"Selig, die Frieden stiften" - Was sind Soldaten? Interview im KOMPASS, der Zeitschrift der Katholischen Militärseelsorge

Von: Nachtwei amMi, 09 Januar 2013 19:06:15 +01:00

Schwerpunktthema der vom Katholischen Militärbischof herausgegebenen Zeitschrift ist im Januar das von Papst Benedikt XVI. für den diesjährigen Weltfriedenstag gewählte  Motto "Selig, die Frieden stiften." Hierzu nehmen der Wehrbeauftragte, General a.D. Karl-Heinz Lather und ich Stellung.



„Einsatzaufträge der Politik müssen klar und erfüllbar sein. Andernfalls sind sie unverantwortlich."

Interview mit dem ehemaligen Bundestagsabgeordneten Winfried Nachtwei in „KOMPASS" 01/2013, www.katholische-militaerseelsorge.de/uploads/media/Kompass_01_13.pdf

Kompass: Das Motto, das der Heilige Vater, Papst Benedikt XVI. für den diesjährigen Weltfriedenstag gewählt hat, verweist auf die Bergpredigt: „Selig, die Frieden stiften". Ihrer Auffassung dazu? Sind Soldaten Friedensstifter oder wird Ihnen mit dieser Zuschreibung nicht zu viel aufgebürdet?

Winfried Nachtwei: Im Vordergrund der öffentlichen Wahrnehmung stehen Gewaltereignisse, Gewaltstifter, bad news. Friedensstifter werden normalerweise kaum wahrgenommen. Als das Berliner Zentrum Internationale Friedenseinsätze (ZIF) im Mai 2012 seine ersten zehn Jahre feierte und Hunderte Friedenspraktiker präsentierte, fand das in der Öffentlichkeit keinen Widerhall. Das Motto „Selig, die Frieden stiften" kommt zur rechten Zeit. Soldaten waren in der Geschichte meist Kriegsmacher, manchmal auch Befreier. Friedensstifter waren sie am ehesten in der Propaganda. Seit Bestehen der Vereinten Nationen und seit dem Grundgesetzt sollen (deutsche) Soldaten ausdrücklich dem Frieden dienen - durch Friedenssicherung, durch Wiederherstellung von Frieden. Tatsächlich dem Frieden zu dienen, ist ein enormer zivilisatorischer Fortschritt. Als Friedensstifter wären Soldaten aber völlig überfordert.

Kompass: Welchen Beitrag können Ihrer Meinung nach Soldaten leisten? Eher einen Beitrag zur Sicherheit oder allumfassend zum Frieden?  Was wäre Ihrer Meinung nach der Unterschied zwischen Sicherheit einerseits und Frieden andererseits?

Winfried Nachtwei: Jenseits der Landes- und Bündnisverteidigung können Soldaten wesentliche Beiträge zur Kriegsverhütung, zur Eindämmung von illegaler militärischer Gewalt und zur internationalen Rechtsdurchsetzung leisten. Das haben sie auf dem Balkan und anderswo bei UNO-Einsätzen bewiesen. Sie können damit zu grundlegender Sicherheit vor „großer" Gewalt - nicht vor krimineller Gewalt - beitragen und damit Vorraussetzungen dafür schaffen, dass Frieden wachsen kann: friedliche Konfliktaustragung, friedliches Zusammenleben und Interessenausgleich, Zunahme an Gerechtigkeit. Damit aber Friedenskonsolidierung und legitime Staatlichkeit voran kommen, braucht es vorrangig das Engagement politischer, ziviler und polizeilicher Akteure, externer und vor allem einheimischer.

Kompass: Am 22. Dezember 2001 wurde erstmalig der ISAF-Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan vom Deutschen Bundestag beschlossen. Zwischenzeitlich sind gut 11 Jahre vergangen und das Ende des ISAF - Mandates zeichnet sich ab. Hintergrund ist der geplante Truppenabzug der internationalen Truppen bis Ende 2014. Was kommt nach ISAF?

Winfried Nachtwei: Die Staatengemeinschaft hat vertraglich versprochen, dass sie das kriegs- und terrorgebeutelte Afghanistan nicht im Stich lassen und durch zivile Aufbauhilfe und Förderung der Sicherheitskräfte über 2014 hinaus unterstützen will. Dafür soll es eine deutlich kleinere militärische und polizeiliche Folgemission geben. Ungewiss ist, ob der best case eines glimpflichen Übergangs eintritt oder ob die Ängste vieler Afghanen wahr werden - in Teilen des Landes Machtergreifung der Taliban, in anderen Absturz in den Bürgerkrieg, insgesamt Verlust der Teilfortschritte der letzten Jahre. Was nach 2014 kommt, hängt entscheidend davon ab, ob mit den Aufständischen ein tragfähiges Arrangement gelingt und ob die Nachbarn, insbesondere Pakistan zu einer konstruktiven Politik gegenüber Afghanistan finden. Wenn Deutschland und andere Verbündete Afghanistan nach 2014 bestmöglich unterstützen wollen, wäre jetzt dringend erforderlich, was bisher versäumt wurde: eine systematische und selbstkritisch-ehrliche Auswertung des militärisch-diplomatisch-zivilen Afghanistanengagements. Meine Befürchtung ist, dass vor dem Hintergrund der vorherrschenden Afghanistanmüdigkeit die früheren Aufbauillusionen inzwischen in Abzugsillusionen umkippen: „bloß weg vom Hindukusch!" So verständlich das wäre, so kurzsichtig und verantwortungslos wäre es vor allem. Hierzu sollten sich gerade im Wahljahr 2013 diejenigen Abertausenden Frauen und Männer zu Wort melden, die seit 2002 im demokratisch legitimierten Auftrag nach Afghanistan entsandt wurden, die das Land und seine Menschen nicht mehr loslässt und denen nicht egal ist, was aus diesen wird. Die Rückkehrer in Uniform und Zivil wollen sicher nicht, dass ihr Einsdatz umsonst gewesen ist.

Kompass: Sie haben damals,  als Mitglied im Deutschen Bundestag und Mitglied der Regierungsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen, dem Antrag der Bundesregierung mit Blick auf den Einsatz in Afghanistan zugestimmt. Wie sehen Sie heute, rückschauend betrachtet, Ihr damaliges Abstimmungsverhalten?

Winfried Nachtwei: Es bleibt richtig, damals für die militärische Absicherung von Waffenruhe und Aufbau in Afghanistan gestimmt zu haben. Eine Verweigerungshaltung gegenüber dem Unterstützungsaufruf der UNO wäre völlig unverantwortlich gewesen. Die Großfehler begannen sofort danach - mit der Einbildung, einem so zerstörten und komplizierten Land ohne gemeinsame Strategie und mit Minimalaufwand, also Billig-Statebuilding, auf die Beine helfen zu können; mit dem über Jahre unausgetragenen strategischen Dissens unter Verbündeten, wo die USA sich damals auf den „Krieg gegen den Terror" und Saddam Hussein konzentrierten, wo für die UNO und viele andere Länder, darunter Deutschland, Aufbauunterstützung und Bevölkerungsorientierung im Vordergrund standen. Angesichts der zentralen Rolle des Deutschen Bundestages bei Auslandseinsätzen tragen wir damalige Parlamentarier eine Mitverantwortung für die Versäumnisse der Afghanistanpolitik: Die mit den Jahren wachsende Kritik an der Halbherzigkeit und Unehrlichkeit der deutschen Afghanistanpolitik wurde von den Mehrheiten im Parlament viel zu lange nicht ernst genommen. Einsatzaufträge der Politik müssen klar und erfüllbar sein. Andernfalls sind sie unverantwortlich.

Das Interview führte Josef König. 2.12.2012; veröffentlicht in „KOMPASS - Soldat in Kirche und Welt" 01/2013