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Sicherheitspolitik und Bundeswehr
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Zum Bericht der "Rühe-Kommission" zur Parlamentsbeteiligung: Mein Referat bei der Dt. Sektion der Internationalen Juristenkommission

Veröffentlicht von: Nachtwei am 25. Juni 2015 06:25:46 +01:00 (100301 Aufrufe)

Bei der Kurztagung der Dt. Sektion der Internationalen Juristenkommission erläuterte Minister a.D. Volker Rühe die Empfehlungen der von ihm geleiteten Kommission zur künftigen Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen. Ich hatte die Möglichkeit, als Referent zum Kommissionsbericht Stellung zu nehmen. Einige Empfehlungen sind für die Wirksamkeit und UN-Fähigkeit deutscher Beiträge zu Kriseneinsätzen von zentraler Bedeutung. In der medialen Kommentierung des Kommissionsberichts fanden sie jedoch kaum Beachtung. Hier meine Stellungnahme und ein Brief an die Kommission zur Frage eines "umfassenden Mandats".

 

 

Zum Bericht der „Rühe-Kommission“ zur Parlamentsbeteiligung – mein Referat bei der

Dt. Sektion der Internationalen Juristen-Kommission

Winfried Nachtwei (Juni 2015)

Parlamentsbeteiligung bei außenpolitischem Handeln der Bundesregierung“ war das Thema der Kurztagung der Deutschen Sektion der Internationalen Juristen-Kommission am 19. Juni 2015 im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestages.

Das Thema hätte aktueller nicht sein können: Drei Tage zuvor hatte die vom Bundestag eingesetzte „Kommission zur Überprüfung und Sicherung der Parlamentsrechte bei der Mandatierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr“ („Rühe-Kommission“) ihren Abschlussbericht vorgelegt. http://dipbt.bundestag.de/doc/btd/18/050/1805000.pdf . Am selben Vormittag verlängerte der Bundestag mit jeweils um 530 Stimmen und um 60 Gegenstimmen die Mandate der Bundeswehrbeteiligung an UNIFIL vor der libanesischen Küste, an MINUSMA in Mali und KFOR im Kosovo. Unter den mehr als 60 TeilnehmerInnen waren allein sieben Richter des Bundesverfassungsgerichts.

Nach einführenden Worten von Prof. Michael Eichberger, Vorsitzender des Präsidiums der Dt. Sektion der IJC und Richter am BVG, und Bundestagspräsident Prof. Lammert sprach Verteidigungsminister a.D.Volker Rühe zu den Ergebnissen der von ihm geleiteten o.g. Kommission. Prof. Dr. Jochen von Bernstorff sprach zu Rüstungskontrolle (Urteil des BVG vom 21. Oktober 2014 zur Parlamentsbeteiligung bei Rüstungsexporten). Ich sprach zur Parlamentsbeteiligung beim Handeln der Vereinten Nationen - allgemein in Fragen von Frieden und Sicherheit und konkret bei UN-geführten und UN-mandatierten Einsätzen. Hierbei nahm ich zu den Vorschlägen der Kommission Stellung.

Es folgten eine verfassungsrechtliche Bewertung durch Prof. Peter Huber, Richter des Bundesverfassungsgerichts, und eine politische Bewertung durch Ministerialdirektorin Dr. Patricia Flor, Leiterin der Abteilung für internationale Ordnung, Vereinte Nationen und Rüstungskontrolle im AA, Niels Annen, SPD-MdB, Mitglied der Rühe-Kommission, und Britta Haßelmann, MdB Bündnis 90/Die Grünen, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin.

http://www.juristenkommission.de/index.php/kurztagung-2015

Meine Ausführungen zur Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen und Krisenengagements(mit Ergänzungen ggb. dem gesprochenen Wort)

Von 1994 bis 2009 war ich an 70 Mandatsentscheidungen zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr in 13 Regionen beteiligt, 20 davon zu Afghanistan. Fünf der Startentscheidungen waren zumindest in unserer Fraktion äußerst umstritten, bei Kosovo und Afghanistan stand die politische Zukunft der rot-grünen Koalition wie der grünen Fraktion und Partei auf dem Spiel. In zwei Fällen (Irak 2003, Afghanistan-Süd 2007) war ich an der politischen Verhütung eines deutschen Einsatzes beteiligt. 2004 wirkte ich bei der rot-grünen Koalitionsarbeitsgruppe für ein Parlamentsbeteiligungsgesetz mit. Im Rahmen des Beirats Innere Führung beim Verteidigungsministerium arbeite ich seit vier Jahren zu Einsatzrückkehrern und –folgen, insbesondere zu PTBS, im Beirat Zivile Krisenprävention beim Auswärtigen Amt zu nicht-militärischen Komponenten der Krisenbewältigung.

Außenpolitik ist traditionell eine Domäne der Exekutive. In der Verteidigungspolitik hat der Bundestag verfassungsrechtlich von vorneherein ein besonderes Gewicht. (Stellung des Verteidigungsausschusses, Wehrbeauftragter). Hinzu kommt, dass Kriseneinsätze im Unterschied zur grundsätzlich unstrittigen und plausiblen Landesverteidigung in jedem Einzelfall begründet und gerechtfertigt werden müssen. Für die Umsetzung und Wirksamkeit eines Einsatzes ist seine Legitimation im Entsende- wie im Einsatzland von zentraler Bedeutung.

Bei Debatten um Parlamentsbeteiligung bei Kriseneinsätzen war über viele Jahre auffällig, wie sehr sie von Fragen der Legitimation, der Verfahren und Zuständigkeiten dominiert wurden und wie wenig es dabei um Zielklarheit und Wirksamkeit ging. Der Wirksamkeitsdiskurs gewann erst mit der Verschärfung des Afghanistaneinsatzes an Bedeutung.

Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen geschieht im Informationszugang, im Budgetrecht, in unterschiedlichen Graden an Mitsprache und Mitentscheidung.

Schlaglichter zur Parlamentsbeteiligung im Hinblick auf das Handeln der UN allgemein (...)

Zum Kommissionsbericht:

(1) Befürchtungen, die Kommission würde die Parlamentsbeteiligung schwächen, bestätigten sich insgesamt nicht. Der Forderung nach „Vorratsbeschlüssen“ wurde eine deutliche Absage erteilt. Die grundsätzliche und unverzichtbare Bedeutung der Parlamentsbeteiligung bekräftigte der Kommissionsvorsitzende Rühe mit dem Satz „Was ich nicht erklären kann, kann ich auch nicht durchsetzen.“

Zu eng hatten die Koalitionsfraktionen  meines Erachtens den ursprünglichen Auftrag formuliert mit der Fokussierung nur auf das Spannungsverhältnis zwischen militärischer Verzahnung/Integration in NATO/EU und Parlamentsbeteiligung. Der Abschlussbericht weitet den Blick, berücksichtigt auch den Bedarf von UN-Friedenseinsätzen und macht zentrale Vorschläge zur Einbeziehung nichtmilitärischer Komponenten und zur Wirksamkeitskontrolle  von Kriseneinsätzen generell. Diese für die Wirksamkeitsverbesserung von Kriseneinsätzen elementaren Empfehlungen blieben in der Medienberichterstattung nahezu unbeachtet.

(2) Vorschläge im Zusammenhang multilateraler militärischer Verbundfähigkeiten

In der Vergangenheit diente die fortschreitende militärische Verzahnung und Integration als zentrales “Sachzwang“-Argument für die Einschränkung der Parlamentsbeteiligung. Die Kommission bricht mit dieser Tradition und empfiehlt eine rechtzeitige und regelmäßige Unterrichtung des Parlaments über Schritte der Verzahnung und multinationale Verpflichtungen.

Im Hinblick auf Stäbe und Hauptquartiere gibt es ein unbestreitbares Dilemma zwischen Parlamentsbeteiligung und Integrationserfordernissen. Ich komme aus Münster. Beim dortigen Deutsch-Niederländischen Corps stellen die Rahmennationen Deutschland und Niederlande jeweils ein Drittel des Stabspersonals. Um schnell in komplexen Situationen mit großen Mengen an Menschen und Material handlungsfähig zu sein, muss das Personal eingespielt sein, wird soviel geübt wie bei keinem anderen Ressort. Hier ein Drittel des Stabspersonals rauszuziehen, hieße, es insgesamt zu blockieren. Ein solches über eine bloße Nichtbeteiligung hinausgehendes, einseitiges Blockaderecht wäre tödlich für jede militärische Lastenteilung, Verzahnung und Integration.

Insofern halte ich die Empfehlung, Personal in integrierten multinationalen Hauptquartieren und Stäben aus der Mandatierungspflicht herauszunehmen, solange sie sich nicht auf dem Gebiet eines bewaffneten Konflikts befinden oder dort eingesetzte Waffen (z.B. Drohnen) bedienen, für sinnvoll. Der Vorschlag aktualisiert die Ausnahmeregelung, wie sie in der Gesetzesbegründung von 2004 formuliert worden war – und danach in Vergessenheit geraten war.

(3) Klärung zum Einsatzbegriff

Angesichts der Auffächerung der Einsatzarten (nicht mandatierte „neue Einsatzformen“) ist eine Klärung, was unter „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ fallen soll, notwendig. Zentrale Kriterien sind dabei potenziell erhebliche Risiken für Leben und Gesundheit der eingesetzten Soldaten und das politische Eskalations- und Verstrickungspotenzial. Ein unbewaffneter Beobachtungs- oder Hilfseinsatz (z.B. Marineeinsatz zur Rettung von Flüchtlingen im Mittelmeer) kann auch erhebliche seelische Verwundungen zur Folge haben. Betroffene Soldaten wären versorgungsrechtlich aber schlechter gestellt als Soldaten, die bei einem mandatierten Einsatz geschädigt werden. Dasselbe gilt für Offiziere bei einer politischen Mission wie UNAMA in Afghanistan.

Hinzu kommen gegensätzliche Risiken: Eine Verengung des Einsatzbegriffes könnten Hintertüren für ein Unterlaufen der Parlamentsbeteiligung öffnen. Eine weitere Ausweitung des Einsatzbegriffes könnte zu einer unverhältnismäßigen Beanspruchung des Parlaments durch Einsatzentscheidungen führen.

(4) Zur Formulierung von Mandaten

Hier dominierte in der Vergangenheit in der Regel eine Grundhaltung des „engen Zügels“ und einer innenpolitischen Opportunitätsvermutung. Extrembeispiele dafür ist der von der Bundesregierung verantwortete Unsinn, erst nach dem Muster „9.98 Euro“ eine personelle Obergrenze zu setzen und dann den Auftrag zu formulieren. (So bei EUFOR DRC 2006 und bei RSM Afghanistan 2014)

Vorsicht vor „mission creep“ ist historisch überaus begründet, aber nur die halbe historische Erfahrung. Zentrale Erfahrungen von UN-Missionen wurden im Brahimi-Report von 2000  zusammengefasst. Demnach kommt es entscheidend darauf an, die „goldenen Monate“ des Beginns einer Mission mit starken Kräften konsequent und bestmöglich zu nutzen.

Und bei Bundeswehreinsätzen zeigte militärische Führung nie ein Interesse an möglichst großen Kontingenten, sondern ein doppeltes Interesse an Reserve und Flexibilität als Vorsorge für plötzliche Lageveränderungen einerseits und des sparsamen Umgangs mit eigenen Kräften und Ressourcen andrerseits.

Wo der Brahimi-Report zu allererst klare und erfüllbare Mandate forderte, wo es um bestmögliche Wirksamkeit gehen sollte – und nicht um Symbolpolitik -, müsste diese Flexibilität bei der Formulierung von Mandaten eigentlich selbstverständlich sein.

Sehr zu begrüßen ist die Empfehlung, spezifische Flexibilitätsanforderungen der UN zu berücksichtigen (z.B. für schnelle Überbrückungsmissionen oder „Intermission Cooperation“).

(5) Strategische Debatte über verstärktes Engagement bei UN-Friedensmissionen

Eine solche Debatte und Klärung ist dringend notwendig und überfällig. Bisher ist Deutschland im Hinblick auf UN-Friedenseinsätze ein verlässlicher Beitragszahler, ein hervorragender Ausbilder von Militärbeobachtern (VN-Ausbildungszentrum in Hammelburg), ABER ein äußerst schwacher Personalsteller:

Von rund 86.000 UN-Soldaten kommen aus Deutschland 244, von 12.000 UN-Polizisten 20, von 5.200 UN-Zivilexperten  42. Die Bundesrepublik nimmt damit Rang 57 der Personalsteller bei UN-geführten Einsätzen ein. Und das, wo deutsch Fachkräfte international einen sehr guten Ruf haben und besonders gefragt sind.

Angesichts einer „aus den Fugen geratenden Welt“ ist die Unterstützung der Instrumente, Maßnahmen und Foren globaler kollektiver Friedenssicherung gerade im Rahmen der UN notweniger denn je – und ihre Vernachlässigung ausgesprochen kurzsichtig.

(6) Berücksichtigung nichtmilitärischer Komponenten

Multinationale Kriseneinsätze sind seit den 90er Jahren – ausgenommen Rettungseinsätze - nie reine Militäreinsätze, sondern durchweg multidimensional auch mit diplomatischen, polizeilichen, zivilen Komponenten. Wahrgenommen und debattiert werden sie aber bis heute fast nur als Militäreinsätze (Militärlastigkeit) – mit der Konsequenz einer notorischen Unterausstattung der zivilen Komponenten. (Auf diesen den Missionserfolg gefährdenden Mangel wiesen vor allem Offiziere in Afghanistan immer wieder hin.)

Eindringlich zu begrüßen ist die Empfehlung, „zivile Aufgaben und Komponenten einer umfangreicheren, multidimensionalen Krisenreaktionsmission“ in die parlamentarischen Beratungen über einen bewaffneten Einsatz einzubeziehen. Damit erhalte die Bundesregierung die „Gelegenheit zu zeigen, dass militärische Einsätze in eine Gesamtstrategie eingebunden und nicht isolierte Akte staatlichen oder bündnispolitischen Handelns sind.“ (Dies verweist auf den faktischen Strategiemangel bei vielen Einsatzbeteiligungen. Das erste ressortübergreifende Gesamtkonzept zum deutschen Afghanistanengagement erschien im September 2003 – fast zwei Jahre nach Start! Zur deutschen Polizeiaufbauhilfe und der deutschen Lead-Rolle beim Polizeiaufbau debattierte der Bundestag erstmalig am 9. November 2007!)

Richtig ist der einschränkende Hinweis, dass die nichtmilitärischen Komponenten nicht Teil des konstitutiven Parlamentsvorbehalts sind. (vgl. mein Erläuterungsbrief an die Kommission im Anhang)

Die Kommission nimmt damit eine Forderung auf, wie sie seit Jahren vor dem Hintergrund der Einsatzerfahrungen von vielen hohen Offizieren wie auch von uns Grünen eindringlich erhoben wurde.

(Zum sinnvollen vereinfachten Verfahren mache ich keine Ausführungen. 2004 nahmen wir eine entsprechende Regelung in das Parlamentsbeteiligungsgesetz auf, um insbesondere Kleinstbeteiligungen bei UN-Missionen zu erleichtern. Vorherige diesbezügliche UN-Anfragen hatte das Auswärtige Amt wegen des unverhältnismäßigen Aufwandes einer Mandatsentscheidung abgelehnt.)

(7) Unterrichtung des Bundestages, Bilanzierung und ressortübergreifende Evaluierung

Die Unterrichtung des Bundestages über die Einsätze war quantitativ umfassend, qualitativ oft unzureichend. Im Vordergrund standen in der Regel Berichte über Maßnahmen und besondere Ereignisse, einher gehend oft mit einer Unkultur der Schönrednerei. Viel zu kurz kamen demgegenüber systematische Wirksamkeitsbewertungen und Evaluierungen. Statt diese einzufordern, fokussierte sich der Verteidigungsausschuss auf Mikrokontrolle. Zum Afghanistaneinsatz erschien der erste bilanzierende Gesamtbericht, der den Namen verdiente, im Dezember 2010 („Fortschrittsbericht“), neun Jahre nach Einsatzbeginn!

Der langjährige Verzicht auf Wirksamkeitskontrolle war ein strategisches Versäumnis und – da von Koalitionsmehrheiten geduldet  - eine parlamentarische Selbstentmündigung. Mandatsverlängerungen erfolgten deshalb keineswegs immer „nach bestem Wissen“.

Auch hier nimmt die Kommission eine Forderung auf, die von uns seit 1999 (Kosovo) immer wieder erhoben wurde und von Militärs seit langem geteilt wird. 2004 scheiterte unser Bemühen, die Bilanzierungs- und Evaluierungspflicht in den Gesetzestext aufzunehmen.

Bezüglich der Unterrichtung über geheimhaltungsbedürftige Einsätze von Spezialkräften ist an ein ernüchterndes Ergebnis des Kurnaz-Untersuchungsausschusses (2008/9) zu erinnern: Wegen unzureichender Unterrichtung blieb den zuständigen Abgeordneten über Jahre verborgen, dass der KSK-Einsatz im Rahmen der Operation Enduring Freedom in Afghanistan lange Zeit nicht mehr militärisch notwendig war, sondern nur noch bündnispolitisch  motiviert war. Eine Unterrichtung muss die kontrollierenden Abgeordneten befähigen, die Sinnhaftigkeit auch eines Spezialkräfteeinsatzes beurteilen zu können.

Selbstverständlich bleiben Spezialkräfteeinsätze außerhalb von Mandaten – außer bei Gefahr im Verzug – unzulässig. Möglichkeiten für eine Fehlinterpretation der Kommissionsempfehlung in Richtung nicht-mandatierter Einsätze sehe ich nicht.

(8) Reflexion der verfassungsrechtlichen Grundlagen

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz regelt nur das Verfahren der parlamentarischen Beteiligung und Kontrolle, nicht die Ziele und Normen von Einsätzen. Dass Einsätze „ausschließlich auf der Grundlage des Verfassungsrechts und des Völkerrechts“ zu erfolgen haben, steht nur in der Gesetzesbegründung zu § 1. Unverändert blieb bis heute, dass kaum ein Bereich staatlichen Handelns in Verfassung und Gesetz so allgemein  normiert ist wie das besonders teure, riskante, ggfs. tückische Mittel von Auslandseinsätzen. Der neuere Auftrag der Krisenbewältigung ist nicht aus dem Wortlaut des Grundgesetzes, sondern nur unter Zuhilfenahme des Urteils des Bundesverfassungsgerichts erkennbar. Dies hat mit zu dem gewachsenen Durcheinander im öffentlichen Diskurs um den Auftrag der Bundeswehr beigetragen, wo nicht wenige von Interessenverteidigung weltweit sprechen und Krieg wieder für ein Mittel der Politik halten – als gäbe es die UN-Charta nicht.

Mein Vorschlag ist deshalb seit längerem, das Grundgesetz in dem Sinne zu präzisieren, dass bewaffnete Streitkräfte außerhalb der Landes- und Bündnisverteidigung nur eingesetzt werden dürfen zur internationalen Friedenssicherung, Gewaltverhütung und internationalen Rechtsdurchsetzung im Dienste kollektiver Sicherheit und im Rahmen des Völkerrechts.

Zusammenfassung

Gegenwärtig erleben wir eine Häufung näher rückender, hochdynamischer Krisen und Kriege, die nicht kurzfristig abklingen werden und die die Staaten“gemeinschaft“ erkennbar überfordern.

Mehr denn je kommt es auf schnelles Lernen, wirksamere Verfahren und Instrumente, auf effektiveren Multilateralismus an.

Die Empfehlungen der Kommission bieten erhebliche Chancen, die Wirksamkeit deutscher Beiträge zu multinationaler und multidimensionaler Krisenbewältigung und die Parlamentsbeteiligung dabei zu verbessern.

Einzelne Streitfragen halte ich für lösbar.

Anmerkungen

Die Große Koalition wäre ausgesprochen schlecht beraten, wenn sie die Formulierungsvorschläge der Kommission zu einer Gesetzesänderung einfach durchziehen würde. Bedenken aus der Opposition müssen ernst genommen werden und Wirkungschance haben.

Die Medienberichterstattung zum Kommissionsbericht kreiste überwiegend um

Parlamentsrechte vs. Rechte der Exekutive – bei Entscheidungen über Krieg und Frieden also nur um Zuständigkeiten. Weitgehend unbeachtet bleiben die Empfehlungen, die entscheidend sind für die Effektivitätssteigerung, Friedensverträglichkeit und UN-Fähigkeit von Kriseneinsätzen und die hierzu einen Durchbruch bringen können.

Wichtige Beiträge

von Hauke Friederichs „Rühe-Kommission: Umständlichist gut. Ob in Mali, Dschibuti oder im Kosovo: Kein Bundeswehrsoldat zieht ohne Erlaubnis des Parlaments in einen Einsatz. Das ist aufwändig. Und sehr gut sohttp://www.zeit.de/politik/deutschland/2015-06/ruehe-kommission-bundeswehr-parlamentskontrolle

von Christian Mölling und Alicia von Voß „Parlamentsvorbehalt: So wird es nichts mit der europäischen Armee“ (18.6.2015) http://www.swp-berlin.org/de/publikationen/kurz-gesagt/parlamentsvorbehalt-so-wird-es-nichts-mit-der-europaeischen-armee.html

Ein Vergleich

Bei der öffentlichen Anhörung der Kommission am 11. September 2014 nahm ich als Sachverständiger Stellung. Viele und vor allem die wichtigsten meiner Empfehlungen finde ich im Kommissionsbericht wieder. Das überrascht mich nicht, weil ich um zentrale Übereinstimmungen mit einzelnen Kommissionsmitgliedern wusste und bei der Kommission eine erhebliche Offenheit erlebte. (Meine Stellungnahm in der Anhörung  http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1313 )

Anhang

Brief an die Kommissionsmitglieder zur

Berücksichtigung nichtmilitärischer Komponenten

Sehr geehrter Herr Vorsitzender,                                                           Münster, 16.09.2014

sehr geehrte Mitglieder der Kommission,

für die Gelegenheit, vor Ihrer Kommission zur Verbesserung der multilateralen Handlungsfähigkeit und Parlamentsbeteiligung bei Auslandseinsätzen Stellung nehmen zu dürfen, danke ich Ihnen sehr.

Gestatten Sie, dass ich zu einem Punkt Anmerkungen nachliefere, den ich die „Schattenseite der Parlamentsbeteiligung“ nannte, leider aber in der Schlussrunde nicht mehr gebührend ansprach: die immer wieder zu geringe Thematisierung und Implementierung der nichtmilitärischen Komponenten in multidimensionalen Einsätzen. (Schriftliche Stellungnahme 3. c und 4. e)

Problemlage: Bei ca. 30 Besuchen in Einsatzgebieten auf dem Balkan und in Afghanistan fiel mir immer wieder die relative Schwäche insbesondere der diplomatischen und polizeilichen Komponenten auf. Die von führenden Militärs genannte Faustformel, dass 80% eines Einsatzerfolges an den politischen und zivilen Anstrengungen hänge, wurde beim Afghanistaneinsatz über Jahre ignoriert: Noch im September 2009 bestand die Position des Political Adviser beim ISAF Regional Commander North, dem politischen Ansprechpartner für neun Gouverneure, aus einer Person, ohne Vertreter und Mitarbeiter; bei Heimaturlaub war seine Stelle vakant. (ab 2010 Senior Civilian Representative) Die deutsche Botschaft in Kabul verfügte über drei Referenten des Höheren Dienstes und sollte damit laut Ressortzuständigkeit die Federführung des AA für den ganzen AFG-Einsatz umsetzen. (Die britische Botschaft mit ihren ca. 800 Angehörigen hatte allein drei Referenten für afghanische Innenpolitik.)

Im strategischen Schlüsselbereich Polizeiaufbau hatte Deutschland die Lead-Rolle. Im Oktober 2006 wurde sie mit 40 Polizeibeamten von Bund und Ländern und 12 Mio. Euro ausgefüllt. Angesichts der Verschlechterung der Sicherheitslage und gigantischen  Herausforderungen beim Polizeiaufbau erhöhten die USA 2006 ihre Aufwendungen für Polizeihilfe von 200 Mio. auf 1,6 Mrd. US-$ und entsandten 600 Berater.

Im Bundestag wurden diese grundlegenden Fähigkeitsdefizite wohl angesprochen, aber lange nicht weiter thematisiert. Die erste Bundestagsdebatte zur deutschen Polizeiaufbauhilfe Afghanistan fand am 9. November 2007 statt! Für die Medien, die schnell über Mängelanzeigen des Wehrbeauftragten berichten, war diese zivile Schwäche fast nie ein Thema.

Schlussfolgerung: Seit ca. 2006 trete ich deshalb dafür ein, bei Mandatsentscheidungen parallel zu den militärischen Aufgaben und Fähigkeiten auch zivile und polizeiliche Aufgaben und Fähigkeiten/Kapazitäten sowie die dafür bereit zu stellenden Ressourcen zu beschließen. Diese politische Selbstverpflichtung von Bundesregierung und Bundestag sollte für Schwerpunkteinsätze, nicht für jeden Kleinsteinsatz gelten. Anknüpfend an die Tradition der Entschließungsanträge könnte auch der Bundestag hierbei die Initiative ergreifen.

Die Absicht dabei ist, die nichtmilitärische Dimension eines Kriseneinsatzes regelmäßig und angemessen in den Blick zu nehmen und entsprechende Handlungsfähigkeit zu verbessern.

Auf keinen Fall sollen damit die nichtmilitärischen Komponenten einer konstitutiven Zustimmungspflicht unterworfen werden. Das würde die Handlungsfreiheit der Exekutive erheblich einschränken und eine engagierte Krisenbewältigung eher behindern. (Viele polizeiliche Kleinsteinsätze würden dann wegen des unverhältnismäßigen Mandatsaufwandes gar nicht mehr zustande kommen.)

Bei der Beschlussfassung zur zivilen Seite eines Kriseneinsatzes ist zu berücksichtigen, dass die notwendigen Maßnahmen mit einheimischen und internationalen Akteuren abgestimmt werden müssen.

(...)

Winfried Nachtwei

Weitere Beiträge zur Parlamentsbeteiligung

- „Im Auftrag“: Auslandseinsätze der Bundeswehr im politischen Prozess – 20 Jahre Parlamentsbeteiligung, Ende 2013, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1273

- Parlamentarische Beteiligung und Kontrolle bei Internationalen Polizeimissionen, Vortrag in Loccum, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1256

- Bilanzierung und Evaluation deutscher Auslandseinsätze, in: Thomas Hoppe (Hg.): Verantwortung zu schützen – Interventionspolitik seit 1990 – eine friedensethische Bilanz, Analysen und Empfehlungen, vorgelegt von der Arbeitsgruppe Gerechter Friede der Deutschen Kommission Justitia et Pax, Verlag Dr. Köster, Berlin Juni 2014