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Nachtwei: Afghanistan nicht im Stich lassen

Veröffentlicht von: Webmaster am 8. September 2007 09:33:39 +01:00 (60969 Aufrufe)
Im Vorfeld des Sonderparteitages der Grünen zu Afghanistan fordert Winfried Nachtwei in der wöchentlichen Kolummne von ddp einen deutlichen Strategiewechsel in der Afghanistanpolitik der Bundesregierung. Den Beitrag dokumentieren wir hier:
Macht der Afghanistan-Einsatz noch Sinn? Wie kann die Negativentwicklung umgekehrt werden? Darüber scheiden sich die Geister in der Bevölkerung, in der Politik, ja auch unter Soldaten.

Darüber werden die Grünen am 15. September auf einem Sonderparteitag in Göttingen streiten. Durchgesetzt wurde der Parteitag durch ein Minderheitenvotum von 10% der Kreisverbände, die sich an der Zustimmung eines Teils der Parteiführung und der Fraktion zu dem Einsatz der deutschen Aufklärungs-Tornados stießen. Gegenwärtig ist die Sachdiskussion durch den Dissens der Führungsebene über das Abstimmungsverhalten im Bundestag aufgeladen. Das ist unnötig und droht, die Chance einer großen und intensiven Sachdebatte zu Afghanistan zu beschädigen.

Unbestreitbar ist die deutsche Mitverantwortung für Sicherheit und Entwicklung in Afghanistan: aus sicherheitspolitischem Interesse, aus Solidarität mit einem von mehr als 20 Kriegsjahren geschunden Volk, aus unserer Verpflichtung auf die UNO-Staatengemeinschaft. Wir dürfen und wollen Afghanistan nicht im Stich lassen.

ISAF ist weiterhin unverzichtbar. Die Auseinandersetzung mit den Taliban und anderen Aufständischen ist militärisch nicht zu gewinnen. Zugleich ist angesichts der enormen Gewaltpotenziale im Land sowie aus Pakistan eine militärische Absicherung von Aufbau und Entwicklung unverzichtbar. Ohne ISAF-Präsenz wäre Unterstützung beim Aufbau von Polizei, Justiz und Armee zu einem funktionierenden staatlichen Gewaltmonopol unmöglich. Im Norden und Westen ist die Sicherheitsunterstützung durch ISAF trotz schwacher Kräfte erfolgreich, kommt die Entwicklung voran. In den Unruheprovinzen des Südens und Ostens herrschen dagegen seit dem letzen Jahr Zustände eines asymmetrischen Krieges.

Zum Tornado-Einsatz hat die Bundesregierung bisher keine Bilanzierung vorgelegt. Auch wenn die Tornados angeblich nicht direkt bei Luftangriffen mit Zivilopfern beteiligt gewesen sein sollen, ist das Verhältnis von Kosten und Nutzen zweifelhaft. Die Tornados stehen beispielhaft für eine falsche Prioritätensetzung in der Politik, wo für ein Waffensystem soviel Geld zur Verfügung gestellt wird wie für die deutsche Unterstützung des Polizeiaufbaus über sechs Jahre.

Enduring Freedom ist kontraproduktiv. Aus Afghanistan wird berichtet, dass die Operation durch ihre offensive Vorgehensweise Hass, Gewalt und Terror schürt. Die Bundesregierung muss sich für die Einstellung einer Operation einsetzen, die ISAF mehr schadet als nutzt und für die neben ISAF keine Rechtfertigung mehr besteht.

Konflikt entscheidend ist der zivile Aufbau. Bei mehren Besuchen im afghanischen Norden waren die Fortschritte für mich unübersehbar. Nichtsdestoweniger hat landesweit die Frustration über eine vielfach korrupte und unfähige Regierung enorm zugenommen, aber auch über eine internationale Hilfe, von der vor Ort viel zu wenig ankommt. Wo die Zeit davon läuft, ist ein Strategiewechsel, ist eine große und zügige Anstrengung dringend notwendig: Jetzt ist intelligentes Klotzen statt Kleckern angesagt!

Von dieser Einsicht ist im neuen Afghanistan-Konzept der Bundesregierung kaum etwas zu spüren. Wenn die Bundesregierung die Aufwendungen für Aufbau und Entwicklung um 25% erhöht, wo Fachleute eine Verdoppelung bis Verdreifachung für nötig halten, dann ist lächerlich.

Bei der Abstimmung über die Afghanistan-Mandate im Bundestag sollten die Grünen ein klares Signal der Verlässlichkeit gegenüber den Menschen in Afghanistan senden: der grundsätzlichen Unterstützung für ISAF, der Ablehnung von OEF, des Drängens auf eine Aufbauoffensive und der Kritik an der Halbherzigkeit der Bundesregierung. Das aber geht nur mit Geschlossenheit.