"Lehren für den vernetzten Ansatz aus Afghanistan" - Vortrag an der BAKS am Tag ihrer 20-Jahrfeier

Von: Nachtwei amSa, 10 November 2012 19:09:56 +01:00

An der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAKS) in Berlin hielt ich bei der Tagung "Afghanistan - Lehren aus der Zusammenarbeit verschiedener Sicherheitsakteure" den Impulsbeitrag "Lehren für den vernetzten Ansatz".  Meine Ausführungen befassen sich im Schwerpunkt mit der Interaktion vor allem deutscher staatlicher Akteure. Bewusst gebrauche ich den offeneren und weniger strittigen Begriff des "vernetzten Ansatzes", der für Sicherheits-, Friedenspolitik und Krisenprävention gleichermaßen gilt.



Afghanistan - Lehren für den vernetzten Ansatz

Winfried Nachtwei, MdB a.D.

(Impulsvortrag bei „Aktuell 2012": Afghanistan - Lehren aus der

Zusammenarbeit verschiedener Sicherheitsakteure,

am 26. Oktober 2012 Bundesakademie für Sicherheitspolitik Berlin,

gegenüber dem gesprochenen Wort erweiterte Fassung)

Es ist mir eine besondere Freude, am Tag der 20-Jahrfeier der Bundesakademie für Sicherheitspolitik hier zu sprechen. Im Jahr 1995 besuchte ich erstmalig die BAKS in ihrem Erstsitz, der Rosenburg in Bonn. Es war die Zeit, in der ich erstmalig auf die Notwendigkeit des vernetzten Ansatzes in der Friedens- und Sicherheitspolitik stieß - am Hang von Sarajevo, an der Brücke von Mostar: Dort die Notwendigkeit, zum Schutz  vor massiver illegaler Gewalt ggfs. militärische Gewalt einzusetzen (die dreijährige Belagerung Sarajevos); hier die Notwendigkeit ziviler Friedensförderungen, wo Verfeindungen zwischen Volksgruppen schwerer zu überbrücken sind als die Neretva nach der Zerstörung der „Alten Brücke" von Mostar. Auf dem Balkan wuchs die Grunderfahrung: Keiner schafft es allein, die Notwendigkeit der anderen. Wo es einen gemeinsamen Auftrag gibt, wo die Aufgaben komplexer und die Akteure mit unterschiedlichen Zielen zahlreicher wurden, da lag das Gebot des bestmöglichen Zusammenwirkens eigentlich auf der Hand. Vor genau zehn Jahren brachte ich deshalb zum Beispiel das Vorhaben eines Aktionsplans zivile Krisenprävention in die Koalitionsverhandlungen ein, zur systematischen Stärkung der zivilen Fähigkeiten.

Heute beschränke ich mich auf zwei Dimensionen des vernetzten Ansatzes: die unter den deutschen staatlichen Akteuren und die mit den einheimischen Akteuren. (Zur multinationalen Ebene wird General Roßmanith sprechen.) (1)

Rückblick

(a) Im Mandat des VN-Sicherheitsrates von Dezember 2001 zu ISAF wie auch den damaligen Beschlüssen des Bundestages zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus und zu Afghanistan war der vernetzte Ansatz grundsätzlich angelegt. Im PRT-Modell zwei Jahre später wurde die Ressortvernetzung so eng wie nie zuvor. Ein im Sinne des Auftrags bestmögliches Zusammenwirken wurde aber durch mehrere Handicaps und Fehler behindert:

(b) Strategischer Dissens und Strategiemangel: Über Jahre waren sich die westlichen Verbündeten fundamental uneinig. Gegnerfokussierung, Primat der Terrorbekämpfung und des Irakkrieges auf der einen Seite, Unterstützung von Staatsaufbau, Bevölkerungsorientierung auf der anderen Seite. Dieser Strategiedissens wurde politisch über Jahre nicht geklärt! Im September 2003 legte die Bundesregierung ein erstes - und noch recht dürftiges - Afghanistankonzept vor. Es stand beispielhaft für den Strategiemangel der verschiedenen Truppenstellernationen.

(c) Völlig unausgewogene militärische, zivile, polizeiliche und diplomatische Kapazitäten und Fähigkeiten. Besonders schmal war die Polizeikomponente (40 Beamte für die deutsche Lead-Rolle beim Polizeiaufbau in 2007) und die Zahl der Diplomaten vor Ort (ein Beamter des höheren Dienstes an der Seite des ISAF-Regionalkommandeurs Nord noch im Jahr 2009). Die seit dem Weißbuch 2006 viel beschworene Vernetzte Sicherheit war realiter ein hinkendes „Modell". (vgl. auch die ernüchternde Erfahrung des britischen Offiziers Leo Docherty mit dem realen Comprehensive Approach der britischen Ressorts in Helmand 2006: Desert of Death, London 2007) Erst ab 2008 wurden die Kapazitäten der deutschen Polizeiaufbauhilfe massiv verstärkt, die des Auswärtigen Amtes noch später.

(d) Interaktion der deutschen Akteure: Lebhaft erinnere ich mich an die Kluft zwischen der Version beim Briefing bei Vor-Ort-Besuchen („gute Entwicklung") und in den bilateralen Gesprächen nachher. Richtig ist, dass sich Kooperationsbereitschaft und -fähigkeit im Laufe der Jahre erheblich gebessert haben. Der Provincial Development Fund seit 2005 gilt als Vorbild der Zusammenarbeit wischen den deutschen Ressorts und den afghanischen Verantwortlichen in der Provinz. Insgesamt blieben die Fortschritte aber personenabhängig. Bis heute gibt es keine gemeinsame Lage, keine gemeinsamen Lessons Learned. Eine Untersuchung zur Ressortzusammenarbeit in den PRT war mal beschlossen, soll aber auf Staatssekretärsebene gestoppt worden sein. Ich erinnere mich an eine Podiumsdiskussion bei einer sicherheitspolitischen Konferenz des Handelsblattes: Die versammelten Staatssekretäre von AA, BMVg und BMI konstatierten, dass sie regelmäßig miteinander reden, dass sie sich verstehen würden - also sei alles in Ordnung mit der Vernetzten Sicherheit. Bei denjenigen, die auf der Arbeitsebene mit Vernetzter Sicherheit zu tun hatte, war das Kopfschütteln einmütig. Der seit Dezember 2010 halbjährlich erscheinende „Fortschrittsbericht AFG" brachte erstmalig Ansätze von gemeinsamer Lage und gemeinsamem Erfahrungslernen.

(e) Interaktion mit lokalen Akteuren: Die deutschen Kommandeure hielten vielfältige Kontakte zu den lokalen Machthabern und Akteuren. Das Key-Leader-Engagement gehörte zu ihren zentralen Aufgaben. Die kürzlich beim Afghanistan Analysts Network veröffentlichte Studie von Nils Wörmer (The Networks of Kunduz: A History of Conflict and Their Actors, from 1991 - 2001, www.aan-afghanistan.com/index.asp?id=2901 ) belegt aber zugleich, wie sehr es über Jahre im Raum Kunduz an einer genaueren Konfliktanalyse fehlte, wie wenig über die Konfliktgeschichte bekannt war und wie sehr die Wirkungen der eigenen Maßnahmen im Nebel lagen.

(f) Parlament als Mitauftraggeber und Kontrolleur: Mit außenpolitischen Arbeitskreisen der Fraktionen und dem Mitberatungsverfahren der Ausschüsse ist der vernetzte Ansatz eigentlich angelegt. Bei der Erarbeitung z.B. von Entschließungsanträgen zu Mandatsentscheidungen wird er immer wieder praktiziert.

In der allgemeinen Parlamentspraxis wird der vernetzte, ressortübergreifende Ansatz aber nur unzureichend realisiert: Die Federführung des Auswärtigen Ausschusses bei Auslandseinsätzen ist inhaltlich kaum spürbar. Die Polizeikomponente des Afghanistaneinsatzes wurde über Jahre von keinem Ausschuss ernsthaft begleitet. Wo Deutschland seit 2002 die Leadrolle bei der Koordination der internationalen Polizeiaufbauhilfe hatte, debattierte der Bundestag erstmalig im Dezember 2007 das Thema! Eine erste Anhörung zur Wirksamkeit des Einsatzes führte der Auswärtige Ausschuss im November 2010 durch. Sicherheitssektorreform und Staatsaufbau, Drogenbekämpfung, Aufstandsbekämpfung/COIN, zivil-polizeilich-militärische Zusammenarbeit, Bilanzierung - lauter ressortübergreifende Themen, die aber nie von den Ausschüssen ressortübergreifend bearbeitet wurden (z.B. in gemeinsamen Anhörungen).

(g) Öffentliche Kommunikation und Wahrnehmung: Sie war und ist bis heute sehr militärlastig. Der Afghanistaneinsatz erscheint zu 90% als Bundeswehreinsatz. Die anderen Komponenten finden unterproportional Aufmerksamkeit und Interesse. Wer weiß schon, dass im Rahmen deutscher Entwicklungszusammenarbeit über 1.800 Frauen und Männer in Afghanistan arbeiten, davon 350 Deutsche und Internationale! Ausrüstungsmängel auf Seiten der Bundeswehr haben für die Medien selbstverständlich Nachrichtenwert. Die jahrelange personelle Unterausstattung des Auswärtigen Amtes vor Ort, die Reduzierung der afghanischen Polizei in der Provinz Kunduz um ein Drittel im Jahr 2008, also zuzeiten anschwellender Aufstandsbewegung - das alles war keine Berichterstattung wert!

Auf der politischen Führungsebene stehen in erster Linie Verteidigungsminister für den Einsatz. Ein Gesicht für den ressortgemeinsamen Afghanistaneinsatz hat es nie gegeben. Die Afghanistanbeauftragten der Bundesregierung haben offenbar nicht die Aufgabe, die deutsche Afghanistanpolitik in der Öffentlichkeit zu vertreten.

Lehren für den vernetzten Ansatz in Afghanistan und darüberhinaus

Es gibt eine wachsende Afghanistanmüdigkeit und eine Stimmung „bloß weg vom Hindukusch", möglichst gesichtswahrend natürlich. Das ist verständlich. Wo das aber die Haltung ist und Politik wäre, braucht man sich über Lehren nicht weiter zu unterhalten. Wenn wir aber weiter zu unserer sicherheitspolitischen Verantwortung stehen, wenn wir noch vorhandene Chancen bestmöglich nutzen wollen, dann gibt es eine Reihe zentraler Lehren:

(1) Zuallererst Wirksamkeitsorientierung: systematische Bilanzierungen und Wirksamkeitsanalysen - des eigenen Engagements, des Zusammenwirkens dabei. Gute Beispiele hierfür brachten Kanada mit inzwischen 14 Quartalsberichten und vor allem die Niederlande: eine soziopolitische Bewertung des NL-Engagements in Uruzgan durch das renommierte The Liaison Office in Kabul (www.tloafghanistan.com ) sowie 3D - ´The Next Generation` - Lessons Learned from Uruzgan for future operations von Jair van der Lijn (www.clingendael.nl/publications/2011/20111130_cscp_rapport_Lijn.pdf ) In Deutschland wird eine Wirksamkeitsanalyse und eine systematische Auswertung bisheriger Einsatzerfahrungen gerade im Wahljahr schwierig werden. Angesichts der bevorstehenden Umstellung des internationalen und deutschen Afghanistanengagements muss sie aber in 2013 erfolgen. Sie ist die notwendige Voraussetzung für ein aussichtsreicheres Post-2014-Engagement.

Diese Lehre gilt auch generell: Nach ca. 20 Jahren Erfahrungen mit Auslandseinsätzen ist ihre systematische und unabhängige Bilanzierung mehr als überfällig. Sie ist auch die notwendige Voraussetzung für die sonst so viel beschworene breitere sicherheitspolitische Debatte und Strategiebildung. (vgl. W. Nachtwei: Evaluation deutscher Auslandseinsätze, in: Denkwürdigkeiten, Journal der Politisch-Militärischen Gesellschaft, Nr.81, November 2012, www.pmg-ev.com/deutsch/denk.htm )

(2) Auftrags- und Zielklarheit: Zu wenig bewusst sind oft die Vorgaben der VN-Mandate.  Sie beinhalten übrigens immer die Verpflichtung zur Zusammenarbeit. Als konsensfähige, gute und hehre Ziele bleiben die Mandatsziele zugleich immer relativ abstrakt und unbestimmt. Auftraggebende Politik ist sich zu wenig bewusst, dass solche Mandatsziele, wo immer es geht, im Hinblick auf das Einsatzland „geerdet", operationalisiert und im Rahmen einer Strategie priorisiert werden müssen. Nur so ist tatsächliche Zielklarheit, Zielkohärenz, Überprüfbarkeit und Wirksamkeit zu erreichen.

Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren setzt voraus, dass ihre faktischen Ziele kompatibel sind und sich zumindest teilweise decken. Wo sie einander zuwiderlaufen (z.B. gegensätzliche Haltungen zu local ownership, zu do-no-harm), besteht keine Basis für eine Zusammenarbeit. Ein gewisser Informationsaustausch kann aber zumindest unnötigen Konflikten vorbeugen.

(3) Ausgewogene und schnell verfügbare Fähigkeiten: Wo Förderung legitimer Staatlichkeit, Sicherheitssektorreform und Rule of Law in der Regel Kernaufgaben internationaler Krisenengagements sind, braucht es dafür auch ausreichende und schnell verfügbare und durchhaltefähige Personalkapazitäten auf Seiten der Diplomatie, der Entwicklungszusammenarbeit und Polizei. Die Politik muss die Polizeien von Bund und Ländern befähigen, ihre zusätzliche Daueraufgabe - Teilnahme an internationalen Polizeimissionen - auch verlässlich ausfüllen zu können. Wenn es auf diesem Feld keine Verbesserungen gibt, wird Bundeswehr immer wieder in der Verfügbarkeitsfalle landen. Ein besonders dringender Bedarf besteht nach Fachleute und Wissenschaftlern mit Regional- und lokaler Expertise. Ohne eine solche interkulturelle „Lokalkompetenz" gibt es keine fundierte „zivile Lage", keine geerdeten Ziele und keine realistische Orientierung, was mit wem möglich und sinnvoll ist.

(4) Ressortübergreifende, ressortgemeinsame Elemente und Strukturen: Unter Praktikern gehen hier die Meinungen auseinander. Die einen sind skeptisch gegenüber neuen Strukturen, wenn sie nur mehr Koordinationsaufwand bringen, aber keine größere Wirksamkeit. Andere drängen auf eine ressortgemeinsame Planungs- und Führungseinheit mit Entscheidungskompetenz. (Kanada hatte bis vor kurzem eine ressortgemeinsame full-time Afghanistan-Taskforce, die dem Kabinettssonderausschuss für Afghanistan zugeordnet war.) Meiner Meinung nach am dringendsten wären ressortgemeinsame integrierte Elemente für Lage und Analyse, für Krisenfrühwarnung (insbesondere bezogen auf die schwersten Menschenrechtsverbrechen/RtoP), Lessons Learned. Was sich auf diesem Feld sinnvoller Weise ändern sollte, müsste vor den nächsten Koalitionsverhandlungen im Herbst 2013 geklärt werden. Diese bieten nach aller Erfahrung ein Fenster der Gelegenheit. (vgl. die Studien der von Andreas Wittkowsky geleiteten AG Vernetzte Sicherheit des Zentrum Internationale Friedenseinsätze/ZIF, z.B. Evaluation des britischen Conflict Pool: Komparative Vorteile und strategische Anforderungen, Oktober 2012, Vernetztes Handeln auf dem Prüfstand: Einschätzungen aus deutschen Ressorts, November 2011, www.zif-berlin.org )

