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Kritischer Kommentar zum Tornado-Urteil

Veröffentlicht von: Webmaster am 12. Juli 2007 07:07:44 +01:00 (58429 Aufrufe)
Die Pressemitteilung von W. Nachtwei vom 3. Juli zum Tornado-Urteil des Bundesverfassungsgerichts war verkürzt.
Hier die revidierte Stellungnahme:

 

Zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Organklage der Linksfraktion am 3. Juli 2007 gab ich die Pressemitteilung „Tornado-Urteil: Derbe Schlappe für die Fraktion Die Linke" heraus. In Kenntnis nur der zweiseitigen Pressemitteilung des BVG und befördert durch die hektische Termindichte des Sitzungstages geriet meine Stellungnahme verkürzt und wurde stellenweise als Tornado-Zustimmung missverstanden. Das ist eine Fehlinterpretation, die ich bedauere.

Meine Gesamtbewertung des vollständigen Urteils ist zwiespältig.

Nach 1994 und 2001 ist dies die 3. höchstrichterliche Urteil zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

(a) Die Bewertung des deutschen ISAF-Einsatzes als friedensbewahrend, also gewaltverhütend und -eindämmend, entspricht den Tatsachen. So lautet das VN-Mandat, so ist die Einsatzwirklichkeit im deutschen Verantwortungsbereich, dem nördlichen Drittel des Landes, und einem Großteil des ISAF-Gebietes. Damit wird zugleich der Vorwurf der Linken zurückgewiesen, die den ISAF-Einsatz immer wieder als „völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" denunziert hat.

(b) Oberflächlich ist die Auseinandersetzung des Gerichts mit dem Tornado-Einsatz und der Operation Enduring Freedom (OEF), deren - zunehmend umstrittene - völkerrechtliche Legalität und fragwürdige Praxis weitgehend ausgeklammert werden. Dass eine mandatstreue restriktive Weitergabe der Tornado-Aufklärungsfotos an OEF wahrscheinlich nur im ISAF-Headquarter in Kabul, aber nicht mehr beim US-amerikanischen ISAF-/OEF-Doppelkommandeur des Regional Command East gewährleistet werden kann, fällt unter den Tisch. Ungeprüft wird die deutsche Mandatsauflage, dass die Aufklärungstornados nicht zur Luftnahunterstützung bei Kampfoperationen eingesetzt werden, für die ganze Wahrheit genommen. Denn über die Unterstützung von Close Air Support durch Luftaufklärung ist damit noch nichts gesagt.

(c) Ausgesprochen problematisch ist die höchstrichterliche Absegnung des grenzenlos erweiterten Verteidigungsbegriffs auf Bündnisebene, der zu einer potenziell weltweiten Vorwärtsverteidigung im Dienste euro-atlantischer Sicherheit mutiert. Das BVG bekräftigt wohl die grundgesetzliche Pflicht zur Friedensbewahrung als „zwingenden Bestandteil der Vertragsgrundlage eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit" und, dass sich die NATO „nicht nur an die UN-Charta gebunden sieht, sondern auch ein politisches Zusammenwirken mit den Vereinten Nationen erstrebt." (Urteil Ziffer 47 + 53). Zugleich ist diese Einbindung reichlich vage, weit auslegbar und keineswegs missbrauchsfest. Angesichts des in der sicherheitspolitischen Terminologie „erweiterten" Friedensbegriffs, wo Militäreinsätze verschiedenster Intensitätsgrade Friedensunterstützung, -sicherung, -wiederherstellung und -erzwingung heißen, ist eine genauere Definition von „Friedensbewahrung" überfällig. Und die „Bindung an die UN-Charta" ist so allgemein formuliert, dass auch US-Präsident Bush sie unterschreiben könnte. Hier fehlt die klare Verpflichtung auf ein UN-Mandat bzw. andere konsensuale Regelungen der Responsibility to Protect.

Nach dem 11. September erfuhr deutsche Sicherheitspolitik eine enorme Entgrenzung. Auf die immer drängenderen Fragen nach neuen Begrenzungen deutscher Sicherheitspolitik im multilateralen Zusammenhang gehen die Verfassungsrichter kaum ein.

Bei allem „weit bemessenen Spielraum", den Grundgesetz und BVG der Bundesregierung in der auswärtigen Politik einräumen: Eine verantwortliche und verlässliche Friedens- und Sicherheitspolitik ist heute mehr denn je auf die Unterstützung, Initiative und Kontrolle seitens des Parlaments angewiesen. Insofern ist jetzt der Bundestag in der Pflicht, sich über neue Grenzen von Auslandseinsätzen klar zu werden und zu verständigen.

Hierzu habe ich mit meinen „Thesen und Kriterien für Auslandseinsätze im Rahmen des Friedensauftrages des Grundgesetzes" seit geraumer Zeit Vorschläge vorgelegt. Kernpunkte dabei sind die verbindliche Einordnung in das UN-System, der Auftrag Gewalteindämmung und internationale Rechtsdurchsetzung, der tatsächliche - und nicht nur verbale - Vorrang der Zivilen Krisenprävention.

12. Juli 2007 Winni Nachtwei, MdB