Ministerrede zu "Kommunikation der Bundeswehr" in Dresden

Von: Nachtwei amSo, 08 Juli 2012 16:36:19 +01:00

Am 6. Juli 2012 sprach Minister Dr. Thomas de Maizière auf einer Veranstaltung von Institut für Kommunikationswissenschaften der TU Dresden und dem BMVg über "Kommunikation der Bundeswehr" im Militärhistorischen Museum. Es war einer der ganz seltenen Fälle, wo ein Minister eine Rede zur strategischen Frage der sicherheitspolitischen Kommunikation hielt. Institutsdirektor Prof. Dr. Wolfgang Donsbach leitete die Diskussion mit dem Minister. Dass dieser sich dreimal auf Untersuchungen des SOWI (Sozialwissenschaftliches Institut der Bundeswehr) bezieht und damit dessen Notwendigkeit betont, fällt Beobachtern der Umstrukturierung sehr wohl auf.



Ministerrede zur „Kommunikation der Bundeswehr" am 6. Juli 2012 in Dresden

Dass endlich mal ein Minister zur Bundeswehrkommunikation - und damit zur sicherheitspolitischen Kommunikation generell - sprach, war mir die Bahnreise von Münster aus wert. Danke an Thomas Wiegold, der auf www.augengeradeaus.net darauf aufmerksam machte und die Rede eingestellt hat. Es hat sich gelohnt.

Ausgehend von den veränderten Rahmenbedingungen behandelte der Minister drei Ebenen von Kommunikation: die politische (sicherheitspolitische Meinungsbildung), die gesellschaftliche Verankerung und die Nachwuchsgewinnung (nicht die Binnenkommunikation).Er sprach klar, genau, nüchtern, stand souverän und nachdenklich im Stoff, dachte permanent die gesellschaftspolitische Dimension mit und widersprach ruhig so manchen gängigen Bildern und Wahrnehmungsmustern („freundliches Desinteresse", Struck-Satz von der „Verteidigung am Hindukusch", Verkürzung der Einsatzwahrnehmung auf Afghanistan und Krieg).

Diesen Minister kenne ich nicht aus dem politischen Alltag in Bundestag, im Ausschuss und bei der Truppe. Aber nach seinen Reden zu urteilen, scheint er mir so sehr wie kein Vorgänger seit 1994 dazu geeignet, die sicherheitspolitische Kommunikation und Debatte in Deutschland voranzubringen. Wo sonst in der Sicherheitspolitik Worthülsen-Artillerie vor allem für Nebel sorgt(e), scheint mir jetzt die Chance zu produktiverer sicherheits- und friedenspolitischer Kommunikation, zu Dialog, Klärung und - zumindest partieller - Verständigung zu bestehen. Die sollten ALLE, die daran interessiert sind, auch wahrnehmen!

Im Einzelnen zur politischen und gesellschaftlichen Ebene:

(a) Internationale Verantwortung und nationale Interessen: Als klärend und hilfreich empfinde ich die Aussagen des Ministers zu nationalen Interessen und internationaler Verantwortung. Zu Recht kritisiert er die Geringschätzung der internationalen Sicherheitsverantwortung in deutscher Politik und Gesellschaft - im Unterschied zu vielen anderen in den Vereinten Nationen (VN) engagierten Ländern. Hier knüpft meine erste Frage aus dem Publikum an: Warum in Deutschland so wenig die Rede davon ist, ja überhaupt bewusst ist, dass Mitglieder der VN auch grundsätzlich dazu verpflichtet sind, zur VN-Friedenssicherung beizutragen? Mit dieser VN-Rückbesinnung könne mit Blick auf die VN-Charta zugleich wieder mehr Klarheit in Sachen Krieg und Frieden geschaffen werden.

De Maizière nennt als Beispiel Brasilien, das jetzt das UNIFIL-Kommando habe und damit in der dortigen Region sicher keine engeren nationalen Interessen verfolge. Der Satz von der „Verteidigung am Hindukusch" sei richtig und falsch zugleich. Nachtweis Kritik an der geringen deutschen Beteiligung an VN-geführten Einsätzen habe eine „gewisse Berechtigung".

(vgl. die Ergebnisse der Bevölkerungsumfrage des Sozialwissenschaftlichen Instituts der Bundeswehr SOWI: Seit 1996 votieren zwischen 45 und 55% der Befragten gegen eine aktive deutsche Außen- und Sicherheitspolitik, die bei der Bewältigung von Problemen, Krisen und Konflikten auf internationaler Ebene mithelfen sollte.)

(b) Gesellschaftspolitische Lage der Bundeswehr: Diese sieht der Minister auffällig positiv. Bedenkenswert sind die Hinweise auf die besonderen Beiträge der Bundeswehr zu gesellschaftlichem Zusammenhalt. Ausgeblendet bleibt dabei aber, dass es neben den hohen Zustimmungswerten zu Bundeswehr als Institution ein überwiegendes sicherheitspolitisches Desinteresse gibt - und in erheblichen Teilen der Gesellschaft ausdrücklich Distanz, Skepsis bis Ablehnung gegenüber den Streitkräften. Ausgeblendet bleibt der Akzeptanzverlust des größten, des Afghanistaneinsatzes, einhergehend mit einem enormen Vertrauensverlust der auftraggebenden Politik bei den Soldaten. Wo die Legitimation des teuersten und opferreichsten Einsatzes wohl formal (mit Parlamentsbeschluss), aber immer weniger inhaltlich-überzeugend gegeben ist, da steht auf Dauer der Staatsbürger in Uniform und die Integration der Bundeswehr in der Gesellschaft auf dem Spiel.

(c) Kohärenz der Kommunikation: Ihre Notwendigkeit betont der Minister zu Recht - für sein Ressort. Zur ressortübergreifenden Kohärenz stelle ich meine zweite Frage aus dem Publikum: Wo der aktuelle Bundeswehrauftrag Krisenbewältigung sei, wo diese nur gemeinsam mit Diplomatie, Entwicklungshilfe, Polizei u.a. erreicht werden könne, da werde die Kommunikation ressortübergreifender Sicherheitspolitik in erster Linie von Verteidigungsministerium/Bundeswehr bestritten, von anderen kaum bis gar nicht!? Der Minister betont, dass die Konflikte, mit denen Bundeswehr zu tun hat(te), militärisch nicht zu gewinnen seien. Aus dieser Erkenntnis sei der vernetzte Ansatz/Comprehensive Approach entstanden. Eigentlich müssten bei allen Einsätzen die Beiträge der anderen Ressorts stärker, die des Militärs geringer werden. Das geschehe aber nicht. „Andere Politikfelder drücken sich vor ihren Aufgaben." Justiz, Umwelt Verkehr ... müssten ihre Beiträge leisten. Aber die sagen: Warum ich? Die anderen hätten auch sicherheitspolitische Aufgaben, nicht unter Kommando der Bundeswehr, sondern komplementär! Bei seinem ersten Besuch im Hauptquatier der VN habe man ihm gesagt, es sei leichter, von den Mitgliedsländern ein Kampfbataillon zu bekommen als 20 Staatsanwälte.

Das Votum des Ministers für den vernetzt-ressortübergreifenden Ansatz ist überaus deutlich. Die fundamentalen Mängel an ressortübergreifender sicherheitspolitischer Kommunikation kommen aber nicht mehr zur Sprache. Und die behindern seit Jahren eine breitere sicherheits- und friedenspolitische Debatte und Verständigung. Dass Konflikte heutzutage in der Regel nicht militärisch gelöst werden können, ist unter Politikern und insbesondere Militärs in Deutschland Allgemeingut. Die reale sicherheitspolitische Kommunikation wird aber  - geschätzt - zu 90% von militärischer Seite bestritten, in Schulen allein von Jugendoffizieren. Andere Ressorts steuern - wenn überhaupt - etwas Routine-Öffentlichkeitsarbeit bei - und das angesichts einer sowieso schon geringeren medialen Attraktivität ziviler Maßnahmen. (vgl. das mediale Schweigen zu 10 Jahren ZIF im Mai 2012) Heraus kommt dabei eine Wahrnehmung, wo Bundeswehr de facto alleiniger Repräsentant von Sicherheitspolitik ist - und wo die Bilder-Botschaft von Militär und schwerem Gerät Macht, Durchsetzung, „Knoten durchhauen", „militärische Konfliktlösung" bleibt. Wo Anspruch, Praxis und Kommunikation von Sicherheitspolitik so auseinanderklaffen, ist es kein Wunder, dass in der fragmentierten Welt friedens- und sicherheitspolitisch interessierter Kreise und Zirkel viel aneinander vorbei geredet wird, dass eine breitere Debatte wohl seit vielen Jahren beschworen, aber nie erreicht wurde.

(d) Dialogversuche: De Maizière betont seinen Willen, gerade auch mit denjenigen Gruppen ins Gespräch zu kommen, die gegenüber der Bundeswehr stumm oder ablehnend seien, auch mit gewissen Provokationen seinerseits. Sein Vorschlag zum Veteranentag sei nur von den „üblichen Verdächtigen" diskutiert worden. Ansonsten habe es habe keinen empörten Brief gegeben.

Nicht angekommen ist wohl im Ministerium der Vorschlag der ZIF-Direktorin Dr. Almut Wieland-Karimi, den 29. Mai („International Day für UN-Peacekeepers") als Tag der militärischen u n d  zivilen Teilnehmer an Friedensmissionen zu begehen. Ein Blick in die Resolution der Teilnehmenden der 32. Friedenskonsultation der landeskirchlichen Friedensausschüsse und christlichen Friedensdienste vom 16. Juni zum Thema „Quo vadis Bundeswehr?" macht deutlich, wie anders und hochkritisch altbekannte Aussagen aus Verteidigungspolitischen Richtlinien bewertet werden, wie hoch der Dialogbedarf also ist.

Soll Dialogbereitschaft nicht in Simulation versanden, ist es angebracht, zentrale Streitfragen zu identifizieren und mit Kontrahenten anzugehen: friedens- und sicherheitspolitische Verpflichtungen im Rahmen der VN, Klärung des Verteidigungsbegriffs, Friedensauftrag des Grundgesetzes und Rückkehr des Krieges „von unten", nationale + kollektive Interessen und internationale Verantwortung, Grundgesetzpräzisierung etc.)

(e) Chancen nutzen statt vertun: Nach mehr als drei Jahrzehnten Engagement auf dem Feld der Friedens- und Sicherheitspolitik bin ich überzeugt, dass die Chancen weiterhin relativ gut sind zu einem gesellschaftlichen Mehrheitskonsens für eine friedensorientierte Außen- und Sicherheitspolitik. Um die Chancen nutzen zu können, wären aber einige Hindernisse zu identifizieren und abzuräumen. (vgl. eine Sammlung meiner Beiträge „Seit Jahren beschworen und nicht erreicht: Die breite sicherheits- und friedenspolitische Debatte - Hemmnisse und Ansätze" www.nachtwei.de/index.php/articles/1146 )