Zivile Krisenprävention: Schwerpunkt deutscher Friedenspolitik

Von: Webmaster amFr, 30 April 2010 16:55:04 +01:00

Es ist ein neues Positionspapier der Kommission "Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik" der Uni Hamburg (IFSH) veröffentlicht worden,  Autor ist Kommissionsmitglied Winfried Nachtwei.




Kommission „Europäische Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" am IFSH

Zivile Krisenprävention:

Schwerpunkt deutscher Friedenspolitik

Prävention ist auch im Bereich der Sicherheitspolitik ein unumstrittener Grundsatz, dessen Notwendigkeit, ja Alternativlosigkeit von Niemandem ernsthaft in Zweifel gezogen wird. Aber wie steht es mit seiner Verwirklichung im politischen Alltag der Bundesrepublik Deutschland? Sind die strukturellen und materiellen Voraussetzungen für eine konsequente Präventionspolitik auch wirklich gegeben? Sind vielleicht schon Erfolge erkennbar oder doch zumindest Fortschritte? Oder überwiegen die Defizite? Und welche Lösungsansätze sind gegebenenfalls denkbar, um solche Defizite abzubauen?

Fortschritte

Immerhin sind in den letzten zehn Jahren auf dem Gebiet der Zivilen Krisenprävention (dieser komplexe Begriff schließt auch Aufgaben von Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung mit ein) eine ganze Reihe von Institutionen, Maßnahmen und Strukturen neu entstanden: das Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF), der Zivile Friedensdienst (ZFD), das Programm Zivile Konfliktbearbeitung (Zivik) des Instituts für Auslandsbeziehungen, die Deutsche Stiftung Friedensforschung, die Arbeitsgemeinschaft Entwicklungspolitische Friedensarbeit (FriEnt) und das Peace Counts Project. Weiterhin beschloss das Bundeskabinett im Jahr 2004 den „Aktionsplan Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" mit einem Ressortkreis „Zivile Krisenprävention" samt einem gleichnamigen Beirat beim Auswärtigen Amt. Bei anderen Institutionen wie der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS), den Ausbildungsstätten der Bundes- und Länderpolizeien für Auslandseinsätze oder der Führungsakademie der Bundeswehr (FüAkBw) besteht erhebliches Interesse und Offenheit zumindest gegenüber verschiedenen Aspekten von Ziviler Krisenprävention.

In jüngster Zeit wurden zudem die Haushaltsmittel für einen Teil der genannten Institutionen deutlich erhöht: beispielsweise für den ZFD von 19 Millionen Euro im Jahr 2009 auf 30 Millionen im Jahr 2010 oder der Titel „Friedenserhaltende Maßnahmen" im Etat des Auswärtigen Amtes auf 107 Millionen Euro 2009. In den Jahren 2006 bis 2008 wurden insgesamt neun Projekte des Ressortkreises aus Mitteln des Verteidigungsministeriums finanziert. Diese waren unter anderem Starthilfen für die Provincial Development Funds in den nordostafghanischen Provinzen Kunduz und Tachar.

Eine wichtige Initiative war außerdem das Memorandum „Gewaltkonflikten vorbeugen: sichtbarer - wirksamer - handlungsfähiger" zur Bundestagswahl 2009. Hiermit wurde erstmalig aus der Zivilgesellschaft heraus vor einer Bundestagswahl das Politikfeld Zivile Krisenprävention wirksam zum Thema gemacht und mit konkreten Vorschlägen zu seiner Weiterentwicklung verbunden.

Im Unterschied zu vielen Gruppierungen der Friedensbewegung sind auf dem Feld der Zivilen Krisenprävention auch viele jüngere Menschen aktiv, die darin zum Teil ihren Studienschwerpunkt haben und eine berufliche Perspektive sehen.

Defizite

Dennoch findet Prävention (im engeren Sinne) gegenüber post-conflict-Maßnahmen insgesamt immer noch viel zu wenig Beachtung. Der selbstreflexive Ansatz des do no harm spielt in den Umsetzungsberichten zum Aktionsplan eine abnehmende Rolle.

Konzeptionell ungeklärt sind das Verhältnis zwischen dem Aktionsplan Zivile Krisenprävention (Grundlagendokument der Bundesregierung) und dem Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands (Grundlagendokument des Verteidigungsministeriums), zwischen Ziviler Krisenprävention und „vernetzter Sicherheit" (comprehensive approach) sowie zivil-militärischer (Nicht-)Zusammenarbeit. Inzwischen gibt es einen Trend, die Zivile Krisenprävention unter den Begriff der vernetzten Sicherheit zu subsumieren und zu „entkernen".

Der Aktionsplan mit seinen 161 Aktionen der kurzfristigen, operativen wie auch der längerfristigen, strukturellen Krisenprävention litt von Anfang an unter mangelnder Prioritäten- und Schwerpunktsetzung. Die damit einhergehende Entgrenzung und Diffusion des Begriffs der Zivilen Krisenprävention erschwert seine Thematisierung und politische Umsetzung.

Trotz aller Teilfortschritte ist das Ungleichgewicht zwischen militärischen und zivilen Fähigkeiten, Kapazitäten und Ressourcen weiterhin eklatant. Dies zeigt sich unter anderem in dem zur Verfügung stehenden Personal (nur das Militär hat ständig und schnell verfügbare Kräfte sowie umfangreiche Analyse-, Planungs- und Kooperationskapazitäten), und an der Schwäche von Ressortkreis (nur Informationsaustausch, keine Steuerungskompetenz, keine eigenen Haushaltsmittel) und Beirat. Bisher weigert sich auch die Bundesregierung, analog zum Zivilen Planziel 2010 der Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), zivile Planziele zu definieren.

Dieses Ungleichgewicht verschärft sich noch angesichts höchst unterschiedlicher Lern- und Innovationsgeschwindigkeiten. Während auf militärischer Seite seit Jahren eine komplexe Transformation stattfindet, kann auf ziviler Seite davon keine Rede sein: Die Weiterentwicklung ziviler Fähigkeiten vollzieht sich allenfalls in Trippelschritten - dem steigenden Bedarf vor allem bei ziviler Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung weit hinterherhinkend.

Ein strukturelles Handicap ist die mangelnde Sichtbarkeit eines Politikansatzes, der auf die Verhinderung - spektakulärer - Gewaltkonflikte zielt und dabei Methoden und Mittel einsetzt, die prozesshaft, dialogisch, langfristiger angelegt und daher oft nur bei genauerem Hinsehen erkennbar sind. Verschärft wird dieses Handicap durch einen verbreiteten „Analphabetismus" in Sachen Ziviler Krisenprävention, auch unter außen- und sicherheitspolitischen Journalisten, sowie einem Mangel an wirksamer Lobby und einer geringen Erwartungshaltung in der Wählerschaft.

Zivilgesellschaftliche Akteure sind überdies mit ihren schwachen Kapazitäten nur begrenzt in der Lage, die vielfältigen Aufgaben innerhalb der Zivilen Krisenprävention wahrzunehmen und kooperativ zu nutzen. Unter „politisch nahestehenden" Parteien und ihren Anhängern überwiegt gegenüber Ziviler Krisenprävention ein freundliches Desinteresse, bei antimilitärisch orientierten Teilen der Friedensbewegung dagegen, als „Alibiveranstaltung" abqualifiziert, Skepsis.

Im Parlament war das Thema auch in den letzten Jahren nur unzureichend verankert. Trotz vieler Beschwörungen engagierten sich auf diesem Gebiet nur wenige Abgeordnete. Seit 2004 fanden zur Zivilen Krisenprävention nur zwei, zudem wenig beachtete, Plenardebatten statt. Im jüngsten Koalitionsvertrag sind die diesbezüglichen Formulierungen so schwach wie nie seit den 1990er Jahren. Im internationalen Vergleich hat Deutschland seine frühere Vorreiterrolle verloren.

Als aktuelles Fazit muss also konstatiert werden: Zivile Krisenprävention fristet nur ein Nischendasein und ist akut von Austrocknung bedroht.

Chancen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit

Angesichts der politischen Krise der Auslandseinsätze, auch der Krise des peacekeeping-Systems der Vereinten Nationen generell, wird derzeit der Bedarf an einer Stärkung ziviler Friedensfähigkeiten besonders auf den Feldern Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung deutlich. Ironischerweise finden sich die größten Befürworter in dieser Hinsicht inzwischen bei einsatzerfahrenen Militärs. Diese unterstützen auch die Forderung nach „umfassenden Mandaten" des Bundestages, die neben den militärischen auch zentrale zivile Aufgaben definieren und notwendige Fähigkeiten, Kapazitäten und Ressourcen zuordnen. Internationale Trends gehen in die Richtung einer Stärkung ziviler Fähigkeiten, allerdings meist im Kontext eines comprehensive approach (vgl. Guiding Principles for Stabilization & Reconstruction, Washington 2009; CSIS-Studie An Expanded Mandate for Peace Building, Washington 2009).

Weitere Anknüpfungspunkte und Foren bieten die Kirchen mit ihren friedensethischen Diskussionsprozessen, ihren Beiträgen zur Friedensarbeit und ihrer Brückenfunktion zwischen Friedensbewegung, Friedensforschung, Praktikern und ethisch orientierten Soldaten.

Ein „Überraschungserfolg" schließlich ist die Einsetzung eines Unterausschusses „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicherheit" im März 2010 durch den Auswärtigen Ausschuss des Deutschen Bundestages. Vor dem Hintergrund der vorzüglichen Erfahrungen mit dem sehr aktiven Unterausschuss „Abrüstung" entsteht damit nicht nur ein Druck auf die Fraktionen, neun kompetente Mitglieder (sowie neun stellvertretende Mitglieder) zu entsenden, sondern auch ein permanenter Erwartungs- und Handlungsdruck seitens des Bundestages auf die Bundesregierung. Ob diese Chance genutzt wird, liegt nicht zuletzt an den Obleuten und dem Vorsitz.

Ansätze und Schwerpunkte künftiger Friedenspolitik

Friedensförderung benötigt zuallererst die Erstellung systematischer Chancenanalysen und eine Identifizierung von Friedenspotenzialen, -prozessen und -akteuren. Bei der gegenwärtigen Dominanz von Risiko- und Bedrohungsanalysen sind demgegenüber reaktive Politikmuster vorprogrammiert.

Notwendig ist zweitens eine deutlichere Wirksamkeitsorientierung: Welche Akteure, Instrumente, Maßnahmen können was am besten? Bisher mangelt es an unabhängigen Wirksamkeitsevaluierungen von Krisenengagements.

Im Sinne einer überfälligen Schwerpunktsetzung sollte die Förderung von Staatlichkeit auf verschiedenen Ebenen, und darin vor allem eine Sicherheitssektorreform (Polizei, Justiz, lokale Strukturen), eine zentrale Rolle spielen. Zu hierfür notwendigen Fähigkeiten und Kapazitäten könnten erste nationale, zivile Planziele (abgestimmt mit dem Bedarf von EU und VN) formuliert werden.

Dringender Klärungsbedarf besteht beim Thema zivil-militärische Beziehungen, wo Möglichkeiten und Chancen, aber auch Grenzen und Gefahren selbstbewusst und ohne Berührungsängste ausgelotet werden sollten.

Zivile Krisenprävention braucht mehr Sichtbarkeit, Veranschaulichung, Popularisierung und Berichterstattung. Ohne diese Faktoren gibt es keine wirksame Lobby und nicht den notwendigen politischen „Schub". Gerade weil Krisenprävention so schwer „verkäuflich" ist, bedarf es besonderer professioneller Anstrengungen. Hierzu hat der Ressortkreis erstmalig eine Broschüre erarbeitet und eine künftige Kooperation mit der Bundeszentrale für politische Bildung (Reihe „Informationen zur politischen Bildung") in Aussicht genommen. Auch wenn die Bundesregierung auf diesem Feld in den zurückliegenden Jahren ganz besonders versagt hat, bleibt in erster Linie gerade sie in der Pflicht.

Der 3. Umsetzungsbericht zum Aktionsplan sollte mit seinen Vorschlägen zur Schwerpunkt- und Prioritätensetzung schnellstmöglich der Öffentlichkeit vorgestellt werden.

Ein zentraler Ansatzpunkt sollte der neueingerichtete Bundestags-Unterausschuss werden, der gleichsam als Katalysator für Parlament und Exekutive wirken kann, insbesondere bei öffentlicher Tagung. Durch die Anfragen und Aufträge dieses Unterausschusses würde die Rolle des Ressortkreises erheblich gestärkt, die dieser wiederum nur ausfüllen kann, wenn er personell und organisatorisch gestärkt würde (Anbindung an die politische Leitungsebene, mehr Steuerungskompetenz). Nicht zuletzt würden sich damit auch mehr Wirkungsmöglichkeiten für den halbjährlich tagenden Beirat ergeben, in dem neben vielen anderen auch Vertreterinnen und Vertreter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), dem Bonn International Center for Conversion (BICC) sowie dem Berghof Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung mitarbeiten.

April 2010

 



Anmerkung :

Link: www.ifsh.de/IFSH_php/akt_news.php
Positionspapier als PDF-Datei: http://www.ifsh.de/pdf/profil/Zivile_Krisenpraevention.pdf