(5) Förderung von Kooperationsoffenheit und -fähigkeit in Aus- und Fortbildung, Einsatzvorbereitung, Übungen: Zentrale und bewährte Orte dafür sind die BAKS, die Führungsakademie und das VN-Ausbildungszentrum der Bundeswehr, das ZIF. Einen ersten Kurs für das Führungspersonal von PRTs führte das Auswärtige Amt im Sommer 2009 durch. Mir ist nicht bekannt, was aus diesem Kurs geworden ist. Das von GIZ und FüAk entwickelte Ausbildungsmodul „zivil-militärische Interaktion" fand erstmalig im November 2011 statt. Anfang 2013 findet die Fortsetzungstagung statt. Die Übungsreihe des Deutsch-Niederländischen Korps (2011 „Common Effort") gilt als Highlight einer ressortübergreifenden Übung.

Insgesamt geht es darum, einen Mentalitätswandel zu befördern:

-         neben aller spezialisierten Arbeitsteilung der selbstverständliche Blick über den Tellerrand;

-         Grundeinstellung von „gemeinsamer Anstrengung" dort, wo ein gemeinsamer Auftrag besteht, wo die Ziele kompatibel sind;

-         Klarheit über unterschiedlicher Ziele, Organisationskulturen, Kapazitäten, stärken + Schwächen, Geschwindigkeiten und Zeithorizonte;

-         Respektierung der Mandate und Arbeitsprinzipien von humanitären und Nichtregierungsorganisationen;

-         Flexibler Umgang mit der ganzen Spannweite von Interaktionsmöglichkeiten von bewusster Distanz und informiertem Nebeneinander über ad-hoc-Abstimmungen bis zu dauerhaften Kooperationsformen. Nach den Erfahrungen mit integrierten VN-Missionen warnt Winrich Kühne vor Koordination um ihrer selbst willen und empfiehlt ein bescheideneres „managing of diversity".

(Nur benennen, aber nicht näher behandeln kann ich an dieser Stelle die Vernetzungs- und Koordinationsebene „zivil-zivil":  Diese soll in der Praxis oft die meisten Probleme machen, mehr als zivil-militärische Zusammenarbeit.)

(6) Öffentliche Kommunikation: Wo bisher Nabelschauen dominieren, ist eine ressortübergreifende Kommunikation überfällig. Besondere Anstrengungen sind nötig, um die „natürliche" Militärlastigkeit der Wahrnehmung zu reduzieren. Ausgesprochen hilfreich wäre, wenn das umfassende Afghanistanengagement viel mehr Gesicht bekäme - in der Führung wie in der Breite. Wo Einsatzrückkehrer aus ihren Erfahrungen berichten, wachsen in der Regel Interesse und Anteilnahme gegenüber ihrem schwierigen Engagement und den Herausforderungen internationaler Krisenbewältigung und Friedenssicherung generell. Dieses Erfahrungspotenzial von Soldaten, Entwicklungshelfern und Polizisten müsste ganz anders genutzt und in seiner Beteiligung an der öffentlichen Kommunikation befördert werden. Öffentliche Veranstaltungen mit Einsatzrückkehrern könnten dazu einen Beitrag leisten. Eine wichtige Anregung ist der Vorschlag der ZIF-Direktorin Almut Wieland-Karimi, auch in Deutschland den International Day of UN-Peacekeepers am 29. Mai zu begehen. (www.nachtwei.de/index.php/articles/1143 )

(7) Parlament: In Deutschland hat der Bundestag eine so starke Stellung bei Kriseneinsätzen wie in kaum einem anderen Land. Statt sich in der Mikrokontrolle von Einsätzen und Streitkräftefragen zu verlieren, sollten vermehrt die politisch-strategischen „Hausaufgaben" angegangen werden:

- Überfällig wären mehr ausschussübergreifende Beratungen (Anhörungen) zu Querschnitttthemen (s.o.).

- Bei Schwerpunkteinsätzen befürworte ich schon seit einigen Jahren „umfassende Mandate": Das Parlamentsbeteiligungsgesetz schreibt die konstitutive Zustimmung des Bundestages nur für den Einsatz von Streitkräften vor. Mehr wäre aber möglich. Um den ressortübergreifenden Charakter eines Kriseneinsatzes herauszustellen und ihn mit ausgewogenen Fähigkeiten auszustatten, sollten in einem umfassenden Mandat neben den militärischen auch die wesentlichen politisch-zivilen Ziele und die dafür bereitzustellenden Kapazitäten benannt werden. Von einem ehemaligen BMZ-Staatssekretär bekam ich den Einwand, dadurch werde die Handlungsfreiheit der Exekutive eingeschränkt. Das Gegenteil soll der Fall sein: Ein umfassendes Mandat soll die Handlungsfähigkeit der Exekutive verbessern und die Voraussetzungen für ein bestmögliches Zusammenwirken schaffen - vernetzter Ansatz angefangen bei klaren und kohärenten Zielen und ausgewogenen Fähigkeiten. Hierüber könnte auch die übliche Militärlastigkeit in der öffentlichen Wahrnehmung und der Debatte von Krisenengagements überwunden werden. Der Brahimi-Report betonte im Jahr 2000 als zentrale Lehre aus bisherigen VN-Friedenseinsätzen klare und erfüllbare Aufträge. Angesichts der Multidimensionalität heutiger Kriseneinsätze ist festzustellen: Klare und erfüllbare Aufträge kann es nur mit umfassenden Mandaten geben!

Laut Parlamentsbeteiligungsgesetz legt die Bundesregierung das von ihr formulierte Einsatzmandat dem Bundestag zur Billigung vor. In den nächsten Koalitionsverhandlungen könnte und sollte vereinbart werden, dass die Bundesregierung für Kriseneinsätze, an denen AA, BMVg, BMZ und BMI in größerem Umfang beteiligt sind, dem Bundestag umfassende Mandate vorzulegen hat.

- Mandatsverlängerungen und -veränderungen brauchen für eine seriöse Beschlussfassung regelmäßige und systematische Wirksamkeitsbewertungen.

(8) Zum Schluss ein Appell: Im kommenden Wahlkampfjahr 2013 sollten alle Parteien, die bisher grundsätzlich den Afghanistaneinsatz mitgetragen haben, der Versuchung widerstehen, das unpopuläre Thema Afghanistan parteipolitisch zu instrumentalisieren. Ein Wettlauf nach der Devise, den schnellsten und umfangreichsten Abzug zu versprechen, wäre verantwortungslos und zynisch, weil vor allem auf Kosten der Menschen in Afghanistan. Ein solcher Wettlauf würde die Chancen eines erfolgreichen, zumindest glimpflichen Übergabeprozesses noch weiter reduzieren. (Das heißt nicht, das heikle Thema Afghanistan im Wahlkampf zu beschweigen. Fragen von internationaler Sicherheit, von Krieg und Frieden müssten in Bundestagswahlkämpfen selbstverständlich und auch mehr thematisiert werden.)

Inzwischen gibt es in Deutschland viele Tausende Frauen und Männer, die in Uniform oder Zivil in und für Afghanistan mit vollem Einsatz gearbeitet haben, die dieses Land und seine Menschen nicht mehr loslässt, denen die Zukunft Afghanistans nicht egal ist - der Menschen und der Opfer wegen soll der Einsatz nicht umsonst gewesen sein! Diese neuen und alten „Freunde Afghanistans" sollten sich als Lobby für eine Politik verstehen, die zu ihrer Verantwortung für eine Friedensentwicklung in Afghanistan steht und dem populistischen „Bloß weg vom Hindukusch" widersteht.

(1) Aktuell zum Thema

-         Politisches Engagement in Konflikten - Optimierung der Interaktion zwischen zivilen und militärischen Akteuren, Abschlusspapier der AG „Ziviles und militärisches Engagement in Konflikten", August 2012

W. Nachtwei: Akteur oder Zuschauer? Was Vernetzte Sicherheit für den Deutschen Bundestag bedeutet. Ein Erfahrungsbericht, in: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik, Novemb