Nachtwei zum Jahresabrüstungsbericht

Von: Webmaster amFr, 18 Januar 2008 22:39:36 +01:00
Zum Jahresabrüstungsbericht sprach im Deutschen Bundestag Winfried Nachtwei. Hier seine Rede:

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist der Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Friedensgutachten 2007 schreibt Professor Harald Müller von der Hessischen Stiftung Friedens- und Kon­fliktforschung - ich zitiere -: Rüstungskontrolle, Abrüs­tung und Nichtverbreitung liegen in einer beispiellosen Agonie. Die Hinrichtung der Rüstungskontrolle stand auf der Agenda einer Koalition von Neokonservativen und militärgläubigen Nationalisten, die bis zu den Kon­gresswahlen 2006 maßgeblich die Richtung der amerika­nischen Sicherheitspolitik bestimmten. - Dass von der weltweiten Rüstungskontrolle wenigstens noch - ich zi­tiere weiter - Ruinen mit brauchbarer Substanz übrigge­blieben seien, sei dem Widerstand anderer westlicher Staaten wie Kanada, Schweden und Deutschland zu ver­danken.

Im Jahresabrüstungsbericht wird deutlich, wie vielfäl­tig die Politik in dem Bereich ist, wie zäh und mühsam die Bemühungen auf diesem Feld sind und wie massiv und zum Teil fast deprimierend die Gegentrends sind. Deshalb finde ich es angebracht, gerade den Menschen zu danken, die in diesem Bereich konkret arbeiten. Dazu gehören hier im Auswärtigen Amt Botschafter Lüdeking sowie diejenigen, die im Zentrum für Verifikationsauf­gaben der Bundeswehr und vor Ort in Projekten zur De­militarisierung, Demobilisierung und Reintegration tä­tig sind, und die sich in Nichtregierungsorganisationen gegen Streumunition, Landminen und Atomwaffen ein­setzen.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und der LINKEN)

Wir sind uns alle einig, dass der Vertrag über kon­ventionelle Streitkräfte in Europa ein Eckpfeiler der Sicherheit in Europa ist. Er ermöglichte in den 90er‑Jah­ren - darauf wird zu Recht hingewiesen - eine beispiel­lose Abrüstung im Frieden. Inzwischen droht dieser Eckpfeiler aber einzustürzen. Am 12. Dezember setzte Russland den Vertrag einseitig außer Kraft. Das war so kurzsichtig wie destruktiv. Nun geht es um nicht weni­ger, als dieses Vertragswerk zu retten. Kollege Guttenberg, wer die Ratifizierungshindernisse - sie wa­ren sicherlich vor Jahren berechtigt - angesichts erheb­lich veränderter Kräfteverhältnisse zwischen der NATO und Russland und angesichts dessen, dass es in Molda­wien nur noch um ein Munitionsdepot geht, weiter an­führt, verkennt den Ernst der Lage. Es ist nun notwen­dig, ohne weiteres Hin und Her zur Ratifizierung zu kommen.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und der LINKEN)

Im letzten Jahr wurde das Ottawa-Abkommen zum Verbot von Antipersonenminen zehn Jahre alt. In der Tat ist das Ottawa-Abkommen ein beispielloser Erfolg aus der Zivilgesellschaft heraus. Das hat es zuvor noch nie in der Weltgeschichte gegeben. Inzwischen steht der huma­nitäre Skandal um die Streumunition im Mittelpunkt. Diese Munition wirkt unterschiedslos und trifft gerade die Zivilbevölkerung in Nachkriegsgebieten. Die Bun­desregierung tritt für ein Verbot von Streumunition ein; das ist gut so. Allerdings wird ihr Engagement ganz er­heblich dadurch geschmälert, dass seit einem Bundestags­beschluss, initiiert von der Großen Koalition - ich habe al­lerdings eher den Eindruck, dass manche Formulierungen vom Verteidigungsministerium kamen -, zwischen ge­fährlicher und ungefährlicher Streumunition unterschie­den wird. Ich sage ganz deutlich: Das ist humanitäre Au­genwischerei.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Es geht darum, die Bewegung gegen die Streumunition breit anzulegen und wirksam zu machen sowie für eine vollständige Ächtung von Streumunition einzutreten.

Zu Recht wird im Jahresabrüstungsbericht die Politik gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaf­fen und für nukleare Abrüstung an erste Stelle gesetzt. Die Logik des Nichtsverbreitungsvertrages ist eigentlich ganz einfach: Der Verzicht auf den Erwerb von Atom­waffen ist nur möglich, wenn Atomwaffenstaaten ihr Versprechen der nuklearen Abrüstung ernst nehmen und zumindest schrittweise einlösen. Von Letzterem kann seit Jahren keine Rede mehr sein. Das Gegenteil findet sogar statt. Der Prozess der Verbreitung von Nuklear­waffen bzw. der dafür notwendigen Technologie droht - darauf wurde schon mehrfach hingewiesen - völlig au­ßer Kontrolle zu geraten. Der von Präsident Kennedy formulierte Albtraum einer Welt mit Dutzenden Atom­waffenstaaten droht allmählich Realität zu werden.

Was kann Deutschland, was kann die Bundesregie­rung dagegen tun? Ich habe sicherlich kein Patentrezept. Aber ich möchte zwei Aspekte ansprechen, die dabei sehr wichtig sind. Erstens. In der Bundesrepublik gibt es - das wurde schon mehrfach angesprochen - einige Dut­zend amerikanische Atomwaffen. Verglichen mit den 80er-Jahren ist das sicherlich nur ein Rest. Aber im Hin­blick auf die Nichtverbreitungspolitik der Bundesregie­rung sind diese Atomwaffen ein enormer Klotz am Bein der Glaubwürdigkeit unserer Politik.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Diese Atomwaffen müssen - sie waren ethisch sowieso nie verantwortbar und sind militärisch längst nicht mehr zu begründen - abgezogen werden. Bringen Sie bitte ein bisschen Mut auf - das gilt auch für den Verteidigungs­minister, der erfreulicherweise an der Abrüstungsdebatte teilnimmt -, und sorgen Sie dafür, dass diese Waffen ab­gezogen werden, die nukleare Teilhabe aufgegeben wird und alle taktischen Atomwaffen aus Europa verschwin­den!

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Ein zweiter Aspekt ist das Abkommen zwischen den USA und Indien über die Zusammenarbeit auf dem zivi­len Nuklearsektor. Manchmal wird gesagt, mit diesem Abkommen könne die Atomwaffenmacht Indien an das System nuklearer Nichtverbreitung herangeführt wer­den. Das Motiv ist gut; aber die Tatsachen sind andere, und die Wirkung ist in völligem Gegensatz zu dem Mo­tiv eine fundamentale Schwächung dieses Systems. Nun kommt es in der Tat darauf an, wie sich die Bundesregie­rung in der Nuclear Suppliers Group, in der Entschei­dungen nur im Konsens möglich sind, hierzu verhält. Bitte nutzen Sie die Möglichkeit, diesen Schlag gegen nukleare Nichtverbreitung zu verhindern. Tun Sie dies nicht, können Sie die ganze Glaubwürdigkeit Ihrer sonst ehrlich gemeinten nuklearen Abrüstungspolitik in der Pfeife rauchen. - Herr Minister, Sie haben jetzt direkt das Wort dazu.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP - Heiterkeit - Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aber er ist doch kein Pfeifenraucher!)