Chance einer friedensethischen Klärung

Von: Webmaster amFr, 15 Januar 2010 08:46:19 +01:00

Vor 9 Jahren nahm Winfried Nachtwei zum katholischen Bischofswort "Gerechter Friede" Stellung. Die Öffentlichkeit nahm damals von dem wegweisenden Bischofswort kaum Notiz. Nach den Äußerungen von Bischöfin Käßmann und angesichts des Afghanistaneinsatzes besteht jetzt die Chance einer breiteren friedensethischen Debatte und Klärung. Hier der weiterhin aktuelle Kommentar Nachtweis von 2001:



Politik braucht ethische Verantwortung - „Gerechter Friede" und politische Vernunft

Beitrag von Winfried Nachtwei, MdB Bündnis 90/Die Grünen, auf der Tagung der Katholischen Akademie Freiburg zum Friedenswort der deutschen Bischöfe „Gerechter Friede" am 10.2.2001

Wer wollte bestreiten, dass Politik ethische Verankerung braucht. Allerdings steht die Politik nicht selten unter dem Generalverdacht, (Friedens-)Ethik nur als Legitimationskulisse zu gebrauchen, ansonsten aber eher ethik-ferne Zone zu sein, in der sich lauter Machtpolitiker und Opportunisten tummeln.

In der Tat besteht kein Mangel an hochwertigen Rechtfertigungen von Sicherheitspolitik, von Auslands- und Kriegseinsätzen. Die Frage ist nur, wieweit solche Rechtfertigungen auch handlungsleitende Werte sind.

Das Bischofswort kam zum rechten Zeitpunkt!

Wo die erste Kriegsbeteiligung eines demokratischen Deutschland erhebliche Fragen nach der Legitimität und Rechtmäßigkeit, Folgen und Wirksamkeit der Militärintervention aufgeworfen hat, wo die Bundeswehr nun die einschneidendste Reform ihrer Geschichte erlebt und die EU sich erstmalig einen militärischen Arm zulegt, da fällt doch die Begrenztheit der öffentlichen Debatte auf:

Der Mangel an (selbst-)kritischer Aufarbeitung des Kosovo-Krieges, die oftmalige Verengung von Friedens- und Sicherheitspolitik auf die militärische Komponente, der Vorrang von Fragen der Streitkräftemodernisierung, Finanzierung und Wehrstruktur, ohne die Schlüsselfrage des WOFÜR präzise zu bestimmen.

Vor diesem Hintergrund dankte ich im Oktober Bischof Kamphaus voller Überzeugung und mit ganzem Herzen für das Friedenswort der Bischöfe.

Die Bischöfe sehen neue friedensethische Herausforderungen angesichts einer dramatisch veränderte Lage, wo gegenüber sich verändernden Konflikten die herkömmlichen Instrumente nicht mehr ausreichen. Sie wollen einen Gegenakzent setzen zur üblichen öffentlichen Diskussion über Frieden und Sicherheit, die in den Medien oft erst in Gang komme, wenn ein Eingreifen bevorstehe.

Wiederbelebung der Ethik der Gewaltfreiheit.

Wenn wir Bündnisgrünen in den letzten Jahren versuchten, am Grundwert der Gewaltfreiheit festzuhalten und uns zugleich den Herausforderungen und Dilemmata von staatlicher Politik und Schutzverpflichtung stellten, wenn wir Gewaltfreiheit übersetzten mit den Geboten der Gewaltverhütung und Gewaltminderung, dann entstand manchmal der Eindruck einer pazifistischen Rückzugsargumentation oder des Umschminkens schnöder Realpolitik.

Das Friedenswort lenkt den Blick der friedens- und sicherheitspolitischen Debatte wieder auf die ersten Fragen. Es beweist die Notwendigkeit und die Tragfähigkeit einer Ethik der Gewaltfreiheit mitten in dieser Welt.

Es ruft in Erinnerung, was in den letzten Jahren angesichts der Schrecken innerstaatlicher Gewalt, der Relegitimierung militärischer Gewalt im Dienste „humanitärer Interventionen" und einer High-Tech-Kriegführung ohne eigene und ohne sichtbare andere Opfer zunehmend

in Vergessenheit zu geraten scheint: Angewandte militärische Gewalt tötet, verstümmelt, zerstört und bleibt unabhängig von ihren Zielen ein Übel. Sie ist zudem ein äußerst tückisches Mittel, wie die Realität jeder kriegerischen Auseinandersetzung zeigt.

Zugleich verschließt sich das Friedenswort keineswegs der im letzten Jahrzehnt gewachsenen Erkenntnis, dass bestimmte humanitäre Extremsituationen den Einsatz militärischer Gewalt grundsätzlich rechtfertigen können. Insofern kommen wir auch nicht umhin, bei realen Gewaltkonflikten, bei ihren Trägern und Mitteln genauer hinzusehen und zu differenzieren:

zwischen rechtsstaatlichem Gewaltmonopol einerseits und dem Gewaltchaos der „neuen Kriege" andererseits, wo unter Bedingungen einer zerfallenen Staatlichkeit gewalttätige Gruppen Krieg primär gegen die Zivilbevölkerung führen. (Mary Kaldor); oder zwischen einer Wehrmacht oder einer multinationalen SFOR-/KFOR-Friedenstruppe auf dem Balkan.

Im Konflikt zwischen Gewaltfreiheit und Schutzverpflichtung gegenüber massivem Unrecht kann Gegengewalt das weniger große Übel sein.

Angesichts der veränderten Lage relativieren sich die gewohnten Gegensätze zwischen Pazifisten und Nichtpazifisten, so die Bischöfe: „Es geht um die gemeinsame Pflicht, Gewalt zu verhindern oder wenigstens zu mindern."

Unbedingter Vorrang der Gewaltvorbeugung

Wer den Frieden will, bereite den Frieden vor!

Umfassend und überzeugend wird die Vielfalt des „gerechten Friedens" und die Vielschichtigkeit wirklich vorausschauender Friedenspolitik entwickelt: Menschenrechte und nachhaltige Entwicklung, internationale Zusammenarbeit, Elemente innerstaatlicher und internationaler Friedensfähigkeit, Konfliktnachsorge als Konfliktvorbeugung, Friedendsarbeit in der Zivilgesellschaft.

Durch eine Politik der Gewaltvorbeugung sollen Gewaltverhältnisse ausgetrocknet werden, die stets neue Gewalt provozieren und produzieren. Besonders genau und gelungen erscheinen mir die Passagen zur Konfliktnachsorge, Schuldverarbeitung und Versöhnung, wo die Macht unversöhnlicher Erinnerung als Virus der Gewaltbereitschaft identifiziert wird: Kein Frieden ohne Versöhnung, kein Versöhnung ohne Wahrheit und Gerechtigkeit. Der Gewalt vorbeugen heißt auch, selektiver Erinnerung entgegenzuwirken und Traditionen gemeinsamer Vorbilder zu begründen.

Das Friedenswort betont den unbedingten Vorrang der Gewaltvorbeugung und unterstreicht ihre Hochrangigkeit, indem es sie auf eine Stufe mit der Entspannung in den 70er und 80er Jahren stellt und zur Herausforderung der Gegenwart erklärt. Es gelte, die Logik von Gewalt und Gegengewalt zu unterlaufen.

Der Vorrang der Vorbeugung gilt als Selbstverständlich und wird in der Politik allseits und immer wieder beschworen.

Natürlich geht es nicht darum, dass Rad neu zu erfinden.

Das System von Vereinten Nationen und OSZE, die Verrechtlichung internationaler Beziehungen, die europäische Integration und EU-Erweiterung, Rüstungskontrolle, ja auch die militärische Integration durch die NATO sind bedeutende Beiträge zur internationalen Gewaltvorbeugung und -minderung.

Gerade mit den Balkan-Konflikten, und erst recht mit den kaum beachteten afrikanischen Kriegen, wurden aber auch die Mängel internationaler Gewaltvorbeugung offensichtlich:

Regelmäßig fehlte es an frühzeitigem Handeln, war die Staatengemeinschaft lange durch Interessengegensätze und Uneinigkeit neutralisiert, fehlte es an Kohärenz des Handelns und ausreichenden Mitteln. Gegenüber den gut ausgestatteten, ausgebildeten und schnell verfügbaren Mitteln militärischer Krisenreaktion sind die Fähigkeiten und Instrumente ziviler Krisenprävention unterentwickelt und vernachlässigt.

Erst der Wechsel zu Rot-Grün 1998 und die schlimmen Erfahrungen des Kosovokrieges haben dem Aufbau ziviler Krisenkräfte in der Bundesrepublik, aber auch au den Ebenen von OSZE und vor allem EU einen regelrechten Schub gegeben. (vgl. Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, Gewaltvorbeugung konkret: Zwischenbilanz rotgrüner Maßnahmen zur zivilen Krisenprävention, lang&schlüssig 14/27, März 2001) Allerdings bedarf es noch erheblicher Anstrengungen und eines längeren Weges, bis wir wirklich von Fähigkeiten effektiver Gewalt- und Krisenvorbeugung sprechen können.

Problematik militärischer Interventionen

Im Gegensatz zu dem verbreiteten Trend, nach der Relegitimierung militärischer Gewalt nur noch ihre Bedeutung und Effektivierung zu thematisieren, sieht das Friedenswort vor allem die Grenzen militärischer Mittel. Es betont die Gefahren jeder militärischen Gewaltanwendung (z.B. Eigendynamik, Folgen für die Zivilbevölkerung, „Lust am Bösen") und benennt klare und enge Kriterien für „humanitäre Interventionen". Es beugt damit dem Missbrauch der Menschenrechte für Partikularinteressen vor und erteilt einem Interventionismus für „vitale Interessen" eine eindeutige Absage.

In Parlamentsdebatten und bei sicherheitspolitischen Veranstaltungen stieß ich mit der Forderung der Bündnisgrünen nach engen Kriterien für militärische Kriseneinsätze wohl immer wieder auf positive Resonanz, auch bei Militärs. Auf den politischen Hochebenen spielte diese Grenzziehung nichts desto weniger bisher keine nennenswerte Rolle.

Über die Voraussetzungen militärischer Kriseneinsätze hinaus sollten aber vor allem auch ihre Leistungsfähigkeit, ihre Möglichkeiten und Grenzen thematisiert werden.

Die Leistungen von Militär und insbesondere der Bundeswehr bei der Eindämmung großer Gewalt im Rahmen „robuster" Peacekeeping-Einsätze sind offensichtlich und kaum noch strittig. Dasselbe gilt für die Teilnahme an Verifikationsmaßnahmen zur Rüstungskontrolle, an Beobachtermissionen der OSZE sowie vertrauensbildende Kooperationen durch partner-ship-for-peace-Aktivitäten mit (mittel-)osteuropäischen Militärs.

Langsam wird bewusst, dass militärisches Peacekeeping allein zum Schweitern verurteilt ist, dass es des „erweiterten Peacekeeping", also des Zusammenwirkens militärischer, polizeilicher und ziviler Kräfte und eines kohärenten politischen Konzepts bedarf.

Kaum reflektiert werden die Wirkungen und Probleme von Militäreinsätzen jenseits der Friedenserhaltung: die umfassende sogenannter „Friedenserzwingung hoher Intensität", die Konsequenzen eines auf innenpolitische Akzeptanz orientierten Luftkrieges aus der Distanz, um eigene Opfer zu vermeiden (Irak, Kosovo), die Konsequenzen eines Bodenkrieges. Nach allen Erfahrungen sind solche großen Kampfeinsätze bei innerstaatlichen Gewaltkonflikten hoch riskant, kostspielig und in den Wirkungen äußerst zweifelhaft und kontraproduktiv.

Krieg darf und kann weiterhin kein Mittel der Politik sein! Zugleich steht die internationale Gemeinschaft in der Verantwortung, insbesondere die Seuche der „neuen Kriege" einzudämmen.

Schwaches Echo

Der Kommentator der Süddeutschen Zeitung (12.10.2000) verwies auf die Gefahr, dass das Friedenswort von allen Seiten „totgelobt", also anschließend beiseitegelegt werde.

In der Tat blieb das hörbare Echo auf das Friedenswort bisher ausnehmend schwach.

Weder in Berlin und im Bundestag, noch in der Öffentlichkeit und in Publikationen der Friedensbewegung kann ich eine sonderliche Resonanz beobachten.

Woran kann das liegen?

Zunächst an dem verbreiteten außenpolitischen Desinteresse und der Unterentwickeltheit der sicherheits- und friedenspolitischen Debatte in der Bundesrepublik generell. Im Unterschied zu etlichen anderen westlichen Demokratien gibt es in Deutschland keinen breiteren sicherheitspolitischen Diskurs. Der Verteidigungsminister verfolgt mit seiner Art der Bundeswehrreform zudem eine Strategie der Debattenverhinderung in Parlament und Gesellschaft: Die vorzügliche Chance des Weizsäcker-Berichts wurde durch das schnelle planerische Faktensetzen danach regelrecht abgewürgt.

Abgesehen von christlichen Friedensgruppen und Friedensdiensten ist die verbliebene Friedensbewegung überwiegend reaktiv und antimilitaristisch orientiert. In Folge des Schocks

über die erste deutsche Kriegsbeteiligung verbreiten sich wieder dogmatische und altlinke

antiimperialistische Positionen. Bereitschaften und Fähigkeiten zu einem breiteren Dialog schwinden.

Die friedenspolitischen Brüche von Rot-Grün sind weitestgehend unverarbeitet: Tiefe Enttäuschung und Verdrängung unter vielen Anhängern, eine Art friedensethische Selbstzufriedenheit, gar Selbstgerechtigkeit hingegen oft auf Ebene von Regierung und Koalition.

Schließlich dominieren in Bevölkerung und Öffentlichkeit weiterhin Haltungen von Militärfixiertheit (Überschätzung von Militär als Problemlöser) und eines regelrechten friedenspolitischen Analphabetismus.

Aber auch die Art des Friedenswortes selbst kann zu seiner Resonanzlosigkeit beigetragen haben. Der realen Politik rückt es nicht zuleibe. Es bleibt in der Nische eines Wortes zum Sonntag und bietet der konfliktorientierten Wahrnehmung der Medien keine Vorlage.

Ermutigung

Das Friedenswort der deutschen katholischen Bischöfe empfinde ich nichts desto weniger als Meilenstein und große Ermutigung. Es verdient, gerade von uns PolitikerInnen ernst genommen zu werden, als Maßstab der Tagespolitik und als Anstoß zur kritischen Selbstreflexion.

Zusammen mit entsprechenden Reden von Bundespräsident Rau ist es hervorragend geeignet, der überfälligen sicherheits- und friedenspolitischen Debatte Anstöße und Orientierung zu geben. Das Bedürfnis nach einer solchen Debatte und Klärung besteht sehr wohl, gerade auch unter Soldaten und anderen Menschen mit Erfahrungen mit Gewalt und Friedensarbeit in Krisenregionen. Der Dialog mit dieser zunehmenden Zahl an „Friedensfachleuten" ist nicht nur äußerst spannend, ernüchternd wie ermutigend. Er hilft auch, diese Debatte in Sichtweite der realen Konflikte und Herausforderungen zu halten. Die Erfahrungsschätze dieser Menschen werden bisher viel zu wenig genutzt.

Für die große gesellschaftliche Vergewisserung über eine wirklich zukunftsfähige Sicherheits- und Friedenspolitik ist es noch nicht zu spät, trotz fortschreitender Bundeswehrreform ist der Zug noch nicht abgefahren. Denn immer deutlicher wird, dass die aktuelle Bundeswehreform wegen der damit aufgebauten Interventionsfähigkeit zweischneidig und wegen ihrer zu geringen Reduzierungen und überhöhten Neubeschaffungen nicht finanzierbar ist. Es wird deshalb einen zweiten Anlauf der Bundeswehrreform geben müssen. Zusammen mit der längst überfälligen (selbst-)kritischen Aufarbeitung des Kosovokrieges sowie der Kontroverse über eine künftige Raketenabwehr sind das genügend Arenen der aktuellen Auseinandersetzung, in denen das Friedenswort zur Klärung im Getümmel beitragen kann.

Weitere Stellungnahmen des Autors zum Thema „Gewalt verhindern - Frieden fördern!" unter www.nachtwei.de

P.S.:

Inzwischen haben Bündnis 90/Die Grünen nach zwanzig Jahren ein neues Grundsatzprogramm sowie ihr Wahlprogramm beschlossen. In den außenpolitischen Teil flossen die obigen Ausführungen ein, insbesondere zum Vorrang der Gewaltvorbeugung und zum „tückischen" Mittel militärischer Gewalt. Dabei wird die zentrale Rolle der Vorbeugung nicht nur betont, sondern in konkrete nächste Schritte übersetzt.

Für besonders wichtig halte ich die folgende Passage:

„Um gesellschaftliche Verständigungsprozesse in Krisenregionen nicht nur punktuell, sondern in der Breite zu fördern, müssen Fachkräfte und Projekte des Zivilen Friedensdienstes und anderer gesellschaftlicher Akteure in den nächsten Jahren vervielfacht werden."

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