Den Westfälischen Friedenspreis für die Jugend-Friedensarbeit des Volksbundes Dt. Kriegsgräberfürsorge gab es 2014 völlig zu Recht - mein SZ-Leserbrief zum Führungsstreit im Volksbund

Von: Nachtwei amDi, 27 September 2016 19:51:14 +01:00

Etliche Medienberichte zum jüngsten Führungsstreit im Volksbund zeichneten ein sehr schräges Bild der realen Arbeit des Volksbundes. Vor dem Hintergrund meiner Erfahrungen mit dem Volksbund widersprach ich.  



Den Westfälischen Friedenspreis für die Jugend-Friedensarbeit des Volksbundes Dt. Kriegsgräberfürsorge gab es völlig zu Recht –

mein Leserbrief zum Führungsstreit im Volksbund (27.09.2016)

„Zur Erinnerung“ war die SEITE DREI der Süddeutschen Zeitung am 13. September übertitelt. Hilmar Klute schilderte den Streit in der Führung des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge um/mit dem seit drei Jahren amtierenden Präsidenten und ehemaligen SPD-MdB-Kollegen Markus Meckel. (http://www.sueddeutsche.de/politik/volksbund-deutsche-kriegsgraeberfuersorge-zur-erinnerung-1.3158991?reduced=true ) Den Tenor des Artikels fand ich vor dem Hintergrund meiner fast 30 jährigen Erfahrungen mit dem Volksbund, davon mehr als 15 Jahre in Kooperationen, stark verkürzt und gegenüber den MitarbeiterInnen und ihrer bisherigen Arbeit ungerecht. Mein Leserbrief dazu wurde zusammen mit zwei anderen Leserbriefen in der SZ vom 27. September unter der Überschrift „Vorbildliche Arbeit“ veröffentlicht.

Organisatorisch ist der Streit inzwischen durch den Rücktritt des bisherigen Präsidenten Markus Meckel kurz vor seiner angekündigten Abwahl durch die Delegiertenkonferenz beendet. Interimspräsident ist der bisherige Vizepräsident und frühere Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan. Am 23. September beschlossen die Delegierten des Bundesvertretertages in Göttingen das Volksbund-Leitbild „Versöhnung über den Gräbern – Arbeit für den Frieden“ und verabschiedeten einstimmig eine „Göttinger Erklärung“.  http://www.volksbund.de/meldungen/meldungen-detail/artikel/blick-nach-vorn.html

Mein Leserbrief zu

„Zur Erinnerung“ von Hilmar Klute, SZ 13.09. 2016

(kleine redaktionelle Kürzungen kursiv)

Ende der 80er Jahre hatte ich Grund, bei Gedenkveranstaltungen des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge zu demonstrieren – angesichts eines Gedenkens nur für die gefallenen Mitmarschierer eines Angriffs- und Vernichtungskrieges, das einherging mit Ignoranz gegenüber den ersten und unschuldigen Opfern des Naziterrors.

Der Volksbund von damals ist längst nicht mehr der von heute (– und das nicht erst seit drei Jahren, wie Hilmar Klute nahelegt.)

Neben den Sichtweisen der Kontrahenten im Konflikt an der Spitze des Volksbundes schildert der Autor die praktische Arbeit des Volksbundes sehr verkürzt: Zur Sprache kommt einzig die fragwürdig anmutende Umbettung der sterblichen Überreste des grausamen Zuchthaus-Arztes Seidler. Mit keinem Wort erwähnt wird, was seit etlichen Jahren vom Volksbund und seinen MitarbeiterInnen über seine traditionellen Aufgaben hinaus für eine friedensorientierte Erinnerungsarbeit getan wird:

- Die Jugendarbeit mit Workcamps und anderen Veranstaltungen, an denen pro Jahr bis zu 20.000 junge Leute teilnehmen. Dass die Jugend-Friedensarbeit des Volksbundes 2014 mit dem Westfälischen Friedenspreis geehrt wurde,  war völlig verdient.

-  Die Initiierung und Koordination des „Deutschen Riga-Komitees“ im Jahr 2000 in Erinnerung an die 1941/42 ins Ghetto Riga deportierten jüdischen Menschen aus Deutschland und Österreich.[1] Zu diesem einzigartigen Netzwerk  der Erinnerung gehören inzwischen über 50 Herkunftsorte der Deportationen, 33 davon in Nordrhein-Westfalen. Über die Jahre erlebte ich, wie hierbei eine offene und produktive Kooperation zwischen früher völlig voneinander getrennten Erinnerungskulturen entstand.

(Diese heute besonders wichtige Erinnerungs- und Jugendarbeit hätte Beachtung statt Missachtung verdient.)

Winfried Nachtwei, Münster,

Ex-MdB Bündnis 90/Die Grüne

Weitere Beiträge zur Arbeit des Volksbundes

- Westfälischer Friedenspreis für die Jugend-Friedensarbeit des Volksbundes, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&ptid=1&catid=99&aid=1321

- Verschollen, aber nicht vergessen: Die Erinnerung an das Ghetto Riga, die Deportationen und das Deutsche Riga-Komitee, http://nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1267



[1] 1989 stieß ich in Riga auf die Spuren der über 400 aus dem Münsterland 1941 dorthin deportierten jüdischen Menschen: Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga. Seit fast 50 Jahren verdrängt, vergessen, ohne ein Zeichen der Erinnerung irgendwo, nicht an den Sammelorten hierzulande, nicht in der "Moskauer Vorstadt", wo noch viele Häuser des früheren Ghettos stehen, nicht auf den verwahrlosten Massengräber im Wald von Bikernieki. Schon 1991 errichtete der Volksbund in Riga den ersten deutschen Soldatenfriedhof auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion. Nach Gesprächen mit Vertretern des Volksbundes, angesichts einer „Initiative Riga“ in Wien und nach dem Kriegsgräberabkommen mit Lettand (und anderen mittelosteuropäischen Ländern) in 1996 öffnete sich der Volksbund für das Schicksal der Deportationsopfer. Der damalige Präsident Lange entwickelte die Idee eines Riga-Komitees der Herkunftsstädte der Deportierten, um am Ort der größten Massenmorde in Lettland, im Wald von Bikernieki, gemeinsam eine würdige Gedenkstätte zu errichten. Am 30. November 2001, dem 60. Jahrestag des "Rigaer Blutsonntags, konnte die Gedenkstätte eingeweiht werden. Seitdem wird sie alljährlich auch von TeilnehmerInnen eines Jugend-Workcamps des Volksbundes gepflegt. Bikernieki ist inzwischen ein zentraler Ort in einem Netz von Erinnerungsaktivitäten über Grenzen von Ländern, Generationen und Erinnerungskulturen. 2012 hatte ich die Gelegenheit, Jugendliche eines internationalen Workcamps in Riga zu begleiten und zu interviewen. Es war ein ausgesprochen ermutigendes Erlebnis.