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Wie ich 1968/69 näher an die 68`er geriet: Kiesinger-Besuch 22. Jan. 1969 in Münster - Enttäuschung + Linksschub

Veröffentlicht von: Nachtwei am 22. Januar 2019 20:21:17 +01:00 (28687 Aufrufe)

Hier zu Tagebuchnotizen und Zeitungsartikeln über meine Erfahrungen mit/in der Studentenbewegung der 1968er und 69er Jahre. 

Wie ich 1969 näher an die 68èr geriet:

Kiesinger-Besuch in Münster 22. Januar 1969

Winfried Nachtwei (22.01.2019)

In der Serie der Westfälischen Nachrichten zu „1968/69 in Münster“ berichtete Karin Völker  a, 29. Dezember 2018 über meine Erinnerungen an Studentenbewegung im Münster: „Die Lust an der Provokation“, https://www.wn.de/Muenster/3598307-Lust-an-der-Provokation-Nachtwei-erinnert-sich-an-Studentenbewegung

Am 22. Januar 2019 erschien als nächste Folge der Serie ihr Artikel über die Proteste gegen Kanzler Kiesinger beim Kramermahl vor 50 Jahren: „Draußen Lärm, drinnen Ruhe“: https://www.wn.de/Muenster/3627514-Vor-50-Jahren-Proteste-gegen-Kanzler-Kiesinger-als-Ehrengast-des-Kramermahls

Als Student der Geografie und Politikwissenschaften im 4. Semester sah ich mir die Demonstration damals an – nicht als Mitdemonstrant, sondern als interessierter Beobachter. Den Leutnant der Reserve interessierten der Massenauflauf und die Taktik der Demonstranten.

Hier meine damaligen Tagebuchnotizen:

„Mit lustigen Plakaten wie »Scheißt ihm in den Grünkohl« forderte der SDS für den 22. Januar zu einer Demonstration gegen den Kiesinger-Besuch beim traditionellen Kramermahl der Münsteraner Kaufmannschaft auf. Ca. 3000 auf dem Prinzipalmarkt. Immer in Bewegung erkunde ich drei Stunden lang die Situation und stelle schließlich fest, dass sie nur verbal ist, fast wie ein Spiel. Denn Kiesinger am Zutritt hindern, will man nicht, man lässt sich sogar an einem Platz einkesseln. Für bewegliche Trupps wäre es ein leichtes gewesen, alle Zugänge zum Saal zu verunsichern. Man wartet, bis der Einsatzleiter der Polizei vom Balkon aus sechsmal zum Verlassen des Platzes auffordert, erst höflich, dann schärfer. Schließlich nach einem Appell zur Rücksicht auf Frauen und Kinder »Polizeikette vorrücken«. Hektik bei den Rädelsführern im nur einseitig freien Kessel. S. fordert auf »setzt Euch hin«. Kaum Erfolg, bis schließlich 30 Sitzende die staatliche Drängelei zum Stillstand bringen. In der Gegendrängelei gelingt schließlich ein Durchstoßen der Polizeikette. Kampfmittel und –ergebnisse: Körperkraft beim Drängeln, ein Ei, etwas Pfeffer, eine Polizeimütze fliegt, eine blutige Nase, irgendwo ein Armbruch, sonst nichts. Gegendemonstration: Eine niedliche Oma ruft mit erhobenen Schirm »es lebe Kiesinger!« Die befrackten Ehrengäste werden von der Masse begeistert und zumTeil in Karnevalsstimmung mit »Heil« begrüßt. Nach 22 Uhr: Der Friedenssaal ist durch eine 8 Mann tiefe Polizeikette von der Polizeischule abgeriegelt. Erste Reihe Dickbäuche, an den Flanken stämmige Polizeiausbilder, davor ca. 15 fleißig drängelnde Demonstranten, ängstliche junge Polizisten. Charakteristische Aussage eines Revolutionärs zu seinem grünen Bullengegner: ›Äh, sei doch nicht so unfair!‹

Am folgenden Tag lese ich das CDU-Lokalblatt WN. Der ganzseitige Bericht über Demonstration und Reden beim Festessen bringt mich jedoch in eine bisher selten erlebte Wut, die ich in einem 2-Seiten-Brief an den Chefredakteur abreagiere. Denn die Demonstranten werden als Randalierer und Anarchisten abgetan, an die man sich gewöhnen müsse, die man aber nicht beachten solle. Überheblich vergleicht man sich mit Widerständlern im Dritten Reich, sagt, das Volk wolle nichts mehr als materielle Sicherheit und kehrt zu den eigenen Wichtigkeiten zurück: zu den Essensängsten, zu den Bilanzen. Motive der Demonstranten werden vorsichtshalber nicht genannt.“

Leserbrief von Winfried Nachtwey, stud.rer.nat. et pol., Leutnant der Reserve

An den Chefredakteur der Westfälischen Nachrichten, Herrn Dr. Eickhoff, vom 23. Januar 1969

„Bezug: Artikel „Demonstration beeindruckt den Kanzler nicht“ im WN-Lokalteil vom 23. Januar über den Kanzlerbesuch in Münster und seine Begleitumstände

Sehr geehrter Herr Dr. Eickhoff!

Nach Lesen des Artikels erscheint es mir als äußerst wesentlich, zu Art und Weise des Berichts Stellung zu nehmen, der unter Kommilitonen nur noch Gelächter und Verbitterung ausgelöst hat.

1.  Der Artikel unterstützt durch seinen Umfang und die Begleittexte die während des 12. Kramer-Mahles von Bundeskanzler Kiesinger, OB Dr. Beckel und andere Redner geäußerten Ansichten.

2.  Äußerungen wie „anarchistische Anwandlungen hier vor der Tür“, „die Rufer draußen …, das sind eben Dinge, die man heute hinnehmen muss“, „wir haben früher auch demonstriert, aber in annehmbarer Weise und mit umgebundenem Stehkragen“, „lassen wir uns durch solche Lärmszenen nicht aus der Ruhe bringen“ zeigen meiner Meinung nach:

(a)    Eine verhärtete Ignoranz und Verständnislosigkeit gegenüber den tieferen Ursachen und Motivationen der hier wieder aufgebrochenen studentischen Unruhe, die nicht in einem anarchistischen, spätpubertären Revoluzzertum von Staatsfeinden, sondern in dem immer deutlicher werdenden Widerspruch zwischen Verfassungsanspruch und Verfassungswirklichkeit und Unfähigkeit der führenden Personen, sich einer echten geistigen Auseinandersetzung zu stellen, liegt.

(b)   Eine grobe Oberflächlichkeit, die studentische Unruhe an der „Anständigkeit“ ihrer Methoden messen zu können glaubt, die in der Ruhestörung das schlimmste Delikt sieht, die Demonstranten allzu leicht wegen etwas extremerer Einzelfälle global als Anarchisten usw. diskriminiert.

3. Folge der unermüdlich geübten Verständnislosigkeit seitens der führenden Personen wird sein eine zunehmende Spaltung des Volkes:

(a) In eine – vorläufige – Mehrheit der weiter in Ruhe, Zufriedenheit und Verständnislosigkeit Gehaltenen, wozu der gesamte Artikel hervorragend beiträgt, indem nur das Geschehen äußerlich geschildert wird ohne die geringste Erwähnung der Beweggründe, die mit Nennung des SDS nicht angesprochen werden.

(b) ein eine sich in Verzweiflungstaten verlierende Minderheit aus den Bevölkerungsgruppen, deren Mitglieder einmal führende gesellschaftliche Positionen einnehmen sollten. Der Her Bundeskanzler irrt, wenn er sagt, andere, „noch gesunde Studenten“ seien von Linksaußen vergiftet worden. Diese gesunden, d.h. doch wohl politisch aus der Mitte oder der Rechten stammenden Studenten werden vielmehr zunehmend abgestoßen von den momentanen Inhabern von Führungspositionen, weil sich ein Kanzler, ein Volk nicht aus seinem Dornrößchenschlaf wecken lassen will, obwohl der Karren unserer Gesellschaft nur so auf größte und gefährlichste Probleme zurast. Aber: „Grundanliegen des Bürger der BRD sei es, gut zu verdienen und seine Familie entsprechend ernähren und leide zu können.“ Diese mit Nachdruck vertretene Auffassung stößt in ihrer Selbstzufriedenheit jeden politisch aufgeschlossenen und um Engagement bemühten Bürger vor den Kopf. Folgeerscheinung: auf die Dauer unausweichlich Linksdrall! Und für manche: Gewalt!

4. Der Ausspruch des Herrn Bundeskanzlers, die Grenze der Demonstrationsfreiheit werde überschritten, wenn Verleumdung und brutale Gewalt an die Stelle von Argumenten träten, verliert dann als Gebot an Verbindlichkeit und wird unglaubwürdig, wenn tägliche Erfahrungen in Politik  u n d  Universität zeigen, dass kritische, mehr an die Wurzeln gehende Argumente nicht aufgenommen, nicht einmal angehört oder wiedergegeben werden.

Obwohl ich annehme, mit dem Inhalt und dem Ton meines Schreibens bei Ihnen keine Barrieren eingerissen zu haben, erlaube ich mir dennoch die kleine Hoffnung, trotz Kürze und Unvollständigkeit der Ausführungen bei Ihnen nicht auf glatte Verständnislosigkeit zu stoßen, und bitte Sie deshalb, auch diese Meinung in Ihrer Zeitung zu Wort kommen zu lassen.“

Nachbemerkung

Der Leserbrief (es war der – glaube ich – zweite meines Lebens) wurde nicht veröffentlicht. Ich erlebte das als Dialogverweigerung und massive Enttäuschung. Bei dem eigentlich CDU-nahen Studenten förderte das eine nachträgliche Teilsolidarisierung mit den Demonstranten und eine Linksentwicklung.

Weitere Tagebuchnotizen aus 1968 unter http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1525 und Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei  14.04.2018


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch