Der letzte Redner in dieser Debatte ist Herr Kollege Winfried Nachtwei für die Fraktion des Bündnisses 90/ Die Grünen.
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In Riga wird der bisherige US-Verteidigungsminister Rumsfeld nicht mehr dabei sein. Ich denke, ich spreche sehr vielen aus dem Herzen, wenn ich feststelle, dass das ein Gewinn für die NATO und für die internationale Sicherheit ist.
(Dr. Werner Hoyer [FDP]: Wollen wir erst einmal den Nachfolger angucken!)
Als Erstes möchte ich etwas zur NATO im Einsatz, und zwar nicht pauschal zur NATO im Einsatz, sondern zur NATO im Friedenseinsatz sagen: Vor zwei Jahren beim NATO-Gipfel in Istanbul gab es zum einen den KFOR-Einsatz im Kosovo und zum anderen hatte die NATO ein Jahr zuvor die ISAF in Afghanistan übernommen. Viele von uns erinnern sich noch sehr deutlich daran, wie das damals war. Man war darauf gekommen, dass Kabul allein nicht ausreicht, sondern dass man auch in die Provinzen gehen muss. Es hat aber im Jahr 2004 unter den NATO-Partnern und Verbündeten enorme Mühen gekostet, auf ausreichend Kräfte für die regionalen Wiederaufbauteams in den Provinzen zu kommen. Es gab eine enorme Zögerlichkeit, die auch wesentlich mit dem Irakkrieg zu tun hatte. Damals ist entscheidende Zeit verloren gegangen. Inzwischen gibt es die Vollausweitung der NATO-geführten ISAF nach Süd- und Ostafghanistan. Seit etlichen Wochen stehen ISAF/ NATO-Truppen erstmalig in der Geschichte der NATO in Bodenkämpfen, die inzwischen sehr viele Opfer auf allen Seiten gefordert haben.
Selbstverständlich wird in Riga das Thema „Lastenverteilung im Bündnis" eine erhebliche Rolle spielen. Im Süden und im Osten Afghanistans ist der Doppelauftrag - auf der einen Seite Sicherheit zu schaffen und auf der anderen Seite Aufbau und Entwicklung zu fördern - besonders kompliziert. Für die dort nicht beteiligten ISAF-Nationen ist die Situation im Süden und Osten nach meinem Eindruck kaum durchschaubar.
In diesem Zusammenhang möchte ich ausdrücklich darauf hinweisen, dass es meiner Meinung nach falsch ist, die Arbeit, die im Norden gemacht wird, als so genannten leichten Job abzutun. Wer da war, weiß, wie kompliziert und riskant die Situation ist. Bisher war man dort aber relativ erfolgreich. Es wäre völlig falsch, die Kräfte dort zu schwächen. Auf der anderen Seite muss auch klar sein, dass sich der relativ erfolgreiche Weg im Norden ohne eine Stabilisierung im Süden nicht fortsetzen lässt.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie des Abg. Markus Meckel [SPD])
Nun möchte ich noch auf den Punkt „Kooperation und Partnerschaften" zu sprechen kommen. Ich meine, dies war in der Vergangenheit eine regelrechte Erfolgsgeschichte. Was vor allem amerikanische Vorschläge zu einer Global Partnership angeht - ich brauche nicht zu wiederholen, was meine Vorredner gesagt haben -: Eine solche Entgrenzung des Bündnisses wäre eine völlige Überforderung. Dies ist in der Tat abzulehnen. Andere Konsultations- und Kooperationsmöglichkeiten gibt es selbstverständlich.
Zum Verhältnis NATO/Europäische Union ist schon einiges Richtige gesagt worden. Dieses Nebeneinander reicht absolut nicht. Wir werden das im Kosovo besonders deutlich sehen. Wenn die UN abziehen, dann muss man zusammenarbeiten. Dasselbe gilt für das Verhältnis zwischen zivilen Organisationen und NATO. Notwendig ist eine Zusammenarbeit auf gleicher Augenhöhe.
Der Gipfel in Riga ist der erste NATO-Gipfel in einem ehemaligen Staat der Sowjetunion. Hinzu kommt, dass dieser Gipfel an einem ganz besonderen, an einem historischen Ort stattfindet. Den meisten ist wahrscheinlich gar nicht bewusst: Vor 66 Jahren befand sich Lettland seit sechs Monaten unter sowjetischer Besatzung. Vor 65 Jahren, am 29. November 1941, wurde in Riga die Erschießung von mehr als 15 000 Rigenser Juden vorbereitet. Diese Erschießung wurde von der SS am 30. November 1941 vollzogen. Anlässlich des Rigaer NATO-Gipfels an diesem historischen Ort sollte daran erinnert werden, wofür Militär notwendig sein kann, nämlich zum Schutz des Völkerrechts, zum Schutz vor schwersten Menschenrechtsverletzungen. Herr Minister, es wäre gut, wenn Sie zusammen mit der Kanzlerin in Riga die Gedenkstätte Rumbula besuchten.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
Mehr zur Rolle zivilgesellschaftlicher Akteure bei der zivilen Konfliktbearbeitung u.a.: