Nachtwei zur Frage der Entschädigung von Strahlenopfern in Ost und West
Von: Webmaster amDo, 29 Januar 2009 23:33:53 +02:00Winfried Nachtwei gab zur Frage der Entschädigung von Strahlenopfern in Ost und West folgende Rede zu Protokoll:
Winfried Nachtwei (BÃœNDNIS 90/DIE GRÃœNEN):
Spätestens seit 2001 ist im Verteidigungsministerium bekannt, in welchem Ausmaß Soldaten der Bundeswehr und der NVA bei ihrer Arbeit an Radargeräten in der Truppe schädlichen Radarstrahlen ausgesetzt waren und daran schwer erkrankten. Die Strahlenbelastungen lieÂgen meist Jahre zurück und sind als eindeutige KrankÂheitsursache oft nur noch schwer zu beweisen. Umso mehr haben sich die Betroffenen und ihre Angehörigen auf die Zusage des damaligen Verteidigungsministers Scharping verlassen, der im Juni 2001 zusicherte, dass für die Strahlenopfer der Bundeswehr und der ehemaliÂgen NVA eine „streitfreie und großherzige" Regelung geÂfunden werden solle.
Auch die auf Ersuchen des Verteidigungsausschusses eingesetzte unabhängige Radarkommission, die 2003 ihÂren Bericht vorlegte, formulierte großzügige Kriterien für die Anerkennung auf Versorgungsleistungen für radarÂstrahlenerkrankte ehemalige Soldaten der Bundeswehr und der früheren Nationalen Volksarmee der DDR. Hatte das Bundesministerium der Verteidigung bei der ÃœberÂgabe des Berichtes den Geschädigten und HinterbliebeÂnen von Bundeswehr und NVA noch eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Empfehlungen zugesagt, vertrauen mitt-lerweile viele Betroffene und ihre Angehörigen auf diese Zusagen nicht mehr. Von etwa 3 700 Verfahren sind inzwiÂschen etwa 700 zugunsten der geschädigten Soldaten abÂgeschlossen. Das ist gerade einmal jeder Fünfte.
Viele betroffene Soldaten und ihre Angehörigen kämpÂfen mittlerweile einen für sie zermürbenden und frustrieÂrenden juristischen Kleinkrieg mit der Verwaltung um Anerkennung auf Wehrdienstbeschädigung. Das MinisteÂrium verzichtet noch nicht einmal darauf, nach einem verlorenen Radarprozess in Berufung zu gehen. Von einer großzügigen und unbürokratischen Anerkennung der Radargeschädigten auf Wehrdienstbeschädigung kann längst keine Rede mehr sein.
Zu Recht empfinden die Betroffenen und ihre Familien das Vorgehen von Verwaltung und Ministerium als unzuÂmutbar. Eine Hinhaltestrategie, mit der Verfahren mögÂlichst lange hinausgezögert werden oder auf Verjährung der Schadensersatzansprüche gesetzt wird, ist zynisch und nicht hinnehmbar. Der ehemalige Dienstherr steht in der Verantwortung, seiner Fürsorgepflicht gegenüber Soldaten und ehemaligen Soldaten, die zu Zeiten des Ost-West-Konfliktes ohne eigenes Wissen ihre Gesundheit und ihr Leben riskiert haben, rasch und vollständig nachzuÂkommen. Die vom Verteidigungsausschuss beschlossenen Empfehlungen des Radarberichtes müssen daher ohne Wenn und Aber umgesetzt werden. Zusätzlich ist es notÂwendig, Möglichkeiten einer Wiederaufnahme des runÂden Tisches für strittige Fälle sowie die Aussetzung von Verfahren vorbehaltlos zu prüfen. Ministerium und VerÂwaltung müssen zurückkehren zum Prinzip des Dialogs mit den Betroffenen. Auch eine bereits seit längerem disÂkutierte Stiftungslösung darf nicht leichtfertig vom Tisch gewischt werden. Damit könnten auch die Ansprüche auf Versorgungsleistungen von Radargeschädigten der NVA und ihren Hinterbliebenen besser berücksichtigt werden.
Die Versorgungsleistungen für Strahlenopfer der BunÂdeswehr und der NVA sowie deren Hinterbliebene sollen laut Empfehlungen der Radarkommission einheitlich beÂurteilt werden. Das ist ausdrücklich zu begrüßen. AllerÂdings greifen für die Versorgungsleistungen von radarÂgeschädigten Soldaten der Bundeswehr und der NVA unterschiedliche Rechtsgrundlagen. Während radarÂgeschädigte Soldaten der Bundeswehr Leistungen nach dem Soldaten- und Bundesversorgungsgesetz erhalten, haben ehemalige Soldaten der NVA entsprechend dem Einigungsvertrag und laut Dienstbeschädigungsaus-gleichsgesetz im Beitrittsland Anspruch auf eine Unfall-rente. Zudem werden die Unfallrenten auf die Altersren-ten aus der gesetzlichen Rentenversicherung teilweise angerechnet. Das Dienstbeschädigungsausgleichsgesetz sieht außerdem keine eigene Zusatzversorgung für HinÂterbliebene von Radargeschädigten der NVA vor. HinterÂbliebene von radargeschädigten Soldaten der NVA sind mit Hinterbliebenen von Opfern von Arbeitsunfällen gleichgestellt und erhalten daher Leistungen aus der geÂsetzlichen Rentenversicherung.
Diese Praxis hat der Bundesgerichtshof in einem UrÂteil vom Februar 2008 bestätigt. Demnach haben SoldaÂten der NVA, die durch ihre militärische Tätigkeit StrahÂlenschäden erlitten haben, keinen generellen Anspruch auf Schadenersatz durch die Bundesregierung. Etwaige Ansprüche aus Zeiten der DDR sind laut UrteilsbegrünÂdung mit der Wiedervereinigung nicht auf die BundesreÂpublik übergegangen. Auch die Vorinstanzen hatten die Klage abgewiesen. Der Einigungsvertrag bildet laut UrÂteil des Bundesgerichtshofes keine Grundlage für HafÂtungsansprüche.
Die Fraktion Die Linke fordert nun in ihrem Antrag die versorgungsrechtliche Gleichstellung von RadargeschäÂdigten der Bundeswehr mit Radargeschädigten der NVA. Das ist grundsätzlich richtig. Wenn die Fraktion Die Linke in ihrem Antrag allerdings fordert, die BundesreÂgierung müsse sich ihrer Verantwortung für strahlengeÂschädigte ehemalige NVA-Angehörige stellen und auch die Passiva der NVA übernehmen, dann muss sich die Linke, die zu erheblichen Anteilen Nachfolgepartei der SED ist, eine Frage an ihre Glaubwürdigkeit gefallen lasÂsen: Warum setzt sie sich nicht mit demselben EngageÂment auch für die Rehabilitation und Entschädigung von politischen Opfern des SED-Regimes ein?