Guten Morgen!
Warum soll ausgerechnet jemand das Buch zum Zivilen Friedensdienst präsentieren, der Mitglied des Verteidigungsausschusses ist und somit als Militärexperte gilt?
Seit 1994/95 habe ich ständig mit zugespitzten Krisen und mit verschiedenen Stufen militärischer sog. „Krisenbewältigung" bis zum Krieg zu tun gehabt. Überdeutlich traten dabei immer wieder die Defizite und Lücken der nichtmilitärischen Gewalt- und Krisenprävention und Friedenskonsolidierung zutage.
Zugleich begleitete ich von Anfang an die Bemühungen für einen Zivilen Friedensdienst. Ich konnte dazu beitragen, dass entsprechende Formulierungen in die rot-grünen Koalitionsverträge in Nordrhein-Westfalen (1996) und im Bund (1998) aufgenommen wurden.
Ziviler Friedensdienst, Krisenprävention, zivile Konfliktbearbeitung: Sind das inzwischen politische Modewörter, gar nur Alibiveranstaltungen für eine entgegengesetzte Politik?
In der Koalitionsvereinbarung hatten SPD und Bündnis 90/Die Grünen versprochen, die Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik viel mehr auf Krisenprävention auszurichten und eine Infrastruktur für Krisenprävention und zivile Konfliktbearbeitung aufzubauen.
Die primär dafür zuständigen Ministerien, das Auswärtige Amt und das Ministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ), begannen 1998 sofort mit der Umsetzung, die allerdings zunächst völlig im Schatten des Kosovokrieges stand.
Die eingeleiteten Schritte kann ich hier nur schlagwortartig benennen:
Im Bereich der Krisenanalyse wurden die Früherkennungskapazitäten in der Entwicklungszusammenarbeit verstärkt. Aufgebaut wird zur Zeit die Bundesstiftung Friedensforschung.
Zur Unterstützung von Friedensprozessen werden dringend Fachkräfte benötigt. Diese sollen über den Zivilen Friedensdienst in der Entwicklungszusammenarbeit und die „Aktion Ziviles Friedenspersonal" des AA qualifiziert und entsandt werden. Nicht zuletzt auch auf deutsches Betreiben hin definieren OSZE und vor allem EU inzwischen ihre Nachfrage nach Friedens-personal. Die Bundesregierung berief einen Sonderbeauftragten für Krisenprävention und beschloss im Bundessicherheitsrat ein Grundkonzept Krisenprävention und Konfliktbeilegung. Mit einem in 2000 um 20 Mio. DM erhöhten Ansatz unterstützt die Bundsrepublik verschiedenste internationale Maßnahmen der Krisenprävention, Friedenerhaltung und Konfliktbewältigung, darunter erstmalig auch viele NGO-Projekte. (vgl. Übersicht „Gewalt-vorbeugung konkret" vom 16.10.2000, www. nachtwei.de)
Die Koalitionsvereinbarung betonte, dass der Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren eine besondere Bedeutung zukomme. Den Stellenwert gesellschaftlicher Akteure haben kürzlich auch die katholischen Bischöfe in ihrem Friedenswort unterstrichen. In dem Kapitel „Konfliktnachsorge als Konfliktvorsorge" lenken sie den Blick auf die „Macht unversöhnlicher Erinnerungen als Virus der Gewaltbereitschaft". Mit dem Aufbrechen dieser Erinnerungen sind internationale Friedensmissionen überfordert, vom Militär ganz zu schweigen. Hier liegt eine strategische Aufgabe von gesellschaftlichen Akteuren und insbesondere des Zivilen Friedensdienstes.
Nun zum Buch. Ich kann Ihnen nicht nur sagen, wie notwendig das Buch zum ZFD ist. Ich habe es trotz spannender Sitzungswoche in den letzten zwei Tagen gelesen - Sie sehen, wie gebraucht es schon aussieht - und kann deshalb auch beurteilen, wie es geworden ist.
Es ist kein leichtes Buch. Aber wie soll es auch, ist es doch ein Meilenstein!
ZFD, zivile Konfliktbearbeitung sind Begriffe, die inzwischen häufiger fallen, aber oft nur vage gefüllt sind. In der Unübersichtlichkeit der Begriffe und Erwartungen, Organisationen und Dienste schafft dieses Buch Klarheit, Präzision und Übersicht. Es ist nicht nur ein Sammelband, wie seine Initiatoren bescheiden sagen, es ist ein Handbuch!
Deutlich wird der Entstehungshintergrund des ZFD und auf wie vielen Schultern er steht:
die langen Wege der verschiedenen Friedensbewegungen, Friedens- und Freiwilligendienste, oft außerhalb öffentlicher Wahrnehmung; das Neue des ZFD, das Ringen um eine privat-öffentliche Partnerschaft, die Hindernisse und Erfolge dabei; die Früchte des langen Atems. Die historische Einordnung des ZFD wirkt gegen das kurze Gedächtnis, das kurzatmig macht. Sie stärkt den langen Atem.
Die Beiträge des Handbuchs treffen wesentliche Klarstellungen:
Das Handbuch zeichnet sich aus durch eine Pluralität der Perspektiven und Standpunkte. Hier treten Positionen nebeneinander und damit auch in Dialog, die in der gesellschaftlichen und politischen Realität oft völlig getrennt voneinander existieren oder in Teilen der Friedensbewegung gar nicht mehr miteinander reden: von der Gewaltfreiheit als Lebenshaltung (Thomas Nauerth) und einem umfassenden Antimilitarismus (Andreas Buro) bis zu NATO-kompatiblen Regierungspositionen. Konsense werden deutlich, Dissense markiert. Das Buch präsentiert eine Plattform für zivile Konfliktbearbeitung.
Ich behaupte: Das Jahr 2000 brachte für die Politik der Gewalt- und Krisenprävention einen Durchbruch. Dieses Buch ist dabei ein Meilenstein. Die Autorinnen und Autoren, vor allem aber den Herausgeber Tilman Evers möchte ich dafür beglückwünschen und ihnen sehr, sehr herzlich danken.
Wenn ich von einem Durchbruch spreche, ist zugleich klar, dass wir längst nicht am Ziel sind, sondern „nur" erste wichtige Schritte getan haben. Um zu einer effektiven - natürlich nie garantierten - Gewalt- und Krisenprävention zu kommen, liegt noch ein weiter Weg vor uns.
Mein Glückwunsch und Dank an Sie (Faust mit hoch gestrecktem Daumen) weist zugleich (mit vier Fingern) auf uns, auf die Verpflichtung der Politik, dafür auch die notwendigen Voraussetzungen zu schaffen. Und die bestehen nun mal in einer stetigen Steigerung der entsprechenden Haushaltsansätze. Ansonsten bliebe unser Eintreten für zivile Krisenprävention bloß schönes Reden am Sonntag.
Dankeschön.
Dringende Empfehlung:
Tilman Evers (Hrg.): Ziviler Friedensdienst - Fachleute für den Frieden", Leske + Budrich, November 2000, 29,90 DM. Erhältlich über den Buchhandel oder beim forumZFD, Wesselstr. 12, 53113 Bonn, 0228/9 81 45 15, Fax 0228/9 81 45 17 (forumZFD@t-online.de)
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
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