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Genauer Hinsehen: Sicherheitslage Afghanistan (Lageberichte + Einzelmeldungen) bis 2019
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31. AFGHANISTAN-Tagung in Villigst: HINSEHEN statt Wegsehen - MUTMACHER gegen die Gewaltseuche

Veröffentlicht von: Nachtwei am 27. Dezember 2017 17:54:20 +01:00 (70752 Aufrufe)

Seit 1984 die 31. AFG-Tagung. So gut besucht, spannend und hilfreich wie lange nicht. Extra aus Kabul angereist waren auch Ex-Präsident Karzai und der Direktor der dortigen Friedrich-Ebert-Stiftung.   

31. Afghanistan-Tagung seit 1984 in Villigst/Ruhr:

Hinsehen statt Wegsehen - Mutmacher gegen die Gewaltseuche

Winfried Nachtwei, MdB a.D. (26.12.2017)

(Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )

Die 31. Afghanistan-Tagung in der Evangelischen Akademie Villigst/Schwerte am 24.-26. November 2017 war ein besonderer Höhepunkt in der langen und reichen Geschichte der Villigster-/Iserlohner Afghanistan-Tagungen: Sie war so gut besucht wie seit Jahren nicht. Tagungsteilnehmer lobten unisono Vielfalt und Qualität des Programms, die besondere Kompetenz der Referenten und Podiumsteilnehmer, den Erfahrungsreichtum und Expertise der Teilnehmer und einen Diskussionsstil, bei dem auch erhebliche Kontroversen sachlich-friedlich ausgetragen wurden. ( Kurzbericht zur Tagung auf der Seite www.evangelisch-in-westfalen.de am 1.12.2017)

Der ehemalige afghanische Präsident Hamid Karzai nahm zwei Tage an der Tagung teil. Er verstand sein Kommen ausdrücklich als Dank an die Evangelische Akademie wegen der mehr als drei Jahrzehnte Afghanistan-Tagung.

Villigst war eine Tagung gegen den in Öffentlichkeit und Politik dominierenden Trend von Verdrängung und Wegsehen, wo für viele Afghanistan als „gescheitert“ und „hoffnungslos“ abgeschrieben ist – wo das weiter gehende Engagement von knapp 1.000 Bundeswehr-soldaten und Hunderten deutschen Entwicklungsexperten, Polizeiberatern und Diplomaten kaum Beachtung mehr findet. Dass seit Jahren keine Abgeordneten des Deutschen Bundestages mehr zur Teilnahme am Sonntagsplenum gewonnen werden konnten (mit Ausnahme des MdB + Parlamentarischen Staatssekretärs Ralf Brauksiepe aus langjähriger Verbundenheit mit Ernst-Albrecht von Renesse) steht exemplarisch für die auch im politischen Berlin vorherrschende Haltung des Wegsehens gegenüber Afghanistan. Dass Kriegseindämmung, Stabilisierung und Friedensförderung ohne strategische Geduld und politische Durchhaltefähigkeit nicht zu schaffen sind, dass die inzwischen viel beschworene Krisenprävention (hier die Verhinderung von IS-Wachstum, offenem Bürgerkrieg und Machtergreifung von Taliban) als erstes immer genaueres HINSEHEN braucht, wurde in den letzten vier Jahren „konsequent“ verdrängt.

(Dieser Bericht steht im Kontext meiner bei der Tagung verteilten Anmerkungen zur Mandatsentscheidung „Resolute Support“ vom 21. November, die überwiegend auf die Sicherheitslage, die internationale Sicherheitsunterstützung und den neuen US-Kurs eingehen (Link s.u.). In der strategischen „Draufsicht“ ergibt sich ein sehr düsteres Bild. Das bestimmt das Medienbild Afghanistans. Auf der Tagung kamen ergänzend die Perspektiven „von unten“ hinzu, von Aktivitäten, Engagements, Projekten, starken Menschen, von Erfolgen am Boden und Hoffnungsinseln. Sie kommen im Medienbild Afghanistans praktisch nicht vor. Beide Perspektiven gehören zusammen, um die komplexe Realität Afghanistans wenigstens annähernd zu erfassen.)

Unter dem Thema „Auf dem Weg zu einer neuen Afghanistan-Politik: Realitäten – Verantwortungen – Strategien“ fand die Tagung zu einem Zeitpunkt statt, wo in Afghanistan die Zahl der Zivilopfer weiter auf Extremhöhe ist, wo in diesem Jahr Terrorangriffe auf religiöse Stätten enorm zunahmen, wo die Opiumproduktion ggb. 2016 um 87% auf ein Allzeithoch stieg, wo der „neue“ US-Kurs erste Konsequenzen zeigt – und wo in Deutschland drei Monate nach der Bundestagswahl der Bundestag nur sehr begrenzt handlungsfähig und eine neue Bundesregierung längst nicht in Sicht ist.

In Villigst kamen Gäste aus Afghanistan, ältere und jüngere Exilafghanen und Deutsch-Afghanen, Deutsche mit langen Afghanistanerfahrungen und heutigem Engagement zusammen.

Eingeladen hatte der Vorbereitungskreis mit Nadia Nashir, Vorsitzende des Afghanischen Frauenvereins, Belal El-Mogaddedi/Springe, Yama Waziri/Hamburg, Winfried Nachtwei/Münster, Dr.h.c. Ernst-Albrecht von Renesse (beratend, Mitbegründer  der Tagungsreihe), Uwe Trittmann/Studienleiter an der Evangelischen Akademie Villigst.

Grußworte sprachen Prof. Ali Ahmad Jalali, Botschafter der Islamischen Republik Afghanistan, Berlin, VLR I Oliver Owsza, Referatsleiter AP05 – Afghanistan und Pakistan im Auswärtigen Amt, und Prof. Dr. Christoph Zöpel, Staatsminister a.D., Schirmherr der Tagung.

Dr. Obeidullah El-Mogaddedi, der jedes Jahr die Tagung mit einer Sure einleitet, fragte in seiner Anmerkung nach der Verantwortung für die schlimmen Entwicklungen der letzten 40 Jahre. Die Antwort sei immer wieder: „die Nachbarn, fremde Mächte, wir Afghanen die Opfer“. „Was wir erleben“, sei Folge auch eigener Schuld!

Oliver Owcza (2012-14 stv. Botschafter Kabul) vertritt kurzfristig den wg. eines internationalen Termins verhinderten Sonderbeauftragten der Bundesregierung für Afghanistan/Pakistan Markus Potzel. Er skizziert die AA-Sicht der Situation in AFG unter den Überschriften a) Realismus, b) was wir tun, c) Kooperationen.

(a) Er benennt einige Errungenschaften, die nicht vergessen werden dürfte, aber auch fragil seien. Seit 2014 habe sich die Sicherheitslage verschlechtert. Die Internationale Gemeinschaft sei von zu positiven Annahmen ausgegangen. Zu beobachten sei eine zunehmende IS-Präsenz mit besonders perfiden Anschlägen. Russland agiere vermehrt eigenständig abseits bisherigen internationaler Foren. Die neue US-Strategie zu Südasien und Afghanistan sei differenziert zu bewerten und aus der Innenpolitik heraus zu verstehen. Man sei mit ihr nicht in allen Teilen einverstanden.

(b) Das deutsche AFG-Engagement sei weiterhin das substanziellste und auch riskanteste der Bundesrepublik. Die afghanischen Sicherheitskräfte (ANDSF) würden weiter unterstützt, damit sie die Sicherheitslage selbst kontrollieren können. Förderung des politischen Friedensprozesses unter entscheidender Beteiligung regionaler Partner.

Deutschland sei bei Resolute Support drittgrößter Truppensteller und einziges Land mit einem bilateralen Projekt zur Förderung einer bürgernahen Polizei.

(c) Mehr als 50 Staaten leisten für AFG Unterstützungen, da sei Kooperation enorm wichtig. In der Internationalen Kontaktgruppe habe Deutschland weiterhin den Vorsitz.

Wichtig sei, Ziele realistischer zu formulieren. Für die Fortsetzung des Engagements sei die Öffentlichkeit wichtig. Hier müssten Politik und Zivilgesellschaft zusammenwirken.

Ex-Präsident Hamid Karzai (2001-2014) spricht zu

Zukunftsperspektiven für AFG – aus afghanischer Sicht“. Zuerst wendet er sich herzlich-persönlich an einzelne Anwesende. Dank sagt er der Akademie und dem deutschen Volk für das „Beistehen und dass Sie es mit uns ausgehalten haben.“

Zunächst blickt er auf 200 Jahre Konfliktgeschichte Afghanistans zurück, die Bürde der geografischen Lage, die beste Zeit zwischen 1919 und 1979. Als beim Widerstand gegen die Sowjetunion radikale Ideologie instrumentalisiert wurde, „fing das Elend unseres Landes an.“ Nach dem Sturz der Taliban begrüßte die Mehrheit des Volkes das Kommen der USA. Am Anfang bestanden große Chancen und Hoffnungen. 16 Jahre später bestehe Unsicherheit, Rechtlosigkeit. Die neue Strategie von US-Präsident Trump schade Afghanistan. Er weise sie zurück. Die USA müssten einen neuen Pakt mit Afghanistan schließen.

Von mir auf die deutsche Polizeihilfe und ihre fehlende Wahrnehmung hierzulande angesprochen, betont der Ex-Präsident, er habe sehr auf deutsche Polizeihilfe gedrungen, unterstützt von der Bevölkerung. Warum sei man so schüchtern bei so guter Polizeihilfe. Davon brauche es mehr, auch mehr öffentliche Anerkennung.

Leider spiele Deutschland bei der Erschließung der Bodenschätze des Landes keine besondere Rolle.

Der ehemalige ZDF-Auslandskorrespondent  Ulrich Tilgner und ein junger Afghane fragen nach seiner eigenen Mitverantwortung, auch am enormen Wachstum von Korruption. Die Antwort ist ausweichend. Einverstanden sei er damit, dass der Internationale Strafgerichtshof den US-Einsatz – und damit auch den afghanischen – untersuche.

(Aus dem DLF-Interview:)

Der Anstoß zu Friedensbemühungen müsse von den USA kommen. „Aber Deutschland kann hier eine konstruktive Rolle spielen. Es könnte eine neue Friedensinitiative starten. Damit könnte Deutschland der aktuellen US-Politik einen Sinn geben. Deutschland sollte eine direkte Rolle in Afghanistan haben, als historischer und strategischer Freund. Es ist richtig, dass Deutschland jetzt keine neuen Kampftruppen nach Afghanistan schickt. Neben einer stärkeren diplomatischen Rolle erhoffe ich mir von Deutschland auch eine stärkere Rolle als Investor von Aufbauprojekten. Vor allem in Bezug auf Bodenschätze in Afghanistan. Wir reden von Kupfer, Lithium, seltenen Erden und Metallen. Das würde Deutschland gut zu Gesicht stehen.“

Zu Abschiebungen afghanischer Flüchtlinge: Den Afghanen, die man jetzt abschieben wolle, empfehle er, das Dilemma zu verstehen, in dem Deutschland stecke. Der deutschen Regierung empfehle er, „mehr Milde im Umgang mit den Afghanen walten zu lassen, die jetzt abgeschoben werden. Ich hoffe, dass man sich mehr Zeit lässt damit, diese Menschen zurückzuschicken. Solange, bis sich die Lage gebessert hat und sicherer ist.“

Bei allen inhaltlichen Widersprüchen und Dissensen – wir erleben eine zugewandte und gewinnende, charismatische Persönlichkeit. Sein Abschied  wird zu eine kleinen Zeremonie: viele herzliche Worte, reger Austausch von Gastgeschenken, viele gemeinsame Fotos.

(Deutschlandfunk 27.11.2017: „Karzai über die Lage in Afghanistan: ´Trumps Entscheidung bedeutet mehr Krieg`“, im Gespräch mit Martin Gerner,  http://www.deutschlandfunk.de/karsai-ueber-die-lage-in-afghanistan-trumps-entscheidung.694.de.html?dram:article_id=401641

Stern 50/2017: „Nicht unser Versagen. Nein, nein, nein“ Interview mit Cornelia Fuchs und Uli Rauss; vgl. auch „Schickt unsere Jugend nicht nach Afghanistan zurück“, https://www.stern.de/politik/ausland/hamid-karzai-in-stern---schickt-unsere-jugend-nicht-zurueck-nach-afghanistan--7775100.html )

Aktuelle Chancen für Friedensverhandlungen? Impuls von Prof. Michael Semple/Belfast über „The Afghan Taliban: Between a traditional Islam and a modern Islamist Nationalism“ und Podium mit Ncole Birtsch/SWP und Prof. Ali Ahmad Jalali, afg. Botschafter in Berlin.

Sehr anschaulich stellt Prof. Semple die Denkmuster von Taliban dar. Charakteristisch sei die „verteilte Führung“ der Taliban an drei Orten mit formellen und informellen Autoritäten. Für die verteilte Führung sei Frieden kein Thema, gebe es ein Kontinuum des Kampfes. Zugleich gebe es einzelne Kriegsmüde.

Lt. Nicole Birtsch gebe es wohl Verhandlungen auf lokaler Ebene, z.B. Helmand, aber nicht auf hoher Ebene. Die Frage sei, mit wem überhaupt verhandelt werden könne.

Botschafter Jalali betont, dass sich der Kontext zugunsten der Taliban verändert habe. 2008 seien noch 80% der Taliban zu Gesprächen bereit gewesen. Gegenüber der Option einer Machtteilung seit die Seite der Taliban eher skeptisch.

Unbeantwortet bleibt die Frage, welche Rolle überhaupt noch die ausländischen Truppen für die Motivation der Aufständischen spielen.

Flucht – Integration – Abschiebung: Wie belastbar ist die deutsch-afghanische Freundschaft?  Impulse von

- Rechtsanwalt Gunter Christ/Köln: Der Referent hat seit 37 Jahren mit mehr als 20.000 afghanischen Flüchtlingen zu tun gehabt. Im Hinblick auf die ehemaligen afghanischen Ortskräfte habe er auf Seiten der Bundeswehr ein großes Engagement erlebt. (Anm.: Das „Patenschaftsnetzwerk ehemalige afg. Ortskräfte“ bereitet ein Buch mit Interviews von inzwischen in Deutschland wohnenden Ortskräften vor.) Zzt. gebe es in Afghanistan noch rund 500 Ortskräfte im Auftrag von Bundeswehr, BMI und AA sowie 1.560 bei deutscher Entwicklungszusammenarbeit und politischen Stiftungen.

Warum fliehen Menschen heute aus Afghanistan? RA Christ benennt ca. zehn Gefährdungsprofile: Frauen und Mädchen (hoher Anteil Zwangsheiraten), Kinder (Gewaltopfer, Waffenträger, sexueller Missbrauch), Mitarbeiter internationaler Organisationen, Medienschaffende, Taliban-Gegner, Beschäftigte aus dem Gesundheitswesen, Regierungsangestellte/Lehrkräfte/Sicherheitskräfte, Angehörige von Minderheiten (insbesondere Hazara), gemäßigte Geistliche.

Die Schutzquote sei in Deutschland von 78% auf inzwischen 44% gesunken. (Dr. Klos/BMI widerspricht. Die Schutzquote sei im Wesentlichen unverändert.)

- Emran Feroz, freier Journalist mit den Schwerpunkten Nahost, Zentralasien, US-Drohnenkrieg,  „Was erwartet die Rückkehrenden nach Afghanistan? Von Emran Feroz, freier Journalist, schildert vor dem Hintergrund seiner Besuche außerhalb Kabuls die Unsicherheitslage im Land. Die UNAMA-Zahlen zu Zivilopfern seien sehr konservativ, , die komplexen Angriffe in Kabul hätten extrem zugenommen, sichere Regionen gebe es nicht. Seit Trump hätten die US-Luftangriffe deutlich zugenommen. Manche aus Deutschland Abgeschobene seien in Gebieten außerhalb der Regierungskontrolle gelandet.

- “Zur aktuellen Rückkehr- und Abschiebepraxis“ von Dr. Christian Klos, Leiter des Stabes Rückkehr im BMI, und Martin Graf, stellv. Leiter des Arbeitsstabes Rückkehrmanagement im AA.  Dr. Klos betont die hohe Bedeutung des gesellschaftlichen Zusammenhalts in unserem Land (und damit unausgesprochen das Risiko einer Gefährdung dieses Zusammenhalts durch ungeregelte Zuwanderung).  Konsens bestehe im Bekenntnis zum individuellen Schutz von Asylsuchenden.

Afghanistan habe nichts mit einem „sicheren Herkunftsland“ zu tun, wo die Anerkennungsquote unter 5% liege. Für afg. Flüchtlinge lag sie 2015 bei 44%, 2016 bei 55% (mit Familien), 2017 bei 44%. Die durchschnittliche Anerkennungsquote liege bei +/- 50% und damit deutlich über dem EU-Durchschnitt von 32%. Bei Nichtanerkannten liege die Präferenz bei freiwilliger Rückkehr, wofür es verschiedene Arten der Unterstützung gebe.

Gegenwärtig gebe es 15.000 Ausreisepflichtige. 107 seien bisher unfreiwillig zurückgeführt worden, 3.300 freiwillig (2017 mehr als 1.000).

Was seien die Kriterien für ein beachtliches allgemeines Lebensrisiko, wenn eine individuelle Gefährdung nicht festgestellt wurde? Das BMI/die Bundesregierung richte sich nach den von EGMR und BVerwG entwickelten Grundsätzen, wonach insbesondere auch als objektives Kriterium die Eintrittswahrscheinlichkeit eines schädigenden Ereignisses zu beachten sei. Bislang könne eine solche Beachtlichkeit einer allgemeinen Gefahr für Leib oder Leben bei am Konflikt unbeteiligten Zivilisten in Afghanistan nicht festgestellt werden. Daher seien Rückführungen bei abgelehnten Asylbewerbern auch rechtlich möglich.

Herr Graf/AA skizziert den „kohärenten Gesamtansatz“ der Bundesregierung. Bekämpfung von Fluchtursachen, Schutz von Flüchtlingen in Aufnahmeländern und Deutschland, legale Migrationsmöglichkeiten, Zusammenarbeit mit Herkunftsländern, freiwillige Rückkehr und Abschiebungen, die zusammen gehören.

Man habe keine Landkarte, in der „sichere Gebiete“ markiert seien. Dazu müssen die deutschen Verwaltungsbehörden entscheiden. Die Lage sei insgesamt sehr volatil, nicht verbessert, aber auch nicht wesentlich verschlechtert.

Bei der kontroversen und emotionalen, durchweg friedlichen Aussprache geht es u.a. um folgende Punkte:

- Die Konstruktion der „objektiven“ Gefährdungskriterien erfährt scharfen Widerspruch. (Anm.: Sie lasse völlig außer Acht, dass terroristische Gewalt durch Willkür, Hinterhältigkeit, besondere Grausamkeit vor allem psychisch verunsichern, Vertrauen zerstören, terrorisieren will; dass es für Verletzte kein solches Auffangnetz von Gesundheits- und Sozialsystem wie in Deutschland gibt).

- Was bedeutet Flucht von so vielen jungen, besser ausgebildeten Menschen für das Land (brain drain)? Die Frage bleibt unbeantwortet.

- Die Fluchthelfer von DDR-Flüchtlingen wurden von der deutschen Politik hoch geehrt. Heute gelten Fluchthelfer als Kriminelle.

- Viele Flüchtlinge hätten falsche Vorstellungen vom Leben in Deutschland. Der deutsche Staat habe einen Anspruch, zu wissen wer kommt. Manche Formen der Nicht-Kooperation seinen nicht hinnehmbar.

- Die Angaben zur Schutzquote in den letzten drei Jahren bleiben strittig.

Projektarbeit in Afghanistan unter den aktuellen Bedingungen,

Inputs und Gallery Walk, Gruppen und Projekte stellen ihre aktuelle Arbeit vor:

- Afghanic e.V. (Afghanistan Information Center), Bonn (u.a. Druck und Verteilung von Lehrbüchern, seit 2016 eine Tagesklinik in Kabul, in Vorbereitung Paktia-Projekt, jährliche Hamburger Afghanistan-Wochen, die 23. am 16.-20. Juli 2017)  www.afghanic.de  

- Mediothek Afghanistan (gegründet 1993 von einer Gruppe afghanischer + deutscher Studenten und Experten; sechs Community & Medien Centers in Kabul, Balkh, Kunfuz, Ningarhar, Khost, Herat; größere Projekte: Straßenkinder-Programm, Woman Peace Caravan, Schulprojekte, Peace Building durch Medien, grenzüberschreitende Medieninitiative AFG-PAK und Versöhnungsdialoge, Jugendbotschafter in AFG & PAK; vieles von AA + BMZ unterstützt),  www.mediothek-afghanistan.org 

- Chak-e-Wardak Hospital, 1989 von Karla Schefter gegründet (7.000 Patienten/September 2017 ambulant + stationär, 76% Frauen + Kinder; von 730 stationär Behandelten konnten nur vier lesen + schreiben, hatten nur zwölf ein eigenes Einkommen), www.chak-hospital.org

- Afghanistan-Schulen – Verein zur Unterstützung von Schulen in Afghanistan, 1984 gegründet von Ursula Nölle ( Schwerpunkte in/um Andkhoi in der NW-Provinz Faryab und Mazar-e Sharif/Balkh), http://www.afghanistan-schulen.de/

- Freundeskreis Afghanistan e.V., gegr. 1980 von ehemaligen dt. Entwicklungshelfern, Lehrern und Afghanen, Berlin (seit 1981 Bau von neun Schulen im Disrikt Jaghori, Provinz Ghazni, Förderung der Schullandschaft Jaghori), www.fk-afghanisan.de  

- AFAF e.V., Ärzteverein für afghanische Flüchtlinge, Ärzteverein für Afghanische Flüchtlinge e.V., 1983 von deutschen und afghanischen Ärzten gegründet (Kinderärztin Dr. Gudrun Scharifi und Internist + Intensivmediziner Dr. Ataullah Zulfacar), Mariental, www.afghandoctor.org  

- First Contact e.V., Jugend Sozial Arbeit mit Flüchtlingskindern und -jugendlichen, Hamburg, Vorstand Yama Waziri, http://firstcontact-ev.com/

- Kinder brauchen uns e.V. (KBU), Mülheim (medizinische Behandlung für schwer kranke afghanische Kinder in Deutschland, „Steinhaus Kabul“), www.kinder-brauchen-uns.net

Die Präsentationen des

- Afghanischen Frauenvereins e.V. (AFV), gegr. 1992, Vors. Nadia Nashir, Botschafter Herbert Grönemeyer, Osnabrück, www.afghanischer-frauenverein.de

- German Police Project Teams (zzt. in Kabul und Mazar mit knapp 50 Beamten) müssen aus privaten Gründen leider kurzfristig ausfallen.

Bewundernswert sind die Leistungen der Kinderhilfe-Afghanistan von Dr. med. Reinhard und Annette Erös, von der ich aus ihrem Jahresbericht 2017 erfahre: 2017 konnte der Unterricht an den 30 Schulen in sechs ostafghanischen Provinzen mit ca. 60.000 SchülerInnen und ca. 1.400 LehrerInnen ungestört fortgesetzt werden. In 15 Computer-Ausbildungs-Zentren werden ca. 1.500 SchülerInnen/Jahr ausgebildet, 2014 entstand die Deutsch-Afghanische Friedensuniversität in Laghman.  http://www.kinderhilfe-afghanistan.de/  

Nicht alles ist schlecht in Afghanistan …: Zum Engagement in und für Afghanistan gibt es keine Alternative

- Psychosoziale Beratung: Hilfe zur Stabilisierung des Einzelnen und der Gesellschaft mit Inge Missmahl, Gründerin und Direktorin von International Psychosocial Organisation (IPSO), https://ipsocontext.org/de/ : Westliche Methoden helfen nicht unter den spezifischen Bedingungen Afghanistans. In 2004 realisierte Inge Missmahl mit KollegInnen, dass Menschen in scheinbar hoffnungslosen Situationen und mit psychischen Symptomen wieder stabilisiert werden konnten mit Hilfe von gut-strukturierten Gesprächen und einer Auswahl von psychologischen und psychosozialen Interventionen. Man entwickelte einen kulturell und sozial angepassten Beratungsansatz, der kontinuierlich evaluiert und verbessert wurde. Ab 2008 unterstützte IPSO das afghanische Gesundheitsministerium dabei, psychosoziale Betreuung in das öffentliche Gesundheitswesen zu integrieren. Innerhalb von 14 Jahren wurde in acht Provinzen ein großes Netzwerk mit mehr als 400 psychosozialen BeraterInnen aufgebaut. Da öffentliche Kliniken oft schwer erreichbar und überfüllt sind und normalerweise nur einen männlichen oder weiblichen Berater haben, wodurch Angehörige des anderen Geschlechts von der Beratung ausgeschlossen sind, da junge Leute aktiv soziale Medien nutzen, wurde für junge Leute eine Online-Beratungsplattform (Video) eingerichtet. Von 2014 auf 2015 wurden von Beratern im öffentlichen Gesundheitssystem mehr als 110.000 Klienten beraten. In den meisten Fällen (70%) wurde schon nach durchschnittlich drei Sitzungen eine Linderung der Symptome und auch ein Rückgang häuslicher Gewalt festgestellt. Schon verstehen wirke befreiend.

Im Mai 2016 wurde das Psychosocial Counseling & Mental Health Center Kabul eröffnet, das zzt. von 400-500 Menschen/Woche aufgesucht wird. IPSO wird vom Auswärtigen Amt und von der EU gefördert. (Weitere Projekte auf dem Feld des kulturellen Dialogs – cultural container project in acht Provinzen – und sozialer Schutz – z.B. Ausbildung von psychosozialen Beratern + Sozialarbeitern für 16 Frauenhäuser in 14 Provinzen).

- Rechtsstaatsförderung als Instrument der Krisenprävention mit Dr. Tilmann Röder, Max-Planck-Stiftung für Internationalen Frieden und Rechtsstaatlichkeit, Heidelberg, gemeinnützige GmbH Heidelberg, http://www.mpfpr.de/de/projekte/laenderprojekte/afghanistan/: Max-Planck-Wissenschaftler beraten und unterrichten seit 15 Jahren in Konfliktländern v.a. zu öffentlichem Recht und Völkerrecht. In Afghanistan liegt der Fokus derzeit auf Verfassungsrecht und Verwaltungsrecht in Zusammenarbeit mit staatlichen Institutionen in der Hauptstadt (http://www.mpfpr.de/de/aktuelles/details/id/570/ ) sowie akademischer Zusammenarbeit (Doktorandenprogramm, Konferenzen, Zeitschrift) und punktuell Transitional Justice (letzteres bisher weniger erfolgreich). Besonders intensiv habe man mehr als 1.000 neue Richter ausgebildet. Die größte Herausforderung ist die Korruption. Ihre wirksame Bekämpfung hänge ab vom politischen Willen an der Spitze. Die Projekte werden v.a. vom AA finanziert mit entsprechend begrenzter Laufzeit, Rechtsstaatsförderung muss jedoch längerfristig geplant und umgesetzt werden (Generationenaufgabe).

- Arbeitsmöglichkeiten für staatliche und NGO-Projekte in Afghanistan mit Carl Moritz Leitgen, Referat Afghanistan/Pakistan im BMZ: „Nicht alles ist schlecht“ – tatsächlich! Den meisten gehe es besser als vor 15 Jahren. Der BMZ-Referent nennt einige Schlüsseldaten, z.B. zum Zugang zu Gesundheitsdienstleistungen, zu Trinkwasser, Schülerzahlen etc. sowie zu Maßnahmen deutscher Entwicklungszusammenarbeit. Seit 2014 habe sich einiges verschlechtert. Bei den Gründen stehe Korruption ganz vorne. Bei der Brüsseler Afghanistan-Konferenz sagte die Bundesregierung 430 Mio. Euro/Jahr für die nächsten vier Jahre zu.

Der Lkw-Anschlag vom 31. Mai war ein Einschnitt und führte zum Abzug der internationalen EZ-Mitarbeiter; den deutschen NGO-Mitarbeitern wurde der Abzug empfohlen. Inzwischen seien wieder rund 50 vor Ort – neben 1.500 lokalen Mitarbeitern. Bisher musste kein Projekt oder Programm abgebrochen werden, auch nicht auf Seiten des AA. Allerdings gab es Verzögerungen. Und größere Projekte im Energiesektor sind immer schwerere zu realisieren.

(Übersicht der Deutschen Zusammenarbeit mit Afghanistan mit Links zu BMZ, AA, GIZ, KfW, aber ohne BMI/Polizeihilfe:  http://www.germancooperation-afghanistan.de/de/about

- Zu EZ-Wirkungsmonitoring, seit 2014 Dt. Development Tracker für Afghanistan, und Evaluation: http://www.germancooperation-afghanistan.de/de/page/wirkungen-der-deutschen-entwicklungszusammenarbeit 

- Datenblatt Dt. EZ in Afghanistan 2009-2017, Stand Juli 2017: http://www.germancooperation-afghanistan.de/sites/default/files/Datenblatt_%2016_10_2017.pdf

- AA zu Afghanistan: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/regionaleschwerpunkte/afghanistanzentralasien

- AA-GIZ-Projekt Alphabetisierung + nachholende Grundbildung Polizei: https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/regionaleschwerpunkte/afghanistanzentralasien/-/1048356

Anm.: Mit dem Anschlag vom 31. Mai hat die Bundesrepublik in ihrer Geschichte eine Botschaft (und vorher ein Generalkonsulat) verloren. Wäre vorher das Kanzleigebäude nicht aufgrund weitsichtiger Sicherheitsanalyse für den Dienstbetrieb gesperrt worden, hätte es eine hohe Zahl an deutschen Toten geben können. Die einstellige Rumpfbesatzung der Botschaft ist auf dem Gelände der US-Botschaft untergebracht und nur minimal arbeitsfähig.

Umso größer ist meine Erleichterung, dass die Aufbauhilfe von BMZ und AA trotz der erschwerten Bedingungen weiter läuft.

Der Nachmittag zeigt: Vor Ort läuft noch viel mehr an Aktivitäten und Projekten, an Aufbaubemühungen, als man es aus der Ferne wahrnimmt. Sie kommen Abertausenden Menschen zu Gute. MAN KANN WAS TUN!

Ein erhebliches Handicap ist allerdings die weitgehende Reduzierung persönlicher Kontakte zwischen ausländischen Experten und afghanischen Partnern, gar der Bevölkerung.

„TRUE WARRIORS“ - Dokumentarfilm

von Ronja von Wurmb-Seibel + Niklas Schenk, Gespräch mit den Regisseuren: Uns allen verschlägt der Film zunächst die Sprache. Mich hat lange kein Film mehr so gepackt.

Die Kabuler Theatergruppe AZDAR  führte im Französischen Kulturzentrum in Kabul ihr Stück wider Selbstmordattentate vor, als sich ein 17-Jähriger unter den Zuschauern in die Luft sprengte. Die Künstler sprechen offen über das traumatische Ereignis, wie sie damit umgingen, wie sie sich nicht hinter Mauern zurückzogen. Sie gehen auf die Straße, nachdem am 19. März 2015 ein Männer-Mob die 27-jährige Religionslehrerin Farkhunda Makikzada brutal geschlagen, niedergetrampelt, überfahren und mitgeschleift, gesteinigt und verbrannt hatte, mitten im Zentrum von Kabul vor dem Shah-du Shamshira-Schrein, inmitten hunderter Schaulustiger, ungeschützt von der Polizei.

Die Schauspieler re-inszenieren  den Lynchmord in aller Öffentlichkeit am Tatort vor der Moschee, ungeschützt vor einer auf Tausende anschwellenden Zuschauermasse, als Teil einer wütenden Protestbewegung. Die Schauspielerin Leena Alam: „Wenn wir aufhören, gewinnen die anderen.“

TRUE WARRIORS ist eine Geschichte über die Kraft von Kunst und Kultur in einem so gewaltzerfressenen Land wie Afghanistan, über Stärke aus  Freundschaft, über Entschlossenheit, das eigene Land zu verändern. Verbreitet ist das historische Bild von den gegenüber ausländischen Mächten kämpferischen und unbesiegbaren Afghanen.

Hier und heute sind es afghanische Künstler, starke Frauen und Männer, die mit menschlicher Tapferkeit gegen die Gewaltseuche kämpfen.

(Meine Filmbesprechung „Afghanische Künstler gegen Selbstmordattentäter und Mob-Gewalt“   http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1509 )  Der Film tourt in den nächsten Monaten durch deutsche Städte, meist in Anwesenheit der Regisseure. Er ist dringend zu empfehlen! (https://www.truewarriors.de/termine/ ) Die Schauspielerin Leena Alam: „Wenn wir aufhören, gewinnen die anderen.“

„Afghanische Herzen“: Unter den Tagungsteilnehmer sind etliche Deutsche, die Afghanistan seit vielen Jahrzehnten herzlich verbunden sind. Ihre Erinnerungen und Erfahrungen sind Schätze. Zum Beispiel:

- Burkhard Thielmann, Bickenbach: Er arbeitete 1967-1970 als Entwicklungshelfer bei „Radio Afghanistan“, kehrte mehrfach in den 70er und 80er Jahren zurück. Seine Frau Elisabeth Thielmann-Ries unterrichtete 1967 bis 1970 an der deutschen Botschaftsschule in Kabul. Bis 1972 beriet sie bei der Ausbildung von Kindergärtnerinnen.

- Dr. Lorenz Göser, Kressbronn am Bodensee: DED-Entwicklungshelfer 1975-1977 in der Lehrerausbildung in Jalalabad. Bei der ausgezeichneten Einsatzvorbereitung erlebte er Landeskunde durch die US-Historikerin Nancy Duprée (sätere Gründerin des Afghanistan-Zentrums der Uni Kabul, am 10. September 2017 verstorbene). Auf Seiten der Entwicklungshelfer wie der Afghanen habe damals eine Aufbruchstimmung geherrscht. 1986-1990 für „HELP“ in Peschawar in der Flüchtlingshilfe, später vier Jahre für die Konrad-Adenauer-Stiftung in Islamabad. Von früheren Partnern wurde im Laufe der Zeit ein halbes Dutzend ermordet.

- Hans-Jörg Deleré, Neustadt: Der Vorsitzende von „Afghanic“, Dr. Yahja Wardak überreicht ihm zu seiner hellen Freude ein Bild von der Gebirgsstraße Tang-i-Gharu Mai Par, der Verbindung von Kabul über Jalalabad nach Pakistan in Höhe Surobi. Im Auftrag der afghanischen Regierung arbeitete sein Vater hier ab 1950 als leitender Ingenieur und war verantwortlich für den Ausbau des afghanischen Straßennetzes. Es sei der erste internationale Großauftrag für die deutsche Bauindustrie nach dem Krieg gewesen. Hans-Jörg verbrachte hier 1952 bis 1957, seinem 14. Lebensjahr, eine glückliche Traumkindheit. 2006/2007 kehrte der erfahrene Bauingenieur als 63-Jähriger nach Afghanistan zurück, in die umkämpfte Provinz Kandahar im Süden: zum Bau einer Verbindungsstraße zwischen der Ringroad und dem Distrikt Panjwai im Auftrag der GTZ International. Susanne Koelbl berichtete im Spiegel 25/2007 über „Das afghanische Herz“ (http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-51955587.html )

- Paul Bucherer-Dietschi, Direktor des Afghanistan-Instituts in Bubendorf (Schweiz): 1971 zusammen mit seiner Frau Veronika vier Monate in Afghanistan unterwegs, 1974/75 einjähriger Forschungsaufenthalt. 1975 gründete das Ehepaar die „Bibliotheca Afghanica“, die 1983 in die „Afghanistan-Stiftung“ umgewandelt wurde. Er schildert im Foyer von Villigst auf Fotowandzeitungen die Geschichte von zwei, maßgeblich von ihm initiierten Kulturgüter-Rettungsoperationen: das „AFGHANISTAN-MUSEUM IM EXIL“ ( Idee 1998 von Ahmad Shah Massud, Dr, Abdullah und ihm, in 2000 heimliche Evakuierung von über 1.000 Objekten in die Schweiz, wo das Museum im Exil vom Oktober 2000 bis 2006 bestand, Ende 2006 vollständige Rückführung von 1.423 Objekten nach Kabul); die „PHOTOTHECA AFGHANICA“  (angetrieben durch zwei Bilderstürme unter Kommunisten und Taliban, mit heute rund 60.000 Fotos),   https://www.phototheca-afghanica.ch/index.php?id=33&no_cache=1  ; http://www.afghanistan-institut.ch/  .  Im Vorjahr hatte Paul Bucherer die von ihm im Auftrag des Auswärtigen Amtes erstellte Fotoausstellung „100 Jahre Deutsch-Afghanische Freundschaft“ präsentiert. Sie war 2016 schon in Kabul, Mazar, Herat und anderen afghanischen Städten gezeigt worden. Leider war bisher kein Bundesressort daran interessiert, die Ausstellung auch in Deutschland breit zugänglich zu machen. Der Bundestag könnte auf ein Einlenken drängen.  (Noch mehr Erinnerungen  in: „30 Jahre Freundeskreis Afghanistan 1982-2012“, Berlin 2012)

„Weiter so? Was folgt aus der (neuen) US-Strategie für die Verbündeten, für die Regionalmächte und für Afghanistan?“ Mit Mirco Günther, Landesdirektor Afghanistan der Friedrich-Ebert-Stiftung, der kurzfristig aus Kabul angereist ist.

- Zur „neuen US-Strategie“, die eigentlich keine Strategie sei, sondern aus Kernaussagen der Präsidentenrede bestehe: kein fester Abzugstermin, letztendlich auf eine Verhandlungslösung zielend, Verstärkung militärischer Kräfte, mehr Handlungsfreiheit für das Militär, Politik in der Region (Indien, Pakistan).´Das Echo in Afghanistan auf die militärische Aufstockung war breit zustimmend, positiv bei Präsident Ghani, scharf kritisch bei seinem Vorgänger Karzai. Menschenrechtsaktivisten befürchten eine Eskalation.

Die Rede gebe keine Antworten zu politischen und gesellschaftlichen Ansätzen. Ein nur militärischer Kurs sei kurzsichtig. Die Zahl der Luftangriffe sei inzwischen stark gestiegen, die Einsatzregeln gelockert. Schon gebe es wieder mehr Zivilopfer durch US-Luftangriffe.

(Anm.: Verdreifachung der US-Waffeneinsätze aus der Luft: im November 2017 352 ggb. 92 im Vorjahrsmonat, bis Nov. 2017 3.906 ggb. 1.337 in ganz 2016)

- Implikationen für die Verbündeten: In Vorfeld der Trump-Rede gab es keinerlei Konsultationen mit Verbündeten. Der Fokus der Europäer liegt auf der Beratungsmission Resolute Support. Angestrebt wird eine Ausweitung der bisher nur auf die höchste Ebene (Ministerien, Korps) gerichteten Beratung auf die mittlere (Brigade) und untere (Bataillon) Ebene. Falsch sei die Fixierung auf Truppenzahlen.

- Weiter so? Die Sicherheitslage sei dramatisch, die Politik stärker fragmentiert, die Korruption ein Riesenthema. Immer weniger zivile Organisationen seien mit Entsandten vor Ort. Der Rückzug aus der Fläche sei relativ dramatisch. Erste Priorität habe die Sicherheit der eigenen Mitarbeiter. „Wir arbeiten weiter mit viel Freude, aber unter immer schweren Rahmenbedingungen.“ Weiter so?  Ja weiter, aber mit strategischer Geduld! Nein, endlich mit umfassender und ehrlicher Evaluation! Die Afghanistandebatte darf nicht auf Resolute Support beschränkt bleiben. Nur Norwegen habe eine Evaluation geschafft. Der SIGAR-Bericht sei gut, so etwas solle es auch in Deutschland geben.

„Weil Wegsehen keine Lösung ist … Konstruktive Mitverantwortung für Afghanistanrealistisch und mit langem Atem Podiumsdiskussion mit Dr. Ralf Brauksiepe, MdB CDU, Parlamentarischer Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Dr. Almut Wieland-Karimi, Direktorin Zentrums Internationale Friedenseinsätze/ZIF, Berlin, Dr. Yahja Warsak, Vorsitzender Afghanic e.V., Hochschulministerium in Afghanistan, Bonn/Kabul, moderiert von Abdul-Ahmad Rashid/ZDF.

- PStS Brauksiepe gibt eine zusammenfassende Bewertung des Afghanistaneinsatzes seit 2001. „Wir löffeln die Suppe aus, die die Rote Armee eingebrockt hat“. Heute gebe es in Afghanistan mehr Licht als Schatten. Aber in der Vergangenheit habe man auch viele Illusionen gehabt. Deutscher Aufgabe sei nicht, Terroristen zu jagen und zu töten, nicht „fight and talk“, sondern „train, advice, assist“.  Die US-Strategie habe die Bundesregierung zur Kenntnis zu nehmen. Es bestehe kein Bedarf, sie zu kommentieren.

- Die ZIF-Direktorin: Fünf Konfliktebenen seien zu unterscheiden: die lokale, regionale und nationale Ebene, das regionale Umfeld, die internationale Situation als die wohl schwierigste Ebene. Was ist das gemeinsame Ziel? Afghanistan war immer ein Spielfeld von Machtinteressen.

Es gebe drei Optionen: (a) Raus ist keine. (b) Weitermachen? In keinem Land engagiert sich Deutschland so sehr wie in Afghanistan.

(c) Anders weitermachen! Was ist die europäische/deutsche Rolle? Den Krieg dort können wir nicht gewinnen. Das sagen gerade die Kollegen von der Bundeswehr. Entscheidend sei der politische und Friedensprozess. Das dauere Jahre lang. Alle, die was zu sagen haben, müssen einbezogen werden.

Hier könne Deutschland eine besondere Rolle haben – mit seinem guten Ruf auch als ehrlicher Makler: Eine Patenschaft für den politischen Prozess, vertrauensbildende Maßnahmen, Einzelgespräche, Vermittler, Kommunikation über Bande, Förderung lokaler Vermittler, auch der Zivilgesellschaft. Für das alles gibt es auch einen technischen Supportbedarf. Da könnte Deutschland eine besondere Rolle spielen.

Bundeswehr vor Ort sei weiterhin nötig.

- Yahja Wardak berichtet aus der Arbeit von CIM-Fachkräften im afghanischen Hochschulbereich (Centrum für Internationale Migration & Entwicklung, Kompetenzzentrum für weltweite Arbeitsmobilität). Afghanistan hänge weiter am Tropf der Internationalen Gemeinschaft. Die Infusion könne erst aufhören, wenn ein lebensfähiger Staat aufgebaut sei.

(Anm.: Leider geht die Abschlussdebatte nicht auf die Themenstellung des Panels „Wegsehen ist keine Lösung“ ein. Alle Tagungsteilnehmer sind sich diesbezüglich einig. Aber das Wegsehen ist seit 2014 das erste Problem der deutschen (und internationalen) Politik – und Öffentlichkeit - zu Afghanistan. Als „verbranntes Thema“ wird es von Regierung und Parlament wenn eben möglich gemieden und nur thematisiert, wenn es im Kontext von Mandatsverlängerungen oder unmittelbar nach der Lkw-Bombe vom 31. Mai an der Deutschen Botschaft unausweichlich ist. Ansonsten ist Afghanistan in doppelten Sinne ein „Abschiebe-Thema“: abgeschoben an die dafür Zuständigen in Ministerien, Bundeswehr, GPPT, Durchführungs- und Hilfsorganisationen; öffentliches Thema fast nur im Kontext von Abschiebungen.)

Fazit: Die 31. Afghanistan-Tagung in Villigst half beim genaueren Hinsehen aus verschiedenen Perspektiven und beim Erfahrungsaustausch. Sie half, sich ehrlich zu machen und gerade nicht dabei die Hoffnung zu verlieren. Niemand zog den Schluss: „Es hat keinen Sinn, bloß weg!“ Im Gegenteil: Einhellig war der Wille, selbstverständlich weiterzumachen mit den Hilfs- und Aufbauprojekten, aus Erfahrungen zu lernen, neue Chancen zu nutzen, Menschen hierzulande zu informieren und für eine verlässliche Aufbaupartnerschaft zu gewinnen. Einmütig war die Haltung gegen eine politische „Flucht aus der Verantwortung“. Gerade nach so vielen Groß-Fehlern der Vergangenheit steht die Internationalen „Gemeinschaft“ in der Verantwortung, Afghanistan durchdachter und wirksamer zu unterstützen. Im Dienste kollektiver internationaler und menschlicher Sicherheit, im Sinne der über 100-jährigen afghanisch-deutschen Freundschaft, die weiterhin besondere Chancen bietet.

Weitere jüngste Beiträge zu Afghanistan

- Dokumentarfilm „TRUE WARRIORS“  - „Jetzt erst recht!“ Künstler gegen Selbstmordattentäter und Mob-Gewalt in Kabul, 29.11.2017,    http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1509

- Vor genau 15 Jahren mein 1. KABUL-Besuch: Kriegszerstörungen, Aufbruchstimmung, Friedenshoffnungen, (Bericht vom Kabul-Besuch Ende Nov. 2002: „Langer Atem für Afghanistan“, 22.12.2002), http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1507

- Statt „Weiter so“ im Nebel abwärts in Afghanistan: Endlich kritische Überprüfung, Realismus, strategischer Konsens und Exit-Kriterien. Anmerkungen zur Mandatsentscheidung „Resolute Suppport“, 21.11.2017 http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1506    

-  Anhang zu UNAMA-Quartalsbericht zum Schutz von Zivilisten im bewaffneten Konflikt Januar bis September 2017 vom 12. Oktober 2017, (https://unama.unmissions.org/protection-of-civilians-reports ), UNAMA Special Report „Attacken gegen religiöse Stätten, religiöse Führer und Gläubige“ vom 7. November 2017,  

https://unama.unmissions.org/sites/default/files/unama_report_on_attacks_against_places_of_worship_7nov2017_0.pdf

Fatemiyoun – afghanische Söldner in Syrien, Friederike Böge in der FAZ 23.10.2017, über

das „Trainingslager Syrien“. ( http://plus.faz.net/politik/2017-10-23/trainingslager-syrien/71233.html  )

The German Approach bei der Polizeiaufbauhilfe Afghanistan, aus: SIGAR-Report Reconstructing the Afghan National Defense and Security Forces: Lessons from the U.S. Experience in Afghanistan, Sep. 2017, S. 26 ff., https://www.sigar.mil/pdf/lessonslearned/SIGAR-17-62-LL.pdf

- Jubiläumsfest 25 Jahre Afghanischer Frauenverein in Osnabrück: HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH!http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1499

- Afghanistan: Wuchernde Fluchtursachen, einzelne Hoffnungsträger – Zur Lagebeurteilung des AA und zur deutschen Zusammenarbeit mit Afghanistan unter Bedrohung, 10.09.2017, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1495

- „Realitätsverleugnung und Schönrednerei"- Leserbrief zu „Krieg im toten Winkel“ in Afghanistan in der SZ: Womit politisches Führungsversagen anfing und weiter ging, 25.06. 2017, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1479

- Mörderische Woche in Kabul -Mittwoch Lkw-Bombe in der Rush Hour im Zentrum, Freitag Demo mit Toten, Samstag drei Selbstmordattentäter bei Beerdigung, 1./2./3./7.06.2017, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1475


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

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Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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