Nachtwei: Zeit für Abrüstung und Rüstungskontrolle ist reif - Deutschland muss einen führenden Beitrag dazu leisten

Von: Webmaster amFr, 30 Januar 2009 01:15:23 +02:00

Den Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Zeit für Ab­rüstung und Rüstungskontrolle ist reif - Deutschland muss einen führenden Beitrag dazu leisten begründete Winfried Nachtwei im Deutschen Bundestag wie folgt:

 



Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:

Das Wort hat nun Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die heutige Debatte über den Jahresabrüstungsbericht der Bundesregierung ist für mich zuerst Anlass, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Auswärtigen Amtes für ihre vorzügliche Arbeit auf diesem mühsamen Feld zu danken. Unter Botschafter Gottwald wird hier eine sehr kompetente, sehr geduldige und differenzierte Arbeit geleistet.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])

Im vorigen Jahrzehnt erlebte die Welt eine Abrüstung im Frieden, wie es sie in der Geschichte noch nie gegeben hat. Dieser Trend verkehrte sich ungefähr seit der Jahrtausendwende ins Gegenteil. Im Jahr 2007 erreichten die weltweiten Rüstungsausgaben die extreme Höhe von 1,34 Billionen Dollar. Wir wissen, wo die Steigerungsraten am höchsten waren: in den USA mit über 50 Prozent, aber auch in Südasien, im Nahen Osten und in Nordafrika.

Seit der letzten Debatte über den Jahresabrüstungsbericht vor ungefähr einem Jahr hat es materielle Verbesserungen auf diesem Feld nahezu nicht gegeben. Ich nenne Beispiele dafür: Es ist ein Skandal, dass die Genfer Abrüstungskonferenz - sie ist das einzige ständige globale Forum für Fragen von Rüstungskontrolle und Abrüstung - nicht vom Fleck kommt. Das Nichtverbreitungsregime ist in seiner Glaubwürdigkeit schwer geschädigt durch die Billigung des amerikanisch-indischen Nuklearabkommens durch die Nuclear Suppliers Group. Hier ist von Vorrednern zu Recht darauf hingewiesen worden, dass die Bundesregierung leider und im Widerspruch zu ihren sonstigen Beteuerungen für dieses Versagen mitverantwortlich ist.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP)

Allein der Vertrag zum umfassenden Verbot von Streumunition war im letzten Jahr ein Lichtblick. Wir müssen dennoch feststellen: Auch hier waren der Druck aus der Zivilgesellschaft und das Verhalten einsichtiger Regierungen ausschlaggebend. Die Bundesregierung trat längere Zeit nicht für ein umfassendes Verbot ein, sondern stand teilweise auf der Bremse.

Der Zeitpunkt für diese Debatte könnte nicht besser gewählt sein angesichts der Entwicklung in den USA, wo die Eiszeit, in der es ein Nachlassen bei der Rüstungskontrolle und eine Verweigerung bei der Abrüstung gab, offenkundig zu Ende geht und sich ein Klimawandel im positiven Sinne anbahnt.

Zum zentralen Bereich der nuklearen Abrüstung, Nichtverbreitung und Rüstungskontrolle: Hier sind die Entwicklungen besonders bedrohlich und ist der Handlungsbedarf besonders dringlich. Mit der Überprüfungskonferenz im nächsten Jahr stehen wir an einem Wendepunkt. Sie, Herr Minister, haben völlig zu Recht gesagt: In diesem Jahr geht es um entscheidende Weichenstellungen. Wir müssen es schaffen, dass die Überprüfungskonferenz nicht wieder gegen die Wand gefahren wird, weil dann die Konsequenzen viel verheerender als noch vor fünf Jahren wären.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wenn so erfahrene Realpolitiker wie Henry Kissinger, George Shultz, William Perry und Sam Nunn in den USA zu einer atomwaffenfreien Welt aufrufen und darin von Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Egon Bahr und Hans-Dietrich Genscher voll unterstützt werden - Helmut Schmidt redet jetzt nicht mehr davon, dass man zum Arzt gehen müsse, wenn man Visionen hat -, dann muss das unsere Gesellschaft aufwühlen.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Die Bundesregierung bekennt sich immer wieder zu vertraglich abgesicherter Nichtverbreitung, Abrüstung und Rüstungskontrolle und dem Ziel der vollständigen Abschaffung von Massenvernichtungswaffen. Sie, Herr Minister, setzen sich bei verschiedenen Gelegenheiten dafür ein; das nehme ich Ihnen auch ab. Aber wie sind diese Bekenntnisse mit dem vereinbar, was Sie noch vor wenigen Monaten in Ihrer Antwort auf unsere Große Anfrage zu Aspekten der nuklearen Abrüstung geschrieben haben? Die Bundesregierung gesteht da ein, dass die Fähigkeit zur nuklearen Abschreckung keine operative Rolle bei friedenssichernden und friedensstiftenden Einsätzen und beim Kampf gegen den Terrorismus spiele. Zugleich aber begründen Sie den politischen Zweck der Nuklearstrategie der NATO mit „Wahrung des Friedens, Verhinderung von Zwang und jeder Art von Krieg".

Dies sind übrigens genau die Worte, die im strategischen Konzept der NATO von 1991 stehen. Dies ist eine Begründung - so muss ich sagen -, die von jeder Veränderung der Bedrohungslage losgelöst ist. Dieser Wortlaut ist schlichtweg eine Ewigkeitserklärung für die nu-kleare Abschreckung.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Es gibt ja ein neues Konzept!)

