"TRUE WARRIORS"-Doku-Film: Afghanische Künstler gegen Selbstmordattentäter und Mob-Gewalt
Von: Nachtwei amMi, 29 November 2017 13:20:07 +02:00Die Kabuler Theatergruppe führte im Französischen Kulturzentrum ihr Stück wider Selbstmordattentate vor, als sich ein 17-Jähriger unter den Zuschauern in die Luft sprengte. Die Künstler sprechen offen über das traumatische Ereignis, wie sie damit umgingen, wie sie sich nicht hinter Mauern zurückzogen, sondern mutig auf die Straße gingen. Menschliche Tapferkeit gegen die Gewaltseuche. Ein aufwühlend-starker Film von Ronja Wurmb Seibel und Niklas Schenck.
„TRUE WARRIORS“ –
„Jetzt erst recht!“ Künstler gegen
Selbstmordattentäter und Mob-Gewalt in Kabul
Winfried Nachtwei, 29.11.2017
(Fotos auf www.facebook.com/winfried.nachtwei )
Den Kino-Dokumentarfilm „TRUE WARRIORS“ erlebten wir bei der 31. Afghanistan-Tagung in Villigst. Uns allen verschlug der Film zunächst die Sprache. Mich hat lange kein Film mehr so gepackt.
Die Regisseure Ronja von Wurmb-Seibel und Niklas Schenck lassen in ihrem Film Schauspieler und Musiker aus Kabul von ihrem Theaterstück über Selbstmordanschläge berichten, bei dem sie selbst von einem Selbstmordattentäter angegriffen werden. Eine wahre Geschichte aus dem heutigen Kabul mit einer unglaublichen Fortsetzung. (mit Trailer, Pressstimmen und Vorführterminen der nächsten Wochen bundesweit https://www.truewarriors.de/ , https://www.truewarriors.de/termine/ )
Am 11. Dezember 2014 führte das Kabuler Theatergruppe AZDAR ihr Stück „Herzschlag: Stille nach der Explosion“ auf, das sich gegen Selbstmordattentate richtet, die das Vertrauen unter den Menschen und die Gesellschaft zerfressen.
Der Ort: Die Aula der französisch geführten Esteqlal High School, eine der ältesten und angesehensten Schulen in Kabul, in der sich auch das Französische Kulturzentrum IFA befindet. Während der Premierenvorstellung sprengte sich ein 17 Jahre alter Selbstmordattentäter in die Luft. Manche Zuschauer klatschten - sie hielten die Explosion für eine besonders realistische Inszenierung. Erst als Panik ausbrach, verstanden sie, was passiert war. Zwei Besucher und der Attentäter starben, 40 Menschen wurden verletzt.
Die Schauspieler sprechen direkt und lebhaft in die Kamera, wirken gewinnend, ziehen die Zuschauer in ihren Bann. In kurzen Schnitten wechseln sie einander ab, entwickelt sich ein Dialog verschiedener Perspektiven. Über die nahe gekommenen Schauspieler-Menschen dringt das traumatische den Zuschauern unter die Haut.
Sie berichten, wie sie mit dem Schock umgingen, dass es keine Gewöhnung an persönlich erlebte Gewalt gab, und wie sie danach damit umgingen.
Einige der Künstler fliehen nach Europa, nach Frankreich und Deutschland. Die meisten aber bleiben in Kabul und formieren sich neu. Sie ziehen sich nicht hinter Mauern zurück.
Sie gehen auf die Straße, nachdem am 19. März 2015 ein Männer-Mob die 27-jährige Religionslehrerin Farkhunda Makikzada brutal geschlagen, niedergetrampelt, überfahren und mitgeschleift, gesteinigt und verbrannt hatte, mitten im Zentrum von Kabul vor dem Shah-du Shamshira-Schrein, inmitten hunderter Schaulustiger, ungeschützt von der Polizei.
Die Schauspieler re-inszenieren den Lynchmord in aller Öffentlichkeit am Tatort vor der Moschee, ungeschützt vor einer auf Tausende anschwellenden Zuschauermasse, als Teil einer wütenden Protestbewegung.
Die Schauspielerin Leena Alam: „Wenn wir aufhören, gewinnen die anderen.“
TRUE WARRIORS ist eine Geschichte über die Kraft von Kunst und Kultur in einem so gewaltzerfressenen Land wie Afghanistan, über Stärke aus Freundschaft, über Entschlossenheit, das eigene Land zu verändern. Verbreitet ist das historische Bild von den gegenüber ausländischen Mächten kämpferischen und unbesiegbaren Afghanen.
Hier und heute sind es afghanische Künstler, starke Frauen und Männer, die mit menschlicher Tapferkeit gegen die Gewaltseuche kämpfen.
Der Film ist zugleich auch eine Erzählung über die Gründe, aus denen sich so viele Afghanen seit 2014 für die Flucht nach Europa und besonders nach Deutschland entscheiden haben.
Termine
03.12. Heidelberg
06.12. Berlin
11.12. Münster
14.12. Hannover
16.12. Weimar
20.12. Stuttgart
10.01. München
11.01. München
12.01. Heidelberg
14.01. München
20.01. Berlin
30.01. Globales Mittelhessen
01.02. Globales Mittelhessen
Die Ereignisse
Die Theateraufführung am 11. Dezember 2014: Einer der ermordeten Besucher war der 54-jährige Deutsche Frank Ehling, ehemaliger brandenburger Kommunalpolitiker, tätig für eine USAID-finanzierte Organisation. (https://thruttig.wordpress.com/2014/12/20/brandenburger-ex-kommunalpolitiker-als-opfer-des-esteqlal-anschlags-identifiziert/ )
TOLOnews-Video (13:25) über die Theateraufführung (bis 6:17), dann Explosion, Dunkel-heit, Schreie, Spuren der Zerstörung, Opferspuren. https://www.youtube.com/watch?v=s414LNxBCr8
Der Lynchmord an Farkhunda Malikzada am 19. März 2015: Vorausgegangen war ein lauter Streit zwischen ihr und einem Mullah (Hausmeister nach anderer Quelle), der vor dem Schrein selbstgefertigte Talismane verkaufte und sie nun bezichtigte, einen Koran verbrannt zu haben.
ARTE-Dokumentation, 24:00, https://info.arte.tv/de/afghanistan-i-am-farkhunda
New-York-Times-Video (7:42), https://www.nytimes.com/video/world/asia/100000004108808/the-killing-of-farkhunda.html
Die Regisseure
Das Journalistenpaar Ronja Wurmb-Seibel und Niklas Schenck lebte 2013-2014 in Kabul. Sie war vorher Redakteurin im Politikressort der ZEIT. Für die Theateraufführung am 11. Dezember hatten die beiden eine Einladung. Aber es war der Tag ihres Rückfluges nach Deutschland. Sie kehrten nach Kabul zurück und nahmen Kontakt zu den Künstlern auf. Und die waren bereit zu sprechen, ganz persönlich und offen.
Von Ronja erschien im März 2015 das Buch „Ausgerechnet Kabul: 13 Geschichten vom Leben im Krieg“ (DVA), https://www.vonwurmbseibel.com/
Von Ronja Wurmb-Seibel und Niklas Schenck „Wir holen dich da raus“ im SZ-Magazin 45/2015: Ein Journalistenpaar aus Hamburg lernt in Kabul einen afghanischen Jugendlichen kennen. Ein halbes Jahr später ruft er an: Er ist auf der Flucht und braucht Hilfe. Das Paar muss eine Entscheidung treffen. http://sz-magazin.sueddeutsche.de/texte/anzeigen/43788/Wir-holen-dich-da-raus
Die Theatergruppe Azdar/Parwaz
Im Rahmen des internationalen Kulturprojekts „Transit Europa“ wirken die Künstler über acht Monate am Nationaltheater Weimar mit Gastspielen („Malalai – Die afghanische Jungfrau von Orleans“) und Begleitung von TRUE-WARRIORS-Aufführungen bundesweit.
https://www.facebook.com/AzdarTheatre/
http://www.kulturstiftung-des-bundes.de/cms/de/projekte/buehne_und_bewegung/transit-europa.html
Thomas Ruttig zu TRUE WARRIORS am 6. November 2017 auf seiner Website (https://thruttig.wordpress.com/2017/11/06/heute-in-hamburg-afghanistan-dok-film-true-warriors-buchvorstellung-berlin-11-11/ ):
„(…) Das ist die Stärke des Films: Sie zeichnet minutiös die Geschehnisse nach, und was dabei in den Köpfen einzelner Beteiligter vor sich ging – und man ihnen dabei in die Augen. Interviews, alle im selben Format geführt, wechseln mit Szenen aus dem Kabuler Alltag, Eine frühe Zuschauerin, so heißt es im Pressematerial, habe von „verfilmter Psychotherapie, nur viel, viel spannender“ gesprochen. Besser kann man es nicht beschreiben.
Die Theatergruppe Azdar wird bei der Premiere in Hamburg dabei sein, und wohl auch noch bei einigen darauf folgenden Aufführungen – dann ist sie zur Zeit am Nationaltheater Weimar und auf Tournee durch deutsche und schweizerische Theater (mehr hier) – nach zweijährigem Kampf mit den deutschen Behörden um Visa: im Auswärtigen Amt fürchtet man, die Schauspieler könnten Asyl beantragen.
Wer „True Warriors“ gesehen hat, wird (sich) niemals mehr nach der „anderen Kultur“ der Afghanen fragen müssen, sondern ihre Menschlichkeit sehen, die sie mit uns gemeinsam haben. Niemand mehr wird die Frage nach dem Alltag in Kabul stellen müssen – ja es gibt ihn, mit Theater und Parties und Fußballspielen und der täglichen Arbeit, dem Schul- und Universitätsbesuch. Und all das wird immer wieder unterbrochen durch die Detonationen von Autobomben und Sprengstoffwesten – und der Stille des Schicks und den Schreien der Verletzten danach.
Ich wünsche diesem Film ein breites Publikum und hoffe, dass sich viele Kinos finden, die ihn zeigen. Ich hoffe auch darauf, denn ich sehe bei vielen gut besuchten Veranstaltungen immer wieder, wie groß zumindest in Teilen der Öffentlichkeit das Interesse an Afghanistan immer noch ist, größer jedenfalls als in der Politik. (…)“