Seit vielen Jahren tobt im Ostkongo Krieg vor allem gegen die Zivilbevölkerung, Frauen und Kinder. Seit August 2013 leitet der deutsche Diplomat Martin Kobler MONUSCO, die weltweit größte UN-Mission. ZUm Schutz der Zivilbevölkerung agiert MONUSCO jetzt konsequent und mit Erfolgen, die Hoffnung machen. Was trägt Deutschland dazu bei? Hier mein Bericht und Kommentar zu Vortrag und Diskussion mit Martin Kobler.
„Fortschritte im Kongo-Konflikt –
Aktuelle Herausforderungen der UN-Mission MONUSCO“
Vortrag + Diskussion mit Martin Kobler,
Sonderbeauftragter des UN-Generalsekretärs (SRSG) und
Leiter von MONUSCO in der DR Kongo
Öffentliche Veranstaltung der Dt. Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN) in Zusammenarbeit mit der Initiative Südliches Afrika, 24. Februar 2014 in Berlin
Bericht + Kommentar von Winfried Nachtwei, MdB a.D. (2/2014)
Der Saal der niedersächsischen Landesvertretung ist mit ca. 160 Besuchern voll besetzt. Unter den Zuhörern die Botschafterinnen der DR Kongo und Ruandas und viele KongolesInnen. Detlef Dzembritzki, Vorsitzender der DGVN, begrüßt die Gäste, Andreas Baumert, Vorsitzender der Initiative Südliches Afrika (INISA) moderiert die Aussprache.
Zuletzt erlebte ich Martin Kobler in Berlin als Hauptredner beim ersten „Tag des Peacekeepers“ am 12 Juni 2013 im Weltsaal des Auswärtigen Amts. Davor trafen wir ihn 2010 in Kabul als stellvertretenden SRSG bei UNAMA. Kobler ist wohl der deutsche Diplomat, der die meisten Führungspositionen der UN-Friedenssicherung in den kritischsten Gebieten innehatte – in Kabul, Bagdad und jetzt seit August 2013 Kinshasa. Er spricht neben Englisch, Französisch auch fließend Arabisch und Indonesisch. Er ist eine Führungspersönlichkeit der ganz seltenen Art: standfest in den Werten der UN mit humanitärem Impetus, den Menschen zugewandt, pragmatisch, auf Chancen orientiert, mit umfassendem Politikverständnis. Ein strategischer Kopf mit Bodenhaftung und Menschenfreundlichkeit.
Die praktische Haltung gegenüber der größten UN-Mission MONUSCO ist ein Lackmustest für den Anspruch deutscher Außenpolitik, mehr internationale Verantwortung zu übernehmen.
Zur Veranstaltung und zu Kobler auch im Tagesspiegel Dagmar Dehmer: www.tagesspiegel.de/politik/demokratische-republik-kongo-un-chef-im-kongo-hofft-auf-deutsche-aufbauhilfe/9537796.html ; www.tagesspiegel.de/politik/im-blick-ein-robuster-gruener/9556728.html
Erfreut sei er über das volle Haus heute Abend. Ein solches Interesse am Kongo gebe es längst nicht immer in Deutschland.
Nach sechs, sieben Monaten in der Demokratischen Republik Kongo (DRK) könne er noch nicht von Erfolg sprechen.
Die DRK ist das zweitgrößte Land Afrikas und umfasst zwei Drittel der Fläche Europas. Seit Ende 1999 gibt es eine UN-Mission in der DRK, erst MONUC, seit 2010 MONUSCO (UN-SR-Resolution 1925). Sie ist mit 20.000 Soldaten aus 43 Nationen, 5.000 Zivilpersonen aus 113 Nationen und einem Jahresbudget von 1,4 Mrd. US-Dollar die größte UN-Mission weltweit. (31.12.2013: 19.400 Soldaten, 520 Militärbeobachter, 1.300 Polizisten; 1.000 internationale zivile Mitarbeiter, 3.000 lokale Mitarbeiter, 570 UN Volunteers) MONUSCO ist auf 92 Stationen verteilt (zu 96% im Osten), in Kompaniestärke und als Militärbeobachter.
Als Sonderbeauftragter koordiniert er 23 UN-Organisationen.
Landkarte Ost-Kongo: Die farbigen Flecken markieren die Gegenden, die von bewaffneten Gruppen dominiert sind. Seit zwanzig Jahren habe man da keine Ruhe bekommen. (Der Osten ist so groß wie Afghanistan!)
Mit der Resolution 2098 vom März 2013 stellte der Sicherheitsrat MONUSCO drei Aufgaben:
- Schutz der Zivilbevölkerung
- Stabilisierung
- Implementierung des Abkommens von Addis Abeba, das heute ein Jahr als ist.
Erstmalig in der Geschichte der UN-Friedenssicherung habe MONUSCO einen offensiven Kampfauftrag: Zum Schutz der Zivilbevölkerung seien bewaffnete Gruppe zu „neutralisieren“. Umgesetzt werde dieser Auftrag durch eine „Interventionsbrigade“ (Force Intervention Brigade) von 3.069 Soldaten aus Malawi, Tansania und Südafrika.
(Ihre Aufgabe: „entweder einseitig oder gemeinsam mit den Streitkräften der DRK, auf robuste, hochmobile und vielseitige Weise und unter strenger Einhaltung des Völkerrechts (…) die Expansion aller bewaffneten Gruppen zu verhüten, diese Gruppen zu neutralisieren und zu entwaffnen, um zu dem Ziel beizutragen, die von bewaffneten Gruppen ausgehende Bedrohung für die staatliche Autorität und die Sicherheit von Zivilpersonen im Osten der DRK zu mindern und Raum für Stabilisierungsmaßnahmen zu schaffen.“ (SR-Res. 2098) Die Brigade sollte u.a. drei Infanterie-Bataillone und je eine Artillerie-, eine Special Forces und eine Aufklärungs-Kompanie umfassen.)
Hintergrund dieses Kampfauftrages war die Frustration über die seit 20 Jahren anhaltende Spirale der Gewalt, an der auch die Internationale Gemeinschaft nichts änderte. Der Osten des Kongo war ein Flickenteppich nichtstaatlicher Gewalt.
Die Lage spitzte sich zu, als am 20. November 2012 M23-Rebellen innerhalb weniger Stunden die Provinzhauptstadt Goma einnahmen und MONUSCO keinen Widerstand leistete.
Bei seiner Einweisung Mitte letzten Jahres habe er immer wieder gehört, jetzt müsse was passieren. Manche meinten, schon die Präsenz einer solchen Brigade würde abschreckend wirken. Andere meinten, sie müsse auch eingesetzt werden.
(Kobler in einem Interview des UN News Centre am 22. Januar 2014: Ende 2012 „gab es unaussprechliche Grausamkeiten, begangen durch Gruppen im Norden von Nord-Kivu. , mit zerstückelten Babies, vergewaltigten Mädchen, mit schwangeren Frauen, die zerstückelt und geköpft wurden. Das sind Sachen, die man nicht tolerieren kann. Die Internationale Gemeinschaft hat die Verpflichtung, solche Grausamkeiten zu stoppen, Menschenrechtsverletzungen, Vergewaltigungen im Krieg, Rekrutierung von Kindersoldaten.“),
Die militärische Planung leitet als Force-Commander ein brasilianischer General (Carlos Alberto dos Santos Cruz, 2007-2009 Haiti; die Brigade befehligt der tansanische General James Mwahibolwa). Den Gesamtbefehl erteilt der SRSG Kobler.
Das Mandat laufe über ein Jahr. Die Kontrolle durch den Sicherheitsrat sei recht stark.
Aber es müsse einen politischen Rahmen geben: Am 24. Februar 2013, genau heute vor einem Jahr, wurde in Addis Abeba das „Rahmenabkommen für Frieden, Sicherheit und Kooperation für die DRK und die Region“ von den Staatschefs von elf zentral- und südafrikanischen Staaten und dem UN-Generalsekretär, der AU, der „Region der Großen Afrikanischen Seen“ (ICGLR) und der Entwicklungsgemeinschaft Südliches Afrika (SADC) unterzeichnet. („11 + 4“) Die DRK werde darin zur Sicherheitssektorreform (SSR) und staatlicher Dezentralisierung verpflichtet.
