalität" aus: Alles rücke im Angesicht der „Bedrohung" zusammen. Andere Informationen bestätigen das. Er fordert uns auf, mal das Gespräch mit dem Kommandierenden General zu suchen.

Der Polizei, die über unsere Publikationen und eigene Zuträger schon einigermaßen Bescheid weiß, werden unsere Absichten und Motive brieflich in verbindlicher Form mitgeteilt. Ein Vorabgespräch soll nicht stattfinden - abgesehen von dem Meinungsaustausch zwischen Vertretern der Gewerkschaft der Polizei und drei Leuten der Friedensbewegung einige Wochen vorher.

Entgegen allen „Regeln" des Sprecherratsmodells wird der Sprecherrat zu einem Entscheidungsgremium. Verglichen mit den ganz anderen zeitlichen Möglichkeiten „vorbildlicher" Blockaden war das aber vielleicht auch nicht ganz zu vermeiden.

Doppeldiskussionen in Blockadeplenum und Sprecherrat schlucken unnötig Energien, die gleichzeitige Vorbereitung einiger Gruppen auf Nordenham/Bremerhaven entzieht der Münsteraner Blockade einige Kräfte.

Am Vorabend der Blockade ist die Frage der zentralen Koordination noch unklar.

Durchführung

Der Auftakt am Montag um 6.30 Uhr am Asta-Häuschen läuft ruhig und organisiert. Funktionen wie Polizeisprecher (pro Tor) und Melder werden eingeteilt; Jede Torgruppe (I-V) soll nach Lage selbständig im Rahmen des Konsens über mögliche Alternativen entscheiden. Dass ein Megaphon da - und inzwischen vermisst ist - , ist vom Sprecherrat gar nicht geplant. Um 7.15 Uhr sind alle BGen an ihre Tore zur ersten halbstündigen Blockade geströmt.

Die Polizei hat den Vorplatz des I. Korps so mit Sperrgittern abgeriegelt, dass sie selbst genügend Bewegungsraum hat, dass Distanz zwischen Demonstranten und Objekt ist, dass aber auch noch genügend Platz zum Blockieren bleibt, ohne dass dabei der fließende Verkehr behindert würde. Die Anlage der technischen Sperren zeigt schon  das taktische Konzept der Polizei: Vermeidung von Konfrontation und Eskalation, also keine Verhinderung der Blockade von vorneherein oder Brutalauflösung, sondern punktuell Räumung immer dann, wenn „nötig". Dementsprechend die Ausrüstung der Polizei (keine Wasserwerfer, keine Helme) und ihr Vorgehen: Die meisten werden nur beiseite gesetzt, einzelne werden rausgegriffen zur Personalienfeststellung. Die teilweise hemmungslose Zahl der Räumungen, sogar wegen eines Zigarettenlieferanten, die hohe Zahl der vorläufigen Festnahmen macht aber auch deutlich, dass die Blockierer zugleich eingeschüchtert werden sollen. Insgesamt bewegt sich die Polizeitaktik voll im Rahmen unserer Erwartungen (vgl. Maulwurf vom September). Die von der Humanistischen Union unterstützten 16 neutralen Beobachter erhalten keinen Anlass zur Klage. Auch die Polizei bleibt gewaltfrei - obwohl sie unserer Aufforderung, sich ohne Waffen zu versammeln, nicht nachgekommen ist.

(...)

Das Blockieren in Intervallen bringt nicht das Erwartete, die Polizei geht auf das „Angebot" nicht ein, manchmal räumt sie noch eine Minute vor Ablauf der halben Blockadestunde. Vorschläge schon am Nachmittag mit der Vollblockade zu beginnen, kommen nicht durch.

Am Montag gibt es praktisch keinen geregelten Informationsaustausch, keine zentrale Koordination; die Öffentlichkeitsarbeit, die Betreuung der Presse, Flugblattverteilung, brechen zeitweilig zusammen. Auf die Gegenpropaganda des I. Korps wird nicht reagiert. Auf dem abendlichen Sprecherrat wird einiges zur Verbesserung beschlossen, u.a. eine zentrale Sammelstelle. Ob sich BGen bei Räumung sich wieder hinsetzen, um so die Räumung zu erschweren, soll den BGen überlassen bleiben.

Am Dienstag ist die Blockade „eingespielt", einzelne BGen werden flexibel und wechseln mal das Tor - endlich mal ein wenig Unberechenbarkeit! Dass am Ende Blockadeure mit Bundeswehrbesen den Vorplatz säubern, macht einen starken Eindruck. Dass aber die ganze Blockade so sang - und klanglos am Dienstagnachmittag zu Ende geht, schafft Frust; zudem ist es fahrlässig, weil sich in der Zeit zuvor auf beiden Seiten wohl einiges an Aggressionen angesammelt hat. Da konnte sich die Polizei dann auch schnell ein anderes, bekannteres Verhalten leisten.

Das I. Korps reagiert offiziell recht plump: vorab mit einem strahlenden Gefreiten auf Plakat und Zeitungsbeilage, während der Aktion ganz offensiv mit Transparent und schwarz-rot-gold- umrandeten Handzetteln („Distanzieren Sie sich, liebe Mitbürger, von den Störern"), verteilt von Soldaten in Uniform. Die Propagandalinie: Aktion richtet sich gegen den Verteidigungsauftrag, gegen die Freizügigkeit der Soldaten. Mit keinem Wort wird auf die Argumente der Friedensbewegung eingegangen. Allerdings stellen sich sogar die Generale des I. Korps der Diskussion mit den Störern.

Unterstützt werden die Blockierten durch Flugblattverteiler des Reservistenverbandes, politisch darüber hinaus durch die CDU (Truppenbesuche von Jahn, Patenschaften mit Truppenteilen) und den „Arbeitskreis für Frieden und Freiheit", dem angeblichen Sprachrohr der „schweigenden Mehrheit". Dieser Arbeitskreis rekrutiert sich aus der Bundeswehr/Reservisten/CDU-Szene, Abteilung älterer Jahrgänge, und scheint mehr eine Mediengeburt zu sein: zu seiner ersten öffentlichen Veranstaltung erschienen ganze 30 Herrschaften! Zu den erwarteten Gegendemonstrationen oder gar zu Provokationen z.B. durch die Konservative Aktion u.ä., kommt es nicht.

Die Reaktionen der Öffentlichkeit sind zufriedenstellend: Recht gute Berichterstattung in beiden Zeitungen, auf Diffamierungen wird ganz verzichtet - man vergleiche die WN früher zu den Friedenswochen!-, die Kommentierung ist positiv, zumindest aber mit dem Tenor „Respekt". Offenbar hat die entschlossene, disziplinierte und gelassene Durchführung der Blockade Eindruck gemacht. Beide Blätter quellen aber fast über von Leserbriefen; hier haben die Nato´s voll mobilisiert, kommt von den Ungehorsamen selbst kaum was. Trotz mieser Betreuung ist der Bericht im III: Fernsehprogramm am Montag einigermaßen in Ordnung; Radio Fledermaus sendet allabendlich vom Zentrum des Geschehens. Überregional wird die Korps-Blockade relativ wenig bekannt.

Passantenäußerungen reichen von faschistischen Sprüchen bis zu Ermutigungen, Spenden gerade seitens alter Leute. Nach der Straßenumfrage des Stadtblatt (55 Befragte) zu urteilen, wurde die Aktionsform solange meist akzeptiert, wie sie friedlich blieb. Dass es sich hierbei aber um eine Aktion des zivilen Ungehorsams handelte mit einem gewissen Risiko für die Beteiligten, das kam offenbar kaum über.

Nachspiele

Im Mittelpunkt der Nachbereitung stehen Fragen wie Selbstanzeigen, Prozessvorbereitung, Rechtshilfefond. Beschlossen werden anstelle von Selbstanzeigen, deren Nutzen nicht deutlich wird, Zeitungsanzeigen, in denen einige Hundert erklären, sie hätten bei der Blockade mitgemacht. (...)

Eine nachbereitende Öffentlichkeitsarbeit unterbleibt. Mit 4.199,77 DM Einnahmen aus der 10 DM-Umlage/pro Teilnehmer und Ausgaben von 2.059,02 DM. Der Überschuss geht auf das Rechtshilfekonto.

Am 29. Oktober tagt der inzwischen stark geschrumpfte Sprecherrat zum vorläufig letzten Mal. Er soll reaktiviert werden, wenn Anzeigen eintrudeln.

