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13. AFG-Reisebericht: Aufbau im Schatten von Guerillakrieg und Aufstandsbekämpfung, Kabul

Veröffentlicht von: Webmaster am 23. Januar 2011 11:30:44 +01:00 (124602 Aufrufe)

Inhalt:

Einleitung, Zusammenfassung

Kabul

Mazar-e Sharif

Kunduz

Kompletten "13. AFG-Reisebericht: Aufbau im Schatten von Guerillakrieg und Aufstandsbekämpfung" als PDF-Datei herunterladen (605 KB).

KABUL

Gespräche bei UNAMA

Die Sicherungsanlagen sind massiv verstärkt. Jetzt gibt es nicht nur ein von Bewaffneten bewachtes Tor, sondern eine doppelte Sperranlage und viele Heskos. So sollen Angriffe, die den ersten Sperrring durchbrechen, wenigstens am zweiten Ring gestoppt werden können. Auch auf dem Gelände einzelne Sandsackunterstände mit Soldaten. Die Wände der ein- bis zweistöckigen Gebäude sind mit Fotos des faszinierenden Afghanistan geschmückt.

In einem Gebäude des langjährigen UN-Compounds hatte der letzte Präsident der Volksrepublik AFG und vormalige Chef der mörderischen Geheimpolizei Nadjibullah 1992 Asyl gefunden. 1996 wurde er von den Taliban gefangen, hingerichtet und durch die Stadt geschleift.

Am Gespräch mit Martin Kobler, stv. UNAMA-Chef (1998-2003 Büro Außenminister Fischer, 2006/7 dt. Botschafter im Irak), nehmen auch verantwortliche MitarbeiterInnen teil. Die Zuständigen der Units für Menschenrechte, Wahlen, politische Angelegenheiten, Polizeiberatung, Antikorruption + Governance, Rule of Law, Sicherheit, militärischer Berater.

UNAMA gliedert sich in den Pillar I (politische Angelegenheiten, Lt. M. Kobler), Pillar II (Aufbau, Hilfe, Entwicklung), Chief of Staff und Chief Security Adviser. In der Zentrale, den acht Regional und 15 Provinzbüros arbeiten 333 internationale und 1.322 afghanische MitarbeiterInnen. Ihr Jahresbudget für 2010 beträgt 242 Mio. US-$. Bei allen UN-Organisationen (plus 21 Programme, Funds, Sonderorganisationen) zusammen arbeiten 1.000 internationale und ca. 6.000 afghanische MitarbeiterInnen. Bei UNAMA gebe es ein phantastisches know how. Organisatorisch sei UNAMA aber multikuli. Es gebe nicht einmal eine Registratur.

Sicherheitslage: Die MitarbeiterInnen von UNAMA bewegen sich weitgehend ohne Schutz im Land und fahren in alle Gebiete. Es sei sehr bemerkenswert, welche Risiken sie auf sich nähmen. So würden sich ISAF und Botschaften niemals bewegen. Vor zwei Monaten wurde IED vor dem Compund gefunden. Seitdem habe man die eigenen Kräfte auf weniger, aber gesicherte Liegenschaften zusammen gezogen. Der Leiter Security/Anti-Government-Elements/Taliban ist ein Deutscher, der schon seit 2000 im Land ist.

Die von UNAMA herausgegebene „Residual Risk - UN Programme Accessibility Map" vom 30. März 2010 stuft von den 400 Distrikten landesweit 125 als low risk/grün ein, hier könne man sich unbewaffnet bewegen; 86 Distrikte medium risk/gelb, geschützte Fahrzeuge; 71 Distrikte high risk/dunkelgelb; 118 Distrikte very high risk/rot, hier ist ein special assessment notwendig. Die Hälfte der Distrikte sind also high risk. Im Norden sind nur Chahar Darreh und Archi als high risk eingestuft, alle anderen in der Provinz Kunduz (wie auch die meisten Distrikte von Baghlan und Faryab/Westen) als medium. Die Masse der Nord-Distrikte gilt als low risk.

Die Karte „ANSF District Threat Assessment 08 July 2010" bewertet neun Distrikte mit „enemy control" (vormals 16), ca. 80 mit high threat (hier nur das Zentrum des Distrikts, d.h. manchmal nur einige 100 Meter, unter staatlicher Kontrolle. Im Norden gelten Chahar Darreh, Imam Shahib und Dashte Archi in Kunduz, Baghlan Jadid in Baghlan und Ghormach im Nordwesten als high threat.

Die persönliche Sicherheit der Afghanen sei in Taliban-Gebieten z.T. besser als in Regierungsgebieten.

Zunehmend sei die Bevölkerung im Visier der Aufständischen. Bei Sprengstoffanschlägen auf ISAF werden in hohem Masse Zivilpersonen zerfetzt. Ausdrücklich angegriffen werden Menschen, die angeblich mit Regierung und internationalen Truppen zusammenarbeiten. Gruppenexekutionen vor Dörfern nehmen zu. Neuerdings würden schon solche Personen angegriffen, die angeblich nicht zureichend mit Taliban kooperieren: z.B. ein Mann, der eine Demonstrationen gegen ISAF angeführt hatte. Er war zu eigenständig.

Beobachtet wird auch eine Doppelstrategie von Taliban-Kommandeuren, die einerseits die Bevölkerung terrorisieren, andererseits Dienstleistungen anbieten.

Die Bindekraft von sozialen Strukturen nehme ab. Eltern sagen: „Wir haben keine Macht mehr über unsere Kinder."

Die Wahlvorbereitungen laufen in technischer Hinsicht besser als bei den letzten Wahlen. (...) Die Taliban-Drohungen seien sehr hart und hätten sich vervielfacht: Wählern wird mit dem Abhacken der blau markierten Finger gedroht. Zugleich versuchen Pro-Taliban-Kräfte ins Parlament zu kommen.

Die große Mehrheit wolle die Taliban nicht zurück, aber eine Machtteilung.

ISAF-UNAMA, zivil-militärische Beziehungen

(aus Gesprächen mit Insidern)

Gegenüber früheren Jahren soll sich die Zusammenarbeit zwischen ISAF und UNAMA deutlich verbessert haben. Regelmäßige Treffen auf Spitzenebene jeweils unter Einschluss afghanischer Ministerien und ANSF sind: wöchentliches UNAMA Core Ambassadors Meeting (Vors. SRSG), monatliches UNAMA Ambassadors Meeting des SRSG; monatliches Ambassadors Meeting des COM ISAF; monatlich Strategic Review Coard (Vors. COM ISAF); 14-tägig Deputies Committee (Vors. Nationaler Sicherheitsrat). Dazu häufig anlassbezogene Treffen.

Die Arbeitsebene kommt überwiegend anlass- bzw. projektbezogen zusammen: z.B. Security Operations Group; Commanders Update und Joint Security Analysis Meeting bei ISAF Joint Command; Election Support Team (alle wöchentlich); Temporary Transition Workng Group; CIMIC Working Group etc.

Die Kapazitäten, Denk- und Planungsweisen sind nichtsdestoweniger sehr unterschiedlich. Im ISAF-HQ arbeiten allein 1.600 Soldaten, im UNAMA-HQ 205 Internationale. Am Thema Sicherheitssektorreform arbeiten bei ISAF mehr als 30 Stabsoffiziere, bei UNAMA ein Desk Officer. Für das UNAMA-Schwerpunktthema Reconciliation und Reintegration steht ebenfalls ein Desk Officer zur Verfügung. Im ISAF-HQ gibt es dafür eine ganze Zelle mit vielen Stabsoffizieren und einem Zweisternegeneral. ...

Nach außen zeige ISAF große Offenheit gegenüber zivilen Akteuren. Die meisten Militärs hätten eine geringe Vorstellung davon, wie die zivile Welt funktioniere. Der Anteil der Offiziere mit Erfahrung mit zivilen Akteuren sei gering.

Militär funktioniere wie ein Uhrwerk, es sei Herr der Abläufe, wolle es zumindest sein. In der zivilen Welt sei man immer einer unter vielen, nicht Herr des Verfahrens. Es war kaum möglich, den Militärs klarzumachen, dass sie bei einem Gesetzesvorhaben nichts zur Mehrheitsbeschaffung beitragen können. Auch Ministerentscheidungen fallen in einem komplizierten Verhandlungsumfeld. Solche Prozesse sind nach vorne offen. Darauf müssen sich offenere, damit zugleich realistische Planungen einstellen.

Umgekehrt haben Zivilisten unzureichend Vorstellungen davon, was man alles bewirken kann. Viele könnten ausschwärmen. Militär habe - verglichen mit der zivilen Seite - Leute ohne Ende. Die Möglichkeiten konzertierter Einflussnahme!

UNAMA sei mit der Aufgabe Koordination überfordert. Das fängt schon vor der eigenen Haustür an: Der Pillar II agiert recht unabhängig von Pillar I, Mission Support ist ganz eigenständig. Die UN-Funds, -Programme und -Sonderorganisationen haben alle ihre eigenen Mandate.

Hier sei die politische UN-Mission mit so vielen anderen Akteuren der Internationalen Gemeinschaft konfrontiert wie nirgendwo sonst. Zudem: ISAF sei nicht koordinierbar. Bei ISAF herrsche die Vorstellung, „wir sind alleinverantwortlich; andere arbeiten uns zu". Dass man Teil einer gemeinsamen Anstrengung sei, sei nicht die Einstellung bei ISAF. So werde die GTZ eher als Zuarbeiter gesehen.

Das ISAF-Selbstverständnis als Hauptplayer übertrug sich sogar auf die Felder Governance und Entwicklung. Erst mit der Zeit realisierte man, dass ISAF auf diesen Feldern nur eine Nebenrolle spielt.

Mit der Stärkung des Senior Civilian Representative habe sich die strukturierte Zusammenarbeit zwischen ISAF und zivilen Akteuren erheblich verbessert. Der SCR wirke als Moderator und Mittler und habe einige zivile Runden gegründet.

Politische Gespräche

(die Abschnitte zu A. Abdullah, S. Samar, H. Karzai, R. Spanta, E. MacLeod, AAN sind weitestgehend dem Reisebericht der Delegation entnommen)

... mit Diplomaten

Ein in Krisenregionen erfahrener Diplomat: Wichtig sei, die großen Linien, die „Gene", eines Landes im Blick zu haben. In AFG seien das die starken Stämme, das schwache Zentrum, die Ablehnung des Auslandes. Der König habe über Jahrhunderte nie mehr als 10.000 Soldaten. Jetzt gebe es 400.000 Sicherheitskräfte.

- Stand der Wahlvorbereitungen: (...) Über die Kritik an den Wahlen dürfe man nicht das Institut Wahlen gefährden. Wahlen unter solchen Bedingungen seien schon was Enormes. Unter solchen Bedingungen gäbe es in Europa nur Notstandsrecht und keine Wahlen. Die UNAMA-Karte mit den Polling Centers zeigt Überraschendes: zzt. viele geöffnete Centers im Süden und geschlossene z.B. in den Kunduz-Distrikten Chahar Darreh und Archi.

- Berufung eines „High Peace Council" durch Präsident Karsai (...)

- Die Deutschfreundlichkeit des Präsidenten sei ehrlich. Positiv werde gesehen, dass Deutschland hier keine eigenen Interessen habe und nicht Teil des Great Game sei. Er hoffe, sich mit dem etwas anderen Ansatz Deutschlands aus der US-britischen Umklammerung befreien zu können und mehr Spielraum zu haben.

- Die Anaconda-Strategie des COM ISAF soll die Aufständischen auf sieben Lines of Effort bezwingen. (Laut ISAF-Schaubild sind dies

Kinetics (Counter-Terrorist Forces Ops, Conventional Forces Ops, Afg Conventional & Special Forces Ops, Afghan Local Police),

Info Ops, International (z.B. Work with Source Countries, Pakistan Engagement),

Non-kinetics (Jobs Programs, Economic Development, Education, Basic Services, Rule of Law), Detainee Ops (COIN in Detention Facilities, Rehabilitation of Detainees, Release Shuras),

Intelligence,

Politics (Reconciliation, Reintegration, Governance, Inclusivity/Transparency/Anti-Corruption) )

- In den letzten drei Monaten seien lt. US-Angaben 365 Kommandeure und 1.300 Kämpfer der Aufständischen getötet und 1.600 gefangen genommen worden. Kommandeure haben inzwischen eine durchschnittliche Überlebensdauer von zwei bis drei Monaten. Die nachrückenden Taliban-Kommandeure seien immer jünger. Vor fünf Jahren waren sie Mitte Dreißig, heute 25-28 Jahre. Sie sind zugleich weniger mit der örtlichen Bevölkerung verbunden, sind radikaler, unberechenbarer. Angesichts der 20.-60.000 Madrassen im pakistanischen Grenzgebiet (nicht alle, aber viele sind militant-fundamentalistisch) ist der Zustrom an Kämpfern unerschöpflich.

Während bei UNAMA, einigen Diplomaten und Experten des Afghanistan Analysts Network die destruktive Seite der US- und ISAF-Kampagne gegen die Führungskader der Aufständischen betont wird (Chaotisierung der Gewalteskalation, Verunmöglichung von Gesprächen), behaupten ISAF-Offizielle die Notwendigkeit dieser Strategie, um die Aufständischen aus einer Position der Stärke zum Einlenken zu bringen. Rücksichtslosere Kommandeure würden zudem zu einer Entfremdung zwischen Bevölkerung und Aufständischen führen.

Um die 40% der Aufständischen seien der Qetta-Shura zuzurechnen. Dieser würden die Jüngeren immer mehr weglaufen. 20% vor allem jüngere Kämpfer würden direkt vom pakistanischen ISI kontrolliert.

- Ein westlicher Spitzendiplomat konstatiert, die Petraeus-Strategie von Governance-Aufbau und militärischer Aufstandsbekämpfung reiche nicht, führe ins Chaos. Zwingend notwendig seien gleichzeitig politische Verhandlungen! Damit dürfe man nicht bis zu einer „stärkeren Verhandlungsposition" warten.

- International seien alle gegen einen Sofortabzug, auch der Iran. Befürchtet wird für den Fall das totale Chaos.

- In Mazar wird ein riesiges US-Camp errichtet. Und dann will man bis 2014 mit Kampftruppe raus? Die Obama-Leute wollen raus. Die Generale nicht. Bisher ist Petraeus in den USA auch viel zu populär, um Politik gegen ihn zu machen.

... mit dem ehemaligen Außenminister Abdullah Abdullah

Im grünen Garten seines Hauses trafen wir den ehemaligen Präsidentschaftskandidaten. Beherrschendes Thema des Gespräches waren die anstehenden Wahlen und die demokratische Kultur in Afghanistan. Abdullah warf Präsident Karsai einen mangelnden Willen zur Demokratie vor. Daher wären die politische Institutionen schwach und die demokratische Kultur im Land gering. Er warf Präsident Karsai vor, mit seinem Rückgriff auf Konservatismus und Nationalismus genau diese demokratische Kultur weiter zu schwächen. Abdullah warnte vor einem Versöhnungsprozess, in dessen Ergebnis die Unterstützer für ein modernes Afghanistan noch weiter an den Rand gedrängt werden könnten. Die schwachen staatlichen Strukturen im Justiz- und Polizeibereich sind aus seiner Sicht auch eine Erklärung für die Attraktivität der Taliban. Deren ungeliebte aber effektive Rechtsprechung bedient die Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung nach Sicherheit und Ruhe. Auf keinen Fall dürfen daher Prinzipien wie Gerechtigkeit, Demokratie und Menschenrechte in einem Versöhnungsprozess geopfert werden. Aus seiner Sicht gibt es zwei künftige Modelle für Afghanistan - ein islamisches Kalifat oder eine islamische Republik.

Abdullah zeigte sich zuversichtlich, dass es ihm mit anderen gelingen wird, nach der Parlamentswahl einen oppositionellen Block gegen Karsai im Parlament zu bilden. Inwieweit das eine realistische Einschätzung ist, daran zweifeln spätere Gesprächspartner. Der afghanischen Politik fehlt eine klare Opposition, die sich nicht allein aus ethnischer Zugehörigkeit oder Stammesloyalität speist.

... mit der Vorsitzenden der Unabhängigen Menschenrechtskommission Sima Samar

Ein freudiges Wiedersehen gab es mit Frau Samar, die in den vergangen Jahren immer wieder grüne Gesprächspartnerin und Teilnehmerin der Petersberger Konferenz war. Die Medizinerin war 2002 Vizevorsitzende der Emergency Loya Jirga. Claudia kennt sie aus den schlimmsten Zeiten. Sie kritisierte ebenfalls die mangelnde Staatlichkeit im Bereich Justiz und Polizei. Die Taliban stoßen mit ihrer informellen Rechtssprechung in eine Lücke, die ihnen der afghanische Staat lässt. Die Antwort darauf muss eine Stärkung der formalen Rechtssprechung durch den afghanischen Staat sein. Deren Urteile sind fragwürdig, inkohärent und immer wieder von Missachtung gegenüber Frauen geprägt. Zur Kompensation von Morden bekommt die Familie des Opfers beispielsweise eine Frau von der Familie des Täters. Auch Fälle von Steinigungen und Peitschenhiebe für Ehebruch oder heimliche Liebesbeziehungen sind jüngst wieder vorgekommen.

Frau Samar beschreibt die schlechter werdende Situation im Norden und führt das auf eine mangelnde Strategie der internationalen Gemeinschaft zurück. Statt die Regierungsstrukturen zu stärken, setzt die internationale Gemeinschaft auf parallele Strukturen. Statt den Polizeiaufbau voranzubringen, wird auf Milizen gesetzt.

Die laufende Debatte über die Aufgabe von Menschenrechten, inklusive der Frauenrechte, verunsichert die Bevölkerung. Sie führt zu einer verschlechterten Stimmung und zu einer realen Verschärfung der Lage. Die Regierung plant die Etablierung eines High Council for Peace. Eine ausreichende Beteiligung von Frauen ist bisher nicht sichergestellt. Frau Samar zweifelt auch an den Erfolgsaussichten der „Versöhnungsinitiative", weil selbst gemäßigte Taliban die Verankerung der Menschenrechte in der afghanischen Verfassung für einen Fehler halten.

Angesprochen auf die Opfer des Bombardements am Kunduz-Fluss, betonte Frau Samar die Arbeit der Unabhängigen Menschenrechtskommission. Diese bekomme viel Anerkennung durch die Familien der Opfer. Sie bedauert das lange Zögern des Verteidigungsministeriums, sieht jetzt aber den Durchbruch. Sie betont zugleich, dass Anwalt Popal nicht der Repräsentant der Opfer ist.

Die beeindruckende Arbeit von Frau Samar und der unabhängigen Menschenrechtskommission ist durch finanzielle Engpässe bedroht. Hier bedarf es einer unkomplizierten verstärkten Förderung.

... mit dem Präsidenten der Islamischen Republik Afghanistan, S.E. Hamid Karsai

Präsident Karsai nahm sich über eine Stunde Zeit für ein ausgesprochen offenes Gespräch. Er betonte die Bedeutung der Parlamentswahl. Aus seiner Sicht laufen die Vorbereitungen nach Plan. Problematisch bleibe die Sicherheitssituation, insbesondere für Kandidatinnen und Wählerinnen - deren Teilnahme ihm jedoch ausgesprochen wichtig sein. Präsident Karsai warb um stärkere Investitionen aus Deutschland. Besonders im Bereich Ressourcen seien deutsche Technologien wichtig für die weitere Entwicklung in Afghanistan. Klare und kritische Worte fand Karsai am Umgang der internationalen Gemeinschaft mit Pakistan. Ohne ein robusteres Vorgehen gegen die Rückzugsräume in Pakistan können diese nicht signifikant geschwächt werden. Eine Position die unisono von Vertretern der afghanischen Regierung zu hören war.

Der Kampf gegen den Terrorismus in den afghanischen Dörfern, gerade auch die „night raids", sei die falsche Strategie. So verliert die afghanische Regierung und ISAF an Zustimmung und Legitimität. Präsident Karsai begründete die anstehende Auflösung von privaten Sicherheitsfirmen als notwendigen Schritt zur Stärkung des staatlichen Gewaltmonopols.

Karsai hält am Ziel einer islamischen Republik Afghanistans fest, zugleich bereitet er sich auf eine politische Lösung vor, die das Überleben seiner Regierung sichern soll. Er ist daher bereit mit allen Afghaninnen und Afghanen zu reden. Langfristig ist aus seiner Sicht die Ausbildung der afghanischen Mullahs/Geistlichen entscheidend, die eine Brücke zwischen dem Islam und einer republikanischen Staatsauffassung schlagen.

Uns begleitet Rüdiger König, der seit diesen Tagen neuer deutscher Botschafter in Kabul ist, mit AFG aber sehr lange vertraut ist: 1997-1999 war er Referent für AFG in der dt. Botschaft in Islamabad; 2001 war er Mitglied der dt. Delegation bei der Petersberg-Konferenz; nach Verwendungen im UN- und NATO-Bereich seit 2008 Leiter des Sonderstab AFG-PAK im AA. Karsai begrüßt ihn als „guten Freund" - Kanzler der Botschaft Ende der 90er Jahre. Bei unserem Gespräch ist er sehr lebendig, lacht viel, scheint ausgesprochen gut drauf zu sein.

Bis 2014 sei die Mehrheit der Truppen noch nicht weg. Wenn Deutschland abziehe, dann herzlicher Dank für das Geleistete. Wenn sie blieben, umso besser.

... mit dem Nationalen Sicherheitsberater Dr. Rangin Spanta

Ein Wiedersehen gab es im Anschluss mit Ranging Dadfar Spanta. Am Vortag war seine vielbeachtete Generalabrechnung mit der Politik in Pakistan und der doppelbödigen Haltung der internationalen Gemeinschaft dazu in der Washington Post erschienen.[1] Er sieht in Pakistan die Wurzeln des Terrorismus in Afghanistan. Die im Oktober angedachte Geberkonferenz für Pakistan wäre aus seiner Sicht ein geeigneter Anlass, um die pakistanische Regierung zu Zugeständnissen in der Terrorbekämpfung zu bewegen. Skeptisch äußerte sich Spanta zu den gezielten Tötungen, schloss aber auch nicht aus, dass erst verstärkter Druck die Taliban zu Verhandlungen bewegen könnte. Nach seiner Ansicht würde die Festlegung eines Abzugsdatums die Intensität der Kämpfe nur verstärken. Er schlägt vor, die Sichtbarkeit der internationalen Militärpräsenz zu reduzieren. Im Zusammenhang mit dem sogenannten Versöhnungsprozess betonte Spanta seine Unterstützung für die Entscheidung von Präsident Karsai, das Gesetz zur Transitional Justiz nicht zu unterschreiben. Afghanistan ist mit Kambodscha oder Südafrika nicht vergleichbar und zu einer Aufarbeitung der eigenen Geschichte auf längere Sicht nicht bereit. Es wird wahrscheinlich eher wie in Argentinien über drei Jahrzehnte dauern, bis die Gesellschaft zu einer Aufarbeitung in der Lage ist. Heute würde eine solche Aufarbeitung nur die bestehenden Spannungen verschärfen. Daher ist der Begriff „Versöhnungsprozess" falsch. Vielmehr geht es um ein Arrangement der politischen Macht in Afghanistan. Entscheidend wird dabei sein, welche Kräfte sich durchsetzen. Wenn Mitte 2011 der Rückzug der internationalen Gemeinschaft beginnt, dann wird sich die Stärke von ANP und ANA zeigen. Erst wenn sich deren Stärke bewiesen hat, werden die Taliban Kompromisse eingehen.

... mit UNHCR-Direktor Ewen MacLeod

Im Gespräch mit Ewan MacLeod wurde der Umfang der Flüchtlingsproblematik in Afghanistan deutlich. Insgesamt über fünf Millionen Afghaninnen und Afghanen kehren seit 2002 in das Land zurück. Das sind fast 20 Prozent der Bevölkerung. Kabul ist deshalb von 1,5 auf 4,5 Millionen Menschen angewachsen. Die UNHCR Mission in Afghanistan ist damit eine der größten weltweit, nur die Missionen im Irak und Kongo sind größer. Jedes Land würde mit Schwierigkeiten zu kämpfen haben, wenn es einen solch großen Flüchtlingszustrom erfährt. Gerade zu Beginn lief die Rückkehr allerdings dafür weitgehend unproblematisch, weil die RückkehrerInnen vor allem Afghanen waren, die nur kurze Zeit außerhalb des Landes gelebt hatten und über entsprechende Infrastruktur und soziale Netze verfügten. Seit 2006 wird die Situation schwieriger. Es kommen Menschen zurück, die über 25 Jahre außerhalb des Landes lebten. Die Hälfte von ihnen ist außerhalb Afghanistans geboren. Diese Menschen siedeln sich vor allem wieder in den Städten an und leisten damit der massiven Urbanisierung Afghanistans Vorschub. Afghanistan ist nachwievor eines der ärmsten Länder der Erde. Die Wirtschaft wächst zweistellig, aber die Jobsituation ist gerade für viele junge Afghanen immer noch sehr schwierig. Die meisten afghanischen Familien haben im Iran oder in Pakistan gelebt. Die Zusammenarbeit insbesondere mit dem Iran ist sehr gut. Der Iran hat sich an die Flüchtlingskonvention gehalten. Kinder von Afghanen haben Zugang zum Bildungssystem und alle Flüchtlinge auch zum Gesundheitssystem. Mittlerweile arbeiten viele der Flüchtlinge, die zurückgekehrt sind, als temporäre Gastarbeiter im Iran und in Pakistan. Auch Pakistan, obwohl kein Unterzeichner der Flüchtlingskonvention, hat die Flüchtlinge weitgehend gut behandelt. Allerdings sind jetzt durch die Flut in Pakistan weitere afghanische Flüchtlinge betroffen. Der UNHCR ist auf deren Aufnahme vorbereitet, auch Dank der finanziellen Unterstützung Deutschlands. Bis zu jeweils zwei Millionen Afghanen leben weiterhin noch im Iran und Pakistan. Auf absehbare Zeit wird Afghanistan nicht in der Lage sein, diese vier Millionen Menschen aufzunehmen.

Anders als mit dem Iran funktioniert die Grenzkontrolle mit Pakistan nicht. Mit beiden Ländern braucht es allerdings eine Regelung für die temporären Migranten. Leider tut die Regierung dafür bisher nichts. Solche Regelungen wären der einzige Weg, um den massiven Schmuggel an den Grenzen einzudämmen.

Zusätzlich führen die Kampfhandlungen zu aktuell bis zu 140.000 Binnenvertriebenen im Süden.

MacLeod ist in seiner vierten Verwendung in Afghanistan. Bei allen Schwierigkeiten sieht er Hoffnung. aufgrund der vielen Fortschritte. Die Städte leben wieder und selbst die Taliban wollen nach seiner Ansicht nicht wieder ihr totalitäres Steinzeitregime etablieren.

Uns hat professionelle die Arbeit von Ewen MacLeod beeindruckt. Zumindest gegenüber den rückkehrenden Flüchtlingen scheint die Internationale Gemeinschaft ihrer Verantwortung weitgehend gerecht zu werden.

... mit Journalisten

(Pajwok-Agentur, Times of India, BBC, New York Times, Afghan Outlook, Daily 8 a.m.)

In AFG gibt es 100 Radiostationen, 30 Fernsehprogramme, knapp 300 Zeitungen, 15 Tageszeitungen. Zur Talibanzeit gab es ein Radio und eine Wochenzeitung. In AFG arbeiten ca. 100 ausländische Journalisten, davon 40 US.

Die meiste Medien gehören unterschiedlichen Interessengruppen und sind in ihrer Berichterstattung oft eingeschränkt. Im Norden, Westen und der Zentralregion gebe es von den Aufständischen keinen Druck auf die Medien, wohl aber im Süden, wo ein Journalist umgekommen sei. Aufständische versuchen eher die Medien zu nutzen.

Insgesamt sei die Medienentwicklung ein Fortschritt.

Die Agentur „Pajwok Afghan News" hat insgesamt 170 MitarbeiterInnen, Korrespondenten in allen Provinzen, außerdem in New York, London, New Dehli, Peshawar.

„Daily 8 a.m." hat eine Auflage von 32.000 und erscheint in zehn Provinzen, darunter Balkh, Herat und Nangarhar. Vorige Woche erschien die erste Ausgabe für die Provinzen Kunduz, Takhar und Badakhshan - zunächst umsonst. (GTZ-Unterstützung)

Afghanische und internationale Journalisten zeichnen ein sehr düsteres Bild der Lage: Die afghanische Gesellschaft sei tief gespalten, die Kluft zwischen Afghanen und Internationaler Gemeinschaft groß. Das düstere Bild wird nur übertroffen von den Befürchtungen für den Fall einen übereilten Abzuges: Dann bliebe nichts mehr von den Frauenrechten - und von Menschenrechten überhaupt, so der Journalist von Afghan Outlook. Wenn der westliche Abzug näher rücke, würden aber auch die Nachbarn vermehrt unter Druck geraten. Keiner will Chaos in AFG, keiner könne es allein managen, auch Pakistan nicht (mehr).

Ich frage den Journalisten eines großen angelsächsischen Senders, der auch die alljährliche große Meinungsumfrage von ABC, ARD und BBC durchführt, nach der Glaubwürdigkeit von Umfragen: die sei gering.

... mit AFG Analyst Network (AAN)

Das Afghanistan Analysts Network ist eine unabhängige Nichtregierungsorganisation. (www.aan-afghanistan.org) Wir treffen dabei Bente Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung, die uns bei der Vorbereitung und Durchführung der Reise ausgezeichnet unterstützt hat, Christoph Reuter, deutscher Journalist in Kabul (STERN), und Kate Clark und Fabrizio Foschini, zwei weitere Mitglieder des Netzwerks. Sie sehen die neue Militärstrategie von ISAF kritisch. Durch die gezielten Tötungen werden Kommandeure ausgeschaltet, die immerhin noch eine lokale Verankerung haben. (s.o.) Das sei einer der Gründe, warum sich die Situation im Süden und im Norden trotz aller Anstrengungen weiter verschlechtert. Zusätzlich kritisieren sie deutlich die Regierung von Karsai. Die Taliban sind erfolgreich, nicht etwa aus eigener Stärke heraus, sondern aufgrund der Schwäche der afghanischen Regierung. Korruption bis in hohe Ränge der Regierung greift immer weiter um sich. Präsident Karsai tut nicht nur nichts gegen die Korruption, sondern er sabotiere sogar deren Bekämpfung. Nach ihrer Sicht plant Karsai schon für die Zeit nach einem Abzug der internationalen Gemeinschaft und setzt immer stärker auf Paschtunen zu Lasten der Minderheiten in Afghanistan.

... mit Vertretern der Zivilgesellschaft auf Einladung der Heinrich-Böll-Stiftung

Auf Einladung der Böll-Stiftung trafen wir uns mit Projektpartnern der Stiftung zum Fastenbrechen im Hotel Serena. Die Böll-Stiftung arbeitet mit beeindruckenden Menschen zusammen, die trotz fortwährender Drohungen für ein besseres Afghanistan arbeiten. Die Skepsis gegenüber der Regierung wurde in den vielen Einzelgesprächen genauso deutlich, wie die Sorge über die weitere Entwicklung. Frauen, die während der Talibanzeit sechs Jahre daheim sitzen mussten, sehen mit großer Sorge eine mögliche Einigung der Taliban. Zugleich wurden aber Erfolge in der Menschenrechtsarbeit oder bei dem Aufbau einer doch vielfältigen Presselandschaft deutlich.

Unterwegs: Am 25.8. ist die Straße vor der Deutschen Botschaft, die wegen der hohen Betonmauern sowieso schon zu eine Art Hohlweg geworden ist, ganz gesperrt, also auch der Haupteingang. Wir kommen durch erhebliche Absperrungen auf anderem Weg in die Botschaft.

An manchen Stellen befindet sich auf den Betonklötzen Blumenschmuck.

Gespräche im ISAF-Hauptquartier

Anfang August umfasst ISAF 120.000 Soldatinnen und Soldaten aus 47 Ländern. Davon 78.400 USA (insgesamt 100.000), GB 9.500, DEU 4.600, FR 3.700, IT 3.400, CAN 2.800, POL 2.600, RUM 1.700, TÜR 1.700, SPA 1.500, Australien 1.400, Belgien 490 etc.

Zum Regionalkommando (RC) Süd gehören 35.000, Ost 30.000, Südwest (nur Helmand und Nimruz) 27.000, Nord 11.000, West 9.000, Central 5.000.

(US Private Defence Departement Contractors 112.000 in 2010)

Die strategische Hauptanstrengung: Aufwuchs der ANSF. Sie sollen von 157.163 im Juni 2009 auf 331.572 im Januar 2011 aufwachsen. (Hier herrscht ein kritischer Mangel an Ausbildern.)

Die operative Hauptanstrengung: Central Helmand und Kandahar; Economy of Force in Kunduz-Baghlan und Badghis-Ghormach.

ISAF konzentriert sich auf 81 Key Terrain Districts und 41 Area of Interest Districts.

(a) mit deutschen Offizieren:

Ein Oberstleutnant äußert in großer Runde seine Unsicherheit, warum Deutschland noch in Afghanistan sei.

Ein Oberst kritisiert scharf die Schräglagen bei den zivilen Aufbauanstrengungen. Im ISAF-HQ gebe es eine Masse an Dienstposten für zivile Aufgaben. Das liege daran, dass die zivilen Ressorts ihre Aufgaben nicht personell unterfüttert hätten.

Bis 2014 seien in AFG mehr als 100.000 Mitarbeiter im Öffentlichen Dienst notwendig. Das sei illusorisch. Das Problem sei nicht die mangelnde Verfügbarkeit von Sicherheitskräften sondern von Verwaltungskräften. In Deutschland gebe es doch eine Masse an Pensionären.

Das Militär fungiere als Lückenbüßer. Deutsche Soldaten und Offiziere müssen irgendwie alles können. Er fühle sich nach acht Jahren AFG-Einsatz von der politischen Führung verraten.

Ein anderer Oberst, Leiter der Technischen Beratergruppe, berichtet vom Aufbau der ANA-Logistikschule. Hier sind 31 Bundeswehrsoldaten eingesetzt. Die Ausbildungshilfe sei eindeutig eine Erfolgsgeschichte. Dass die Bundeswehr sogar drei Mentoren zum Aufbau der afghanischen Militärkapelle(n) entsandt hat, war uns neu.

Ein dritter Oberst beschreibt die Machtverteilung bei den Internationalen als Triumvirat: COM ISAF mit dem US-Botschafter als Political Adviser, die wichtigsten NATO-Botschafter und der UNAMA-Chef. Der EU-Vertreter sei marginalisiert.

(b) Brigadegeneral Josef Blotz (davor Kommandeur der Infanterieschule in Hammelburg mit dem UN-Ausbildungszentrum) ist als Sprecher des COM ISAF der zzt. einzige deutsche General im Hauptquartier. Früher stellte Deutschland jahrelang den Chef des Stabes. Ihm stehen mehr als 100 MitarbeiterInnen zur Verfügung. Seine Aufgabe sei vor allem, Kontext zu vermitteln, wo Journalisteninteressen oft nur national und einzelfallbezogen seien. Täglich treffe er mit COM ISAF Petraeus zusammen, um ihn zu hören, zu sehen und zu erleben, wie er denkt und formuliert.

Einen Stabilisierungseinsatz dürfe man nie eindimensional denken. Es sei ein politisch-zivil-militärischer Ansatz.

Partnering: In 2007 praktizierten die OMLT die Ausbildung im Camp, war ANA allein im Einsatz. Das war psychologisch schwierig. Jetzt werde gemeinsam gelebt, gelernt, gemeinsamer Einsatz, gemeinsame Auswertung. Das sei die einzige Möglichkeit, die Afghanen in Verantwortung zu bringen. Natürlich bedeute das ein höheres Risiko. Aber dazu gebe es keine vernünftige Alternative. Verfahren wird nach der Partnering Directive vom August 2009.

Die Special-Forces-Kapazität sei in den letzten 18 Monaten verdreifacht worden. SF werden gegen die Netzwerke von Terror und Drogenkriminalität eingesetzt.

In den letzten 90 Tagen seien 2.500 „bad guys" aus dem Kampf rausgenommen worden, überwiegend durch Gefangennahme. Bei 80% aller SF-Operationen falle kein Schuss. Hauptziel sei, Zielpersonen gefangen zu nehmen um sie befragen zu können. 82% aller SF-Operationen laufe bei Nacht: um Verluste bei der Zivilbevölkerung zu minimieren und wegen der überlegenen Nachtkampffähigkeit der Alliierten. Insofern seien night-raids sehr wichtig. Aber es gebe auch Operationen, die nicht unter ISAF-Mandat laufen würden.

2007 sei er als Kommandeur RC North selbst an der Auswahl von Zielen beteiligt gewesen. Das sei ein sehr zeit- und arbeitsaufwendiges Verfahren unter Beteiligung verschiedener Stellen. Nie geschehe eine Einordnung nur nach einer Quelle. Es sei ein langer Prozess, dauere Monate, manchmal Jahre, bis jemand auf der Liste zur Gefangennahme erscheint.

Jeder SF-Einsatz laufe mit Afghanen. Jeder, der anklopft, rangeht, sei ein Afghane. Die ANA verfüge inzwischen über sieben Kommando-Kandaks.

Zwischen der Bekämpfung der Führungskader und Gesprächsangeboten wird kein Widerspruch gesehen. Man müsse doch diejenigen verfolgen, die Angriffe und Attentate auf die eigenen Soldaten organisieren.

Etliche Besucher aus Deutschland seien auffällig auf Special Forces fixiert - warum? (Weil sie den Ruf einer besonders tödlichen und in Grauzonen agierenden Truppengattung haben und die totale Geheimhaltung um sie Misstrauen und Gerüchte fördert.)

(c) Deputy NATO Senior Civilian Representative Serge Labbè:

Im letzten Sommer kam die schockartige Erkenntnis, dass wir verlieren können. Das führte zu einem ernsthaften neuen Ansatz.

Innerhalb von ISAF seien die zivilen Kapazitäten enorm ausgeweitet worden. (Labbè verfügt jetzt über fünf kleine Unterabteilungen mit jeweils fünf Mitarbeitern. Vorher hatte der Civilian Representative gerade gegen zehn Mitarbeiter. Diese Leute seien handverlesen, freiwillige nationale Besetzungen) Das sei eine Reaktion auf die riesige Diskrepanz zwischen Aufbau der Sicherheitsstrukturen und Staatlichkeit. Insbesondere bei der afghanischen Zivilverwaltung fehle es massiv an Kapazitäten. Es sei unglaublich, wie spät die Internationale Gemeinschaft darauf reagiert habe. Viel zu lange seien auch Aufbauanstrengungen am afghanischen Bedarf vorbei geplant worden.

In Helmand und Kandahar bereite es weiter große Schwierigkeiten, nach den Militäroperationen Verwaltung und Staatlichkeit aufzubauen.

Er betont die Notwendigkeit eines kriterienbasierten Übergabeplans, der gemeinsam mit den Afghanen zu erarbeiten sei, und die Konditionierung der US-Abzugsstrategie. Es komme darauf an, das ganze Land zu sehen, nicht nur auf den Norden oder nur auf den Süden zusehen. Die Übergabe

können in der einen Provinz drei Monate, in der anderen drei Jahre dauern.

Aufbau und Entwicklung

Runde mit Frauen und Männern der deutschen EZ im GTZ-Gästehaus

Sehr freudiges Wiedersehen mit einigen guten Bekannten. Vertreten sind KfW, GTZ Rule of Law, GTZ Projektimpementierungseinheit (Polizei), GTZ International Services, DED, GTZ Gender Mainstreaming. Die bisherige Landeskoordinatorin AFG der GTZ ist jetzt stv. Landesdirektorin vor Ort.

In der allgemeinen Einführung werden die Fortschritte betont und dass sich Deutschland bei den Entwicklungsanstrengungen nicht zu verstecken brauche. Inzwischen sei AFG größter Nehmer deutscher EZ. Betont wird, dass Zivile Akteure und Militär Hand in Hand arbeiten müssten, keine Seite dürfe dominieren. Die Entwicklungsoffensive wolle drei Millionen Beschäftigungsmöglichkeiten schaffen, Schulen für 500.000 Schülerinnen und Schüler und die Lehrer dafür qualifizieren.

Das BMZ hat in AFG fünf Schwerpunkte (in anderen Ländern normalerweise zwei): Stärkung der Regierungsführung auch in den Provinzen und Distrikten; Wasser und Energie; nachhaltige Wirtschaftsentwicklung; Bildung; Entwicklungsorientierte Not- und Übergangshilfe (EONÜH) und Ziviler Friedensdienst.

Schwerpunkte des AA sind Polizeiaufbauhilfe einschließlich Law and Order Trust Fund (zur Finanzierung von Polizeigehältern); Infrastrukturentwicklung mit Hilfe des Stabilitätsfonds Nord-AFG für kritische Gebiete, der schnelle Maßnahmen ermöglicht; Basisgesundheitsdienste und Krankenhäuser; Flughäfen; Hochschulkooperation; humanitäres Minenräumen.

Die Sicherheitslage mache sehr zu schaffen. Mehr Sicherheit lasse sich nicht durch zivile Maßnahmen erkaufen (so ja auch das Ergebnis der GTZ-Studie). EZ brauche schlichtweg ein Mindestmaß an Sicherheit.

Die Vorhaben (v.a. Programme) sind bis 2013 geplant. Dafür wird Personal benötigt, das aber nicht auf Vorrat rekrutiert werden kann. Insofern brauchen die EZ-Maßnahmen einen gewissen Vorlauf. (Unterschiedliche Reaktionsschnelligkeit und Wirksamkeit von zivilen und militärischen Maßnahmen)

Aus Paktia und Khost musste die GTZ wegen der besonderen Sicherheitslage raus. Dadurch wurden Mittel frei für den Norden. Dort arbeitet deutsche EZ in den sechs Provinzen Balkh, Kunduz, Takhar, Badakhshan, Baghlan und Samangan.

Deutliche Abflussprobleme gibt es in den Provinzen Baghlan und Kunduz. Dort musste die EZ im Juli/August zurückgefahren werden. Teile wurden nach Takhar verlegt.

Elektrizität: In Kabul gibt es inzwischen fast rund um die Uhr Strom. Die wichtigsten neuen Wasserkraftwerke: Inbetriebnahme der Wasserkraftwerke Mahipar und Sarobi (Kabul); Bau von drei Kleinstwasserkraftwerken 112 bis 450 KW) und Planung von zwei weiteren in Badakhshan; in derselben Provinz Bau von zwei Wasserkraftwerken bei Feyza und in Keshim (4,5 bzw. 2 MW); Rehabilitierung des Spinzar Kraftwerks in Khanabad/Kunduz. Inbetriebnahme der Umspannstationen in Mazar und Pol-e Khomri im Rahmen der nördlichen Übertragungsleitung, wodurch zusätzlich 150.000 Menschen in Kabul, 90.000 in Mazar und 60.000 in Pol-e Khomri. In entlegenen Gebieten Förderung der Solarenergie in großem Stil, vor allem um Feyzabad.

Gender-Mainstreaming: Die afghanische Verfassung fordert die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Die Wirklichkeit sieht krass anders aus. In der Nationalen Entwicklungsstrategie AFG`s ist Gender-Mainstreaming als Hauptstrategie zur Erreichung von Geschlechtergerechtigkeit festgelegt. Das unterstützt die GTZ vor allem auf der Ebene der Ministerien (bisher in zehn Ministerien Gender Units) durch institutionelles und individuelles Capacity Development. Das Finanzministerium verfügt sogar über eine Gender-Budget-Cell. Das gebe es kaum sonst wo auf der Welt. Von diesem Jahr an ist auch die Zusammenarbeit mit Frauen-NGO`s ein Schwerpunkt.

Deutscher Entwicklungsdienst (DED): Fachkräfte des Zivilen Friedensdienstes arbeiten seit 2004 in AFG. Mit 18 bewilligten Stellen ist es das größte deutsche ZFD-Programm weltweit. Zusammen mit afghanischen NGO`s, staatlichen Institutionen und Medien sind die Hauptfelder lokale Konfliktlösung, Friedensjournalismus und -pädagogik, Versöhnungsarbeit. Unterstützt wird die Unabhängige Menschenrechtskommission in Kabul und Mazar sowie die Mediothek. Für das Erziehungsministerium arbeiten drei Friedensfachkräfte in der Curriculumentwicklung am TTC in Mazar. Informell Justice.

Ein neuerer Schwerpunkt ist die Berufsausbildung. Allerdings sind Jugendliche in Kunduz oft wegen der Sicherheitslage an der Teilnahme gehindert.

Beim DED erreichen ca. 50% der MitarbeiterInnen ihre vollen zwei Jahre.

GTZ-IS: Das EZ-Programm in Uruzgan im Auftrag der niederländischen Regierung hat ein Volumen von 60 Millionen Euro und ist recht erfolgreich. Inzwischen arbeiten in der Südprovinz mehr als 20 nationale und internationale Organisationen.

Rule of Law

Ausgangslage sind die drei Rechtssysteme von Gewohnheitsrecht, islamischem Recht/Sharia und modernem Recht. Unterstützt werden modernes Recht und 80% des damit kompatiblen, islamischen Rechts. Hilfreich ist das Max-Planck-Institut für Internationales Öffentliches Recht in Heidelberg insbesondere auf den Feldern fair trial und Training von Staatsanwälten. Seit 2003 arbeitet die GTZ mit beim nationalen Justizsektorprogramm, z.B. Verfahren Staatsanwaltschaft-Polizei, Unterstützung von Streitschlichtungsgremien.

Seit 2009 neue Ausrichtung: neben Streitschlichtung, Armenrechtsberatung, allgemeine Rechtsverbreitung; Einbindung der Polizei - oben an die Justiz, unten an die Zivilgesellschaft.

Beispiel Streitschlichtung: Einmannbüros vermitteln in Fällen von Schuldeneintreibung, bei Konflikten um Land, Wasser, zwischen Nachbarn und Familien. Sie arbeiten parallel zum formalen Justizsystem. Bisher 6.600 Fälle. Beispiel Armenrechtsberatung: Bisher wurde in 1.600 Fälle kostenlos Beistand geleistet. Die Hälfte der Betroffenen waren Frauen (Sorgerecht, häusliche Gewalt, in Gefängnissen). Geschildert werden krasse Fälle: ein Mädchen, das als Dreijährige verlobt, als 12-jährige verheiratet wurde und mit 18 Jahren vier Kinder hatte. Beispiel allgemeine Rechtsverbreitung: mit Hilfe gekaufter Sendezeit wurden von fünf Stationen mehr als 500 Radiosendungen ausgestrahlt. Die Rechtsalphabetisierung sei eine tolle Story. Bisher wurden 726 Treffen zwischen Polizei und Gemeinden organisiert. Befragungen von Frauen, Männern und Polizeichefs zur Polizei ergaben als Hauptvorwürfe, die Polizei fahre zu schnell, töte Frauen und Kinder, schlage und foltere in der Öffentlichkeit, nehme Geld.

Insgesamt gehe es künftig darum, mehr local governance zu fördern.

Das RoL-Programm hat eine strategische Partnerschaft mit dem Gender-Programm. In Badakhshan und Takhar werden Anwälte bei Frauenangelegenheiten unterstützt.

Zwischenmeldung: Am 25.8. werden 73 Schulmädchen und ihre Lehrerinnen nach einer Gasattacke ins Krankenhaus eingeliefert.

Good Governance (mit Gesprächsergebnissen aus Kunduz)

(Lt. ISAF Government Assessment der 81 Key Terrain Districts am 29.4.2010 bei 5 Distrikten Full Authority, 28 Emerging, 45 Unproductive, 29 Dysfunctional, 15 Non-Existent.)

Neuer Schwerpunkt ist die Förderung von Regierungsführung auf subnationaler, also Provinz- und Distriktebene. „Besser spät als nie", so ein Kommentar. Hier sollen zwei neue Fonds der Bundesregierung für Kapazitäten (Capacity Development Fonds) und Infrastruktur helfen. Kernprobleme sind: Die Bevölkerung im ländlichen Raum erfährt zu wenig an Verbesserungen, die Armut wird nicht wirksam gesenkt. Zugleich verliert der „Staat" zunehmend an Legitimität. Deshalb hat die Reform bzw. der Neuaufbau eines Öffentlichen Dienstes Priorität für die afghanische Regierung.

Civil Service Training Institute/Centers (CSTC) gibt es erst in einer Handvoll Provinzen. Ende Juli 2010 wurde ein CSTC in Kunduz eröffnet. Hier Halbjahreskurse für 60 bis 100 Personen. Die EU übernimmt 80% der Kosten, wenn Mitgliedsstaaten 20% und die Durchführung übernehmen.

Das neue District Delivery Program (DDP) ist der Versuch, systematisch und massiv die zivile Verwaltungsfähigkeit auf Distriktebene zu stärken. Das beginnt mit dem Büro des Distrikt Gouverneurs, der District Administrative Assembly und dem District Council als Brücke zwischen lokaler Bevölkerung und Verwaltung. Festgelegt sind quantifizierte Schlüsselprioritäten für alle Distrikte auf den Feldern Governance, Bewässerung + Straßen, Justiz, Gesundheit Bildung, LandwirtschaftInitiiert wurde das DDP durch das Independent Directorate for Local Government (ansonsten zuständig für die Ernennung von Gouverneuren und ihr Personal), die US-Botschaft und ISAF. Vom nächsten Frühjahr an soll das DDP auch in Kunduz umgesetzt werden.

Im Norden sind traditionelle Formen von Zivilgesellschaft weniger ausgeprägt als in paschtunischen Regionen. In Kunduz wird von einer sehr lebendigen Zivilgesellschaft gesprochen: Journalisten, Anwälte, Juristenvereinigung, Frauenvereine ... Im Rahmen des NSP Alphabetisierung von Männer- und Frauen-Shuren, Unterstützung von Community Development Councils (CDC) und District Development Assemblies. Sowas gibt es im Süden alles nicht.

NGO-Runde mit Caritas, Johannitern, Medica Mondiale und AGEF

Die Caritas arbeitet seit 1984 und nach Unterbrechung erneut seit 2002 in AFG. Zusammen mit afghanischen NGO`s in Daikundi bei den besonders benachteiligten Hazara, auch in Mazar. Die Johanniter seit 2002 in AFG, zzt. in Kabul, Herat und Mazar. Medica Mondiale arbeitet seit 2003 in AFG. 2008 musste das Büro in Kandahar geschlossen werden. MM führt u.a. Trainings für Polizisten und Mullahs durch. Inzwischen mehren sich Drohanrufe, auch in Herat. Die Frauen drängen darauf, dass bei Gesprächen mit den Taliban zum künftigen Recht zumindest Körperstrafen wie Händeabhacken und Auspeitschen verboten bleiben.

Die AGEF arbeitet seit 2002 in AFG. Sie fördert die Reintegration von zurückkehrenden Afghanen und die berufliche Qualifizierung. AGEF-Büros befinden sich in Kabul, Kandahar, Herat, Mazar, Kunduz und Nangarhar.

Alle betonen die unterschiedlichen zivilen und militärischen Mandate. Man arbeitet nicht unter militärischen Schutz. Johanniter: „Wir können mit dem NGO-Ansatz überleben."

Zugleich ein zurückgekehrter Afghane: Ohne die internationale Militärpräsenz gehe gar nichts. Bei allen Fehlern der USA - ohne die US-Präsenz säße er keine Sekunde hier. Die Entwicklung im Norden liege nicht am Vorgehen der Bundeswehr, sondern an der verbreiteten Perspektivlosigkeit.

Dr. Kamar Kaltenborn, Afghanischer Frauenverein: Der AFV wurde vor 18 Jahren in Herat gegründet und ist seitdem vor allem auf den Feldern Bildung und Gesundheit tätig. Nach Machtübernahme der Taliban organisierte man homeschools. Zugleich verlagerte sich der Schwerpunkt nach Pakistan.

In einem Dorf bei Kabul wurden über den AFV 20 Witwen als Hebammen ausgebildet (diese dürfen andere Häuser aufsuchen). Seit drei Jahren gab es in diesem Ort kein totes Kind und keine tote Mutter mehr!

In einer Schule in Kunduz werden 850 Kinder unterrichtet, vormittags die Mädchen, nachmittags die Jungen. In Ghazni wurde eine zweite Schule für 450 Kinder errichtet. In Pakistan bei Peshawar wird eine Nähschule für ältere und bedürftige Mädchen betrieben.

Anfang des Jahres erhielt der Verein vor Ort in Kunduz von den Taliban einen Drohbrief: Man solle sich nicht wundern, wenn angesichts internationalen Militärs bei der Schule was passieren würde. Nach vielen Gesprächen mit vielen Leuten hätten die Taliban den Schulbesuch aber wieder erlaubt. Besonders wichtig sei der Brunnenbau. Früher hieß es: „Wenn du sterben willst, geh nach Kunduz" - wegen des schlechten Wassers und der Malaria. Heute heiße es „wenn du leben willst, geh nach Kunduz". Inzwischen sei es wegen der illegalen Checkpoints aber zu gefährlich, dort hinzukommen.

Aga Khan Development Network (AKDN)

Die Aga Khan Stiftung (AKF) wurde 1967 von Aga Khan IV. gegründet. Sie arbeitet mit 75.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in 30 Ländern und ist damit die größte private Entwicklungsorganisation weltweit. Ihre Schwerpunkte sind ökonomische Entwicklung, soziale Entwicklung und Kultur.

In AFG arbeitet die Stiftung seit 1996, mit diplomatischen Status seit 2002 mit zzt. 5.000 MitarbeiterInnen. 1.700 AllFound. Hauptgeberländer sind Deutschland, Kanada, Norwegen, Belgien, USA, Neuseeland, Australien, Japan und die EU.

Die Stiftung unterstützt eine Kinderklinik in Kabul, die Ausbildung von Krankenschwestern, Bewässerungssysteme, „Äpfel statt Opium", eine Mikrofinanzbank, Roshan-Connection (größtes Mobilfunkunternehmen), Tourismus in Bamyan und Badakhshan (von Tadschikistan aus). Delegationsleiterin Claudia legt mir nahe, das reizvoll erscheinende Tourismusprojekt zu erproben.

Im Auftrag des AA setzt die Stiftung das Stabilization Program Northern AFG um. Ausgehend vom National Solidarity Program Quick-Impact-Projekte auf den Feldern Basisinfrastruktur, Basisdienstleistungen und Good Governance auf lokaler Ebene.

Im Unterschied zur deutschen EZ betonen die StiftungsvertreterInnen die Bedeutung einer Kommunikationsstrategie.

Akzeptanz beinhalte Distanz zum Militär und Verzicht auf militärische Begleitung. Man sei wohl auch mit Drohungen, gar Attacken konfrontiert. Aber keine Schule blieb dauerhaft geschlossen. Elementar sei Ausdauer, mit den Menschen zu reden ... Die lokalen MitarbeiterInnen sind zu 97% Afghanen.

Barbur Gärten

Der 11 Hektar große Bag-e Babur wurde zwischen 1504 und 1525 von Babur, dem Begründer Moguldynastie, als einer von zehn Gärte in und um Kabul angelegt. Hier befindet sich auch die Grabstätte Baburs. Im Laufe der Jahrhunderte wurde er erweitert und nach schweren Zerstörungen (1842 nach Erdbeben, Bürgerkrieg) wiederaufgebaut. Nach der Entminung wurde der „Paradiesgarten" 2004 bis 2008 mit Hilfe der Aga Khan Stiftung wiedererrichtet. Das Deutsche Archäologische Institut führte mit Unterstützung des AA archäologische Arbeiten durch. (Inzwischen wurden bei Gabungen Strukturen aus dem 12.-14. Jahrhundert und sogar aus dem ersten nachchristlichen Jahrhundert (buddhistisches Kushan-Reich) gefunden.

Um das Marmorgrab von Babur erstreckt sich am Hang das Ensemble von Park und repräsentativen Gebäuden mit großer Terrasse. Hier finden auch Konzerte und Ausstellungen statt. Hier wurde z.B. das deutsch-französische Filmfestival eröffnet. Im Park sind noch einige Judas-Trees zu finden: sehr hart, genügsam, eine Woche Blütezeit im Jahr. Früher überzogen solche Bäume die jetzt kahlen Berghänge im Rücken des Parks.

Er ist der größte öffentliche Park Kabuls. Die 7.-8.000 Besucher pro Tag zahlen 10-20 Afghanis (0,40 Cent) Eintritt. Der Unterhalt der bestens gepflegten Parkanlage kostet 300.000 US-$/Jahr. In drei Jahren soll sich der Park selbst tragen.

Zeitgleich mit uns und unserem BKA-Sicherheitsschirm besuchen Schulklassen den Park.

Goethe-Institut und auswärtige Kulturpolitik

Es ist im Gebäude der ehemaligen DDR-Botschaft unweit des Präsidentenpalastes untergebracht. 1965 gehörte das Goethe-Institut zu den ersten ausländischen Kultureinrichtungen in AFG. 2003 wurde das GI feierlich nach 12-jähriger Schließung wiedereröffnet. Eine Mitarbeiterin gehört seit 2002 zum GI. Für das GI arbeiten 12 Festangestellte, darunter eine Entsandte aus Deutschland, und 13 Honorarkräfte. Die Nachfrage nach Deutschunterricht ist sehr hoch. Der Schwerpunkt liegt bei der Ausbildung künftiger Lehrer. In einem Medien- und Leseraum befinden sich zusätzlich einige Computerarbeitsplätze. Sechs Klassenräume stehen zur Verfügung, der größte mit 20 Plätzen. Einen Veranstaltungsraum gibt es nicht. Angesichts der spärlichen Zahl an Veranstaltungsräumen in Kabul ist das ein besonderer Mangel. Das Gebäude ist aber nicht nur zu klein. Es ist auch in einem schlechten Zustand, Risse in Türrahmen, bröckelnder Putz, nicht erdbebensicher. Notwenig wäre ein Neubau. Das GI meldete einen Bedarf von 48 Mio. Euro für bauliche Maßnahmen beim AA an. Das Ministerium beantragte für den Haushalt 2011 aber nur 8 Mio. Angesichts des Aufwuchses des AFG-Etats ist das völlig unverständlich. Ob auswärtige Kulturpolitik als Luxusunterfangen gilt?

Eine schöne kleine Oase ist aber der 2009 neu gestaltete Garten, in dem uns eine grüne Sonnenblumentorte vom iranischen Konditor präsentiert wird.

Das GI unterstützte drei große Festivals:

-   ein Literaturforum in einer Provinz pro Jahr;

-   das vom GI initiierte Theaterfestival (bisher sechs, bezuschusst von europäischen Kulturinstituten)

-   Filmfestival.

In den Provinzen ist das GI bisher praktisch nicht präsent.

Ende Juni fand im Garten des GI eines der ersten Rockkonzerte in AFG statt.

Von den über 40 ISAF-Truppenstellern unterhalten nur Frankreich, Großbritannien, USA und Deutschland in Kabul Kulturinstitute. Während die Kulturabteilung der US-Botschaft 90 Personen umfasst, verfügt die deutsche Botschaft über eine Kulturreferentin. Bis zum Sommer waren zwei MitarbeiterInnen für Presse und Kultur zuständig. Schon angesichts der riesigen Presselandschaft, wo viele Abgeordnete einen Sender haben, war das eine enorme Unterbesetzung.

Die Talibanzeit war eine Welt ohne Bilder, Musik, Fotoapparate. An Ortseingängen hingen damals an Metallgerüsten Tonbänder, Radios ...

Nach dieser Antikulturrevolution und angesichts der Schwemme internationaler Trivialkultur ist z.B. die Förderung des Afghan National Institute of Music keine Marginalie: Ausstattung durch`s AA, Bau von traditionellen Instrumenten. Der Verband der Instrumentenhersteller in Deutschland sammelte und stiftete knapp 500 Instrumente.

Kulturpolitischer Schwerpunkt der Botschaft ist Kulturerhalt. (.vgl. meine „Better News".)

Die Erwartungen gegenüber deutscher Kulturarbeit sind hoch.

Umso beunruhigender sind die Informationen zur Entwicklung der drei ZfA-Schulen (Zentralstelle für das Auslandsschulwesen; Armani, Aische-e-Durrani und Lycée Jamhuriat). Die Qualität z.B. der Armani-Schule und ihr Image in der Bevölkerung hätten sich verschlechtert, ebenso ihr baulicher Zustand und ihre Ausstattung. Die Schulen wurden mittlerweile an die afghanische Regierung übergeben, die deutsche Unterstützung runtergefahren: von acht auf drei entsandte Lehrkräfte und von 1,2 Mio. Euro auf 0,2 Mio. Begründet werde das mit dem deutschen Schwerpunkt im Norden. Bei dem deutschen Netzwerktreffen sei der Vorschlag gemacht worden, die Schulen in Exzellenzschulen zu entwickeln. Die „Mutterhäuser" beschlossen entgegengesetzt.

Unser Besuch beim Goethe Institut ist ein außergewöhnliches Ereignis. Von den ca. 50 deutschen Besuchen im Jahr in Kabul findet sonst nahezu niemand den Weg zum GI und zur Kulturpolitik (über die Schulen hinaus). Das gilt auch für mich. Umso dankbarer bin ich dafür, dass Claudia als Obfrau im Unterausschuss für Auswärtige Kulturpolitik darauf achtete, in Kabul auch die Kulturpolitik gebührend zu berücksichtigen.

Afghanische Frauen-Fußballnationalmannschaft

Wir treffen uns mit drei jungen Frauen: der Mannschaftsmanagerin, der Spielführerin und einer weiteren Spielerin - eine Paschtunin, eine Tadschikin und eine Hazara.

Claudia überbringt Grüße von Theo Zwanziger und Uli Hoeneß.

Die Mannschaft wurde 2005 gegründet und umfasst heute 23 Spielerinnen. Viele ihrer Familien waren zur Talibanzeit geflohen, vor allem nach Pakistan. Heute gibt es landesweit 18 Frauenfußballteams, auch in Herat, Mazar, Kapista, Bamyan, Parvan. In Kandahar ist sowas nicht möglich.

Viele hierzulande hätten Probleme mit Fußball. „Aber wir kämpfen mit den Problemen, mit Männern, Brüdern, Vätern, Familien. Aber wir lieben Fußball. Wir wollen die besten sein."

Der erste Trainer kam aus Deutschland für die Jungenmannschaft. Er gab dann auch einige Kurse für Frauen.

Ihr erstes Nationalspiel absolvierte die Mannschaft 2007 gegen Pakistan. Es war ihr erstes Spiel auf einem regulären Fußballplatz. Die afghanischen Frauen gewannen. Bisher besuchte die Nationalmannschaft wohl fünfmal Deutschland. An einem internationalen Wettkampf nahm sie bisher noch nicht teil. Zunächst spielten sie nur im women garden, später auf dem Platz des ISAF-Headquarter. Bei Helicopter-Landungen musste die Spiele unterbrochen werden. Beim großen Anschlag vor dem Haupteingang zum HQ vor einem Jahr waren sie gerade auf dem Feld. Sie hatten Glück. Einige Teams spielen auf den Basketballfeldern von Schulen und vor und nach der Unterrichtszeit. So lassen sich Probleme mit den Familien reduzieren.

Man brauche mehr Trainingsmöglichkeiten, zu erst ein Fußballfeld für Frauen.

Zur bevorstehenden Frauenfußball-Weltmeisterschaft ist die Nationalmannschaft für acht Tage eingeladen. Besser wäre ein Aufenthalt von 20-30 Tagen.

„The only thing we have is the love to football".

(Fußball hat in AFG eine lange Tradition. 1933 wurde der afghanische Fußballverein gegründet. Seit 1948 ist AFG FIFA-Mitglied. 2002 startete das AA das Pilotprojekt "Mädchenfußball in AFG", in 2003 zusammen mit dem Dt. Olympischen Sportbund und dem Dt. Fußballbund ein umfassendes Fußball-Projekt. Als erster deutscher Trainer wurde Holger Obermann vom AA nach AFG entsandt. Sein Nachfolger war der international erfahrene Fußball-Lehrer Klaus Stärk, der eng mit Ali Askar Lali, einem ehemaligen afghanischen Nationalspieler, zusammenarbeitete. Die dt. Botschaft veranstaltete mehrere Fußballturniere. Im Januar 2008 war die afghanische Frauen-Fußballnationalmannschaft erstmalig in einem Trainingslager in Deutschland. [2])

 


[1] http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2010/08/22/AR2010082202272.html

[2] Vgl. auch Awista Ayub: Kick in Kabul - 8 Mädchen, 1 Ball und der Traum von Freiheit, Köln 2010 (Bastei Lübbe 61667)


Publikationsliste
Vortragsangebot zu Riga-Deportationen, Ghetto Riga + Dt. Riga-Komitee

Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.

1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.

Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)

Vorstellung der "Toolbox Krisenmanagement"

Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de

zif
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.

Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.:

Tagebuch