WAS IN DEN MEDIEN NICHT AUFTAUCHT UND TROTZDEM WICHTIG WAR beim Grünen Parteitag: Streitkultur, Beschlüsse zur Zivilen Krisenprävention

Von: Nachtwei amDi, 30 April 2013 17:31:40 +01:00

Am letzten April-Wochenende beschlossen die Grünen auf ihrem Parteitag in Berlin ihr Wahlprogramm. Wie sich über 2600 Änderungsanträge konstruktiv verarbeiten lassen, habe ich miterlebt - und war mit den sechs von mir mitinitiierten Anträgen zur Zivilen Krisenprävention rundum erfolgreich. Hier einige Blicke in die Kulissen.



Zum Grünen Programm-Parteitag:

WAS IN DEN MEDIEN NICHT AUFTAUCHT UND TROTZDEM WICHTIG IST. Zum Beispiel die interne Streitkultur (I), zum Beispiel Schlüsselprojekte der Friedens- und Sicherheitspolitik (II)

I  Streitkultur: Früher standen Grüne Parteitage für leidenschaftlichen Streit und Strömungskämpfe. Zum Parteitag am letzten Aprilwochenende in Berlin gab es wohl über 2600 Änderungsanträge zum Entwurf des Bundestags-Wahlprogramms. Aber die wurden in drei Tagen weitgehend streitlos und mit einer überschaubaren Zahl an Abstimmungen abgearbeitet. Ein solcher Arbeits-Marathon erscheint nicht spannend, ja auf den ersten Blick langweilig. Ein Zeichen von Etablierung, Angepasstheit, Demokratieverlust bei den Grünen, wie etliche Journalisten meinen? Wie die Grünen es hinbekommen, nicht in der Flut der Änderungsanträge zu ertrinken, sich nicht in ihnen zu verzetteln oder sich über sie zu zerlegen, wurde meines Wissens nirgendwo berichtet, nicht einmal gefragt. Ich habe es beispielhaft miterlebt -    im Rahmen der Bundesarbeitsgemeinschaft (BAG) Frieden + Internationales, deren kooptiertes Mitglied ich seit einigen Monaten bin und in der ich seit Gründung Anfang der 80er Jahre mitarbeite.

Ende Januar, also vor drei Monaten legte die vom Bundesvorstand (Buvo) eingesetzte Schreibgruppe ihren Entwurf für ein Bundestagswahlprogramm vor. Nach einer Konsultation der BAG-SprecherInnen am 5. Februar veröffentlichte der Buvo am 1. März den überarbeiteten Programmentwurf. Für die Gliederungen und Einzelmitglieder (Quorum 20 unterstützende Mitglieder) bestand nun die Möglichkeit, bis zum 5. April 12.00 Uhr Änderungsanträge einzureichen. Vom 6. März an konnten die Mitglieder der BAG Frieden ihre Änderungsanträge im Netz ihren KollegInnen vorstellen. Am 16./17. März berieten die BAGen Europa, Energie, Wirtschaft, Frauen, Nord-Süd und Frieden in teils gemeinsamen, teils getrennten Sitzungen, priorisierten die bisher eingegangen Anträge und entwickelten daraus Anträge der jeweiligen BAGen:  zum Kapitel S „Unsere eine Welt" die BAG Frieden 25 Anträge, die BAG Nord/Süd 16. (Die beiden BAGen sind altersmäßig und im Hinblick auf Kompetenz und Erfahrungshintergründe gut gemischt. Ihre SprecherInnen - zzt. Charlotte Lorentz und Michael Kellner - zeigen seit Jahren hervorragende kooperative Führungsstärke.) Die Diskussion in der BAG war ausgesprochen sachorientiert und kompromissbereit, Welten entfernt von den oft stark ideologischen und verbissenen Auseinandersetzungen der früheren Jahre. Weil wir bei der BAG das Thema Zivile Krisenprävention nicht mehr ausreichend hatten beraten können, entwarf ich hierzu zusammen mit Marcus Schaper insgesamt sechs Änderungsanträge. Für diese fanden wir schnell ausreichend Unterstützer, darunter Franziska Brantner, MdEP, Tobias Balke, Arvid Bell, Roland Vogt, Kerstin Müller, Charlotte Lorentz, Michael Kellner.

In der nächsten Phase befasste sich die Antragskommission mit den Anträgen. Die Kapitelzuständigen, in unserem Fall der Ex-BAG-Sprecher Felix Pahl, sortierte die Anträge und entwickelte Vorschläge, welche Anträge übernommen werden könnten (oft mit Modifizierungen), welche zu einem Antrag zusammengefasst, welche schließlich zur Abstimmung gestellt werden sollten. Marcus und mir wurde z.B. empfohlen, zu zweien unserer Anträge Einigung mit Omid und Werner zu suchen. Das gelang letztendlich auch.

Das Antragstellertreffen am Freitagmittag vor BDK-Beginn brauchte angesichts dieser Vorarbeiten dann auch längst nicht mehr die anberaumte Stunde Beratungszeit. Letzte Konfliktpunkte (z.B. Bundeswehr-Totalabzug aus Afghanistan Ende 2014) wurden bis Sonntagmorgen wegverhandelt. Bei unserer Ergänzung eines ganzen Absatzes zur Zivilen Krisenprävention schlugen wir selbst Kürzungen vor, die nichts am Inhalt änderten. Während der Beratung des vorletzten Kapitels wurde die Empfehlungsliste der Antragskommission zum letzten Kapitel „Eine Welt" verteilt. Von den 143 Änderungsanträgen (davon über 50 umfassendere bzw. wichtigere) wurde für 34 Übernahme, 71 modifizierte Übernahme, 39 erledigt durch andere Übernahmen, eine Überweisung an die BDK zum Europa-Wahlprogramm und einer zur Abstimmung empfohlen. Von unseren sechs Anträgen wurden zwei voll, vier (leicht) modifiziert übernommen.

Insgesamt habe ich hier zum wiederholten Mal einen Beratungsprozess erlebt, der ein hohes Maß an demokratischer Beteiligung und Durchlässigkeit mit konstruktiver Ergebnisorientierung verbindet und richtig Spaß macht. Insbesondere im Vergleich zu den heißen bis schmerzhaften ersten grünen Jahrzehnten stelle ich als Veteran fest: Früher war eben nicht alles besser! Die Mitglieder der Grünen können stolz auf diese demokratische Leistung sein. Dass dies zugleich kein Grund zur Selbstzufriedenheit ist, müsste klar sein. Sachorientierte Streitkultur wird hohl, wo Konfliktvermeidung zur obersten Devise wird.

II  Schlüsselprojekte der Friedens- und Sicherheitspolitik: Die Schutzverantwortung (RtoP) bekam im Wahlprogramm 2013 mit Abschnitt 6 („Eine Welt des Friedens und der Schutzverantwortung") im Kapitel S („Unsere eine Welt") ein Gewicht wie nie zuvor. Das war die Konsequenz einer intensiven Debatte in Fraktion und Partei seit 2011, die im November in einen umfassenden, einmütig verabschiedeten BDK-Beschluss mündete. Das Programm betont bei der Schutzverantwortung den Vorrang der Prävention und widerspricht der verbreiteten Neigung, die RtoP auf die Frage der Intervention zu verkürzen.

Angesichts seit Jahren beschworener, zentraler Schwächen deutscher Friedens- und Sicherheitspolitik dürften in den Kapiteln R („Unser gemeinsames Europa") und S insbesondere die Programmaussagen zu Strategiebildung, außenpolitischer Kohärenz, Rüstungsexporten, VN-Orientierung, Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der EU, ziviler Krisenprävention sowie klaren und erfüllbaren Einsatzmandaten von besonderem Interesse sein. Hier ein Teil der diesbezüglichen Programmaussagen. (Die Kapitel des beschlossenen Wahlprogramms unter www.gruene.de//partei/bdk-in-berlin/drei-tage-volles-programm.html )

Strategiebildung: „Notwendig ist eine nationale Friedensstrategie als friedens- und sicherheitspolitischer Kompass. Sie soll frühzeitig gesellschaftlich debattiert und durch den Bundestag beraten und beschlossen werden. Sie ersetzt das Weißbuch zur Sicherheitspolitik von 2006, legt Regionen fest, für die sich Deutschland in besonderer Mitverantwortung sieht, und bestimmt, welche Aufgaben die Bundesrepublik mit welchen Mitteln im Konzert der Staatengemeinschaft wahrnehmen kann und will." (Übernommener Änderungsantrag von W. Nachtwei, M. Schaper u.a.)

Kohärenz: „Die notwendige sozial-ökologische Transformation muss Aufgabe der ganzen Bundesregierung sein. Es kann nicht sein, dass weiterhin Waffenexporte gegen Friedensbemühungen laufen, klimaschädliche Subventionen gezahlt oder durch Exportoffensiven Bemühungen zur Überwindung von Armut und Hunger in Entwicklungsländern zunichte gemacht werden. Wir stehen ein für mehr Politikkohärenz im Sinne von Frieden, Demokratie und einer menschenrechtsbasierten nachhaltigen Entwicklung. Dafür wollen wir regierungsweite Zielvereinbarungen, mehr Kompetenz für vernetztes Regieren,, die Stärkung von Ressortkreisen, eine bessere Koordinierung der Außenpolitik durch das Auswärtige Amt und die Koordinierung der Entwicklungszusammenarbeit und aller Entwicklungsgelder durch das Entwicklungsministerium. Gleichzeitig braucht es eine fraktionsübergreifende Debatte, die sich mit den Widersprüchen des deutschen Regierungshandelns befasst. Diese Debatte wollen wir in der 18. Legislaturperiode durch eine Enquete-Kommission „Kohärenz in einer Welt im Wandel" anstoßen, die eine kritische Bilanz ziehen und Veränderungen vorschlagen soll - auch für die Arbeitsstrukturen von Bundesregierung und Bundestag im europäischen und internationalen Kontext."

Rüstungsexporte: Diesen ist in Kapitel S der 4. Abschnitt „Schluss mit der unkontrollierten und geheimen Rüstungsexportpolitik" gewidmet.

Zivile Krisenprävention und Friedensförderung: „Die unter Rot-Grün geschaffenen zivilen Ansätze müssen weiterentwickelt und ihr Rückstand gegenüber den militärischen Kapazitäten aufgeholt werden: Eingebettet in eine Nationale Friedensstrategie ist der Aktionsplan Zivile Krisenprävention an die heutigen friedenspolitischen Herausforderungen anzupassen. Besonderen Nachholbedarf gibt es bei den Schwerpunkten Förderung von Friedenspotenzialen und legitimer Staatlichkeit. Um Zivile Krisenprävention und Friedensförderung ins Zentrum der Außenpolitik zu rücken, braucht der zuständige Ressortkreis deutlich mehr Gewicht und ressortgemeinsame Haushaltsmittel. Mit der Aufstellung Ziviler Planziele soll gewährleistet werden, dass Deutschland schnell und ausdauernd zivile und polizeiliche Fachkräfte in Friedensmissionen entsenden kann. Die Kapazitäten des Zentrums Internationale Friedenseinsätze (ZIF), des Zivilen Friedensdienstes und zivilgesellschaftlicher Programme müssen erweitert und ihre Mittel verdoppelt werden. Aufzubauen sind eigene Fähigkeiten zur politischen Vermittlung. Die Polizeien von Bund und Ländern sind durch eine zusätzliche Personalreserve und Anreize zu befähigen, verlässliche Beiträge zur Friedenskonsolidierung zu leisten. Unverzichtbar sind sorgfältige Konflikt- und Wirkungsanalysen und umfassende Regionalexpertise. Diese sind ohne mehr Mittel für praxis-orientierte Regional- und Friedensforschung nicht zu haben. Die vielen Akteure der zivilen Konfliktbearbeitung brauchen einen zentralen Ort der Erfahrungsauswertung, Analyse, Weiterentwicklung und Ausbildung. Um aus dem Schatten öffentlicher Wahrnehmung herauszukommen, bedarf zivile Friedensförderung endlich einer systematischer Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit." (Übernommener Änderungsantrag von W. Nachtwei, M. Schaper u.a.)

Die drei außenpolitischen Schlüsselprojekte gehen zu

-         Rüstungsexporten

-         Klima der Gerechtigkeit

-         Zivile Krisenprävention

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