Ein drittes neues Element: Erstmalig gebe es solch eine internationale Zusammenarbeit. Die fünf Sonderbeauftragten für die Region der Großen Afrikanischen Seen (UN-Sonderbeauftragte Mary Robinson, M. Kobler, Sonderbeauftragte der AU, EU und USA) agieren in verschiedenen Rollen, aber immer mit derselben Botschaft. Sie seien immer abgestimmt. Einzigartig! Das sei das „Etwas“! Mary Robinson sei seine „professionelle Zwillingsschwester“.
Karte Nord-Kivu: Goma hat ca. eine Million Einwohner. Drei große bewaffnete Gruppen mit politischer Agenda gebe es: M23, FDLR und ADF-Nalu (Allianz demokratischer Kräfte – Nationale Armee für die Befreiung Ugandas). Es sei ein ungeheuer reiches, ungeheuer armes Land! 5 bis 6 Millionen Tote habe es in den letzten zwanzig Jahren in Folge der Kämpfe gegeben.
Jetzt trage die kongolesische Armee die Hauptlast. MONUSCO unterstütze sie mit Kampfhubschraubern, Artillerie.
(Seit Dezember 2013 verfügt MONUSCO auch über zwei Aufklärungsdrohnen – die ersten in einer UN-Mission; ab März folgen drei weitere; mit ihnen können Militäroperationen besser vorbereitet und Grenzübergänge von bewaffneten Gruppen entdeckt werden.
Zwei Wochen nach seinem Dienstantritt Anfang August 2013 gab Kobler den ersten Einsatzbefehl für die Interventionsbrigade. Als M23-Rebellen Goma mit Raketen und Mörsern beschossen, flogen Kampfhubschrauber gegen ihre Stellungen. Am 25. Oktober griff die kongolesische Armee unabgesprochen M23-Stellungen in Nord-Kivu an. Die MONUSCO-Brigade unterstützte die Armee. Auf beide Seiten soll es Hunderte Tote gegeben haben, bei der Brigade zwei. Juliane von Mittelstaedt im Spiegel 43/2013: „Zum ersten Mal seit eineinhalb Jahren kann man ohne Angst vor Plünderung, Vergewaltigung, Tod auf die Straße gehen. So lange herrschte hier die M23.“) Die M23 sei „militärisch besiegt, nicht mehr da“, die Kämpfer seien nach Uganda und Ruanda ausgewichen.
Die Rebellen hatten ihre eigenen Herrschaftsstrukturen mit Verwaltung, Steuern (zur Finanzierung der Kämpfer). Die Lage in den befreiten Landstrichen sei völlig desolat. MONUSCO fördere „Inseln der Stabilität“, in die kongolesische Polizei, Verwaltung nachrücken solle. Aber wie so oft: Das Militär habe relativ schnelle Wirkung, die zivilen Kräfte seien viel langsamer. Für die Polizisten fehle es an Infrastruktur, Mobilität, Essen. Der Prozess von Disarmament, Demobilization + Reintegration (DD&R) sei zu koordinieren, staatliche Autorität aufzubauen. Um dafür Mittel einzuwerben, sei er auch in Berlin
Wichtig sei die regionale Einbindung. In Ruanda sei er monatlich.
Für die MONUSCO-Truppen gelten rigide Rules of Engagement: Man arbeite nicht mit kongolesischen Einheiten zusammen, die Menschenrechte verletzen. Die Einheiten würden überprüft. Aber es gebe keine Garantie. Zivilopfer seien so weit wie möglich auszuschließen.
Konfliktursachen bekämpfen: Das alles nutze nichts, wenn nicht zugleich der Kampf gegen die Konfliktursachen geführt werde: gegen schlechte Regierungsführung und Plünderung der Ressourcen.
- Sicherheitssektorreform, Polizei- und Justizaufbau seien zügig in Angriff zu nehmen. Es gebe Entwicklungspläne für Polizei und Justiz. In Sachen DD&R sei man was stecken geblieben. Ca. 6.000 Ex-Kombatanten seien noch in Lagern. Es fehle an Reintegrationsmaßnahmen.
- Konfliktmineralien gibt es reichlich – Gold, Diamanten, Kupfer, Zinn, Wolfram, Coltan u.a. In jedem Handy stecke ein Stück Kongo. Minen und Exporte müssten professionalisiert, legalisiert und versteuert werden. Bis Jahresende wolle man drei Beispiele auf den Weg bringen, um zu zeigen, dass es geht. Gutes leiste hier die deutsche GIZ (zusammen mit der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe: Zertifizierungssystem für mineralische Rohstoffe,Projektlaufzeit 4/2009-12/2015 www.bgr.bund.de/DE/Themen/Zusammenarbeit/TechnZusammenarbeit/Projekte/Laufend/Afrika/1046_2006-2202-7_Kongo_Transparenz_Rohstoffsektor.html?nn=1542366)
Zwischenergebnisse: Inzwischen gebe es eine neue Dynamik, ein Gefühl der Hoffnung. Landwirtschaftliche Produkte könnten jetzt wieder nach Goma auf den Markt gebracht werden. Es gibt schon eine kleine Friedensdividende. Aber: Polizisten und Soldaten bekommen vielleicht zehn Euro im Monat.
Das deutsche Engagement bei MONUSCO sei nicht so gut: Deutschland zahle wohl immerhin 100 Mio. US-$. Aber von den 1.400 internationalen zivilen Mitarbeitern seien gerade 11 Deutsche – das sei „marginalste Beteiligung“! Und bei Polizei und Militär gebe es keinen einzigen Deutschen. (Bei der 41-köpfigen europäischen Mission „EUSEC RD Congo“ sind drei Bundeswehrsoldaten als Berater eingesetzt. Vgl. „Y“ 2/2014)
Er habe einige Reden von der Münchner Sicherheitskonferenz gelesen. Was bedeute das für Afrika, für die UN?
Jetzt bestehe die Chance, den Zyklus der Gewalt zu durchbrechen. Das wäre auch eine Art Konfliktprävention. Die Rahmenbedingungen seien zzt. ganz gut. Warum nicht auch ein paar deutsche Peacekeeper? „Deutschland kann hier mehr tun!“
Aussprache
Kommentar von Dagmar Dehmer/Tagesspiegel (gerade aus Ruanda zurück; vgl. ihre Ruanda-Tagebücher www.tagesspiegel.de ): Von der Struktur her habe sich nicht viel geändert. In Kinshasa gebe es wenig politischen Willen, staatliche Strukturen aufzubauen. Weiterhin profitieren zu viele von Instabilität im Ostkongo.
In Ruanda gebe es einen Unwillen, sich mit der Konfliktgeschichte zu beschäftigen.
Vor zwanzig Jahren habe es in Deutschland praktisch keine Berichterstattung zum Genozid in Ruanda gegeben. Die begann erst mit der Flüchtlingskatastrophe. Eine ehrliche Konfliktaufarbeitung müsse zumindest in der Zivilgesellschaft stattfinden.
Im allgemeinen Irrsinn versucht MONUSCO den bewaffneten Kampf zu überwinden, der für manche aber die einzige Jobchance ist.
Die DD&R-Defizite seien traditionell.
In der deutschen Öffentlichkeit herrsche eine große Unlust, sich mit Details zu beschäftigen.
Das neue deutsche Afrika-Engagement sei aus Verbündeten-Loyalität gegenüber Frankreich erwachsen – und nicht aus Einsicht in die außen- und sicherheitspolitische und humanitäre Dringlichkeit der Konflikte südlich der Sahara.
Martin Kobler: In den befreiten Gebieten sei er in die Schulen und Gefängnisse gegangen. Alle Leute sagen, sie wollten Frieden, Landwirtschaft betreiben.
Bemerkenswert sei, wie sehr doch kongolesischen Armee und Polizei als Sicherheitsgaranten gesehen werden. Mit der Polizei laufe es am besten, weniger mit der Justiz. Die Armee sei am schwierigsten.
Die bewaffneten Gruppen seien weitgehend kriminell und menschenverachtend mit ihren Kindersoldaten. Eltern werden vor den Augen der Kinder erschossen, um ihnen den Rückzug nach zuhause abzuschneiden. Hier werde Verzweiflung als Kriegsmittel eingesetzt.
SSR sei eine Frage des politischen Willens. Auch EUSEC habe diese Aufgabe vernachlässigt. Bei MONUSCO habe er die „Einheit“ SSR mit einer (!) Person übernommen. Er selbst habe die Koordination auf den Feldern SSR, DDR und Wahlen übernommen.
Zur Interventionsbrigade: Das Mandat war eigentlich immer dasselbe (Schutz der Zivilbevölkerung). Auch die Blauhelme hätten kämpfen können. Es sei vor allem eine Mentalitätsfrage: Die traditionellen Blauhelme müssten an die Mentalität und den Auftrag der Interventionsbrigade angepasst werden. Schluss sein müsse mit der früher praktizierten Kohabitation mit bewaffneten Gruppen.
Alle MONUSCO-Kräfte, die nicht direkt in der Hauptstadt gebraucht würden (z.B. Force-Headquarter, Nachrichtendienstler), würden in den Osten verlegt.
FDLR: Diese sei für Ruanda wohl keine militärische, aber eine mentale Bedrohung. Die Bekämpfung der FDLR habe für MONUSCO jetzt erste Priorität. Aber die FDLR sage, sie wolle nicht kämpfen. Wer sich mit seinen kleinen Einheiten nicht dem Kampf stelle, sei schwierig zu bekämpfen. MONUSCO versuche zuerst immer den friedlichen Weg: Abgabe von Waffen, Repatriierung nach Ruanda, die Führer auf Grundlage der internationalen Haftbefehle nach Den Haag. Aber die Bekämpfung der FDLR sei schwieriger als die der M23 und weniger spektakulär.
Ganzheitlicher Ansatz: Falsch sei eine Diskussion, die nur um die Interventionsbrigade kreise. Man dürfe die Dinge nicht isoliert betrachten! Clear, Hold, Build gehören zusammen. Hier sei die Internationale Gemeinschaft gefordert!
Zugleich dürfe man das Unternehmen nicht überambitioniert angehen. Bisher gebe es nur drei, vier „Inseln der Stabilität“. Jede einzelne Initiative sei extrem wichtig.
Die Schulen laufen schnell wieder an.
Vorletzte Woche war er noch in einem gerade überfallenen Dorf in Katanga. Dort habe er in die Augen Hunderter massenvergewaltigter Frauen gesehen. Diese Menschen haben Einsatz und Unterstützung verdient! (Über 600 Hütten in elf Dörfern wurden seit Oktober im „Dreieck des Todes“ zwischen Pweto, Mitwaba und Manono in Katanga zerstört, meistens bei Angriffen der Mayi-Mayi- und der Bakata-Katanga-Milizen. In Katanga gibt es insgesamt mehr als 400.000 Vertriebene; seit Oktober 2012 wurden lt. UNICEF 2.000 Kinder zwischen 7 und 17 Jahren als Kindersoldaten rekrutiert. In der Provinz sind nur 400 Blauhelm-Soldaten aus Benin stationiert. Angesichts der „humanitären Katastrophe“ kündigte Kobler Verstärkung durch die Interventionsbrigade an.)
Mit den „Inseln der Stabilität“ laufe es zufriedenstellend. Auch in 2014 soll ein Roll-Back verhindert werden. Inzwischen seien 15.000 Binnenvertrieben zurück. Am 13. Januar gab es wieder einen Angriff auf Pinga in Nord-Kivu. Jetzt verteidigte auch eine Blauhelm-Kompanie. Es wird gehalten, auch mit Verlusten. Er habe aber Sorge, was in sechs, neun Monaten sei, wenn internationale Unterstützung womöglich ausbleibe.
(Eine erste „Insel der Stabilität“ liegt im Raum Kiwanja – Rutshuru – 30 km2 -, die zweite um Pinga.)
Amani-Festival in Goma: Vom 14. bis 16. Februar fand im College Mwanga in Goma das Amani(= Frieden)-Festival mit internationalen, regionalen und lokalen Musikern statt. Damit dort Jugendliche aus Ruanda mitfeiern und –tanzen konnten, habe man mit Ruanda eine Grenzöffnung nach 18.00 Uhr verhandelt. Das sei Völkerverständigung!
(Unter der Losung „Playing for Change – Singing for Peace“ kamen 20.000 Besucher zu dem ersten Festival dieser Art in der Region zusammen. Auf der Bühne u.a. Lexxus Legal, ausgezeichnet als bester Hip-Hopper Afrikas, und Lokua Kanza, der mit Peter Maffay durch Deutschland tourte. Verschiedene Organisationen und NGO`s konnten ihre Arbeit präsentieren. Am 19.2.2014 erschien in der SZ ein Bericht von Judith Raupp: „Super cool – Ein Musikfestival im Ostkongo, einer Gegend, die seit dem Genozid in Ruanda nicht zur Ruhe kommt. Kann das gutgehen? - Ja!“Am 18.8.2013 hatte J. Raupp in einer ganzseitigen SZ-Reportage über den Teufelskreis aus Gewalt und Resignation berichtet: „Agathas zerbrochener Traum“. Medienberichte, Videos, Fotos unter www.amanifestival.com/en/2014-edition , offizieller Trailer www.youtube.com/watch?v=G8ItuFT4f84
Er beanspruche, realistisch zu sein. Jetzt gebe es eine wirkliche Chance. Die gelte es zu nutzen. „Ich will es wenigstens versucht haben.“
Wenn „Verantwortung“ mit UN-Engagement verbunden würden, dann wäre das ein Schirm. Es brauche „frisches UN-Engagement!“
Amnestie sei möglich für Akte der Rebellion, nicht aber für Vergewaltigungen und den Einsatz von Kindersoldaten.
Ein Kongolese berichtet von seinem kürzlichen Besuch in der Heimat: Alle sagen: gut, dass MONUSCO in den Osten gehe, dass mit Kobler endlich einer mal was mache. Bisher hätte die UN eine schlechte Reputation gehabt, habe nichts für die Bevölkerung getan, aber gut verdient.
Kommentar:
(1) Rückblick: Im Kontext der EU-Wahlabsicherungsmission EUFOR DRK 2006 packte mich „der Kongo“. Im April 2006 besuchte ich zusammen mit Hans-Christian Ströbele Kinshasa, um Bedarf, Risiken und Chancen einer EU-Mission zu erkunden. Wir erlebten eine bewundernswert vitale Zivilgesellschaft und die Kulissen eines kaputten Staates. Ende 2006 musste ich ernüchtert feststellen, dass die deutsche politische Zuwendung zum Kongo nicht ernst gemeint war. Mit einer Delegation der SADC-Parlamentariergruppe besuchte ich im April 2008 erstmalig Bukavu und Goma im Ost-Kongo. In meinem Reisebericht „Kongo im 2. Jahr nach der Wahl: Wenige Fortschritte, viel Stagnation, Höllen auf Erden“ schrieb ich:
„Im Wahljahr 2006 fand der Friedensprozess im Kongo hierzulande zu Recht breite Aufmerksamkeit und Unterstützung. Die in Deutschland zugleich umstrittene EU-Mission EUFOR konnte im Verbund mit MONUC die erheblichen Sicherheitsrisiken der Wahlen im Zaum halten und hat ihren begrenzten Auftrag erfolgreich gemeistert. Die Chancen des Wahlprozesses wurden hingegen kaum genutzt, die an die Wahlen geknüpften Hoffnungen wurden breit enttäuscht. Die Lebensbedingungen haben sich nicht gebessert. In der Politik überwiegt Stagnation. Die humanitäre Lage im Ostkongo und insbesondere der sexuelle Terrorismus schreien gen Himmel.
Die (richtigen) großen Worte der Bundesregierung zur zentralen Rolle des Wahlprozesses und seiner Absicherung durch EUFOR wurden nachträglich entwertet und unglaubwürdig, seitdem in Berlin die fristgemäße Beendigung des Bundeswehreinsatzes als d e r Erfolg gefeiert wird und das Interesse und Engagement gegenüber der DRK wieder auf das Vorwahlniveau schrumpfte.
Der Verdacht, der Kongo-Einsatz der Bundeswehr sei ein Türöffner für deutsche imperialistische Interessen im rohstoffreichen Kongo, bestätigte sich nicht, im Gegenteil. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass die Bundesregierung sich aus den internationalen Bemühungen zur Stabilisierung und Konfliktlösung im Kongo davonschleicht und sich mit dem – guten – entwicklungspolitischen Engagement deutscher Organisationen und ihrer Partner bescheidet. Die deutsche Beteiligung an EUFOR war auf Ebene der Bundesregierung offenbar in erster Linie durch EU-Loyalität motiviert – und nicht durch ein ehrliches Interesse an einem nachhaltigen Friedensprozess im Kongo, von einer strategischen Einbettung ganz zu schweigen.
Es ist ein Gebot der Responsibility to Protect wie des europäischen Interesses an einem friedlichen Nachbarkontinent Afrika, dass die Staaten endlich einmütig, energisch und praktisch den Gewaltakteuren und –strukturen in Ostkongo und der Region entgegentreten. Dazu gehört,
- dass die Bundesregierung das friedensstörende Wirken führender FDLR-Vertreter in Deutschland unterbindet;
- nicht bei der Scheckbuchdiplomatie gegenüber MONUC und der Sicherheitssektorreform stehenzubleiben, sondern endlich auch personell zu ihrer Stärkung beizutragen;
- im Rahmen der internationalen Gemeinschaft zur Verbesserung der Grenzüberwachung und des Zollwesens sowie einer lückenlosen Zertifizierung ostkongolesischer Rohstoffe beizutragen;
- das Engagement für eine forcierte Rehabilitierung der Verkehrswege als Lebensadern für die Menschen im Ostkongo und die sofortige Freigabe der Gelder des „Friedensfonds“ des BMZ.
Die Stabilisierung und Friedensförderung der DRK darf nicht nur Sache bewundernswerter entwicklungspolitischer Akteure und Maßnahmen sein. Sie muss auch wieder ein Thema deutscher Außen- und Sicherheitspolitik sein. (…)“ (Der Reisebericht unter www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&catid=131&aid=702 ; SZ 24.5.2008 „Unvorstellbare Grausamkeiten“)
(2) Inseln der Hoffnung: Mit dem Abkommen von Addis Abeba und dem konsequenten Einsatz von MONUSCO zum Schutz der terrorisierten Zivilbevölkerung bestehen Chancen auf Befreiung von Plünderung, Vergewaltigung, Krieg, besteht Chance auf Frieden. Schon für sein erstes halbes Jahr an der Spitze von MONUSCO verdient Martin Kobler hohe Anerkennung – und vor allem beste Unterstützung! (Ausführlich zu ihm im Spiegel 46/2013 „Martin Koblers Krieg“ www.spiegel.de/spiegel/print/d-120780557 und Deutsche Welle www.dw.de/kongo-ein-deutscher-pazifist-im-kampf-gegen-die-milizen/a-17326646 ) Im Rahmen des Landesprogramms zur „langfristigen Friedenssicherung und Konfliktprävention“ von Brot-für-die-Welt – Evangelischer Entwicklungsdienst arbeiteten Ende 2013 fünf Friedensfachkräfte in der DRK, unter ihnen auch Judith Raupp (s.o.) bei HEAL Africa in Goma. (www.ziviler-friedensdienst.org/de/projekt/eed-kongo )
(3) Kohärente Führung: Zentral ist der Hinweis Koblers auf das voll abgestimmte und funktionierende internationale Konfliktmanagement. Eine solche Spitzen-Kohärenz ist die erste Voraussetzung, dass internationales Krisenmanagement überhaupt Aussicht auf Erfolg haben kann.
Die Führung der Mission selbst erfolgt aus der einen Hand des SRSG. Bei allen Kriseneinsätzen, an denen Deutschland mit größeren Kontingenten beteiligt war (SFOR, KFOR, ISAF), gab es immer ein mehr oder vor allem weniger geklärtes Nebeneinander von militärischer und politischer Führung. Wichtig zu erfahren wäre, wie sehr die potenzielle Führungskohärenz bei MONUSCO durch den Sicherheitsrat einerseits und die Truppenstellernationen andererseits relativiert, vielleicht sogar konterkariert wird.
(4) Militärische Wirksamkeit: Wie konnte es gelingen, in einem solchen Umfeld die M23 mit kongolesischer Armee und „nur“ 3.000 Soldaten der Interventionsbrigade wirksam zu bekämpfen? Wieweit spielte dabei auch eine relativ geringe Kampfkraft, -motivation und Verankerung der M23 eine Rolle?
(5) Zivil-militärische Ungleichzeitigkeiten: Ein Kernproblem in solchen Konfliktszenarien ist immer wieder der „Scheibenwischereffekt“: Bewaffnete Gruppen werden aus einem Gebiet vertrieben – und kehren zurück, wenn die Hold-Maßnahmen und –Kräfte auf sich warten lassen und die Clear-Kräfte wieder abziehen. Der Aufbau effektiver + legitimer Staatlichkeit dauert immer beträchtlich länger und ist viel komplizierter. Er kann nicht von außen implantiert werden. Erfolgreiche Militäroperationen können ihre Ziele innerhalb von Tagen und Wochen erreichen. Aufbau“operationen“ hingegen brauchen Monate, Jahre, z.T. Jahrzehnte. (Vgl. die Erfahrungswerte im World Development Report der Weltbank von 2012) Beim (Wieder-)Aufbau lokal orientiert zu powern, ist da eine unbedingt notwendige – allerdings nicht hinreichende – Bedingung.
(6) Lackmustest auf (Schutz-)Verantwortung: Der Kongo ist seit Jahren ein Beispiel dafür, wie wenig bisher die Schutzverantwortung gegenüber schwersten Massenverbrechen in der deutschen und europäischen Politik angekommen war.
Mit der Münchener Rede von Bundespräsidenten Gauck, mit den Reden von Außenminister Steinmeier, mit dem Papier „Neue Macht – Neue Verantwortung“ von SWP und GMF hat die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik einen neuen „Verantwortungs-Schub“ erhalten. Wie ich die Texte gelesen habe und ihre Redner kenne, halte ich die Interpretation, hier werde vermehrten Militärinterventionen das Wort geredet, für falsch und eine Unterstellung.
Bundespräsident Gauck fragt:
„Tun wir, was wir tun könnten, um unsere Nachbarschaft zu stabilisieren, im Osten wie in Afrika? (…) Ja interessieren wir uns überhaupt für manche Weltgegenden so, wie es die Bedeutung dieser Länder verlangt? Welche Rolle wollen wir in den Krisen ferner Weltregionen spielen? Engagieren wir uns schon ausreichend dort, wo die Bundesrepublik eigene und eigens Kompetenz entwickelt hat – nämlich bei der Prävention von Konflikten?“ Selbstverständlich sollte es heute für Deutschland und seine Verbündeten sein, „Hilfe anderen nicht einfach zu versagen, wenn Menschenrechtsverletzungen in Völkermord, Kriegsverbrechen, ethnischen Säuberungen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit münden.“
Übernahme von mehr unternationaler Verantwortung durch Deutschland? Ein vermehrtes praktisch-personelles Engagement im Rahmen der Vereinten Nationen müsste da an vorderster Stelle stehen – jetzt mit mehr Zivilexperten, einigen Polizisten und einzelnen Peacekeepern auch für MONUSCO! Jetzt gibt es Chancen, die Höllen auf Erden im Ostkongo zurückzudrängen!
Wer von mehr Verantwortung spricht und Schutzverantwortung betont, kann sich gegenüber MONUSCO nicht mehr mit Scheckbuchdiplomatie begnügen.
(7) Westfälische Kirchenleitung in Ruanda und im Kongo: Während Martin Kobler in Berlin in vielen Gesprächsrunden um mehr Aufmerksamkeit und deutsches politisches Engagement für den Friedensprozess in der DRK und MONUSCO wirbt, bereist eine Delegation der Leitung der Evangelischen Kirche von Westfalen Ruanda und Ostkongo. Meike Friedrich, Superintendentin des Kirchenkreises Münster, und andere Mitglieder der Delegation berichten täglich anschaulich unter http://kirchenleitung-unterwegs.ekvw.de über Besuche in einem Flüchtlingslager, im Zentrum für Frauenarbeit, im evangelischen Ausbildungszentrum CAPA, beim Pole-Institut, bei MONUSCO, beim deutschen Botschafter in Kigali, in der nationalen Genozid-Gedenkstätte, in der protestantisch-ökumenischen Universität in Butare/Huye, über eine internationale Fachtagung über „Reconciliation and Sustainable Peace – Impulse of the theology of Dietrich Bonhoeffer for the European and African context“ in Kibuye/Ruanda.
Laut Pressemitteilung vom 28.2.2014 appellierten bei der Tagung „leitende Vertreter evangelischer Kirchen in Ruanda und Deutschland an die verantwortlichen Politiker (…), sich für eine friedliche Entwicklung im Ostkongo und den angrenzenden Ländern einzusetzen. Die internationale Gemeinschaft habe die Aufgabe, solche Bemühungen nach Kräften zu unterstützen.“
Im politischen Prozess kommt es darauf an, dass Kriegseindämmung und Friedensförderung in Ostkongo nicht allein Thema von Kirchen, humanitären und Entwicklungsorganisationen und NGO`s ist, sondern auch für die Außen- und Sicherheitspolitik zu einem dringenden Thema wird.
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: