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Sicherheitspolitik und Bundeswehr + Rede von Winfried Nachtwei
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Nachtwei zum Wehrbeauftragtenbericht

Veröffentlicht von: Webmaster am 20. Januar 2006 18:46:09 +01:00 (20100 Aufrufe)
Für seine Fraktion nahm Winfried Nachtwei im Deutschen Bundestag Stellung zum vorgelegten Wehrbeauftragtenbericht. Hier seine Rede:

Präsident Dr. Norbert Lammert:
Das Wort hat nun der Kollege Winfried Nachtwei, Bündnis 90/Die Grünen.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor zehn Monaten wurde der Bericht des Wehrbeauftragten vorgelegt, jedoch kommen wir jetzt erst zur Debatte. Wir alle wissen, woran das lag, nämlich an der vorzeitigen Kündigung der letzten Koalition. Wir wissen aber auch, welche Konsequenz wir daraus zu ziehen haben, näm­lich dass wir den nächsten Bericht, Herr Wehrbeauftrag­ter, auf jeden Fall wieder sehr zeitnah hier debattieren werden.

(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Abwarten!)

Immer wieder ist die Klarstellung notwendig, dass wir es bei dem Bericht des Wehrbeauftragten mit einem Mängelbericht zu tun haben, der selbstverständlich nicht einfach ein Abbild des inneren Zustandes der Bun­deswehr ist. Nichtsdestoweniger ist es inzwischen gute Tradition der Wehrbeauftragten, mehr daraus zu machen. Er ist nämlich in erheblichem Maße auch ein Stim­mungsbericht, der wesentliche Herausforderungen be­nennt.

Ich beginne bei Defiziten und Mängeln, die von oben, von höheren Ebenen von Bundeswehr und Verwaltung, verursacht werden und zu verantworten sind. Aus zehn Kasernen wurde im Jahr 2004 über Schimmelbefall, schadhafte Sanitäranlagen usw. berichtet. Dem An­spruch auf Fürsorge und Attraktivität des Dienstes spre­chen solche Verhältnisse Hohn. Es wird von rückläufi­gen Stehzeiten von Bataillonskommandeuren berichtet. Zu Recht wird kritisiert, dass immer kürzere Stehzeiten von Bataillonskommandeuren den Aufbau eines unbe­dingt notwendigen Vertrauensverhältnisses mit den un­terstellten Soldaten behindern. Schließlich komme ich - von einem Vorredner bereits angesprochen - zur Sol­datenbeteiligung. Die Soldatenbeteiligung ist eine be­sondere Errungenschaft der inneren Führung der Bun­deswehr. Über so etwas verfügt praktisch keine andere Armee. Umso bedauerlicher ist, dass seit vielen Jahren immer wieder von Wehrbeauftragten bemängelt werden muss, dass es hier an der sorgsamen Umsetzung fehlt.

Im Berichtszeitraum fanden die Ausbildungsmiss­stände in einer Coesfelder Einheit viel öffentliche Auf­merksamkeit. Das Landgericht Münster ließ Anklagen gegen 18 Ausbilder wegen Misshandlung von Rekruten in großen Teilen nicht zu. Nur gegen einen Beschuldig­ten wurde die Anklage in vollem Umfang zugelassen. Ich will den Beschluss des Landgerichts nicht bewerten. Er weist aber auf jeden Fall darauf hin, dass Pflichten von Soldaten weit darüber hinausgehen, sich nur an Strafrecht zu halten. Umso wichtiger ist, wie die Bun­deswehr auf diese Vorfälle reagierte. Es wurde von vorn­herein erkannt, dass man es hier über das Gruppenphä­nomen in Coesfeld hinaus mit einem gesellschaftlichen Problem zu tun hat. Die Soldaten hatten insbesondere Probleme, bei so genannter realitätsnaher Ausbildung zu unterscheiden, wo die Menschenwürde verletzt wird und wo nicht.

Es wurde schnell, konsequent und flächendeckend präventiv für künftige Vorfälle reagiert. Der General­inspekteur stellte im April letzten Jahres im Verteidi­gungsausschuss einen ganzen Katalog durchgeführter Maßnahmen vor. Es ist nur schade, dass dieser Katalog nicht seinen Weg an die Öffentlichkeit fand, weil diese Vorgehensweise vorbildhaft war.

Soldaten äußern immer wieder Zweifel am Sinn von Einsätzen, zum Beispiel wenn sie in der Umgebung von Kunduz die Mohnfelder blühen sehen. Das gilt auch für die Märzunruhen 2004 im Kosovo, bei denen die ganzen Stabilisierungsbemühungen von Jahren zunichte ge­macht wurden. Hier sind Politik und militärische Füh­rung gefragt. Hier geht es nicht nur - natürlich geht es auch darum, aber nicht nur - um bessere politische Bil­dung. Es geht darum, dass Aufträge immer wieder neu und überzeugend begründet werden müssen, und zwar über eine sicherheitspolitische Insidersprache hinaus. Diese Aufträge können nur überzeugen, wenn sie einge­bettet sind in energische und glaubwürdige politische Anstrengungen der Friedenskonsolidierung, der umfas­senden Aufbauhilfe bei Sicherheitssektorreformen, De­militarisierung, Drogenbekämpfung, Institutionenauf­bau. Aufträge können nur überzeugen, wenn Erfolge mit der Zeit sichtbar und nachweisbar werden.

Die vielleicht wichtigste Konsequenz aus den Zwei­feln am Sinn dieser Einsätze ist, dass wir als Politiker endlich zur breiten politischen und gesellschaftlichen Debatte über die Rolle des Militärs in der deutschen Außen- und Sicherheitspolitik kommen müssen. Diese Debatte wird schon seit Jahren immer wieder gefordert, auch noch vor kurzem vom Bundespräsidenten auf der Kommandeurtagung. Aber wir müssen nüchtern feststel­len: Sie wurde im letzten Jahr gefordert, aber wir haben sie - trotz des Jubiläumsjahres der Bundeswehr - nicht geführt.

Ich meine allerdings, dass wir sie in diesem Jahr wirk­lich führen müssen. Hierzu bestehen im Rahmen des Er­arbeitungsprozesses des Weißbuchs der Bundesrepublik zu ihrer Sicherheitspolitik hervorragende Möglichkeiten. Diese Debatte sollte - das ist wichtig - nicht erst stattfin­den, wenn das Weißbuch vorgelegt wird, sondern wäh­rend seines Erarbeitungsprozesses. Das ist das A und O.

Ich stelle heute fest, dass an der Debatte zum Bericht des Wehrbeauftragten so viele und auch so hochrangige Kolleginnen und Kollegen des Bundestages teilnehmen wie selten zuvor. Dass die Kanzlerin bei dieser Debatte anwesend ist und dass Opposition und Koalition bei die­ser Debatte hochrangig vertreten sind, ist ein ausgespro­chen gutes Signal. Aber wir wissen, dass wir es nicht bei Signalen bewenden lassen sollten. Dieses Signal sollten wir in diesem Jahr in die Tat umsetzen.

Ich danke Ihnen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)