Einsatzrückkehrer + Veteranen: Berichte und Stellungnahmen von W. Nachtwei seit 2004

Von: Nachtwei amSo, 24 Februar 2013 23:50:57 +01:00

Am 18. Februar 2013 führte die grüne Bundestagsfraktion das Fachgespräch "Rückkehr ohne Dank und Anerkennung? Erfahrungen ziviler und militärischer Kräfte nach dem Einsatz in Krisengebieten" im Bundestag durch. Moderiert von den MdB Agnieszka Brugger, Omid Nouripour und Tom Koenig nahmen vor ca. 70 TeilnehmerInnen nahmen folgende Sachverständige Stellung: Anja Seiffert (ZMSBw), Astrid Irrgang (ZIF), Andreas Timmermann-Levanas (Bund deutscher Veteranen), Jürgen Deile (Brot für die Welt, EED), Prof. Michael Daxner, Bodo von Borries (VENRO), Oberst Ulrich Kirsch (DBwV), Wolfgang Schmitt (GOPA Consultans). Zur Thematik Berichte und Stellungnahmen von mir seit 2004.



 

Berichte + Stellungnahmen zu Einsatzrückkehrern

von Winfried Nachtwei, MdB a.D., Ko-Vorsitzender Beirat

Zivile Krisenprävention beim AA, Mitglied im Beirat Innere Führung/BMVg, Vorstandsmitglied DGVN

(Die meisten Texte auch unter www.nachtwei.de; winfried@nachtwei.de)

Vorbemerkung:

Mit Rückkehrerinnen und Rückkehrern aus Krisen-/Friedenseinsätzen und der Entwicklungszusammenarbeit habe ich seit 1995 zu tun - mit Soldaten, Polizisten, Diplomaten, Entwicklungsexperten, Friedensfachkräften. Auch wenn genaue Zahlen zu den deutschen Einsatzrückkehrern der letzten zwanzig Jahre nicht vorliegen - die Größenordnung ist erheblich: eine sechsstellige Zahl von Soldaten, eine hohe vierstellige Zahl an Entwicklungshelfern (wohl fünfstellig unter Einbeziehung lokaler Mitarbeiter), eine vierstellige Zahl an Polizisten.

Klarstellung: Die Frauen und Männer wurden und werden entsandt im öffentlichen, demokratisch legitimierten Auftrag zur Sicherung + Förderung von Frieden + Entwicklung im Sinne der VN-Normen. Friedens- und Entwicklungseinsätze sind inzwischen immer multidimensional, sind angewiesen auf das bestmögliche Zusammenwirken verschiedener Akteure.

Wichtige Aspekte beim Umgang mit Einsatzrückkehrern sind

-       berufliche Wiedereingliederung;

-       Fürsorge, Versorgung, Betreuung im Schadensfall;

-       Integration, Aufmerksamkeit, Respekt, Anerkennung im unmittelbaren sozialen Umfeld und auf gesamtgesellschaftlicher ebene;

-       Nutzung der Erfahrungen/Kompetenzen der Einsatzrückkehrer - direkt für das Einsatzfeld, für friedens-, sicherheits- und entwicklungspolitische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, Chance zur Personalisierung und Konkretisierung heutiger Friedens- und Sicherheitspolitik, zum Sichtbarmachen von Chancen und better news gegen die Dominanz der bad news;

-       ihre Angehörigen;

-       Grundpflicht der politischen Auftraggeber zu klaren und erfüllbaren Aufträgen.

Es folgen Berichte und Stellungnahmen zum Thema Einsatzrückkehrer seit 2004. Die am Schluss aufgelisteten Reiseberichte gingen immer auch an Gesprächspartner in den Krisenregionen und an etliche Einsatzrückkehrer.

In der FAZ vom 21. Februar 2013 berichtet Johannes Leithäuser ausführlich vom Fachgespräch der Grünen: „Neue deutsche Veteranen", www.faz.net/aktuell/politik/ausland/asien/bundeswehr-neue-deutsche-veteranen-12088272.html )

 

(1)  10 Jahre ZIF Jubiläumsfeier: Bundesregierung ehrt erstmalig zivile Experten in Friedenseinsätzen, Vorschlag für einen Rückkehrertag (Bericht 5/2012)

Die Feier

Über 600 Menschen kamen am 24. Mai 2012 im Wasserwerk Berlin zusammen, um das zehnjährige Bestehen des Zentrum Internationale Friedenseinsätze ZIF zu feiern. (www.zif-berlin.org ) Es war ein herzliches Wiedersehen: von Hunderten, die nach ZIF-Trainings in Friedenseinsätzen und Wahlbeobachtermissionen rund um den Globus gearbeitet haben; von Kooperationspartnern aus Ministerien, Entwicklungszusammenarbeit, Bundeswehr, Friedensforschung, Polizei, aus UN, OSZE, EU; von Abgeordneten, von frühen Förderern, Unterstützern und vielen Sympathisanten. Gleichzeitige außenpolitische Debatten im Bundestag behindern eine größere Teilnahme von Abgeordneten. Der angekündigte Außenminister wird von Staatsminister Link vertreten.

Die Jubiläumsfeier bringt eine historische Premiere: Erstmalig werden Zivilexperten für ihren mindestens einjährigen Einsatz in Friedensmissionen offiziell durch die Bundesregierung und das ZIF mit einer Urkunde geehrt. Die Bundesrepublik Deutschland verlieh schon Tausende Orden und Ehrenzeichen an Soldaten und Polizisten für ihre Beteiligung an Einsätzen. Zivile Experten in Friedensmissionen erhalten heute erstmalig eine offizielle Anerkennung.

Leistungen für Friedenseinsätze

Das ZIF praktiziert erfolgreich einen integrierten Ansatz von Training, Human Ressources und Analyse. Getragen wird die Arbeit von knapp 40 MitarbeiterInnen, die Hälfte davon befristet in Projekten. In der weltweiten Community der Ausbildungsstätten für Peacekeeping und Peacebuilding ist das ZIF als führend anerkannt. In Deutschland kooperiert das ZIF mit Ausbildungseinrichtungen der Polizei und der Bundeswehr.

ZIF-Direktorin Dr. Almut Wieland-Karimi erinnert in ihrer Begrüßung daran, dass der Erfolg des von einer „Koalition der Willigen" gegründeten ZIF keineswegs garantiert gewesen sei. Bis heute habe Friedensarbeit mit ihrer mangelnden Sichtbarkeit zu kämpfen. Verhütete Konflikte sind „unsichtbare Erfolge".

Beeindruckend sind nichts desto weniger einige Leistungszahlen: Das ZIF trainierte bisher ca. 2.300 ExpertInnen, zu 44% Frauen und ca. ein Drittel Internationale. Der ZIF-Expertenpool umfasst inzwischen über 1.200 Fachkräfte. Gegenwärtig nehmen über 200 vom ZIF vermittelte ExpertInnen an internationalen Friedenseinsätzen teil. Insgesamt nominierte das ZIF 3.250 WahlbeobachterInnen vor allem für Missionen der OSZE, aber auch der EU.

(Sehr hilfreich, weil informationsdicht, praxisnah und kompakt sind die ZIF-Analysen. Die After Work Briefings des ZIF am Ludwigkirchplatz habe ich immer wieder als einen Ort besonders offener, praxisnaher und vielseitiger Berichterstattung und Auswertung von internationalen Einsätzen erfahren.)

In Videobeiträgen und Interviews wird die Arbeit einzelne Zivilexperten anschaulich und persönlich: aus Haiti, Georgien, Usbekistan, Kosovo, Irak, Tadschikistan und Afghanistan.

Einsatzbereiche der Zivilexperten

Wahlen, Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, Verwaltungs- und Regierungsaufbau, Aufbau unabhängiger Medien, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, politische Analyse und Beratung, Versöhnung und Vermittlung, Missionsaufbau und Management, Humanitäre Hilfe und Flüchtlingsarbeit, Entwaffnung, Demobilisierung und Reintegration, Beobachtung und Verifikation, Infrastruktur und Wirtschaft.

Qualitatives Wachstum

Zahl und Zusammensetzung der Jubiläumsgäste machen deutlich, wie kräftig und gut das ZIF in seinen ersten zehn Jahren gewachsen und wie hoch geschätzt es bei allen ist, die ihm einmal begegnet sind.

Von Anfang an hatte das ZIF international in der UN-Gemeinde einen hervorragenden Ruf, befördert vom ZIF-Gründungsdirektor Dr. Winrich Kühne, dem deutschen „Mr. Peacekeeping", und ausgebaut von Dr. Almut Wieland-Karimi als der jetzigen Direktorin.

Heute erfährt das ZIF überzeugtes Lob von AA-Staatsminister Michael Georg Link als Festredner (www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Friedenspolitik/Krisenpraevention/Aktuelles/120522_10-Jahre-Zif.html )wie von MdB Joachim Spatz, dem Vorsitzenden des Unterausschusses „Zivile Krisenprävention und Vernetzte Sicherheit". Wie sich die Zeiten manchmal auch zum Guten ändern. In der Gründungsphase des ZIF hatte Ulrich Irmer, damals außenpolitischer Sprecher der FDP, nur Hohn und Spott übrig für „eine Art Heilsarmee von Gutmenschen und Fernethikern, die, mit guten Ratschlägen bewaffnet, auf diversen Kontinenten zwischen die Kampfhähne laufen und dort für Friede, Freude, Eicherkuchen sorgen sollen". (9.11.2000 im Bundestag)

Umso erfreulicher ist, dass solche Äußerungen lange vorbei sind, dass das ZIF von Anfang an durch Leistung überzeugen konnte und fraktionsübergreifend unterstützt wird.

Grußworte kommen von Bundespräsident Gauck, von den Vorsitzenden des Unterausschusses Zivile Krisenprävention, Joachim Spatz und Kerstin Müller, von Vertretern der OSZE, UN, EU, dem Kofi Annan Peacekeeping Center in Ghana.

Seit 1994 habe ich im Bundestag den zähen Kampf für die Stärkung ziviler Konfliktbearbeitung mitgemacht. Ich erinnere mich deutlich an einen regelrechten friedenspolitischen Analphabetismus damals, an viel Militärfixiertheit in Zivil - und an freundliches Desinteresse gegenüber einem Ansatz, gegen den man gar nicht sein kann. Vor diesem Hintergrund bin ich froh, ja beschwingt, was die ZIF-Gemeinde im Laufe der Jahre geschafft hat. Schön, dass etliche Mütter, Väter und Geburtshelfer des ZIF da sind: neben Winrich Kühne Ludger Volmer (Staatsminister a.D.), Ralf Horlemann (AA-Referat VN-02), MdB Uta Zapf, MdB Gernot Erler, Wilhelm Höynck (Ex-Botschafter. erster OSZE-Generalsekretär), Martina Fischer (Friedensforscherin).

Schade nur,

dass eine Tradition ungebrochen bleibt: Das äußerst magere Interesse der Tagespresse und auch der meisten außen- und sicherheitspolitischen Journalisten an den zivilen Säulen internationaler Friedenseinsätze. Einzig Sabine Matthay (vormals ARD-Hörfunkkorrespondentin in Neu-Dehli) berichtet am Folgetag im RBB-Inforadio über die Jubiläumsfeier. Das war vor zehn, zwölf Jahren so, das ist -trotz aller, auf vermehrte zivile Fähigkeiten drängenden Einsatzerfahrungen - heute fast noch genauso.

Hätte der - erfreulicherweise anwesende - Wehrbeauftragte irgendwelche Materialmängel in Afghanistan beklagt - das wäre durch die Medien gegangen. Der friedens- und sicherheitspolitische Qualitätssprung, den 10 Jahre ZIF bedeuten, scheinen nicht der Rede wert zu sein. DOCH!

„Bunter" Veteranen/Rückkehrer-Tag am „International Day of UN-Peacekeepers" am 29. Mai?

Vor zehn Jahren rief die UN-Generalversammlung diesen Tag ins Leben zur Anerkennung für Soldaten, Polizisten und Zivilexperten in Friedenseinsätzen. (www.un.org/en/events/peacekeepersday/ 1988 erhielten die UN-Peacekeepers den Friedensnobelpreis.) ZIF-Direktorin Almut Wieland-Karimi greift in ihrer Begrüßung den Vorschlag von Verteidigungsminister de Maizière für einen Veteranentag auf und regt an, diesen 29. Mai zu einem Tag der Anerkennung für alle Frauen und Männer zu machen, die in Uniform oder Zivil in Friedenseinsätzen waren. Der Vorschlag verdient breite Diskussion und grundsätzlich Unterstützung.

Für den Vorschlag sprechen meiner Auffassung nach folgende Gründe:

-       Diejenigen, die im demokratisch legitimierten, öffentlichen Auftrag in Einsätze zur Friedenssicherung und Friedensentwicklung entsandt wurden, brauchen und verdienen öffentliche Aufmerksamkeit, Anerkennung und Unterstützung. Bisher erfahren sie meistens Desinteresse - die Polizisten und Zivilexperten übrigens noch mehr als die Soldaten. Der staatliche Auftraggeber (Bundesregierung und Bundestag) steht hier zumindest gegenüber den von ihm in einen Friedenseinsatz Entsandten in der Pflicht. MitarbeiterInnen von Durchführungsorganisationen der Entwicklungszusammenarbeit, von NGO`s und Hilfsorganisationen arbeiten wohl nicht im Rahmen internationaler Friedenseinsätze, aber in Krisenregionen an ihrer Seite für generell dieselben/ähnlichen Ziele und oft auch im öffentlichen Auftrag. Für sie könnte ein solcher Tag ein Angebot sein.

-       Die Realität von Friedenseinsätzen ist immer multinational und multidimensional (politisch-militärisch-zivil-polizeilich). Es geht um gemeinsame und umfassende Friedenssicherung. Der völkerrechtliche Legitimationsrahmen sind die Vereinten Nationen. Der International Day of UN-Peacekeepers ist das bestmögliche Datum und spricht am ehesten den Grundprinzipien von kollektiver, umfassender und gewaltvorbeugender Sicherheits- und Friedenspolitik.

-       Wo es um Aufmerksamkeit und Anerkennung von Politik und Gesellschaft für Veteranen bzw. Einsatz-RückkehrerInnen geht, sollte das nicht nur im Rahmen der jeweiligen Ressorts geschehen. (Rückkehrerappell bei Soldaten, Jahresempfang bei der Bundespolizei, nichts bisher bei Zivilexperten) Ein Tag der Anerkennung bloß für die soldatischen Veteranen hätte zur Folge, dass die polizeilichen und zivilen Rückkehrer noch mehr im Schatten öffentlicher Aufmerksamkeit stünden. Es wäre zugleich im Widerspruch zur Grunderfahrung aller internationaler Kriseneinsätze, dass hier Erfolg nur gemeinsam zu erreichen ist.

-       Auch wenn grundsätzlich bei der Krisenbewältigung zivile Mittel den Vorrang haben sollen, auch wenn die Unterschiede zwischen den Akteuren eines Friedenseinsatzes erheblich sind (freiwillige/befohlene Teilnahme, unterschiedliche Belastungen und Risiken, Image), so ist deshalb der eine nicht mehr wert als der andere. In Zeiten, wo die gesellschaftliche Aufmerksamkeit für Außen-, Sicherheits- und Friedenspolitik sowieso geringer geworden ist, wäre eine Konkurrenz der Rückkehrer um gesellschaftliche Aufmerksamkeit und Anerkennung unsinnig.

Probleme und erheblichen Diskussionsbedarf sehe ich insbesondere bei folgenden Punkten:

-       Staatliche Anerkennung und Ehrung ist symbolische Politik. Nach aller Erfahrung wird solche Symbolpolitik oft zur politischen Akzeptanzförderung umstrittener Politiken instrumentalisiert. Das damit einher gehende allseitige Schulterklopfen wirkt schnell als Beruhigungsmittel gegen Offenheit und kritische Selbstreflexion. Kurz: Symbolpolitik darf kein Ersatz sein für die Grundpflicht der Politik, sorgfältig, verantwortlich und ehrlich mit dem Mittel Friedenseinsatz umzugehen und alles dafür zu tun, dass sie Aussicht auf Erfolg (Friedenssicherung) haben.

-       Deutschland beteiligt sich am ausdrücklichen UN-Peacekeeping, an UN-geführten Missionen mit Personal nur minimal. Die Masse der militärischen und polizeilichen Kräfte ist in NATO und EU geführten, nur UN-mandatierten Missionen eingesetzt.

-       Offen ist, wieweit die verschiedenen Rückkehrergruppen einen Tag der Anerkennung wünschen und welche Art der Gestaltung - ob gemeinsam mit allen, jede Gruppe für sich? Hier wären unterschiedliche Formate vorstellbar, zentral und regional, lokal, gemeinsam und separat, rotierend über die Jahre mit unterschiedlichem Fokus.

-       Distanz bzw. Ablehnung ist von zwei Seiten zu erwarten: Einerseits von denjenigen auf der zivilen Seite, die Vernetzung und zivil-militärisches Zusammenwirken generell skeptisch sehen, bzw. prinzipiell ablehnen. Auf der militärischen Seite von denjenigen, für die Friedenseinsätze=Stabilisierungseinsätze seit Afghanistan obsolet sind und die sich nur noch als Kämpfer im Krieg verstehen. Gegenüber beiden Positionen ist die zentrale, eigenständige und bleibende Rolle von UN-Peacekeeping zu betonen - und dass in diesem Rahmen das Zusammenwirken von militärischen, zivilen und polizeilichen Komponenten unter dem Primat der Politik und bei gemeinsamen Zielen selbstverständlich ist. (Das gilt nicht für humanitäre und Hilfsorganisationen, für die Unabhängigkeit und Bevölkerungsorientierung essentiell sind. Sie arbeiten außerhalb von Friedensmissionen und oft in Gebieten ohne solche Missionen.)

 

 

(2) Brief an den Generalinspekteur der Bundeswehr Volker Wieker zum Ende des Bosnien-Einsatzes der Bundeswehr (3.Oktober 2012)

Sehr geehrter Herr Generalinspekteur,

am 27. September 2012 beendeten Oberstleutnant Markus Demann und Stabsfeldwebel Jörg Häck als letzte Bundeswehrsoldaten ihren Dienst bei der EU-Operation ALTHEA in Bosnien & Herzegowina. Damit endete nach 17 Jahren der erste große und längste Auslandseinsatz der Bundeswehr, der im Juli 1995 mit einem deutschen Kontingent bei UNPROFOR und im Dezember mit 2.600 Soldaten bei IFOR begann. Insgesamt kamen 63.500 Bundeswehrsoldaten zum Einsatz. 18 Soldaten verloren bei diesem Einsatz ihr Leben, keiner durch feindliche Einwirkung.

Dieser 27. September bietet Gelegenheit zur Rückerinnerung, zu Dankbarkeit und zu Lehren. Er sollte nicht in der alltäglichen Nachrichtenflut untergehen und zu einer Fußnote der Geschichte verkommen.

Herzlicher Dank: Zuerst will ich über Sie den vielen Tausenden Bundeswehrsoldaten danken, die im Rahmen von IFOR, SFOR und ALTHEA zum Einsatz kamen: Ihr Auftrag war, nach einem physisch und psychisch verheerenden Bürgerkrieg unter Nachbarn mit über 100.000 Todesopfern den Friedensvertrag von Dayton abzusichern, Rückfälle in den Krieg zu verhüten. Das haben sie zusammen mit Kameraden vieler anderer Nationen geschafft, mit hohem Einsatz und viel Klugheit. Sie haben damit der weiteren Ausbreitung der Kriegsseuche einen Riegel vorgeschoben, viele Menschenleben gerettet und menschliches Leid verhütet. Sie haben sich um die Menschen in Bosnien & Herzegowina, um Frieden und Sicherheit in Europa in hohem Maße verdient gemacht. Unter anderen Vorzeichen als zur Zeit des Ost-West-Konflikts haben sie sich im Einsatz im „Ernstfall Frieden" bewährt. Der Bosnieneinsatz war 180 Grad verschieden vom Krieg der Wehrmacht auf dem Balkan. Er war erfolgreiche und gewaltarme Friedenssicherung im Auftrag der UNO. Die Bundeswehrsoldaten können stolz auf ihren Einsatz sein!

In Bosnien & Herzegowina blieben ihnen Kampfeinsätze erspart. Den Bosnieneinsatz deshalb im Vergleich zum Afghanistaneinsatz weniger wert, gar gering zu schätzen, ist falsch und abwegig. Erfolgreiche Friedenssicherung in Europa und vor unserer Haustür - das ist eine Spitzenleistung.

Der Bosnieneinsatz war seit Jahren unspektakulär, war ein weitgehend „vergessener" Einsatz. Umso mehr verdienen seine Frauen und Männer Aufmerksamkeit, Anerkennung und Dank - von Seiten der Politik wie der Gesellschaft insgesamt.

Rückblick: Das alles sage ich als jemand, der anfänglich gegen diesen Einsatz war, der im Bundestag mehrfach gegen eine deutsche Beteiligung an IFOR/SFOR redete - mit auch aus heutiger Sicht keineswegs überholten Argumenten. Aber sehr deutlich erinnere ich mich an den Oktober 1996, als wir mit einer Delegation von grüner Fraktions- und Parteispitze Bosnien & Herzegowina besuchten und am Hang über Sarajevo standen: Hier realisierten wir, was wir eigentlich schon jahrelang über die Medien wussten - die gnadenlose Belagerung der Großstadt über drei Jahre, die Beschießung seiner Bewohner. Jetzt waren wir vor Ort: „Sarajevo auf dem Präsentierteller, wehrlos in der Mausefalle" (aus meinem Reisebericht von 1996). Hier gab es kein Ausweichen mehr vor der Einsicht, dass es Situationen gibt, wo Militär zum Schutz wehrloser Menschen vor massiver Gewalt notwendig ist. Zugleich begegnete uns mit IFOR eine andere Art von Militär: UNO-mandatiert mit dem Auftrag, Gewalt zu verhüten und einzudämmen - ein quasi polizeilicher Auftrag mit militärischen Mitteln. Wie erfolgreich IFOR/SFOR, dann ab 2004 ALTHEA, ihren Auftrag erfüllten, konnte ich bei Besuchen in den Folgejahren immer wieder beobachten. (Reden + Berichte zum Bosnieneinsatz 1995-1998 unter www.nachtwei.de/index.php/articles/1161 und 1162)

Lehren: Zugleich bekräftigte der Bosnieneinsatz die gerade Militärs vertraute Erfahrung, dass Streitkräfte entgegen einer verbreiteten Erwartung, sie könnten Konfliktknoten durchhauen, keineswegs politische Konflikte lösen und Frieden schaffen können. Hierfür sind andere, diplomatische, zivile, polizeiliche Akteure und Maßnahmen erforderlich - und vor allem die Bereitschaft der Konfliktparteien selbst.

Die Erfahrungen von Bosnien und 1998/1999 Kosovo waren der konkrete Hintergrund dafür, dass die rot-grüne Koalition das Zentrum Internationale Friedenseinsätze/ZIF, den Zivilen Friedensdienst und den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" auf den Weg brachte.

Die äußerst ernüchternde Erfahrung bis heute mit dem „eingefrorenen" Bosnienkonflikt und dem Wahnwitz eines im Entitätenproporz strukturierten „Staats"gebildes zeigen eindringlich, wie schwer innerstaatliche Konflikte zu lösen sind, wenn sie erst einmal im Krieg explodiert sind. Wo so tiefe Wunden geschlagen und Verfeindungen zementiert sind, kann die Internationale Gemeinschaft von außen keine schnelle Heilung bringen.

Mit anderen Worten: Wenn das Kind erst einmal in den Brunnen eines bewaffneten Konflikts gefallen ist, dann ist die Bergung ein mühsames Langzeitunternehmen ohne Erfolgsgarantie. Auch deshalb ist wirksamere Prävention so wichtig.

Chancen: Meiner Erfahrung nach bestehen in der deutschen Gesellschaft und Öffentlichkeit im Hinblick auf die Beteiligung an internationalen Krisenengagements erhebliche Unsicherheiten, viel Unkenntnis und Dissens. Der Abschluss des ersten großen Auslandseinsatzes der Bundeswehr wäre d i e  Gelegenheit, erstmalig die Wirksamkeit eines solchen Einsatzes systematisch und unter Beteiligung unabhängiger Expertise zu analysieren. Es wäre auch eine Chance, dem verbreiteten kurzen Gedächtnis entgegenzuwirken und den dominierenden Bad-News-Mechanismus zu durchbrechen.

Wo seit Jahren über das freundliche Desinteresse gegenüber den Bundeswehrsoldaten und ihren Einsatzleistungen geklagt wird (wo Polizisten wie Entwicklungshelfer dieses Desinteresse oft noch mehr erleben), wäre jetzt die Gelegenheit, denjenigen Soldaten, aber auch Polizisten und Zivilexperten öffentlichkeitswirksam zu danken, die in Bosnien im öffentlichen Auftrag eingesetzt waren. Ihr Engagement ist ein Licht, das nicht unter den Scheffel gehört!

Sehr geehrter Herr Generalinspekteur,

ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn der Inhalt dieses Schreibens auch an die Soldaten des letzten Kontingents sowie andere am deutschen ALTHEA-Einsatz Beteiligte übermittelt werden könnte.

(Anm.: In seinem Antwortschreiben teilte General Wieker mit, dass er das Schreiben gern an die Truppe weitergegeben habe. Es wurde auch unter www.morgenlage.de verbreitet.)

(3) Empfehlung des Beirats Innere Führung beim BMVg zu einsatzbedingten PTBS und anderen seelischen Verwundungen, Auszüge (erarbeitet von der AF „PTBS", Leiter W. Nachtwei), 30. März 2012

(...)

2. Fürsorgepflicht

Bundesregierung und Bundestag entsenden Bundeswehrangehörige in Auslandseinsätze, die mit besonderen Belastungen und Risiken verbunden sind. Diese schließen die Pflicht ein, ggfs. zur Durchsetzung des eigenen Auftrags Waffengewalt einzusetzen, zu kämpfen, zu töten und das eigene Leben einzusetzen. Wo der Staat von seinen Soldaten einen solchen existentiellen Einsatz fordert, ist er ihnen gegenüber zu besonders verlässlicher Fürsorge verpflichtet. In zurückliegenden Jahren erlebten viele, insbesondere ehemalige Soldaten allerdings eine Art staatlicher Fürsorge, die bürokratisiert und zersplittert und das Gegenteil von Hilfe in der Not war. Viele Selbsthilfegruppen sind gerade deshalb entstanden.

Die verlässliche Wahrnehmung der Fürsorgepflicht ist das staatliche Gegenstück zur Treuepflicht der Soldaten und ein Herzstück der Attraktivität des Dienstes in den Streitkräften.

Die Tatsache, dass Entwicklungshelferinnen und -helfer, Polizistinnen und Polizisten nicht durch Bundestagsbeschuss in Krisenregionen entsandt werden und in der Regel nicht mit solchen extremen Risiken wie Soldaten konfrontiert sind, darf nicht darüber hinweg täuschen, dass auch sie erheblichen Belastungen und manchen Risiken ausgesetzt sind. Es ändert nichts daran, dass für sie ebenfalls die staatliche Fürsorgeverpflichtung gilt. Sie muss für alle diejenigen gelten, die im öffentlichen Auftrag in Krisenregionen zum Einsatz kommen. Das schließt auch Zivilbeschäftigte von Privatfirmen ein, die für Bundeswehr und Durchführungsorganisationen der deutschen EZ dort arbeiten.

3. Psychische Auswirkungen von Auslandseinsätzen, Dimensionen

(a) Auslandseinsätze können sich je nach Einsatzart und individuellen Voraussetzungen psychisch sehr unterschiedlich auswirken. Zu Recht fand nach Jahren der Verdrängung und Beschönigung die PTBS-Problematik eine erhöhte Aufmerksamkeit. Verkürzt und falsch ist aber die verbreitete Wahrnehmung, Auslandseinsätze hätten generell verrohende bzw. beschädigende Wirkungen für die eingesetzten Soldaten.

Einsatzerfahrungen zeigen, dass ein nicht unerheblicher Teil der Soldaten an ihren belastenden und Grenzerfahrungen innerlich wachsen und reifen können. Zum Beispiel wird von Rückkehrern eine „vertiefte Wertschätzung von Sicherheit, materiellem Wohlstand und verlässlichen gesellschaftlichen Regeln" (Zimmermann: SOWI-Jahresschrift 2011) erlebt, eine Relativierung der Probleme einer Wohlstandsgesellschaft und größere Offenheit gegenüber den Nöten von Menschen in Krisen- und Armutsregionen. Solche seelischen Weiterentwicklungen sollten mehr wahrgenommen, wissenschaftlich erforscht und angesprochen werden.

(b) Einsatzbedingte psychische Störungen und Verwundungen beschränken sich nicht auf PTBS, die im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Andere Traumafolgeschäden wie Angststörungen, depressive und somatoforme Störungen und Erschöpfungssyndrome finden bisher kaum Beachtung.

Offenkundig und unstrittig ist, dass mit der Verschärfung des Afghanistaneinsatzes zu einem Kampfeinsatz in einem Guerillakriegsgebiet über die physischen Verwundungen hinaus vor allem die seelischen Verwundungen von Bundeswehrsoldaten stark zugenommen haben.

Die jährliche Zunahme an Soldaten in PTBS-Behandlung ist ein Hinweis auf die wachsende Bedeutung seelischer Verwundungen. Die tatsächliche Verbreitung seelischer Verwundungen unter (Ex-)Bundeswehrsoldaten wird damit aber keineswegs erfasst, erst Recht nicht ihre mögliche künftige Dimension.

- Die „PTBS-Dunkelzifferstudie" der TU Dresden (2011) ergab eine erstaunlich niedrige PTBS-Rate von 2% bei den im Rahmen von ISAF 2009 eingesetzten Bundeswehrsoldaten. Bei verbündeten Streitkräften liegen die PTBS-Raten bei 10-30%. Zugleich erbrachte die Studie einen erstaunlichen hohen Anteil von 24-28% Soldaten mit „sonstigen psychischen Belastungen". (in der Gesellschaft 30%) In absoluten Zahlen wären das ca. 60.000 Erkrankte! (Wieweit solche psychischen Erkrankungen die berufliche Funktionsfähigkeit beeinträchtigen, wird auch von den psychischen Ressourcen des Betroffenen und dem sozialen Kontext beeinflusst.) Die vergleichsweise gute Einsatzvorbereitung der Bundeswehr und kürzere Stehzeiten lassen niedrigere PTBS-Zahlen plausibel erscheinen. Zugleich ist aber vor einer vorschnellen, gar selbstzufriedenen Interpretation der zweifellos seriösen Studie zu warnen. Die Befragung von 2400 Soldatinnen und Soldaten mit und ohne Auslandseinsatz zu einem bestimmten Zeitpunkt konnte nicht diejenigen erfassen, bei denen die Schädigung später zum Ausbruch kommt und oft noch später erkannt wird. Angesichts von Latenzzeiten zwischen Monaten bis vielen Jahren wäre die Lebenszeitprävalenz (Krankheitsfälle bezogen auf die Lebenszeit) aussagekräftiger. Das Autorenpaar Tegtmeier (PTBS - Das unsichtbare Leid, 2011) hält für Deutschland auf die Dauer eine PTBS-Rate in der Größenordnung von 10% der Soldaten für realistisch. In absoluten Zahlen wären das um die 30.000 betroffene aktive und ausgeschiedene Soldaten.

Die Erfahrungen anderer Streitkräfte mit den psychischen Spätfolgen von Einsätzen geben Anlass zur Beunruhigung. (Beispiel Falklandkrieg vor 30 Jahren, wo auf Seiten der britischen Veteranen trotz günstig erscheinender Voraussetzungen seelische Verwundungen erst lange später zum Ausbruch kamen. Von ihnen nahmen sich über 300 das Leben - 255 waren im Krieg gefallen.) Angesichts der erheblichen, aber schwer prognostizierbaren Langzeitwirkung von einsatzbedingten psychischen Belastungen ist mit steigendem Handlungsbedarf zu rechnen!

Empfehlungen:

-       Dringend erforderlich ist ein realistisches Lagebild zum aktuellen Umfang von PTBS-Erkrankungen und anderen einsatzbedingten psychischen Störungen unter (Ex-)Soldaten und eine seriöse Abschätzung des wahrscheinlichen künftigen Umfangs von solchen Erkrankungen. Die Statistik des Sanitätsamtes zu psychischen Erkrankungen müssen erheblich verfeinert werden. Der Beauftragte PTBS hat hierzu differenzierende Kriterien entwickelt. Sie müssten durch Weisung an den Sanitätsdienst zur Geltung gebracht werden.

-       Umfang und Dunkelfeld psychischer Erkrankungen müssen kontinuierlich weiter erforscht werden, damit ein zu erwartender Bedarf an Therapie und Betreuung auch kapazitätsmäßig abgedeckt werden kann.

-       Vorsicht geboten ist vor einem inflationären Gebrauch des Begriffs PTBS. Stärker beachtet werden müssen die „sonstigen psychischen Belastungen" und die z.B. bei Afghanistan-Rückkehrern stark erhöhte Stressreabilität. (10% laut „Studie ISAF 2010")

-       Das Ernstnehmen der einsatzbedingten seelischen Verwundungen darf nicht zu einer unterschwelligen Pathologisierung der Rückkehrer, zu ihrer generellen Abstempelung als krank führen. Die vielfältigen, herausfordernden, bereichernden Erfahrungen und gewachsenen Potenziale von Rückkehrern brauchen ebenfalls Aufmerksamkeit, Anerkennung und Verbreitung.

-       Hilfreich und zu verstärken ist der Erfahrungsaustausch mit den Streitkräften anderer Länder, aber auch mit besonders gefährdeten Berufsgruppen im Inland. (Die PTBS-Rate bei Beschäftigten der Intensivpflege und Rettungsdienste liegt bei 40%!)

4. Prävention

Gegen seelische Verwundungen gibt es keine „Abhärtung" oder Immunisierung, auch nicht durch wiederholte Einsätze. Vielmehr summieren sich die Belastungen der einzelnen Einsätze, so dass die Belastungsgrenze letztlich überschritten wird und eine PTBS eintritt. Jeden kann es treffen. Nicht zu Unrecht werden posttraumatische Belastungsstörungen immer wieder auch als menschliche Reaktionen auf unmenschliche Vorfälle bezeichnet.

Der Waffeneinsatz durch Soldaten hat auch Rückwirkungen, kann ihn krank machen. Der auf Menschenwürde und universelle Menschenrechte verpflichtete Rechtsstaat darf seinen Soldaten die staatlich legitimierte Bereitschaft, ggfs. im Rahmen des Auftrags tödliche Gewalt einzusetzen, nicht dadurch erleichtern, dass ein todbringender Einsatz verklärt bzw. Gegner nicht mehr als Menschen gesehen werden.

Die Resilienz (psychische Widerstandskraft) wird stark beeinflusst von dem jeweiligen sozialen Zusammenhalt und Rückhalt, durch die Art der Führung und Kommunikation (Information, Transparenz), durch die Sinnhaftigkeit des Auftrags. Durch verschiedene Präventionsmaßnahmen kann die Resilienz gestärkt, können Fertigkeiten der Stressbewältigung, des Umgangs mit moralischen Dilemmata/Stress gefördert und damit das Risiko seelischer Verwundungen, insbesondere ihrer Chronifizierung reduziert werden. Wirksame Prävention senkt nicht zuletzt Folgekosten. (...)

5. Früherkennung, Diagnose und Therapie, Forschung (...)

6. Betreuung (...)

Ausgesprochen problematisch ist die Situation nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr für ehemalige Zeitsoldaten und Reservisten, unter ihnen besonders viele Mannschaftsdienstgrade mit relativ hoher Einsatz- und Kampfbelastung. Außerhalb ihrer Einheiten und militärischen Erfahrungsgemeinschaften sind sie     überwiegend sich selbst überlassen. Bekannt sind viele Fälle von seelisch Verwundeten, deren Lebens- und Arbeitsverhältnisse wegrutschten, die Odysseen zwischen zersplitterten Zuständigkeiten durchmachten. Wenn ehemalige Soldaten über belastende Einsatzerfahrungen an den Rand des wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Ruins geraten, ist das mit der staatlichen Fürsorgepflicht unvereinbar und ein politischer Skandal. Das Beispiel von US-Vietnamveteranen zeigt, wie menschliche Katastrophen auch soziale Brisanz entwickeln können: 50% der PTBS-Kranken waren mindestens einmal im Gefängnis.

Wie können diejenigen erreicht werden, die ihre seelischen Verwundungen nicht erkennen (wollen) oder verschweigen, die sich zurückziehen? Wie kann man sie erreichen, wie ein Monitoring gewährleisen? Wo Bundeswehr aus der Fläche verschwindet, alte Verbände oft nicht mehr existieren, gibt es keine staatliche Struktur, die für die Ehemaligen zuständig wäre und sich um sie kümmern würde.

Inzwischen gibt es eine Reihe von Selbsthilfegruppen, die einen Austausch unter Betroffenen ermöglichen und engagiert unmittelbare Unterstützung für Geschädigte und vom Gesamtsystem Enttäuschte leisten. Sie stabilisieren Einzelne, wirken als Verbindungsglieder in der Versorgungskette und förderten die öffentliche und politische Aufmerksamkeit für das Thema PTBS.

Ganzheitlich orientiert ist das ökumenische Seelsorgeprojekt der Evangelischen und Katholischen Militärseelsorge für Hinterbliebene, Einsatzbelastete und Einsatzgeschädigte, für ehemalige und im Einsatz erfahrene Bundeswehrangehörige, für zivile Fachkräfte sowie ihren Familien. Dieses Projekt spricht alle durch Einsätze Belastete, Erkrankte, Verwundete an.

Der Reservistenverband (VdRBw) ist - im Unterschied inzwischen zur Bundeswehr - flächendeckend aufgestellt. Laut Konzeption der Reserve vom 1.2.2012 ist seine Aufgabe u.a. „die aus dem aktiven Dienst ausgeschiedenen Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr (...) zu betreuen." Der VdRBw will ausdrücklich den Dienstherrn bei der Wahrnehmung seiner Fürsorgepflicht unterstützen. Er ermöglicht niedrigschwellige Hilfe vor allem auf der Ebene der Kameradenhilfe, will in den Reservistenkameradschaften Achtsamkeit fördern, Runde Tische einrichten und bundesweit zu Sensibilisierung, Mobilisierung und Qualifizierung beitragen. Qualifizierte Reservisten wirken mit bei psychosozialen Netzwerken, Familienbetreuungszentren und Selbsthilfegruppen. Gleichzeitig besteht allerdings die Problematik, dass auch der Reservistenverband nur einen Teil der ausgeschiedenen Soldaten erreicht und nicht über die Möglichkeiten zur Einwirkung auf die soziale Versorgung außerhalb der Bundeswehr hat. Hier sind vor allem auch die Träger der Selbstverwaltung gefragt.

Empfehlungen (...)

7. Versorgung (...)

8. Politik und Gesellschaft, Schlussfolgerungen zur Weiterentwicklung der Inneren Führung

Neben der Schwere traumatischer Ereignisse sind vor allem die Sinnhaftigkeit eines Einsatzes auf der Makro- und Mikroebene und die soziale Integration (im Einsatz, in der Heimat) Faktoren, die das Risiko und die Schwere seelischer Verwundungen und Heilungschancen maßgeblich beeinflussen.

Im Vergleich zu den Zeiten des Ost-West-Konfliktes mit seinem klaren Verteidigungs- und Abschreckungsauftrag sind mit dem erweiterten Bundeswehrauftrag (Unterstützung internationaler Krisenbewältigung) die Anforderungen an die politische und militärische Führung gestiegen und komplexer geworden. Dasselbe gilt für die Soldaten als Staatsbürger in Uniform. Angesichts der Unübersichtlichkeit und Komplexität sicherheitspolitischer Risiken und des Rückzugs von Bundeswehr aus der Fläche sind zugleich in der Gesellschaft das Interesse an sicherheitspolitischen Fragen und persönliche Erfahrungen mit Bundeswehr stark zurückgegangen

Der Anspruch der Inneren Führung ist, dass Soldaten der Bundeswehr insgesamt aus Überzeugung gehorchen können. Jeder Einsatz muss für sich und immer wieder begründet werden.

Empfehlungen

(a) Der Auftrag: Grundpflicht des Auftraggebers Politik (Bundesregierung und Bundestag) ist,

- dass die jeweiligen Einsatzaufträge nicht nur rechtmäßig und sicherheitspolitisch notwendig, sondern auch klar, erfüllbar und sinnvoll sind und mit der notwendigen Mittelausstattung einhergehen;

- dass die jeweiligen Aufträge, die Einsatzrealitäten und Einsatzwirkungen ehrlich und überzeugend in der Öffentlichkeit kommuniziert werden,

- dass die Politik generell verantwortungsvoll und zurückhaltend mit dem Einsatz militärischer Gewalt umgeht und sich immer bewusst bleibt, was er seinen entsandten Soldaten an Folgen für ihr und ihrer Angehörigen Leben abverlangen kann.

Die Erfüllung dieser Grundpflicht ist für die Einsatzmotivation, die Staatsbürger in Uniform generell und ihren gesellschaftlichen Rückhalt von elementarer Bedeutung. Das heißt zugleich: Ein unverantwortlicher Einsatz könnte keinen gesellschaftlichen Rückhalt erwarten und würde die Einsatzmotivation beschädigen. (Nach verbreiteter Wahrnehmung wurde die Führungsaufgabe „klarer und überzeugender Auftrag" und „ehrliche Kommunikation" zu oft nur unzureichend wahrgenommen.)

(b) Erfahrene Sinnhaftigkeit eines Einsatzes: Dazu gehören neben der überzeugenden sicherheitspolitischen Begründung seine Erfolgschancen und eine erkennbare Auftragserfüllung. Das braucht nüchterne und umfassende Bilanzierungen, wie sie mit dem „Fortschrittsbericht Afghanistan der Bundesregierung" inzwischen versucht werden. Vor Ort im Einsatz wären organisierte Blicke über den Tellerrand sinnvoll. Zum vernetzten Ansatz gehört zuerst Erfahrungsaustausch. Zum Beispiel könnten langjährige EZ-Mitarbeiter regelmäßig in den Einheiten eines Kontingents aus der Praxis von Aufbau und Entwicklung, von Zielen, Fortschritten, Rückschlägen, von ermutigenden und ernüchternden Erfahrungen berichten. Bisher erfährt und sieht ein Großteil der Soldaten nicht, was von zivilen und polizeilichen deutschen Entsandten vor Ort geleistet wird.

(c) Gesellschaftlicher Rückhalt: Soldaten werden demokratisch legitimiert in Einsätze zur internationalen Krisenbewältigung entsandt. Unabhängig von der Strittigkeit einzelner Einsätze haben sie deshalb Anspruch auf öffentliche Aufmerksamkeit, Anerkennung und Unterstützung auch durch die Gesellschaft. Ein bloßes „freundliches Desinteresse", gar eine Haltung „das sind Profis, also sollen sie allein die Folgen tragen" bricht mit der bundesdeutschen Verankerung der Streitkräfte in den demokratischen Rechtsstaat und macht Staatsbürger in Uniform unterschwellig zu Söldnern. Hier können und sollten Parteien, Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände, Kirchen, Sportverbände und andere wichtige Beiträge leisten. Der „Runde Tisch - Solidarität mit Soldaten" hat hier vorbildliche Anstöße gegeben. Angeregt wird, dass seitens des BMVg alle relevanten gesellschaftlichen Gruppen angesprochen werden.

(d) Sicherheits- und friedenspolitischer Konsens: Der gesellschaftliche Rückhalt für die Soldaten im Auslandseinsatz, für Rückkehrer und  Verwundete ist auch abhängig davon, wieweit Friedens- und Sicherheitspolitik überhaupt ein Thema mit gesellschaftlicher Akzeptanz und mehrheitlichem Konsens ist. Hierfür ist die Förderung von sicherheitspolitischer Debatte und Verständigung essentiell. Ohne Initiativen und eine Ermutigungskultur auf Seiten der politischen Führung, wird es kaum die breite Debatte geben, die wohl seit Jahren beschworen, aber nie zustande gebracht wurde. Gerade Einsatzerfahrene können anschaulich und überzeugend zu sicherheits- und friedenspolitischer Aufmerksamkeit und Bildung in der Gesellschaft beitragen. Man darf sie nur nicht dabei behindern, sondern sollte sie dabei unterstützen. Wo es um die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Bürgerinnen und Bürger angesichts globalisierter Risiken geht, da steht aber auch die politische Klasse insgesamt in der Verantwortung, zur sicherheits- und friedenspolitischen Konsensbildung beizutragen.

(e) Gemeinschaftsaufgabe: Internationale Krisenbewältigung ist in der heutigen Realität nie eine separate militärische Aufgabe, sondern immer multidimensional: eine Gemeinschaftsaufgabe von politischen, militärischen, zivilen und polizeilichen Akteuren. Bei aller Arbeitsteilung und besonderen Risiken von Soldaten sollten die Belastungen der anderen Partner im Einsatz mitberücksichtigt werden. Wo militärisches, ziviles und polizeiliches Personal im öffentlichen Auftrag in Krisenregionen entsandt werden, sind Prävention, Betreuung, Behandlung und Versorgung Aufgaben, die vermehrt ressortübergreifend angegangen werden sollten - beginnend bei einem regelmäßigen Erfahrungsaustausch.

 

(4) Stellungnahme zum Interfraktionellen Fragenkatalog zur öffentlichen Anhörung „Kriterien der Bewertung des Afghanistan-Einsatzes" des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages (23. November 2010)

(...)

Abschließende Bemerkung:

Wer Afghanistan besucht, kommt immer wieder mit gespaltenen Eindrücken zurück.

Deprimierend ist meist das, was man zum politischen Prozess, auch zur Verschärfung der Sicherheitslage erfährt.

Motivierend hingegen sind immer wieder die Begegnungen mit den vielen phantastischen und mutigen Menschen, mit Afghaninnen und Afghanen, mit internationalen Unterstützern.

Auch hier im Saal sind einige Afghanistan-Rückkehrer.

Stellvertretend möchte ich mit Ihnen unseren Diplomaten, Soldaten, Entwicklungshelfern, Polizisten danken für ihre hervorragende Arbeit. Ich habe Sie vor Ort erlebt.

Sie verdienen Interesse an Ihrer Arbeit, an Ihren Erfahrungen. Daran fehlt es hierzulande meist, oft auch in den eigenen Institutionen.

Verlässliche Aufmerksamkeit und Fürsorge brauchen diejenigen, die körperlich und/oder seelisch verwundet wurden, brauchen die Angehörigen.

Soldaten stehen in der Pflicht zum treuen Dienen.

Die Politik steht Ihnen allen gegenüber in der Pflicht zu einem klaren, erfüllbaren und verantwortbaren Auftrag, zur Ehrlichkeit.

 

 

(5) Die Auslandseinsätze im Rückblick - Was wir für die Zukunft lernen sollen, Vortrag bei der Nürnberger Sicherheitstagung am 24. Juni 2011

(...)

(13) Rückkehrer: Die Rückkehrer aus den Krisenregionen, die Soldatinnen und Soldaten, aber auch die Polizisten, Entwicklungshelfer und Diplomaten, verdienen und brauchen Aufmerksamkeit, Anerkennung und verlässliche Unterstützung. Das gilt unabhängig von der politischen Bewertung einzelner Einsätze.  Denn diese Frauen und Männer wurden im Rahmen des Friedensauftrags des Grundgesetzes von den demokratisch legitimierten Spitzen der Bundesrepublik Deutschland entsandt. Hier stellt sich eine zweifache Herausforderung:

- Alle, die körperlich und/oder seelisch verwundet zurückkehrten, brauchen absolut verlässliche Unterstützung und Versorgung. Das gilt genauso für die Angehörigen und Hinterbliebenen. Nach Jahren der Verdrängung hat sich erst in den letzten Jahren einiges getan.

- Staat und Gesellschaft müssen sich öffnen für die Erfahrungen von Rückkehrern, die ein Engagement auf dem Balkan, im Kongo, in Afghanistan zeitlebens nicht mehr loslässt und die mit ihrer praktischen Erfahrung viel zu einer breiteren wie fundierteren sicherheits- und friedenspolitischen Bildung und Debatte in Deutschland beitragen könnten.

 

 

(6) Für eine Kultur des Hinsehens, Artikel in „loyal" 3/2010, Auszüge

Während seines Einsatzes in Kunduz gehörte dieser Soldat stets zu den ersten, die an einen Anschlagsort kamen: Er sah die zerfetzten Leiber von Kameraden, aber auch die von Kindern nach einem Selbstmordanschlag. Einschneidende Erlebnisse, bleibende Erinnerungen. „Vielleicht habe ich ja mal das Glück, dass ich offen berichten kann, was ich im Einsatz erlebt habe", sagte er nach seiner Rückkehr aus Kunduz. Ich stutzte. „Wieso Glück", erkundigte ich mich. Ob sich die Heimat für seine Erlebnisse nicht interessierte? „Nein", lautete die ernüchternde Antwort. „Unser Einsatz stößt kaum auf Interesse oder auf Unverständnis." In besonderer Erinnerung ist dem Soldaten die hochmütige Bemerkung eines Bürgermeisters geblieben: „Das tun Sie für einen Sold der Stufe A 10?"

Von „freundlichem Desinteresse" der Gesellschaft gegenüber der Bundeswehr hat Bundespräsident Horst Köhler einst gesprochen. Mein Eindruck ist, dass sich das „freundliche Desinteresse" zu einer Haltung der kalten Schulter entwickelt hat. Seit Jahren gibt es immer wieder kurzatmige Debatten um neue Einsätze (Kongo, Libanon), regelrechte „Blitzdebatten" nach Selbstmordanschlägen in Afghanistan oder nach skandalträchtigen Ereignissen wie der Veröffentlichung von Soldaten, die mit Totenschädeln posieren. Eine breite sicherheitspolitische Debatte aber, die Bundesregierung, Parlament und Gesellschaft erfasst, kam und kommt nicht zustande. Ob der parlamentarische Untersuchungsausschuss, der in Folge des Luftangriffs von Kunduz eingesetzt wurde, und der Streit um die Äußerungen von Bischöfin Margot Käßmann zur Lage in Afghanistan eine Wende bringen, ist längst nicht ausgemacht.

Das gesellschaftliche Desinteresse an den Themen der Außen- und Sicherheitspolitik macht nicht nur den Bundeswehrangehörigen und Sicherheitspolitikern in unserem Land zu schaffen. Noch breiteres Desinteresse erleben in der Regel Polizisten im Auslandseinsatz. Nicht selten bekommen sie in ihren Heimatdienststellen zu hören, sie seien auf einem gut bezahlten Abenteuertrip gewesen, während die Kollegen ihre Arbeit hätten mitmachen müssen. Und was Entwicklungshelfer in Afghanistan trotz aller Risiken und lagebedingten Einschränkungen immer noch schaffen, wird in der Regel gar nicht erst zur Kenntnis genommen. Ich habe dieses Desinteresse während meiner 15 Jahre als Bundestagsabgeordneter auch in friedenspolitisch interessierten Kreisen immer wieder erfahren: in den 90er Jahren vor dem Golfkrieg, gegenüber dem Krieg in Bosnien und vor Beginn des Kosovo-Luftkrieges, und dies ständig beim Thema zivile Krisenprävention. Selbst für die Gegner von Auslandseinsätzen und insbesondere des Einsatzes in Afghanistan bleibt das weit verbreitete Desinteresse im Volk nicht folgenlos. Obwohl ihre „Raus"-Forderungen so populär sind wie nie, bleibt ihre gesellschaftliche Mobilisierungsfähigkeit doch ausgesprochen schwach. Kein Wunder, wenn sich niemand wirklich für die Inhalte interessiert, die ihrem Engagement zugrunde liegen.

Das verbreitete Desinteresse und das Fehlen einer breiten gesellschaftlichen Debatte sind politisch gefährlich und unverantwortlich.  Für das Selbstverständnis der Staatsbürger in Uniform, wie unsere Soldaten zurecht genannt werden, reicht es nicht, wenn sie durch große Parlamentsmehrheiten in riskante Einsätze entsandt werden. Sie und ihre Angehörigen sind auch auf die Akzeptanz und Zustimmung der Bevölkerung angewiesen. Eine Sicherheitspolitik, die nicht in der Gesellschaft verankert ist und nicht auf einem gesellschaftlichen Grundkonsens basiert, ist in ihrer inter­nationalen Handlungsfähigkeit massiv eingeschränkt. Außen- und Sicherheitspolitik, die Friedenspolitik sein will, ist heute mehr denn je auf Legitimität angewiesen: bei der eigenen Bevölkerung, bei den in den Einsatz geschickten Soldaten und Polizisten, bei der Bevölkerung der Einsatzgebiete. Die Ironie: Während in Afghanistan die Köpfe und Herzen der Menschen gewonnen  werden sollen, gehen sie bei uns immer mehr verloren.

Auch wenn die Bedeutung von Außen- und Sicherheitspolitik in der globalisierten Welt zugenommen hat, hat sie doch in der Wahrnehmung der meisten Menschen in Deutschland an Gewicht verloren. Der Blick richtet sich mehr nach innen, Sicherheitsrisiken werden primär sozial buchstabiert. Risiken und Bedrohungen für deutsche und europäische Sicherheit sind diffus, abstrakt und unübersichtlich. Die persönliche Betroffenheit ist wenig greifbar. Die Bundeswehr ist aus weiten Teilen des Landes „verschwunden", die Erfahrungswelten driften extrem auseinander - hier oft individualisierte Spaßgesellschaft, im Einsatzgebiet Extremarmut, ja täglicher Terrorkrieg. Die Terroranschläge von Madrid, Bali, London etc. werden in einer Mischung aus Verdrängung und sinnvoller Gelassenheit weniger als Teil einer umfassenden Bedrohung, sondern eher als Katastrophen wahrgenommen, die immer wieder passieren. Um das knappe Gut Aufmerksamkeit der Medien und der Bürger konkurrieren immer mehr „Verkäufer" in steigendem Tempo. Die Sogwirkungen von Internet und Unterhaltungsindustrie gehen mit einer Individualisierung und Privatisierung von Interessen einher, politische Entwicklungen werden immer weniger wahrgenommen und nachvollzogen. Der Trend zu Dramatisierung, Personalisierung und schnellen Themenwechseln auch in der politischen Berichterstattung fördern Hektik und Oberflächlichkeit im politischen Betrieb. Exemplarisch dafür steht, wie die Bild-Zeitung am 25. Oktober 2006 mit der Veröffentlichung der Totenschädel-Fotos von Bundeswehrsoldaten in Afghanistan die Vorlage des Weißbuches des Verteidigungsministeriums am selben Tag aus der medialen Wahrnehmung schoss.

Verantwortlich sind auch die Politiker selbst für diese schwierige Entwicklung. In Bundestagswahlkämpfen wurden heikle Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik lieber gemieden - so 1998 angesichts der zugespitzten Kosovo-Krise, so 2009 angesichts der gefährlichen Lage in Afghanistan. Verteidigungsminister wurden meist nicht nach Fachkompetenz ausgewählt. Unter den vier letzten Ministern müssen zwei als Kommunikationsversager bezeichnet werden. Vor diesem Hintergrund war es wenig verwunderlich, dass sich bisher noch jeder Minister seit dem Fall der Mauer notorisch weigerte, Chancen für eine breite Debatte zu schaffen und zu nutzen: Im Jahr 2000 wischte Verteidigungsminister Scharping den Bericht der Weizsäcker-Kommission beiseite; Minister Struck erließ 2003 die geheim erarbeiteten Verteidigungspolitischen Richtlinien; Minis­ter Jung tat dasselbe mit dem Weißbuch 2006. Eine umfassende Bilanzierung des Kosovo-, Kongo- und Afghanistan-Einsatzes, ja der Auslandseinsätze insgesamt, verweigerte bisher je-de Bundesregierung. Ihre verdruckste und beschönigende Kommunikation vor allem zum eskalierenden Afghanistan-Einsatz trägt maßgeblich zu seiner Akzeptanzkrise in unserem Land bei.

In Deutschland, wo die Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen so ausgeprägt ist wie in kaum einem anderen Land, ist das alles auch ein Versagen des Bundestages. Ich kann mich an etliche heiße Bundestagsdebatten zu Auslandseinsätzen erinnern. Insgesamt blieben wir aber zu oft im Klein-Klein stecken, gefangen in einer Sprache, die schon die Fraktionskollegen kaum noch erreichte, geschweige denn die breitere Öffentlichkeit. Diese Defizite sind Ausdruck auch eines Mangels an Strategiefähigkeit und Überzeugungskraft in der „politischen Klasse". Hinzu kommt eine sicherheitspolitische Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, in der Jugendoffiziere der Bundeswehr die Hauptlast der Basisarbeit tragen, in der sich aber das Auswärtige Amt trotz seiner Federführung bei Auslandseinsätzen fein zurückhält.

Es ist nicht so, dass es in den vergangenen 20 Jahren keine Debatten über unsere Sicherheitspolitik gegeben hätte. Aber sie blieben meist in Teilöffentlichkeiten stecken, die weitgehend beziehungslos nebeneinander ihre Diskurse pflegen. Die Kirchen entwickelten in sorgfältigen Diskussionsprozessen ihre Friedensdenkschriften (2000 und 2007) - und blieben praktisch ohne Echo. Rege ist die Veranstaltungstätigkeit des Bundeswehrverbandes, der Gesellschaft für Wehr- und Sicherheitspolitik und des Reservistenverbandes. Die Bündnisgrünen stritten auf vielen Parteitagen, darunter zwei Sonderparteitagen, mit vollem Risiko und streckenweise stellvertretend für die Gesellschaft über Auslandseinsätze und ließen durch eine friedens- und sicherheitspolitische Kommission eine selbstkritische Standortbestimmung erarbeiten. Das alles ist gut und wichtig, doch bis auf wenige Ausnahmen bleiben die Beteiligten unter sich. Hinzu kommt die Gleichzeitigkeit höchst unterschiedlicher Ansichten von Militär in unserer Gesellschaft - vom traditionellen Kriegerbild bis zum „bewaffneten Entwicklungshelfer"-Image und der komplexen Realität von Stabilisierung im UN-Auftrag dazwischen.

Ein Zurück zur Überhöhung des Militärischen wie in früheren Zeiten wird und soll es nicht geben. Um ein breites Interesse der Menschen an sicherheitspolitischen Themen zu entwickeln, brauchen wir in unserem Land Leute mit Standpunkten, Argumenten und Meinungen. Eine Debatte lebt von Streit, nicht von Konformitätsdruck und Konsensgesülze. Breite gesellschaftliche Debatten lassen sich durch die Politik nicht „machen", allenfalls nur begünstigen. Hierfür ist eine Querkommunikation zwischen den sicherheits- und friedenspolitisch interessierten Kreisen, die Überwindung von ideologischen Wagenburgen unerlässlich. Die Klärung der zivil-militärischen Beziehungen ist dabei von zentraler Bedeutung. Als notorischer Wanderer zwischen den Welten habe ich erfahren, welche Potenziale an produktiver Zusammenarbeit und gegenseitiger Ergänzung zwischen Streitkräften und zivilen Akteuren ungenutzt sind.

Jahr für Jahr arbeiten im Auftrag unseres Landes Tausende Soldaten und Zivilexperten sowie Hunderte Polizisten in den Krisenregionen dieser Welt. Hinzu kommen zahllose Projekte engagierter Bürger. Sie alle verdienen und brauchen Aufmerksamkeit, Anerkennung und Unterstützung - unabhängig von der politischen Bewertung eines einzelnen Einsatzes, aber auch ehrlich im Umgang mit dem existentiellen Einsatz von Soldaten. Ihnen gegenüber stehen alle staatlichen und gesellschaftlichen Ebenen in der Verantwortung. Auch hier ist eine „Kultur des Hinsehens" gefordert, ist bürgerschaftliches Engagement gefragt.

Abertausende Frauen und Männer in Uniform und in Zivil verfügen über reiche Erfahrungen und oft auch Herzblut in friedens- und sicherheitspolitischer Praxis. Dieses Potenzial muss ganz anders zur Geltung kommen - bei der Politikberatung, in der öffentlichen Diskussion und bei der sicherheitspolitischen Bildungsarbeit an der Basis. Kurzsichtig ist, dass etliche Ministerien ihren Praktikern Maulkörbe verpassen. Dabei können gerade einsatzerfahrene Soldaten, Polizisten und Entwicklungsexperten die Möglichkeiten, Fährnisse und Grenzen multinationaler Krisenbewältigung und Friedensförderung - das Faszinierende trotz aller Probleme so konkret - persönlich und glaubwürdig vermitteln wie niemand sonst. Wo Sicherheitspolitik heute Normalbürger strukturell überfordert, sind die persönlichen Zugänge umso wichtiger. Dies gilt es, systematisch zu fördern. Ich habe mit solchen Friedenspraktikern durchweg beste Erfahrungen gemacht. Sie sind oft motivierende Hoffnungsträger in einem Umfeld, in dem man verzweifeln könnte.

Bundesregierung und Bundestag stehen in der Bringschuld, sicherheitspolitisches Interesse und die Debatte über Themen, die für unser Land von existenzieller Bedeutung sind, nach Kräften zu fördern und nicht zu behindern. Um zu einem sicherheitspolitischen Konsens zu kommen, ist die Schlüsselfrage zu klären, wie Deutschland wirksam zu internationaler Sicherheit und Friedenssicherung beitragen will, welchen Stellenwert Streitkräfte dabei haben sollen - und welche Kosten und Opfer Politik und Gesellschaft zu tragen bereit sind. Unabhängige Bilanzierungen deutscher Beteiligungen an internationaler Krisenbewältigung und die Entwicklung einer deutschen Sicherheitsstrategie in einem öffentlichen Prozess sind überfällig. Ein jährlicher, allgemein lesbarer Bericht der Bundesregierung zur deutschen Sicherheitspolitik könnte sie in ganz anderer Weise transparent und diskutierbar machen. In den zurückliegenden Jahren verlorenes Vertrauen der Bevölkerung in die Politik lässt sich nur mit Klarheit, Ehrlichkeit und vollem Einsatz zurückgewinnen. Das ist eine Gemeinschaftsaufgabe für Bundeskanzlerin, Außen- und Verteidigungsminister und Parlamentarier. Sie müssen sie anpacken. Jetzt.

(7) 10 Jahre Auslandseinsätze der Polizei NRW: „Diamanten der deutschen Außenpolitik", Bericht von der Feier im Bildungszentrum Brühl des Instituts für Aus- und Fortbildung der Polizei NRW (IAF) am 19. Juni 2004

Auf Einladung von Innenminister Dr. Fritz Behrens kamen vor allem viele (ehemalige) Teilnehmer an internationalen Friedensmissionen mit ihren Angehörigen zusammen. Weitere Gäste waren u.a. der ehemalige Bremer Bürgermeister Hans Koschnik (bis 1996 EU-Administrator in Mostar), Vertreter von BMI (AG International Police Task Force/IPTF), AA (Referat Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik) und Bundeswehr (Kommandeur Streitkräfteunterstützungskommando Köln-Wahn, zuständig u.a. für Zivil-Militärische Zusammenarbeit), MdL Bernhard von Grünberg (SPD), Friedensforscherin Dipl. Pol. Saskia Sell (Plattform Zivile Konfliktbearbeitung) sowie mehrere kosovarische PolizistInnen.

Ich bin sehr gerne gekommen, weil ich als Mitglied des Verteidigungsausschusses die Auslandseinsätze der Polizei seit 1996 (Mostar) erlebe, hoch schätze und unterstütze. In Brühl treffe ich live oder auf Fotos etliche „alte" Bekannte aus Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Georgien und Afghanistan.

Das Festzelt ist mit Fototransparenten geschmückt, die verschiedene Motive mit NRW-Polizisten auf dem Balkan und in Afghanistan zeigen: im Gespräch mit zwei alten Kosovaren,   gemeinsame Streife mit indischen und kosovarischen  Polizisten, UNMIK-Police-Commander Stefan Feller - Deutschlands Spitzen-UN-Polizist.

Nach der Begrüßung durch Uwe Mainz, Leiter des Dezernats Auslandseinsätze im IAF moderiert Detlef Lauenstein locker und z.T. singend das Programm.

Staatssekretär Hans Krings nennt die polizeilichen Auslandseinsätze einen „Exportschlager" in Sachen Sicherheit. Gegenüber den skandinavischen Ländern mit ihrer 50-jährigen Erfahrungen habe die Bundesrepublik innerhalb eine Jahrzehnts schnell gelernt und hoch qualifizierte Beiträge geliefert. Polizeidirektor Scheien (EUPM) habe gerade die höchste Auszeichnung der Republika Srbska erhalten. Der Staatssekretär erinnert an die vier Polizeibeamten, die bisher bei Auslandseinsätzen umgekommen sind, jüngst die zwei BGS-Beamten im Irak.

Innenminister Behrens übergibt den Erlös der Verlosungsaktion den kosovarischen Polizisten: Mit ihm sollen die Hinterbliebenen eines KPS-Officers unterstützt werden, der im Einsatz erschossen wurde.

Eine Ausstellung im Gebäude 9 gibt einen Überblick über die Auslandseinsätze der deutschen Polizeien und die Beteiligung von NRW dabei.

Am 13. Oktober 1994 reisten erste Beamte aus NRW nach Mostar, um den Aufbau einer multiethnischen Polizei zu unterstützen. (Beim historischen Besuch der Grünen Fraktions- und Parteispitze im Herbst 1996 in Bosnien-Herzegowina begegnete ich erstmals diesen Polizisten)

Im Auftrag von Vereinten Nationen, OSZE oder EU helfen sie als Berater, Ausbilder, Beobachter - im Kosovo auch mit Exekutivbefugnis - beim Aufbau einer rechtsstaatlichen Polizei. Wo militärische Friedensmissionen „von außen" für Abwesenheit militärischer Gewalt sorgen, arbeiten multinationale Polizeimissionen für selbsttragende Sicherheitsstrukturen. Angesichts eines ganz anderen „Rechtsbewusstseins", der meist hohen Gewaltbereitschaft, der Verbreitung von Kleinwaffen, der Stärke der Organisierten Kriminalität ist das eine regelrechte Sisyphusarbeit. Für externes Nation (State) Building sind Polizeimissionen ein Schlüsselprojekt von strategischer Bedeutung.

Insgesamt kamen NRW-PolizistInnen mehr als 750mal zum Einsatz, etliche von ihnen mehrmals. Zurzeit sind 267 deutsche PolizeibeamtInnen in VN-Einsätzen und 93 in EU-Missionen  in Bosnien-Herzegowina und Mazedonien. NRW stellt mit 61 BeamtInnen das größte Kontingent.

Abgeschlossen sind folgende Missionen:

-       WEU Mostar 1994-1996, aus NRW 55 Beamte;

-       UN-Mission in Bosnien-Herzegowina (UNMIBH) 1996-2002 295;

-       MAPE in Albanien 1997-2001 12;

-       Kosovo Verification Mision KVM 1998 bis März 1999;

Laufende Missionen sind:

-       EU-Polizeimission EUPM mit 16 NRW (72 DEU, 550 insgesamt);

-       -UN-Mission im Kosovo UNMIK mit 35 aus NRW (278 DEU, 3.531 aus 47 Nationen insgesamt), 7-Tage-Woche;

-       EU-Mission in Mazedonien PROXIMA mit 4 NRW (20 DEU, 127 insgesamt, Soll 210);

-       Beratermission in Afghanistan mit 4 aus NRW (23 insgesamt aus DEU);

-       UN-Mission in Georgien UNOMIG mit 1 aus NRW (4 aus DEU, 11 insgesamt), Ausgangssperre 20.00-8.00 Uhr.

Eine vorzügliche und in dieser Form erstmalige Darstellung gibt die Sonderausgabe „Auslandseinsätze" der „Streife", herausgegeben vom Innenministerium NRW (ISSN 0585-4202).

Die Band „Kläävbotze" präsentiert zusammen mit IAF/Auslandseinsätze die CD „Danke", die „all den Polizistinnen und Polizisten gewidmet ist, die tagtäglich fern der Heimat dafür arbeiten, dass unsere Welt friedlicher, freier und gerechter wird." „Loss mer denne Danke sare, die für uns de Kopp hinhale.Loss mer denne danke! Loss mer denne Danke sare, die nie noh de Uhrzick frore. Loss mer denne danke, die sich kümmere ... Danke!"

Im Gespräch mit Jörg Fleischer von der Westfalenpost/Hagen bezeichne ich die Auslandseinsätze der deutschen Polizeien als „Diamanten deutscher Außen- und Sicherheitspolitik". (Westfalenpost 21.6.2004)  Das ist keine von Feststimmung und Kölsch beflügelte Spontanäußerung, sondern aus den vielen Besuchen und Begegnungen vor Ort gewachsene Überzeugung. In der breiten Öffentlichkeit sind die polizeilichen Auslandseinsätze noch viel zu wenig bekannt.

Ausgesprochen sinnvoll wäre es, wenn der Bund (BMI und AA mit Bundespresseamt) dem o.g. Vorbild der Sonderausgabe der „Streife" nacheifern würde.

Gesprächssplitter:

- Kosovo, Märzunruhen, Raum Mitrovica: Ein serbisches Dorf wurde von ca. 200 jungen Albanern attackiert und angesteckt. Zwei KPS-Streifenwagen unterstützten sie. Aus mehreren Pkw`s wurden Plastikbeutel (Molotow-Cocktails) ausgegeben. Schüsse aus Schnellfeuergewehren wurden von serbischer Seite erwidert. Im wenige hundert Meter entfernten französischen KFOR-Stützpunkt verweigerte der Kommandant trotz dringendster Bitten von UNMIK-Police Unterstützung. Dabei war eine luxemburgische Kompanie einsatzbereit. „Wir haben KFOR auf Knien gebeten. Sie haben uns im Stich gelassen." Auch gegenüber der Bundeswehr, mit der die Zusammenarbeit vorher immer bestens war, ist die Verbitterung deutlich zu spüren: „Als es uns an den Kragen ging, haben sie uns im Stich gelassen."

Der ethnische Hass sei abgrundtief. UNMIK-Police musste z.B. eine 80-jährige Serbin vor albanischen Jugendlichen retten. Der Hass werde auch von den Lehrern in den Schulen voll weitergegeben. (In Berlin berichtet ein MdB-Kollege aus Prizren, wo er Schulklassen gesehen habe, die stolz die zerstörten serbischen kirchlichen Gebäude und Häuser besichtigten.)

- Afghanistan, nach den j