Am 15. Dezember debattierte + beschloss der Bundestag zur Fortsetzung des deutschen Afghanistaneinsatzes. Im Mittelpunkt des Medieninteresses stand die Abschiebung von 34 afghanischen Flüctlingen nach Afghanistan. Im Vorfeld hatte ich die Erkenntnisse meines jüngsten AFG-Besuches öffentlich gemacht. Hier dazu der Artikel von Thorsten Jungholt + Tim Röhn in der WELT.
„Sind Abschiebungen nach 15 Jahren Hilfe unbarmherzig?“
Von Thorsten Jungholt, Tim Röhn in der WELT 16.12.2016
Viele Milliarden Euro sind nach Afghanistan geflossen, 56 deutsche Soldaten gefallen. Dennoch wird die Rückführung von 34 Flüchtlingen kritisiert.
Aufgeregt diskutieren Deutschlands Politiker einmal mehr über Afghanistan. Anlass ist die Abschiebung von 34 abgelehnten Asylbewerbern per Flugzeug von Frankfurt/Main nach Kabul, ein Drittel von ihnen verurteilte Straftäter.
„Solche Rückführungsaktionen sind richtig und notwendig, um unser Asylsystem funktionsfähig zu halten“, rechtfertigte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) die Maßnahme. Die Sicherheitslage in Afghanistan bleibe kompliziert. Aber es gebe regionale Unterschiede. Viele Gebiete im Land seien hinreichend sicher und erlaubten die Rückkehr. Was er nicht sagte: Die Regierung erhofft sich von den Abschiebungen auch ein Signal. Der Propaganda der Schlepper, die eine Flucht nach Deutschland mit falschen Versprechungen befördern, soll etwas entgegengesetzt werden.
Politiker von Linksparte, Grünen und SPD übten teils scharfe Kritik. So verurteilte Linke-Chefin Katja Kipping die Abschiebungen als „menschenrechtswidrig“ und forderte einen generellen Abschiebestopp nach Afghanistan. Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter warf de Maizière „ein unbarmherziges Spiel“ vor. Und Aydan Özoguz (SPD), als Integrationsbeauftragte Teil der Regierung, äußerte Bedenken, „inwieweit Abschiebungen nach Afghanistan aktuell verantwortet werden können“.
Im Windschatten dieser emotionalen Debatte ging unter, dass der Bundestag am Donnerstag das Afghanistan-Mandat der Bundeswehr um ein weiteres Jahr verlängerte. Zur Erinnerung: Begonnen wurde der Einsatz m Jahr 2001. Zwischenzeitlich waren im Rahmen des Isaf-Kampfeinsatzes über 5500 Bundeswehrsoldaten am Hindukusch stationiert, 56 von ihnen ließen dort ihr Leben. Lediglich der Kampfeinsatz endete 2014, seitdem haben die Soldaten nur noch Beratungs- und Trainingsaufgaben. Der zwischenzeitlich geplante Abzug ist aber kein Thema mehr: Bis mindestens 2020, so hat es die Nato angekündigt, soll die Unterstützung für die fragile Regierung in Kabul aufrechterhalten werden.
Fast zehn Milliarden Euro wurden allein für die militärischen Anstrengungen der Bundeswehr ausgegeben, für die im Fachjargon „einsatzbedingten Zusatzausgaben“. Hinzu kommen unzählige Milliarden für „zivile Unterstützung“, die unvermindert weiterfließen. Bis zu 1,7 Milliarden Euro hat die Bundesregierung dem Land bis 2020 versprochen: für Entwicklungszusammenarbeit, diplomatische Stabilisierungsmaßnahmen, Polizeiaufbau, die afghanische Armee. Es drängt sich also die Frage auf: Was sagt es eigentlich über dieses deutsche Engagement aus, dass die Abschiebung von 34 Flüchtlingen so viel Aufregung verursacht? Wieso ist ein Land nach 15 Jahren massiver Aufbauhilfe – nicht nur von den Deutschen, sondern von über 60 Staaten – immer noch nicht sicher für seine Bürger?
Im neuen Mandatstext der Regierung findet sich dazu nichts. Dort sind die üblichen Floskeln zu lesen: Die afghanischen Sicherheitskräfte machten „Fortschritte“, bedürften dennoch „weiterhin der Unterstützung“. Es gelte, „bisherige Erfolge im Sicherheitssektor zu festigen“. Ein beherztes „Weiter so“ also, im Bundestag beschlossen von den Regierungsfraktionen und gegen die Stimmen von der Opposition.
Unstreitig ist, dass sich die Sicherheitslage seit dem Ende des Isaf-Einsatzes stetig verschlechtert hat. Das lässt sich in den Berichten der Vereinten Nationen nachlesen. Besonders anschaulich lässt es sich auch in den Berichten von Winfried Nachtwei nachlesen. Der ehemalige Grünen-Bundestagsabgeordnete hat den Afghanistaneinsatz 2001 mitbeschlossen. Dem Parlament gehört er schon längst nicht mehr an, dennoch lässt ihn das Thema nicht los. Regelmäßig reist Nachtwei an den Hindukusch, gerade ist er von seinem 19. Besuch zurückgekehrt. Und immer schreibt er seine Eindrücke auf.
Nachtwei blickt ohne tagespolitische oder ideologische Zwänge auf die Lage. Nüchtern schildert er zarte Erfolge wie die Eröffnung einer neuen Akademie für berufliche Bildung. Aber er berichtet auch von seinen Gesprächen mit Landeskundigen, die von der Machtübernahme der Taliban in einem Viertel der 400 Distrikte Afghanistans sprechen, von den Angriffen auf Kundus, dem Anschlag auf das deutsche Generalkonsulat in Masar-i-Scharif und dem Oktober 2016 als dem „tödlichsten Monat der vergangenen zwei Jahre“.
In seinen Schlussfolgerungen schreibt Nachtwei der Bundesregierung ins Stammbuch, ihre Behauptung, es gebe hinreichend sichere Regionen in Afghanistan, sei „reines Wunschdenken im Nebel unklarer und unberechenbar wechselnder Lagen“. Die Opposition mahnt er, sie dürfe „der Verantwortung zum Schutz“ und der dafür nötigen militärischen Präsenz nicht ausweichen. Beiden bescheinigt er: „Politische Fehler der Vergangenheit haben zu der Fluchtwelle aus Afghanistan beigetragen.“ Zum Beispiel das zu frühe Ende von Isaf.
Und wie weiter? Was ist nötig, damit sich die Lage in Afghanistan zumindest nicht weiter destabilisiert? Natürlich kann ein einzelner, ehemaliger Abgeordneter kein Patentrezept liefern. Aber einen wertvollen Hinweis auf eine Grundvoraussetzung hat Nachtwei schon: „Sich ehrlich machen, mit fortgesetztem Wunschdenken brechen, ist die erste Pflicht – auf beiden Seiten.“
Ende 1941/Anfang 1942 rollten Deportationszüge aus Deutschland und Österreich nach Riga.
1989 stieß ich auf die Spuren der verschleppten jüdischen Frauen, Männer und Kinder.
Mit meinem bebilderten Vortrag "Nachbarn von nebenan - verschollen in Riga" stehe ich gern für Erinnerungsveranstaltungen und Schulen zur Verfügung. (Anlage)
Von der zivilen Krisenprävention bis zum Peacebuilding: Die 53-seitige Broschüre stellt kompakt und klar auf jeweils einer Themenseite Prinzipien, Akteure und Instrumente des Krisenmanagements vor. Bei einem Kolloquium im Bundestag in Berlin wurde die Schrift einem Fachpublikum vorgestellt. Erstellt von AutorInnen des Zentrums Internationale Friedenseinsätze ZIF und der Stiftung Wissenschaft und Politik SWP ist die "Toolbox" ein wichtiger Beitrag zur friedens- und sicherheitspolitischen Grundbildung auf einem Politikfeld, wo die Analphabetenrate in der Gesellschaft, aber auch in Medien und Politik sehr hoch ist. ... www.zif-berlin.de
Auf dem Foto überreicht W. Nachtwei den AutorInnen seine 2008 erschienene Broschüre zur Zivilen Krisenprävention und Friedensförderung.
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