Gauck lobt norwegische Friedenspolitik als vorbildlich - das passt wohl nicht ins Bild! Der SPIEGEL u.a. machen es vor (aktualisiert)

Von: Nachtwei amSa, 14 Juni 2014 17:33:59 +01:00

Bei der Auftaktveranstaltung zu "Review 2014 - Außenpolitik Weiter Denken" wurde mehrfach kritisiert. wie militärfixiert die öffentliche Wahrnehmung und Diskussion oft in Deutschland sei. SPIEGEL-ONLINE verbreitete am 14. Juni, Gauck fordere in einem Radio-Interview größere Bereitschaft zu Militäreinsätzen. Die taz titelte "Gauck ruft Deutsche zu den Waffen" (und brachte inzwischen den Gegen-Kommentar von D. Johnson). Ein Fall von selektiver, verzerrender Berichterstattung. Seine wichtige Rede im Nobelinstitut wurde dabei missachtet. Hier zur Rede 



Eine Lobrede des Bundespräsidenten auf die vorbildliche norwegische Friedenspolitik – nicht der Erwähnung wert. Stattdessen behaupten  SPIEGEL u.a., er fordere „größere Bereitschaft zu Militäreinsätzen“

Kommentar von Winfried Nachtwei, MdB a.D. (16./17. Juni 2014)

Am 14. Juni brachte Deutschland-Radio Kultur ein Interview mit Bundespräsident Joachim Gauck zum Abschluss seines Norwegenbesuches. Die Überschrift: „Gauck: ´Auch zu den Waffen greifen`“.

Spiegel-Online machte daraus die Überschrift „Gauck fordert größere Bereitschaft zu Militäreinsätzen“. Für die Masse der über 800 Kommentatoren binnen sechs Stunden war der Bundespräsident damit ein Kriegstreiber. In der taz wird daraus zwei Tage später (nach ausreichend Recherchezeit) der Aufmacher: „Gauck ruft Deutsche zu den Waffen – Kriegsrhetorik: Bundespräsident nennt Militär ´manchmal erforderlich`, nennt noch keinen Einsatzort“. Darunter ein Kommentar von Martin Reeh „über Gaucks erneutes Plädoyer für mehr militärisches Engagement – Der Schwadroneur vom Schloss“. (16.6.2014)

Um Fehlinterpretationen vorzubeugen, wäre es sinnvoll, wenn Bundespräsident Gauck bei seinen Äußerungen zur größeren internationalen Verantwortung Deutschlands klar den Bezugsrahmen der Vereinten Nationen nennen (darin die engen Voraussetzungen der „Schutzverantwortung“) und deutlicher den Vorrang der zivilen Krisenprävention herausstellen würde. Einen Abschied von einem verantwortlichen und zurückhaltenden Umgang mit Kriseneinsätzen kann er nicht wollen.

Als unsäglich und für die außenpolitische Debattenkultur in Deutschland zerstörerisch empfinde ich aber, wie führende Medien in diesem Fall außenpolitische Aussagen des Bundespräsidenten verkürzen, verdrehen und seiner Diffamierung als „Kriegstreiber“ den Weg bereiten. Dass die Linke mit ihrer Totalverweigerung gegenüber UNO-Friedenssicherung den Ball aufnimmt, war vorhersehbar. Dass auch einzelne Grüne in den Pauschalverurteilungschor einstimmen, ist vor dem Hintergrund der grünen Programmatik und des Abstimmungsverhaltens im Bundestag unverständlich.

Deutschland-Radio verschaffte dem Interview am 14. Juni mit der nicht falschen, aber äußerst verkürzenden Überschrift den medialen Treibsatz.

Spiegel-Online nahm auf und verkürzte die Botschaft zur Forderung nach „größerer Bereitschaft zu Militäreinsätzen“. Das brachte die Gauck-„Forderung“ am Wochenende in die erste Nachrichtenreihe. Nach der Flut an Blog-Kommentaren markierte in der taz der Ressortleiter Innenpolitik den Bundespräsidenten dann unverhohlen als „Kriegstreiber“. (Einen Tag später widersprach Dominic Johnson, Leiter des Auslandsressorts der taz, sehr deutlich: „Selbstgerechter Shitstorm – Bundespräsident Gauck wird massiv dafür kritisiert, dass er den ´Griff zur Waffe` nicht ausschließen will. Warum eigentlich?“ www.taz.de/1/archiv/digitaz/artikel/?ressort=me&dig=2014%2F06%2F17%2Fa0113&cHash=805ca98fe7059b78c6f4fa085085f19 )

Die Skandalisierungs-Methode der beteiligten Journalisten und Redaktionen ist geprägt von selektiver, militärfixierter Wahrnehmung, friedens- und UNO-politischer Ignoranz und in der Wirkung diffamatorisch.

-         Ausgeblendet bleibt, dass Gauck in dem Interview zuerst das gute Beispiel Norwegens hervorhebt, das sich in Friedensprozessen wie in Guatemala eingebracht habe, das in Menschenrechts- und Friedensfragen weit ab vom eigenen Land aktiv sei. „Das wünsche ich mir auch von Deutschland.“

-         Die Überschrift behauptet eine Forderung nach mehr Militäreinsätzen. Das ist eine Unterstellung! Im Wortlaut des Interviews sagt Gauck nicht mehr, als dass gegenüber Aggressionen und für das Überleben von unschuldigen Menschen der Einsatz von Waffengewalt nötig sein kann und deshalb als letztes Mittel nicht von vorneherein auszuschließen sei. Damit bewegt er sich in Übereinstimmung mit der UNO-Charta (und der „Schutzverantwortung), der übergroßen Mehrheit der Bundestagsparteien und den meisten zur internationalen Politik arbeitenden Journalisten. Zentral geht es dabei um die Eindämmung von Gewalt und nicht um kriegerische Eskalation.

-         Eine zweite Verzerrung geschieht dadurch, dass die wichtige Gauck-Rede zur norwegischen Friedenspolitik in Oslo mit keinem Wort erwähnt wird. (s.u.) So verrutschen die Gewichte.

-         Das Verschweigen der friedenspolitischen Akzente der Norwegen-Reise des Bundespräsidenten ist kein bloßer „Ausrutscher“, es ist symtomatisch: Am 11. Juni fand der 2. „Tag des Peacekeepers“ in Berlin mit vielen aktiven und ehemaligen Peacekeepern im UNO-Auftrag statt. Dieses friedenspolitische Großereignis wurde – wie auch im Vorjahr und andere Veranstaltungen dieser Art – von der Masse der allgemeinen Medien ignoriert.  (mein Bericht unter www.nachtwei.de/index.php?module=articles&func=display&aid=1294 ) Seit Jahren spüre ich in Medien eine unausgesprochene „Friedensmüdigkeit“.

In der Rede im Nobelinstitut am 11. Juni in Oslo schilderte und lobte der Bundespräsident die langjährige und vorbildliche Friedenspolitik des Gastlandes. (Die Rede unter  www.bundespraesident.de/SharedDocs/Reden/DE/Joachim-Gauck/Reden/2014/06/140611-Norwegen-Nobelinstitut.html ).

Friedensvermittlung sei über die Jahrzehnte zu einem „Markenzeichen“ Norwegens geworden. Was mit der ersten Vermittlerrolle in Guatemala begann, führte für Norwegen in den 1990er Jahren über den „Oslo-Prozess“ (…) bis zum Engagement von heute – in Sri Lanka, in Kolumbien und im Sudan, um nur einige Beispiele zu nennen. Seit 2002 gebe es im norwegischen Außenministerium eine „Abteilung für Frieden und Versöhnung“, eine Innovation in der Außenpolitik. Damit sei es gelungen, ein eigenes friedenspolitisches Profil zu entwickeln. Eng werde dabei mit der norwegischen Zivilgesellschaft kooperiert. Für die anschließende Diskussion stellte er u.a. die Fragen

-          Was sind die grundlegenden Voraussetzungen für Frieden und Versöhnung?

-          Wie muss Diplomatie beschaffen sein, damit sie präventiv wirken kann?

-          Welche Erfahrungen haben jene unter Ihnen gemacht, die an Friedenseinsätzen teilgenommen haben? Was sollten wir künftig anders und besser machen?

-          Wie kann es gelingen, Konflikte zu bändigen, dass es nicht zu bewaffneten Auseinandersetzungen kommt?