Autor: Webmaster
Datum: 16. Mai 2006 21:08:49 +01:00 oder Di, 16 Mai 2006 21:08:49 +01:00
Zusammenfassung: Die grüne Bundestagsfraktion hat folgenden Entschließungsantrag eingebracht, an dessen Erarbeitung Winfried Nachtwei "Dauerhafter Frieden in der Demokratischen Republik Kongo" maßgeblich mitbeteiligt war:
Hauptteil:
Deutscher Bundestag Drucksache 16/
16. Wahlperiode
Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Winfried Nachtwei, Dr. Uschi Eid, Ute Koczy, Marieluise Beck (Bremen), Thilo Hoppe, Rainder Steenblock, Jürgen Trittin, Hans-Christian Ströbele, Kai Gehring, ... und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
zum Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung der Bundeswehr an einer EU-Mission zur Absicherung der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo - Drucksache 16/...
Dauerhafter Frieden in der Demokratischen Republik Kongo
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Als Mitglied der Vereinten Nationen und der Europäischen Union hat die Bundesrepublik Deutschland das Interesse und die Verpflichtung, einen angemessenen langfristigen Beitrag zur Stabilisierung und Verstetigung des Friedensprozesses in der Demokratischen Republik Kongo zu leisten. Die langjährige und hoch angesehene deutsche Entwicklungszusammenarbeit ist dafür eine gute Basis und muss ausgebaut werden.
Das Land steht an einem Scheideweg. Nach Jahrzehnten der Mobutu-Diktatur und zwei anschließenden Bürgerkriegen 1996/97 und 1998 bis 2003, die mehr als 3,8 Millionen Menschen das Leben gekostet haben, vereinbarten die Bürgerkriegsparteien im Dezember 2002 mit dem Vertrag von Pretoria und im April 2003 mit dem Vertrag von Sun City einen Friedensprozess. Dieser sah die Integration der ehemaligen Bürgerkriegsfraktionen in eine Übergangsregierung vor, die im Juni 2003 ihre Arbeit aufnahm. Nach fast drei Jahren im Amt fällt die Bilanz der Übergangsregierung ‚gemischt' aus: Wichtige politische und ökonomische Reformen - u.a. Sicherheitssektorreform und Justizreform - wurden nur zögerlich angegangen, und die Implementierung verabschiedeter Reformvorhaben trifft bis heute auf den Widerstand früherer Kriegseliten, die ihre Partikularinteressen bedroht sehen. Dies manifestiert sich unter anderem in systemischer Korruption, der andauernden Existenz von Parallelstrukturen in den Sicherheitsapparaten und wiederkehrender Eskalation lokaler Gewalt, vor allem in den östlichen Provinzen (Kivu Provinzen und Ituri Distrikt) und in Katanga. Als Erfolge der Übergangsregierung sind zu verbuchen, dass keine der Parteien den formalen Übergangsprozess verlassen hat, dass die Verabschiedung einer Verfassung erfolgte und die Vorbereitung der nationalen Wahlen (wenn auch verspätet) voran schreitet. Nachdem die Kongolesen im Dezember 2005 in einem Referendum mit überwältigenden 84,3% der abgegebenen Stimmen die neue Verfassung angenommen haben, sind nun die anstehenden Parlaments- und Präsidentschaftswahlen der formale Abschluss dieses Übergangsprozesses. Die Wahlen sind eine entscheidende Vorraussetzung für eine weitere Befriedung des Landes und den Wiederaufbau staatlicher Strukturen - die Erwartungen der Bevölkerung und der aktiven kongolesischen Zivilgesellschaft an die ersten freien Wahlen seit 1960 sind enorm hoch. Jedoch ist die Sicherheits- und Menschenrechtslage angesichts von Übergriffen auf die Zivilbevölkerung durch kongolesische Sicherheitskräfte sowie marodierender Milizen vor allem im Osten des Landes teilweise dramatisch schlecht. Überfälle auf Dörfer mit Morden, Verschleppungen und Vergewaltigungen geschehen nahezu täglich und in Folge von Binnenvertreibungen sterben Tausende auch an ‚einfachen' Krankheiten. Zudem behindern einflussreiche Eliten mit eigenen Milizen einen erfolgreichen Wahlverlauf bzw. könnten versucht sein, das Wahlergebnis gewaltsam in Frage zu stellen, was zu neuen bewaffneten Auseinandersetzungen und mittelfristig sogar zu einem erneuten Bürgerkrieg führen könnte.
Solange die Staaten der Afrikanischen Union noch nicht über wirksame eigene Sicherheitsinstrumentarien verfügen, muss in dieser kritischen Situation die internationale Gemeinschaft der kongolesischen Bevölkerung, deren übergroße Mehrheit die Wahlen dringend wünscht, unterstützend zur Seite stehen. Der VN-Sicherheitsrat hat mit Resolution 1671 einstimmig eine vorübergehende Unterstützung der größten VN-Peacekeeping Mission, Monuc, durch eine EU-Truppe (EUFOR DRC) beschlossen. Die von der EU zugesagte Truppe ist ein wichtiger Beitrag zur Sicherung der Wahlen. Das VN-Mandat für EUFOR DRC umfasst neben der Unterstützung von Monuc auch den Schutz von Zivilisten, denen unmittelbare physische Gewalt droht. Die Bundesregierung darf diesem Auftrag der Vereinten Nationen nicht künstliche Beschränkungen auferlegen. Akute Nothilfe der Bundeswehr darf nicht an der Stadtgrenze von Kinshasa enden. Zudem muss EUFOR DRC seitens der EU und der Bundesrepublik von verstärkten zivilen Maßnahmen der Wahlabsicherung begleitet werden und Bestandteil einer über die Wahlen hinaus reichenden Verpflichtung gegenüber der DR Kongo sein.
II. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, anlässlich der Wahlen in der DR Kongo
III. Der Bundestag fordert die Bundesregierung des Weiteren auf, ihr bisheriges Engagement bei der Umsetzung des Friedensabkommens von Pretoria vor allem in folgenden vier Bereichen auszubauen und zu verstetigen: 1) DDR-Prozess (Entwaffnung, Demobilisierung und Wiedereingliederung ehemaliger Kämpfer und Kindersoldaten in die Gesellschaft) und Sicherheitssektorreform (Polizei, Armee, Aufbau von Zoll- und Grenzpolizei), 2) Wiederaufbau von Verkehrsinfrastruktur und administrativen Kapazitäten des Staates, 3) gute Regierungsführung, Aufbau einer unabhängigen Justiz und Korruptionsbekämpfung sowie 4) Rückgewinnung der staatlichen Kontrolle über die Bodenschätze zugunsten der Bevölkerung. Dazu ist die Bundesregierung aufgefordert,
IV. Der kongolesische Friedensprozess ist eine wichtige Voraussetzung für eine dauerhafte Beilegung gewaltsamer Konflikte in der gesamten zentralafrikanischen Region der Großen Seen und somit von zentraler afrikapolitischer Bedeutung. Die Unterstützung der Demokratischen Republik Kongo muss Teil einer kohärenten und partnerschaftlichen Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik gegenüber den Staaten unseres südlichen Nachbarkontinents Afrika sein. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf,
Berlin, den 16.5.2006
Renate Künast, Fritz Kuhn und Fraktion
Anmerkungen:
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: