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"Die zaghaften Deutschen" - Leserbrief zur SPIEGEL-Titelgeschichte (unveröffentlicht)

Veröffentlicht von: Nachtwei am 9. April 2013 08:55:40 +01:00 (113448 Aufrufe)

Der ZDF-Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter" veranlasste den SPIEGEL zu einer Titelgeschichte über den "Krieg und die Deutschen". Als jemand, der den sicherheits- und friedenspolitischen Erfahrungs- und Lernprozess um deutsche Auslandseinsätze seit 1994 intensiv miterlebt hat, verfasste ich einen Leserbrief und wandte mich zusätzlich an die Autoren.

Unveröffentlichter Leserbrief zu „Die zaghaften Deutschen"

(SPIEGEL 13/2013)

Anlässlich des ZDF-Dreiteilers „Unsere Mütter, unsere Väter" titelte der SPIEGEL „DAS EWIGE TRAUMA - Der Krieg und die Deutschen" mit Bildern von Flüchtlingen vorm zerstörten Brandenburger Tor und einer Bundeswehrpatrouille in Afghanistan. Die erste der beiden Titelgeschichten war 20 Jahren deutscher Auslandseinsätze gewidmet. Unter der Überschrift „Die zaghaften Deutschen" heißt es einleitend: „Seit 20 Jahren ist die Bundeswehr an Kampfeinsätzen im Ausland beteiligt. Schrittweise gewöhnte die rot-grüne Regierung das Land an eine neue Normalität. Doch nun ist ausgerechnet Schwarz-Gelb dabei, das Erreichte wieder zu verspielen." (SPIEGEL 13/2013)

Bei aller Differenziertheit des Artikels fällt mir eine Art der Verkürzung der Debatte um Krieg und Frieden auf, die exemplarisch ist für eine in Deutschland vorherrschende Tendenz: Die notorische Ausklammerung der Vereinten Nationen im friedens- und sicherheitspolitischen Alltag. Verdrängt wird,

-          dass ihre Gründung die zentrale Konsequenz aus Weltkrieg und Völkermord war, die globale Konkretisierung des doppelten „Nie wieder!";

-          dass die VN-Charta die Überwindung der Institution Krieg zur Staatenaufgabe macht und ihnen zugleich die Verpflichtung zur kollektiven Friedenssicherung auferlegt;

-          dass die VN inzwischen über umfassende Erfahrungen in der internationalen Friedenssicherung verfügen, mit Misserfolgen, aber auch Erfolgen;

-          dass VN-Friedensmissionen Gewalt und Krieg verhüten und internationales Recht durchsetzen sollen und insofern diametral zu traditionellen Kriegen stehen;

-          dass VN-Friedensmissionen seit Jahren multidimensional sind, wo die Militärs mit einer zunehmenden Zahl von Polizisten und Zivilexperten zusammenwirken, dass es im VN-Rahmen schon lange keine ausschließlichen Militäreinsätze mehr gibt.

Vor diesem Hintergrund schrieb ich an den SPIEGEL einen Leserbrief - mit umfassenderer Begleit-E-Mail. Der Leserbrief wurde nicht veröffentlicht. Hier die beiden Schreiben:

Leserbrief zu „Die zaghaften Deutschen" (SPIEGEL 13/2013)

„Kein Wort, dass alle internationalen Kriseneinsätze Deutschlands den UNO-Zielen von Friedenssicherung und Kriegseindämmung  dienen sollten, dass UNO-Mitglieder grundsätzlich zur Unterstützung von UNO-Friedenssicherung verpflichtet sind. Unkritisiert bleibt die Vernachlässigung der zzt. 14 UNO-Friedensmissionen durch Deutschland, das  an 52. Stelle der Personalsteller steht. Überfällig ist, den Bundeswehrauftrag im Grundgesetz im Sinne der Unterstützung von UNO-Friedenssicherung zu präzisieren.

Winfried Nachtwei, Münster, MdB Bündnis 90/Die Grünen 1994-2009"

Begleit-E-Mail an die Autoren:

„Die von den Autoren eher positiv beurteilte rot-grüne Phase deutscher Außen- und Sicherheitspolitik habe ich von 1994-2009 intensiv miterlebt und auch mitgestaltet - zeitweilig in regelrechten politischen Kampfeinsätzen.

Mit der Beobachtung einer "Rückentwicklung" stimme ich grundsätzlich überein. Allerdings geht es hier auch um ein "Gemeinschaftsversagen" der Berliner Politik:

- Die ad-hoc-Diskussionen zu strittigen Auslandseinsätzen wurden nie in eine systematische breitere Debatte und Konsensbildung zur Friedens- und Sicherheitspolitik überführt (bei den Grünen haben wir so was noch am ehesten mit unserer Friedens- und sicherheitspolitischen Kommission 2007/8 versucht und mit den RtoP-Beschlüssen von Fraktion und Parteitag fortgesetzt. Es gab auf Grüner Seite auch moralischen "Überschuss". Aber das war nicht das Ausschlaggebende.)

- Bis heute gibt es keine unabhängige und systematische Auswertung und Bilanzierung der Auslandseinsätze, ihrer Leistungen wie Defizite und Misserfolge. Ich dränge seit 1999 (!) darauf. Zu Recht nennen die Autoren KFOR als erfolgreichen Einsatz. Im September 2012 endete die deutsche Beteiligung am Bosnieneinsatz. Dass es der längste und gemessen am Auftrag eindeutig erfolgreiche Einsatz war, wurde praktisch nicht wahrgenommen. Dass es ein Einsatz wirksamer Kriegsverhütung ohne Kampf war, scheint ihn in Teilen der Bundeswehr, Öffentlichkeit und auch Medien geradezu minderwertig werden zu lassen.

- Nicht in der Öffentlichkeit angekommen ist, dass es seit etlichen Jahren, seit Balkan, praktisch keine nur militärischen Einsätze mehr gibt (ausgenommen Rettung und Geiselbefreiung), dass es alles inzwischen multidimensionale Einsätze mit politischer, militärischer, ziviler und wachsender polizeilicher Komponente sind. Allgemein wahrgenommen wird aber fast nur die militärische Komponente. Wenn es bei der Bundeswehr irgendwo Ausrüstungsmängel in Afghanistan gibt, wird das spätestens vom Wehrbeauftragten schnell bekannt gemacht. Die sträfliche, strukturelle Unterausstattung der AA-Säule in Afghanistan (z.B. bis 2010 ein AA-Diplomat parallel zum ISAF- Regional Commander North, zuständig für Kontakte zu neun Provinzgouverneuren, Unterstützung von Staatsaufbau etc.) war hingegen NIE Thema. Auch nicht beim SPIEGEL.

- Vernachlässigt werden (hier gibt es größte Bündnissolidarität) seit Jahren die VN-geführten Missionen, die sich - trotz aller Unzulänglichkeiten - keineswegs hinter den NATO-geführten zu verstecken brauchen. Insgesamt haben sie einiges an Wirksamkeit (und sei es die Funktion des letzten Netzes in vergessenen Konflikten), sind kostengünstiger, gewaltärmer, kosten weniger eigene Opfer.

- Versäumt wurde die grundgesetzliche Präzisierung des Bundeswehrauftrages. Bisher steht das schärfste staatliche Mittel, der Einsatz bewaffneter Streitkräfte, auf so vager gesetzlicher Grundlage wie kein anderes staatliches Handeln.

- Alles in allem: Die von den SPIEGEL-Autoren beobachtete "Rückentwicklung" hat viele Eltern. Ihre Basis ist die seit etlichen Jahren wieder anwachsende friedens- und sicherheitspolitische Desorientierung, die unzureichende Verarbeitung aktueller Erfahrungen. VN-Ignoranz und ein entgrenzter Umgang mit dem Begriff Krieg.

(...)

Mit besten Grüßen

Winfried Nachtwei

Mitglied im Beirat Zivile Krisenprvention des AA und des Beirats Innere Führung beim BMVg , Vorstandsmitglied der Dt. Gesellschaft für die Vereinten Nationen und von "Gegen Vergessen - Für Demokratie"

 


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

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