Ermordete aus Audrini - Tagebuchaufzeichnungen der 14-jährigen Anna

Von: Webmaster amMi, 12 März 2014 08:25:23 +01:00

Im Sommer 1990 besuchten wir die ostlettische Kreisstadt Rezekne. Im Museum stießen wir auf Fotos von Ermordeten und Tagebuchaufzeichnungen der 14-jährigen Schülerin Anna Michailovskaja. (Bildkorrektur: 1941 statt 1942)

MAULWURF-Artikel August 1990Zum Vergrößern des Bildes auf das Bild klicken

 



In ihrem als Schönschreibheft getarnten Tagebuch schrieb Ende 1941

die 14-jährige Schülerin Anna Michailovskaja aus Rezekne[1]

im deutsch besetzten Ostlettland:

9.11.1941: „(…) dass man jetzt die letzten Reste der jüdischen Bevölkerung im Kreis Rezekne zusammentreibt (…) Die Zeitungen sind jetzt voll von Drohungen und Schmähreden gegen Leute, die Juden und Kriegsgefangenen was zu essen geben. Jetzt sind schon wieder irgendwo in der Stadt Schüsse zu hören. Wahrscheinlich ist schon wieder Menschenjagd.

16.11. Sonntag. Ja, oder geht es den Deutschen schlecht, oder sind im Blut die letzten Funken der Menschlichkeit erloschen. Gestern wurden die letzten Juden ermordet. Alle wurden versammelt, sogar Frauen und Kinder aus Ehen mit Christen. Auch Tanka und Vera Michailova haben kein Erbarmen gefunden. Schüsse knatterten den ganzen Tag aus der Richtung Ancupani. Heute morgen sollen 22 gefangene Politkommissare erschossen worden sein. Es herrscht ein Blutrausch. Die Polizei verhamstert jetzt die den Erschossenen abgenommene Kleidung (…) Was bedeutet ein Mensch? Ein Schuss aus dem Gewehr (…). Die Kriegsgefangenen sterben wie die Fliegen im Herbst.

29.11. (…) Man schießt und schießt Menschen. Rezekne ist buchstäblich mit Blutströmen übergossen. Die Häuser stehen, bloß die Menschen sind nicht mehr da. (…)

16.12. Das Gefängnis wird ausgeräumt. Seit 12 Uhr werden Menschen mit gebundenen Händen wie Ferkel vor dem Schlachten einer auf den anderen in Lastautos geworfen und nach Ancupani transportiert. Die Polizei ist total besoffen.

24.12. Heute werden zum Erschießen Bauern, Frauen und Kinder aus dem Dorf Audrini hereingebracht, bei denen man im Keller Rotarmisten gefunden hat (…)“



[1] Wenige Kilometer entfernt von der Kreisstadt Rezekne (ca. 13.000 Einwohner 1935, von ihnen 3.300 Juden) die Ancupani-Hügel, wo in deutscher Zeit tausende Menschen erschossen wurden; einige Kilometer weiter Audrini.