Zivilopfer in Afghanistan: Erstmaliger Rückgang seit 2007. ABER: Anstieg der Angriffe auf Regierungsangestellte um 700%! Im Norden Wachstum illegaler bewaffneter Gruppen!

Von: Nachtwei amDi, 26 Februar 2013 16:32:19 +01:00

Die Zahl der Zivilopfer im bewaffneten Konflikt ist ein zentraler Indikator für die Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan. Die Kernbotschaften des UNAMA-Jahresberichts 2012 sind zwiespältig. Sie geben Anlaß für Erleichterung wie für Beunruhigung. Am beunruhigsten ist, dass sie kaum noch wahrgenommen zu werden scheinen.



Zivilopfer in Afghanistan: Erstmalig Rückgang seit 2007. ABER: Anstieg der Angriffe auf Regierungsangestellte um 700%! Im Norden/Nordosten Wachstum illegaler bewaffneter Gruppen!

 

Seit 2007 veröffentlicht UNAMA den Jahresbericht über den Schutz von Zivilpersonen im bewaffneten Konflikt in Afghanistan. Der Jahresbericht 2012 unter www.unama.unmission.org/Default.aspx?tabid=12254&ctl=Details&mid=15756&ItemID=36445&language=en-US (Jahresbericht 2011 über www.nachtwei.de/index.php/articles/1134) Erstmalig kann UNAMA für 2012 einen Rückgang der Zivilopfer melden - um 12% ggb. dem Vorjahr auf die immer noch schreckliche Zahl von 7.559 Zivilopfern (2.754 Tote und 4.805 Verletzte). In den sechs Berichtsjahren von UNAMA haben insgesamt 14.728 Zivilpersonen ihr Leben im bewaffneten Konflikt verloren.

Illegale bewaffnete Gruppen gewinnen an Einfluss vor allem in Teilen des Norden und Nordosten, wo die Führungsverantwortung auf ISAF-Seite weiterhin bei Deutschland liegt. Die Frage drängt sich auf, inwieweit hier die Transition, die Übergabe der Sicherheitsverantwortung, unterlaufen und unterspült wird.

Verursacher der Zivilopfer waren lt. UNAMA 2012

-         Regierungsfeindliche Elemente/AGE in 81% der Fälle (2.179 Tote, 3.952 Verletzte), Anstieg um 9%. Die Zivilopfer durch gezielte Tötungen stiegen um 108% auf 698 Tote. Zielgruppen waren Menschen, denen die Unterstützung der Regierung vorgeworfen wurde, Regierungsvertreter, religiöse Führer, Stammesälteste, ehemalige Polizisten, Unterstützer des Friedensprozesses. Dabei stiegen die Opfer der Regierungsangestellten um 700%!!!  (Dazu trugen v.a. zwei Großangriffe bei: am 14. Juli 2012 gegen Parlamentarier und Regierungsoffizielle bei einer Hochzeit in Aybak/Samangan (Norden), wo 23 Zivilpersonen getötet und 45 verletzt wurden, und am 26. Oktober in einer Moschee in Maimaneh/Faryab (Nordwesten), wo ein 15-jähriger Selbstmordattentäter auf den Provinzgouverneur zielte und 40 Zivilpersonen tötete, 59 verletzte.) Als besonders beunruhigend bewertet UNAMA die Tötung von weiblichen Regierungsangestellten, z.B. der Chefin des Departments für Frauenangelegenheiten der Provinz Laghman im Dezember 2012 und ihrer Vertreterin im August. IED`s blieben die größte Bedrohungen für Zivilpersonen, sie töteten 868 Zivilpersonen und verletzten 1.663 (+3% ).  Druckplatten-IED`s wirken unterschiedslos wie Anti-Personenminen.  Durch Selbstmordattacken und komplexe Angriffe wurden 328 Zivilpersonen getötet und 1.179 verletzt       (-9%).

-         Pro-Regierungskräfte/PGF in 8% der Fälle (316 Tote, 271 Verletzte), Rückgang um 46%. Durch Luftangriffe kamen 128 Zivilpersonen um`s Leben, 78 wurden verletzt; bei Suchoperationen wurden 54 Zivilpersonen getötet und 21 verletzt (-33%). Waffeneinsätze von Kampfdrohnen stiegen in 2012 um 72% auf 506. UNAMA dokumentiert fünf Vorfälle, bei denen 16 Zivilpersonen getötet und drei verletzt wurden.

-         11% der Zivilopfer konnten nicht zugeordnet werden.

Afghan Local Police: Die Mehrzahl der Gemeinden mit ALP-Präsenz meldete einen Zuwachs an Sicherheit. Trotz verstärkter Kontrollbemühungen seitens der Regierung gab es in einigen Distrikten weiterhin Menschenrechtsverletzungen durch die ALP. Die ALP wurde in 2012 für 55 Zwischenfälle mit 24 Ziviltoten und 38 Verletzten verantwortlich gemacht.  13 der Vorfälle geschahen bei Bodeneinsätzen, die Mehrzahl durch Menschenrechtsverletzungen durch ALP-Mitglieder. Die Mehrzahl der 55 Zwischenfälle geschah im Nordosten, gefolgt vom Norden. Probleme bereiteten Angehörige von Local Defence Initiatives wie dem Critical Infrastructure Project (CIP), die 2011 in Teilen von Kunduz, Balkh und Faryab von ISAF-Spezialkräften aufgestellt worden waren und nach Präsidenten-Erlass vom 25.12.2011 aufgelöst werden sollten. Das soll inzwischen geschehen sein. Die meisten seien in die ALP gewechselt. UNAMA berichtet ernste Menschenrechtsverletzungen durch ehemalige CIP-Mitglieder u.a. in den Distrikten Chahar Darrah und Ali Abad der Provinz Kunduz.

Illegale bewaffnete Gruppen wurden 2012 für eine wachsende Zahl von Menschenrechtsverletzungen an Zivilpersonen verantwortlich gemacht. Die Mehrzahl geschah in den Provinzen Faryab (Nordwest) und Kunduz (Nordost). Solche Gruppen operieren im Norden in 21 von 54 Distrikten (Balkh, Sar-i Pul, Jawzjan, Samangan, Fayab) und im Nordosten in 18 von 67 Distrikten (vier Distrikte der Provinz Kunduz, neun von Baghlan, vier von Takhar, zwei von Badakhshan). In 2012 hätten diese Gruppen in einigen Gebieten ihren Einfluss ausgeweitet. In manchen Gebieten hätten sie mehr Macht als die afghanischen Sicherheitskräfte. Z.B. der Distrikt Qala-e Zal in der Provinz Kunduz: Hier umfasst eine bewaffnete Gruppe 230 Mann, die Polizei nur 25-35. UNAMA schreibt diesen Gruppen insgesamt 28 Zwischenfälle mit 42 Toten und 32 Verletzten zu. 22 Vorfälle betrafen Menschenrechtsverletzungen (gezielte Tötungen, Entführungen, Drohungen, Schikanen, Zwangsabgaben, Verstöße gegen das Recht auf Bildung). In manchen Gebieten trug das CIP unbeabsichtigt zur Stärkung illegaler Gruppen bei.