Wie ist es mit Ihren Bekenntnissen zur nuklearen Abrüstung vereinbar, dass die Bundesregierung einerseits die von der Blix-Kommission geforderten demokratischen Kontrollmöglichkeiten vonseiten des Parlaments, der Nichtregierungsorganisationen und der Öffentlichkeit befürwortet, andererseits an derselben Stelle jede konkrete Antwort auf die Modernisierung von Nuklearwaffen in verschiedenen Staaten, auf die diesbezügliche Diskussion in der NATO oder auf die Diskussion über Atomwaffen in Deutschland einfach ablehnt? Das ist eine notorische Verhinderung einer öffentlichen Diskussion über diese Punkte.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE])

Die zentralen Schritte zur nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung sind bekannt und liegen seit langem auf dem Tisch; Herr Minister, Sie haben diese Kernpunkte vorhin deutlich hervorgehoben.

In den nächsten Wochen werden sich auf der Münchner Sicherheitskonferenz und dann vor allem auf dem NATO-Gipfel Gelegenheiten für deutsche Impulse ergeben. Sie selbst haben die Erklärung von Helmut Schmidt und anderen zitiert; sie ist auf der Website des Auswärtigen Amtes nachzulesen. Lesen Sie bitte die Erklärung und das, was der Bundesregierung vorgeschlagen wird, nämlich sich dafür einzusetzen, dass die Möglichkeit eines Ersteinsatzes von Atomwaffen aus der Nuklearstrategie der NATO herausgenommen wird. Joschka Fischer hat vor zehn Jahren einen solchen Versuch unternommen. Damals ist er unter anderem von der FDP kräftig gerügt worden. Das wäre ein wichtiger Schritt. Der andere wichtige Schritt, den Helmut Schmidt und andere vorschlagen, ist der Abzug der letzten amerikanischen Atomwaffen von deutschem Boden.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Selbstverständlich dürfen wir über die brennenden Fragen der nuklearen Abrüstung und Nichtverbreitung die bei der konventionellen Abrüstung und Rüstungskontrolle bestehende Herausforderung nicht vergessen. Mit dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa, also dem angepassten KSE-Vertrag, ist es nach dem Georgien-Krieg erheblich schwieriger geworden. Daher muss es verstärkte Bemühungen zur Weiterentwicklung geben. Dazu gehört zunächst die zügige Ratifizierung, damit wir auf dieser Basis fortfahren können.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Bereich ist auf UN-Ebene die energische Förderung des Prozesses zum Abschluss eines Vertrages über den Waffenhandel, was immerhin inzwischen von mehr als 130 Abgeordneten dieses Hauses unterstützt wird. Schließlich sollten die sehr guten Ansätze zur Demilitarisierung, Demobilisierung und Reintegration vor Ort, die auch von der Bundesrepublik, zum Beispiel vom BICC in Bonn, unterstützt werden, mit deutlich größerer Intensität gefördert werden.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Die Bundesregierung unternahm im Jahre 2007 zusammen mit Norwegen in der NATO eine Initiative zur „Schärfung des rüstungskontrollpolitischen Profils der NATO". Diese Initiative fand ihren Niederschlag in einem Beschluss des Bukarester NATO-Gipfels vom April letzten Jahres, in dem die NATO zusagte, „Rüstungskontroll- und Abrüstungsthemen aktiv weiterzuverfolgen und zu den Bemühungen um Abrüstung und Nichtverbreitung beizutragen". Das ist löblich,

(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ja, mehr noch!)

aber an Unverbindlichkeit wahrhaftig nicht zu übertreffen.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)

Ich glaube, dass etwas für die NATO überfällig ist: Das Denken - ich sage es einmal behutsam - ist zu erweitern. Es gilt, die bisherige rüstungskontrollpolitische Selbstzufriedenheit, ja Selbstgerechtigkeit, die darin besteht, dass nur die anderen Probleme bei der Aufrüstung machen und man selbst immer nur das Beste will, zu überwinden.

Der Umbau und die Modernisierung von NATO-Streitkräften zum Zwecke der Krisenbewältigung, auch von uns über Jahre mitgetragen, ist - darauf habe immer wieder hingewiesen - ein zweischneidiges Schwert. Diese Modernisierung ist nur dann mit den Zielen von Abrüstung und Rüstungskontrolle vereinbar, wenn gleichzeitig erstens die Bindung an die UN-Charta verbindlich und glaubwürdig ist, wenn es zweitens vor allem um die Stärkung von UN-Fähigkeiten geht und wenn es drittens mit einer besonderen Förderung der zivilen Fähigkeiten im Bereich von Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung einhergeht.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Es ist gut, dass Abrüstung wieder ein Thema ist. Abrüstung braucht aber Bewegung in Positionen, in der Diplomatie, in der Öffentlichkeit und in der Bevölkerung. Heute sind die Chancen, die bisherige Rüstungsdynamik in eine Abrüstungsdynamik umzukehren, so groß wie noch niemals in diesem Jahrhundert. Aber warten wir bitte nicht nur auf Obama, sondern setzen wir dazu eigene Impulse! Ich habe dazu Vorschläge gemacht.

Danke schön.

(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN)