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Sicherheitspolitik und Bundeswehr + Artikel von Winfried Nachtwei für Zeitschriften u.ä.
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Wirksamkeit und Grenzen internationaler Einsätze

Veröffentlicht von: Webmaster am 20. Oktober 2004 18:20:15 +01:00 (66149 Aufrufe)
Aus Anlass der Verabschiedung von General Friedrich Riechmann hat Winfried Nachtwei für die Zeitschrift „Soldat und Technik“ folgenden Artikel zur aktuellen Bundeswehrentwicklung verfasst:
Immer schneller, weiter, härter? Wirksamkeit und Grenzen internationaler Einsätze
Winfried Nachtwei, MdB, sicherheitspolitischer Sprecher und stellvertretender Fraktionsvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen

Trogir im Oktober 1996: Eine zerstrittene Truppe von Spitzen-Grünen mit Joschka Fischer, Kerstin Müller und Jürgen Trittin besucht erstmalig die olivgrüne Truppe. General Riechmann ist als Kommandeur des 3. deutschen IFOR-Kontingents der Gastgeber. Auf uns Warner vor einer „Militarisierung der Außenpolitik“ wirkt er entwaffnend, ja vertrauensbildend. Die folgenden Tage in Mostar, Sarajevo, Tuzla und Banja Luka bringen einen historischen Wendepunkt im Verhältnis der Bündnisgrünen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

Acht Jahre später ist die Bundeswehr in einem Umfang und einem Raum im Einsatz, wie es damals niemand für möglich gehalten hätte. Die Ausweitung der Einsätze wurde vor allem von Rot-Grün verantwortet. Inzwischen beschließt der Bundestag Auslandseinsätze der Bundeswehr meist mit überwältigender Mehrheit. Die Stabilisierungseinsätze der Bundeswehr sind in der Bevölkerung breit angesehen, finden aber nur noch wenig Beachtung. Mit der Transformation der Bundeswehr wird sie systematisch auf die neuen Aufgaben der internationalen Krisenbewältigung hin umgebaut – für das ganze Einsatzspektrum und ohne geographische Beschränkung. Dass die Bundeswehr die radikalste Reform seit ihrer Gründung durchmacht, scheint weder die breite Öffentlichkeit noch die breite Politik sonderlich zu interessieren. Zugleich aber breitet sich Ernüchterung aus, nehmen Zweifel zu, wächst die Abwehr gegenüber neuen Einsätzen.

Der Rückschlag im Kosovo, die beunruhigende Entwicklung in Afghanistan – vom Desaster im Irak ganz zu schweigen - werfen Fragen nach Wirksamkeit und Perspektiven von Auslandseinsätzen auf. Überfällig ist zuerst eine systematische, ungeschminkte und vor allem öffentliche Zwischenbilanz von Auslandseinsätzen der Bundeswehr.

Auch wenn das Militär in der operativen deutschen Außenpolitik inzwischen einen höheren Stellenwert hat: Die Befürchtung von einer Militarisierung der Außenpolitik im Sinne einer „Rehabilitierung des Krieges“ hat sich für die Bundesrepublik nicht bewahrheitet.

Bis auf die Beteiligung am Kosovo-Krieg dienten alle Bundeswehreinsätze der direkten Kriegseindämmung und Gewaltverhütung: Sie entsprachen voll und ganz den Zielen und Regeln der Vereinten Nationen und widersprachen einem verbreiteten Bild von Militär, demnach es nur Krieg führen kann. Die Bundeswehr erfüllt ihre VN-Aufträge hoch professionell, klug und verlässlich. Auf dem Balkan und in Afghanistan nimmt sie eine Schlüsselrolle ein. Bei der Bevölkerung in den Einsatzgebieten wie bei den Partnern ist sie hoch angesehen.

Insgesamt dauern Friedenseinsätze viel länger als ursprünglich erwartet. Inzwischen sickert auch in Politik und Öffentlichkeit die Erkenntnis ein, dass externes Nation Building Zeit und langen Atem braucht. Allen kurzfristigen Erwartungshaltungen und kurzatmigen Politikmustern zuwider braucht Politik eine Durchhaltefähigkeit ohne Durchhalteparolen.

Die Wirksamkeit von Einsätzen und damit die Aussicht, sie zu reduzieren und überflüssig zu machen, hängt vor allem von folgenden Faktoren ab:

- dem Zeitpunkt des internationalen, primär politischen Eingreifens (je später es erfolgt, desto verhärteter ist oft ein Konflikt und desto länger dauert ein internationaler Einsatz);

- der Einbettung in ein politisches Konzept;

- der Kohärenz der multilateralen Politik; das Kräfteverhältnis zwischen externen und internen Akteuren (von der Assistance-Rolle der Internationalen Gemeinschaft wie in Afghanistan bis zum internationalen Protektorat wie im Kosovo);

- der Kooperationsfähigkeit zwischen den verschiedenen Akteuren;

- der Ausgewogenheit der politischen, zivilen, polizeilichen und militärischen Instrumente im Rahmen multidimensionaler Einsätze.

Diese Anforderungen sind leicht zu benennen, aber äußerst schwer zu erfüllen. Alle haben ihre Erfahrungen mit hartleibigem Ressortdenken. Defizite auf den o.g. Feldern verlängern Einsätze tendenziell ins Unendliche.

Mit der Transformation der Bundeswehr zieht die Bundesregierung insgesamt die richtigen Konsequenzen aus den bisherigen Erfahrungen, aus der veränderten Sicherheitslage und internationalen Verpflichtungen. Aber es bleiben noch erhebliche Fragen offen.

Sehr missverständlich ist der erweiterte Verteidigungsbegriff. Am Hindukusch geht es auch um deutsche Sicherheitsinteressen. Keineswegs geht es dort um existentielle nationale Selbstverteidigung, die keines Sicherheitsratsmandates bedürfen würde. Militärische Beiträge zur Krisenbewältigung sind legitimierbar nur im Rahmen der Ziele und Regeln der Vereinten Nationen. Nüchtern ist die Rolle des Militärs bei der Terrorismusbekämpfung zu bewerten: Seine Beiträge sind eher unterstützend gegenüber politischen, nachrichtendienstlichen und polizeilichen Maßnahmen. Ein sprichwörtlicher Krieg gegen den Terrorismus ist verheerend kontraproduktiv. Er verstärkt den Hydra-Effekt, statt dem Terrorismus die Nährböden zu entziehen.

Militärische Stabilisierungskräfte sind ein notwendiges, aber keineswegs hinreichendes Mittel, um selbst tragende Friedensprozesse zu befördern. Während es für die militärische Seite eine klare Bedarfs- und Kräftedefinitionen gibt (bis zu fünf parallele Operationen mit insgesamt maximal 14.000 Soldaten über einen längeren Zeitraum), fehlt solches für die polizeilichen und zivilen Säulen weitgehend. Hier werden wohl neue Fähigkeiten aufgebaut (vgl. ZIF, CIVPOL, ZFD, zivik, Aktionsplan Zivile Krisenprävention). Ihr Einsatz wird aber primär durch personelle Verfügbarkeit definiert und ihre finanzielle (Unter-)Ausstattung beschränkt. Der Rückstand der nicht-militärischen Fähigkeiten ist eine strategische Lücke, die eine Verlängerung von Stabilisierungseinsätzen vorprogrammiert.

Eingreifkräfte sind das schärfste Mittel für die Startphase von Friedensmissionen und Erzwingungseinsätze im Rahmen des VN-Systems. Sie sind aber ein Mittel, das höchst kostspielig und riskant ist und Menschenleben fordert und deshalb zu Recht sehr umstritten bleibt. Bisher gar nicht thematisiert wurde die ethische Brisanz einer vernetzten Distanz-Kriegführung: Sie minimiert eigene Risiken und ermöglicht die Vernichtung eines technisch „entwaffneten“ Gegners. Vorstellungen von Schnellstinterventionen jenseits der direkten Gefahrenabwehr und ohne längere Stabilisierungseinsätze sind hoch illusionär.

Mit der künftigen Bundeswehr wird die Bundesrepublik über ein wachsendes Angebot interventionsfähiger Kräfte verfügen. Damit steigt die potentielle Nachfrage. Zu Recht fragen Soldaten uns Politiker, wohin sie in Zukunft überall geschickt werden können. Angesichts unberechenbarer Bedrohungen ist eine klare Antwort nicht möglich. Trotzdem ist eine Verständigung über die Grenzen internationaler Einsätze vonnöten. Grenzen der Legalität setzen das Grundgesetz und Völkerrecht, die verbindlich und nicht a la carte gelten. Grenzen setzen die sicherheitspolitischen Interessen der Bundesrepublik, die sich nicht einfach im Multilateralismus auflösen und der Klärung bedürfen. Grenzen setzt die politische und militärische Leistungsfähigkeit der Bundesrepublik, der Internationalen Gemeinschaft. Grenzen setzt eine Gesellschaft, die Gott sei dank nicht mehr dazu bereit sind, größere Verluste an Menschen zu ertragen.

Über die neuen Herausforderungen und Grenzen besteht keine Klarheit in der politischen Klasse, geschweige denn in der Öffentlichkeit. In der Gesellschaft nimmt die Distanz gegenüber der Wahrnehmung der gewachsenen internationalen Verantwortung der Bundesrepublik zu (vgl. die jüngste SOWI-Bevölkerungsumfrage). Umso mehr ist eine breite außen- und sicherheitspolitische Debatte in Politik und Gesellschaft überfällig. Ohne sie wird es keinen stabilen sicherheitspolitischen Konsens und verlässliche außenpolitische Handlungsfähigkeit geben. Es gilt, die sicherheitspolitischen Herausforderungen anzunehmen, die dafür notwendigen außen-, sicherheits- und entwicklungspolitischen Fähigkeiten ausgewogen zu stärken, dabei aber Selbstüberschätzung und Überforderung der Soldaten, Zivilexperten und Gesellschaft zu vermeiden.

General Riechmann scheidet aus dem aktiven Dienst. Keinen General traf ich öfter „draußen“: in Trogir, in Orahovac, in Kabul und anderswo. Dieser einfach auftretende Offizier mit dem kraftstrotzenden Kinn und Händedruck steht nicht nur für eine Bundeswehr im Friedenseinsatz. Er hat führend zu ihren Erfolgen und ihrem bisherigen „Einsatzglück“ beigetragen. Keinen General traf ich öfter in zivil-militärischen Zusammenhängen: beim Berlin-Workshop der internationalen Peacekeeper-Community, beim Zentrum Internationale Friedenseinsätze und anderswo. Er steht für die Erkenntnis, dass Friedensunterstützung nur integriert und gemeinsam zu schaffen ist.

Im Gegensatz zu vielen früheren deutschen Generalen hat er keine Schlacht im Krieg gewonnen. Umso mehr hat er dazu beigetragen, nach verheerenden Kriegen auf dem Balkan und in Afghanistan mehr und mehr Frieden zu gewinnen. Darauf kann Friedrich Riechmann stolz sein. Auf solche Generale kann die deutsche Demokratie stolz sein.

(Vollfassung, 17.7.2004)

Hin weis:  Bilder vom Bosnienaufenthalt 1996 gibt es hier, den Bericht über die Bosnienfahrt 1996 hier,


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch