www.nachtwei.de :: Pressemitteilung + Beiträge von Winfried Nachtwei :: Nachtwei zum Urteil des OVG zur militärischen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=29&aid=845 en-us Webmaster hourly 1 http://backend.userland.com/rss
Rede von Winfried Nachtwei
Browse in:  Alle(s) » Publikationstyp » Rede

Nachtwei zum Urteil des OVG zur militärischen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide

Veröffentlicht von: Webmaster am 22. April 2009 17:04:36 +01:00 (52631 Aufrufe)

Folgende Rede hielt Winfried Nachtwei im Deutschen Bundestag zurm Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Berlin-Brandenburg zur militärischen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide:

Vizepräsidentin Petra Pau:

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun der Kollege Winfried Nachtwei das Wort.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche zu diesem Thema als Mitglied des Verteidigungsausschusses und als Sicherheitspolitiker, ich spreche zu diesem Thema aber auch als Abgeordneter, der seinen Wahlkreis nicht in dieser Region hat, sondern aus dem fernen Münster kommt, und ich spreche zu diesem Thema als jemand, der seit 1996 so oft in dieser Region war wie sonst nur auf dem Balkan und in Afghanistan. Ich muss sagen, ich habe diese Region und ihre Menschen dabei sehr schätzen gelernt.

Meine Aufgabe - das ist unsere Aufgabe insgesamt - ist, abzuwägen zwischen dem Übungsbedarf der Luftwaffe, wie er dem politisch gesetzten Auftrag entspricht, und den Belangen der betroffenen Bevölkerung und Wirtschaft. Seit inzwischen zehn Jahren beschäftige ich mich intensiv mit der vermeintlichen Notwendigkeit dieses Übungsplatzes sowie des Übungsbetriebes der Luftwaffe im Luft-Boden-Spektrum überhaupt.

Das Ergebnis ist: Wittstock ist aus Sicht der Luftwaffe - na klar - wünschenswert. Die entscheidende Frage ist allerdings: Ist Wittstock militärisch unverzichtbar? Da habe ich seit der rot-grünen Zeit, schon gegenüber Minister Struck, sehr deutlich Einwände erhoben. Auf diese Einwände ist - diese Erfahrung habe ich über die Jahre gemacht - ausgesprochen schludrig reagiert worden. In der letzten Zeit hat sich das ein bisschen gebessert. Aber es bleibt dabei: Militärisch zwingend notwendig ist Wittstock nicht. Wie sonst wäre erklärbar, dass in den vergangenen 17 Jahren - ohne Wittstock - nie eine Gefährdung der Einsatzfähigkeit der bundesdeutschen Luftwaffe gemeldet worden ist?

Ich habe am 27. März den Prozess beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg miterlebt. Man muss sagen: Das Urteil ist sehr abgewogen, sehr differenziert, keineswegs sicherheitspolitische Amtsanmaßung. Die Kammer hat sich darauf beschränkt, etwas zu den planungsrechtlichen Verfahren zu sagen. Man hat schlichtweg festgestellt, dass eine Anforderung, die sich aus dem inzwischen gewachsenen materiellen Planungsrecht ergibt, nicht erfüllt worden ist: Eine Abwägung zwischen wichtigen verteidigungspolitischen Bedürfnissen und kleineren, individuellen Bedürfnissen hat nicht stattgefunden. Das ist ein grundsätzlicher und massiver Verfahrensmangel.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Was sind die politischen Konsequenzen? Strittig war das Vorhaben Luft-Boden-Schießplatz Wittstock von Anfang an, schon als die damalige Koalition das Truppenübungsplatzkonzept inklusive Wittstock im Jahre 1993 hier im Bundestag beschlossen hat. Die damaligen Oppositionsfraktionen Bündnis 90, PDS und SPD haben übrigens in einer namentlichen Abstimmung geschlossen dagegengestimmt.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])

Inzwischen dauert dieser politische Streit seit 17 Jah-ren an. Drei Landtage und drei Landesregierungen haben sich einmütig dagegenbekannt. Der Rechtsstreit dauert mittlerweile 15 Jahre. Herr Staatssekretär Schmidt, unsere Zählungen, was die verlorenen Verfahren angeht, sind höchst gegensätzlich. Wir haben von sehr kompetenten Leuten die Information bekommen, dass seit 1995 vom Bund 25 Verfahren in Folge verloren wurden. Ich habe selbst zentrale Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht, vor dem Verwaltungsgericht Potsdam und jetzt vor dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mitbekommen. Das zuletzt genannte Gericht bescherte dem Bund eine krachende Niederlage; das muss man wirklich so sagen.

In 17 Jahren war dieser Luft-Boden-Schießplatz nicht durchsetzbar. Es ist keine vage Prognose, sondern mit Sicherheit anzunehmen, dass er auch in den nächsten zehn Jahren nicht durchsetzbar sein wird. Daher hätte ein weiteres Festhalten an diesem Vorhaben Schaden für alle Beteiligten zur Folge:

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])

für die Region selbst Planungsunsicherheit und Investitionsunsicherheit, wie sie bisher schon zu spüren waren, und für die Bundeswehr ebenfalls Planungsunsicherheit und zumindest in zwei Bundesländern einen Akzeptanzverlust, der sich gewaschen hat. In Einsatzländern würde sich die Bundeswehr niemals das erlauben, was man sich in Brandenburg erlauben zu können meint. Daran ist übrigens nicht einfach die Bundeswehr schuld, sondern das Verteidigungsministerium. Dem vor Ort befindlichen Oberstleutnant Engel kann man das als Letztem vorwerfen. Schließlich hätten auch die Parteien der Großen Koalition ihren Schaden davon.

Meiner Auffassung nach ist es also ein Gebot realpolitischer Klugheit, jetzt das Vorhaben zu stoppen. Gesichtswahrend ist es obendrein.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])

Über Sie, Herr Schmidt, spreche ich jetzt den Minister direkt an: Niemand im Verteidigungsministerium kann vom Verteidigungsminister erwarten, dass er sich für eine aussichtslose Sache verkämpft. Mein Appell deshalb an Minister Jung: Zeigen Sie Klugheit und Stärke im Amt! Es wäre ein Gewinn für die demokratische Kultur unseres Landes und kein Schaden für die Sicherheit Deutschlands, wenn Sie dem politischen und juristischen Dauerstreit ein Ende machten.

Danke schön.