Gesamtbilanz

Die Blockade sollte ein allererster Schritt vom „Widerspruch zum Widerstehen" sein, etwas Sand im Getriebe der Militärmaschinerie bringen, um dadurch politischen Druck auf die militärisch und politisch Verantwortlichen auszuüben. Über die spektakuläre Aktion sollte zugleich auf die Rolle des I. Korps im Rahmen der herrschenden Unsicherheitspolitik hingewiesen werden.

Für viele Beteiligte enttäuschend war, wie wenig dann doch behindert werden konnte, wie leichtes Spiel die Polizei mit den Blockierern hatte. Wir waren voll berechenbar, dabei aber auch politisch so stark, dass es für die Polizei unmöglich war, die Blockade von vorneherein zu verhindern. Sie wusste, dass sie dann mindestens zwei unruhige und strapaziöse Tage bekommen hätte. Aber der geringe Grad tatsächlicher Behinderung ändert nichts daran, dass die andere Seite sich eindeutig in ihrer Bewegungsfreiheit behindert fühlte, dass sie die Aktion nicht mehr als unverbindlichen, appellativen Protest, sondern als Einschränkung ihrer Befugnisse ansah. Deutlich wurde aber, wie meilenweit eine solche milde Blockadeform davon entfernt ist, echt Druck zu machen auch unmittelbar Sand ins Getriebe zu bringen, nicht nur symbolisch und politisch.

Ob die Blockade bei der Bundeswehr zu einer Solidarisierung von Soldaten und Offizieren mit ihrer Art von Verteidigungsauftrag geführt hat, ob Wehrpflichtige nun massiv sauer auf die Friedensbewegung sind, ist schwer abzuschätzen. Sicher hat ihnen das Verhalten der Blockadeure, die keinen Uniformierten anmachten, gezeigt, dass die Blockade nicht persönlich gegen die Soldaten gerichtet war. Darüber hinaus haben wir aber fast alle Chancen verspielt, dem Solidarisierungseffekt auf der anderen Seite entgegenzuwirken.

Trotz aller Mängel in Organisation und Öffentlichkeitsarbeit: Die Blockade war ein politisches Zeichen, wie ernst es uns ist und dass wir nicht mehr alles wortreich, aber tatenlos hinnehmen, was uns die Rüstungsfanatiker vorsetzen. Das wurde deutlich. Unsere inhaltlichen Aussagen und unser Verhalten waren glaubwürdig und wurden ernst genommen. Auch bei den Gegnern der Friedensbewegung hat sie Eindruck gemacht.

Auch wenn die Blockade personell nicht vom ganzen Spektrum der Friedensbewegung gleichermaßen getragen wurde, so war die Aktion doch voll in die Aktionswoche integriert, die Verbindung Blockade-Menschenkette machte das augenfällig. Vorbehalte, ja Misstrauen gegenüber solcher Art Aktionen zivilen Ungehorsams und einigen ihrer Träger wurde erheblich abgebaut. Noch die Osterblockade in Dülmen-Visbeck wurde nur von sogenannten „unabhängigen" Teilen der Friedensbewegung, ohne, ja gegen die „traditionelle" Strömung durchgeführt; in ihrem Vorfeld hatte es reichlich Bündnis-Hick-Hack gegeben. Demgegenüber hat die Münsteraner Friedensbewegung jetzt einen regelrechten Sprung gemacht: Verbreiterung und Intensivierung von Protest und Widerstand gehören nicht nur zusammen, sie passen auch zusammen. Der 17. und 18. Oktober haben das bewiesen.

Für die Blockadeure selbst war die Aktion nicht zuletzt wichtig als Lernprozess: in der gemeinsamen Bearbeitung individueller Ängste, im Versuch, eine politische Aktion selbstbestimmt vorzubereiten und durchzuführen; in der Erfahrung, dass wir noch einen weiten Weg vor uns haben und langen Atem brauchen, um den Rüstungsbetreibern tatsächlich und wirksam in den Arm fallen zu können.

Trotz aller Mängel im Einzelnen war die Blockade I. Korps ein gelungener Einstieg, der Mut macht - hoffentlich!

01.12.1983 Winni

 

 

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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