Streit um Straßennamen in Münster: zum Beispiel Hindenburgplatz

Von: Nachtwei amSo, 26 Februar 2012 12:05:29 +01:00

In Münster, der "Stadt des Westfälischen Friedens", heißt der größte Platz vor dem Schloss seit 1927 Hindenburgplatz. Nach mehreren Anläufen zur Umbenennung hat inzwischen eine Historikerkommission unter Leitung von OB Lewe die Umbenennung dieses Platzes - und einiger anderer Straßen - empfohlen. In der Bürgerhalle des Rathauses informiert darüber die Ausstellung "Ehre, wem Ehre gebührt?" Im öffentlichen Streit spielt bisher fast keine Rolle, dass Hindenburg ein Hauptverantwortlicher des Völkermordens im Ersten Weltkrieg war. Hierzu W. Nachtwei`s Referat beim AK Friedenskultur Münster von Ende 2010 ...



Kontroversen um Straßennamen:

Beispiel Hindenburgplatz/Münster

Referat beim AK Friedenskultur 24.11.2010 (ergänzte Fassung)

Winni Nachtwei, MdB a.D.

Als Referentin wäre Andrea Meschede viel besser geeignet gewesen. Sie hat bei der VHS intensiv mit dem Namensstreit zu tun gehabt, ist heute aber leider verhindert.

Ich stütze mich vor allem auf die Arbeit „Nach 80 Jahren ausgedient? Soll der bedeutendste Platz Münsters weiterhin an den einstigen „Kriegshelden" Hindenburg erinnern?", 2009 verfasst von der Hittorf-Schülerin Katrin Kiebel im Rahmen des Geschichtswettbewerbs des Bundespräsidenten.

Vorgeschichte

Der Hindenburgplatz als größter Platz Münsters gilt als zweitgrößter innerstädtischer Platz Europas. Nachdem er 168 Jahre lang schlicht Neuplatz hieß, erhielt er am 3. September 1927 den Namen des damaligen Reichspräsidenten Paul von Hindenburg. Gleichzeitig wurde die Kreuzschule in Hindenburgschule unbenannt.

Wer war Paul von Hindenburg? Geboren 1847 in Posen nahm er als Offizier 1866 an der Schlacht von Königgrätz (Preußen gegen Österreich + Sachsen) und 1870/71 am deutsch-französischen Krieg teil. 1911 wurde er, zuletzt Kommandierender General des IV. Armeekorps Magdeburg, in den Ruhestand versetzt - und bei Beginn des Krieges reaktiviert und zum Oberbefehlshaber der 8. Armee ernannt. Diese besiegte am 26.-30. August 1914 in der Schlacht von Tannenberg in Ostpreußen die russische Armee. Seitdem galt von Hindenburg als der „Held von Tannenberg". 1916 wurde er Chef des Generalstabs des Feldheeres und bildete mit Erich von Ludendorf die Oberste Heeresleitung. Von Februar bis Dezember 1916 tobte die Schlacht von Verdun mit 150.000 deutschen und 167.000 französischen Gefallenen, vom Juli bis November 1916 die Schlacht an der Somme mit über einer Million getöteter, verwundeter und vermisster Soldaten. Erich Maria Remarque schilderte diese Massenschlächterei aus der Sicht der einfachen Soldaten 1928 in seinem Roman „Im Westen nichts Neues".

1919 behauptete Hindenburg vor dem Untersuchungsausschuss der Weimarer Nationalversammlung, dass das Kaiserreich den Krieg nicht an der Front, sondern durch  die Revolution in der Heimat verloren habe. Er wurde damit zu dem Kronzeugen der „Dolchstoßlegende", die von vorne herein massiv die junge Republik belastete. 1925 zum Reichspräsidenten gewählt spielte er in den 30er Jahren eine zentrale Rolle bei der Installierung der NS-Diktatur: bei der Machtübergabe an Adolf Hitler am 30. Januar 1933, im Februar mit der Notverordnung, mit der die Grundrechte ausgesetzt und Massenverhaftungen von Kommunisten und Sozialdemokraten „legalisiert" wurden. Vor dem Ermächtigungsgesetz war er der „Partner" Hitlers bei der Propagandaschau des „Tages von Potsdam".

Debatten um Umbenennungen

1946 wurde die Hindenburgschule in Kreuzschule zurück benannt. Der Platz behielt seinen Namen. Ausgehend von der Anweisung des Alliierten Kontrollrats (Tilgung aller Namen, die sich „auf kriegerische Ereignisse während des 1. Weltkriegs und alle direkt daran beteiligten Personen, Organisationen und Einrichtungen" beziehen) beschloss  am 29. Juli 1947 der städtische Ausschuss zur Umbenennung von Straßen die Umbenennung des Hindenburgplatzes (und anderer Straßen). Der Beschluss wurde aus bisher unbekannten Gründen nicht umgesetzt.

1974 stellte der „Initiativkreis Frieden, europäische Sicherheit, Zusammenarbeit in Münster/Münsterland" den Antrag, den Platz in „Dr. Salvatore Allende" umzubenennen. (Der chilenische Präsident war 1973 durch einen Militärputsch gestürzt und ermordet worden.)

1988 forderten 3000 Bürgerinnen und Bürger in einer von der Friedensinitiative Münster initiierten Unterschriftensammlung, den Platz nach dem ermordeten schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme zu benennen.

1987 hatte Pfarrer Wilhelm Trappe mehrere Namensvorschläge eingereicht: Edith-Stein, Kardinal-von-Galen, Johan-Conrad-Schlaun, Neuplatz. Joachim Notterer schlug „Platz der Republik" vor, woraus sich ein längerer Schriftwechsel mit der Verwaltung ergab.

1995 schlugen Dr. Ulrich und Dr. Felizitas Bartels den Namen Johan-Conrad-Schlaun" vor, 1996 folgte seitens der Autonomen Frauenforschungsstelle „Schwarze Witwe" der Vorschlag „Bertha-von-Suttner-Platz".

Im Vorfeld des Jubiläumsjahrs 350 Jahre Westfälischer Friede (1998) forderte ein Ratsantrag die Umbenennung in „Platz des Westfälischen Friedens". Der Ältestenrat beauftrage die VHS, einen Diskussionsprozess zum Namensstreit zu moderieren. (vgl. Alfons Kenkmann: Der anstößige Krieger, in: ZEIT Nr. 47/1997) Dieser wurde über Wochen intensiv in der Lokalpresse, bei einer Podiumsdiskussion im Festsaal des Rathauses, an zwei Info-Ständen der VHS am Domplatz und im Internet geführt. Die dabei durchgeführte - nicht repräsentative - Umfrage ergab bei 1.400 abgegebenen Stimmen 55% Ablehnung einer Umbenennung, 43% dafür. 23% votierten für die Alternative Platz des Westfälischen Friedens, 17% für Schlossplatz, 12% für Friedensplatz, 11% für Neuplatz, 8% für Schlaunplatz. 1998 wurde der Umbenennungsantrag im Rat abgelehnt. Stattdessen bekam der Rathausinnenhof den Namen „Platz des Westfälischen Friedens".

Die bisher letzte Runde im Namensstreit wurde durch einen SPD-Antrag vom 14. Januar 2008 eingeläutet. Ausgehend von einer umfassenden Bewertung Hindenburgs votiert der Antrag dafür, wieder zum historischen Namen „Neuplatz" zurückzukehren. Eine 2008 berufene Expertenkommission prüft seitdem mehrere Münsteraner Straßennamen.

Merkmale der Debatten

Bemerkenswert ist, dass eine vom Alliierten Kontrollrat nach dem Krieg eindeutig angeordnete Umbenennung über Jahrzehnte nicht umgesetzt wurde und dass Hindenburg noch 1997 lautstark als „Retter Ostpreußens" gerühmt wurde.

Gerade in jüngerer Zeit werden vor allem zwei Argumente gegen eine Umbenennung ins Feld geführt: Die Frage sei nachrangig und mache nur Umstände, die Politiker sollten sich lieber um wichtige Fragen kümmern. Die Befürworter einer Umbenennung betrieben political corrrectness, also Bevormundung, Einschränkung von Vielfalt.

Der Kompromissvorschlag, die jetzigen Straßenschilder mit Informationstafeln zu ergänzen, erscheint hier - im Unterschied zu Kriegerdenkmälern - wenig sinnvoll. Eine angemessene Information ist nicht mit fünf Worten zu schaffen. Und jenseits der Straßenschilder bliebe alles beim Alten. Sinnvoll wäre es eher umgekehrt: Am neuen Straßenschild ließe sich an den früheren Namen erinnern.

Bewertung

Wo Straßen nach Personen benannt werden, soll an diese ehrend erinnert werden. In einer pluralistischen Gesellschaft gibt es ein breites und vielfältiges Spektrum an potenziellen Namensgebern.

Ehrendes Erinnern an Paul von Hindenburg? In der Weimarer Zeit galt der Reichspräsident für einen erheblichen Teil der Bevölkerung über sein Amt hinaus als ehrwürdig. Aber auch heute in der Bundesrepublik Deutschland?

Münster nennt sich „Stadt des Westfälischen Friedens". Osnabrück als die andere Stadt des Westfälischen Friedens ehrt seit Jahren Erich Maria Remarque, der hier 1898 geboren wurde, mit dem Remarque-Friedenszentrum und Museum am Markt und dem E.M.Remarque-Friedenspreis. (Eine Hindenburgstraße gibt es in Osnabrück nicht.) Münster ehrt mit dem Hindenburgplatz den absoluten Antipoden.

Anlieger des Hindenburgplatzes ist auch das I. Deutsch-Niederländische Korps: Verpflichtet auf die UNO-Charta und erfahren in UN-Friedenssicherung kann auch den Angehörigen des Korps als Staatsbürger in Uniform eine solche Nachbarschaft ganz und gar nicht Recht sein.

Hindenburg steht für das Europa der Kriege, in herausgehobener Mitverantwortung für das Völkermorden des Ersten Weltkrieges, Wegbereiter der Nazi-Herrschaft.

Das alles ist keine Frage einer political correctness, sondern von Grundwerten unserer Verfassung:

Friedensauftrag des Grundgesetzes, Grundrechte und Demokratie, Europagedanke.

Einen Mann zu ehren, der exemplarisch und in führender Verantwortung konträr gegen diese Werte stand, ist eigentlich ein Dauerskandal.

Das erledigt sich nicht dadurch, dass heutzutage viele, vielleicht die Mehrheit nichts mit dem Namen Hindenburg anfangen können. Der Platz könnte genau so gut Hermann- oder Ursulaplatz heißen. Die verbreitete Unkenntnis erschwert aber eine Umbenennung, die so für viele zum bloßen Störfaktor würde.

Zugleich haben sich die politischen Rahmenbedingungen für eine Umbenennung des Hindenburgplatzes gebessert: Mit dem Generationenwechsel ist die Zahl der Hindenburgverehrer geschrumpft; seit etlichen Jahren erfahre ich eine demokratische Öffnung von Erinnerungskulturen, die über Jahrzehnte separiert voneinander waren (z.B. Riga-Komitee, Volkstrauertag); schließlich wird man sich dem - absehbaren - Votum der Expertenkommission nur mit erheblichen Imageschäden entziehen können.

Allerdings wäre es sinnvoll, die bisherige Fülle an alternativen Namen zu reduzieren, sich auf ein bis zwei Namen zu einigen.

Insgesamt halte ich einen parteiübergreifenden Konsens nicht nur für nötig, sondern auch für möglich.

W.N., Mitglied im Vorstand von „Gegen Vergessen - Für Demokratie" und der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen; Mitglied im Münsteraner  „AK 1648 - Dialoge zum Frieden"; Publikationen zu Erinnerungsarbeit (v.a. Riga-Deportationen), Friedens- und Sicherheitspolitik, ziviler Krisenprävention unter www.nachtwei.de