winnikl.jpg (2306 Byte)Winfried Nachtwei, MdB
Bündnis 90/Die Grünen

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Wer den Frieden will, bereite den Frieden vor.

Beiträge zur Stärkung der zivilen Säulen internationaler Friedensmissionen

Dokumentation der Fachtagung Bündnis 90/Die Grünen vom 12.10.2001 in Berlin

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  1. Polizeimissionen und der Erhalt und Wiederaufbau rechtsstaatlicher Strukturen:

    Günter Sonnenschein,
    Polizeidirektor im BGS, Bundesministerium des Innern:

    Die Legitimation für meine Anwesenheit ergibt sich aus einer nahezu zehnjährigen ministeriellen Tätigkeit, d.h. einer Tätigkeit im Bundesministerium des Innern mit dem Hauptaufgabengebiet "Entsendung von deutschen Polizeibeamten ins Ausland". Alle die Äußerungen, die ich hier mache, sind eigenständige. Es sind also keine offiziellen Äußerungen des BMI und insoweit kann sich auch keine Bindungswirkung durch das BMI daraus ergeben. Das vorweg zum Einstieg.

    Nun zur Thematik: Inwieweit hat sich die Bundesrepublik Deutschland bisher auf diesem Felde betätigt? Seit 1989 beteiligt sich die Bundesrepublik Deutschland an diesen internationalen Friedensmissionen. Zunächst nur mit Beteiligung des Bundes, also ohne die Länder. Wir haben bei der Übernahme dieser neuen Aufgaben anfangs sehr große Schwierigkeiten gehabt, denn diese Aufgabe war praktisch für die nationale Polizei – ja, ich möchte sagen: exotisch. Es gab kein entsprechendes Vorbild. Und insoweit haben wir nach dem Prinzip "aller Anfang ist schwer" auch ohne entsprechende legislative und vor allen Dingen auch administrative Vorgaben einsteigen müssen. Das war schwer, auf der anderen Seite war es aber auch leicht, weil sich an diesen ersten Missionen nur der Bund, sprich Bundesgrenzschutz, beteiligt hat. Wenn man eine Organisation aus dem eigenen Geschäftsbereich entsendet, dann wird angeordnet und dann wird das durchgeführt. Wenn man aber die Interessen von 16 Bundesländern berücksichtigen muss, dann ist da im Rahmen des föderativen Prinzips alleine die Umsetzung um ein 16-faches schwieriger als in den vorgenannten Fällen. Gleichwohl, und da komme ich nachher noch drauf, hat sich natürlich auch diese Situation normalisiert und positiv entwickelt.

    Im Laufe dieser Veranstaltung ist ja schon hinreichend deutlich gemacht worden, wie wichtig es ist, dass ein solches ziviles Krisenmanagement stattfindet. Wir haben gehört, dass auch die Bundesregierung diese Form des zivilen Krisenmanagements in sehr starkem Maße favorisiert; darauf wurde bereits von Herrn Rezzo Schlauch zu Beginn hingewiesen: In der Koalitionsvereinbarung von 1998 ist dieses Ziel deutlich formuliert worden.

    National kann man sagen: Insbesondere der Konflikt auf dem Balkan macht deutlich, dass ein internationales Krisenmanagement, nämlich die Schaffung von sicheren Rechts- und Ordnungsstrukturen, auch im engeren deutschen Sicherheitsinteresse liegt. Es wird oft diskutiert über den Sicherheitsbegriff, der sowohl weit als auch eng ausgelegt werden kann. Aus Sicht des BMI, bezogen auf die innere Sicherheit, ist hier ein wesentliches Interesse zu erkennen. Nicht umsonst hat der Bundesinnenminister bei seinem Besuch im Kosovo 420 deutsche Polizeibeamte angeboten. Zunächst war Deutschland nur mit 210 Polizisten beteiligt; eine mögliche personelle Verstärkung auf 300 Beamte war angedacht. Die dann zugesagte Zahl von 420 Beamten führte uns an die Grenze des möglichen. Aber das hing einfach damit zusammen, dass hier eine Kompensation – hier die Gewährleistung der inneren Sicherheit im Kosovo durch mehr internationale Polizisten – durch die Erleichterung der Flüchtlingsproblematik, die Erhöhung der Zahl der Rückführungen von Flüchtlingen, gleichzeitig auch die Bekämpfung des Kriminalitätstransfers zwischen den europäischen Ländern und den Ländern des Balkans gewährleistet werden sollte. Diese Überlegungen waren u.a. auch der Grund dafür, dass sich mit dem Beschluss der Innenministerkonferenz von 1994 die Länder bereiterklärt hatten, im Rahmen "nationalen Gesamtverantwortung" ihren Beitrag zu leisten und Beamte für die internationalen Polizeimissionen zur Verfügung zu stellen. 1994 bildete also insoweit die Geburtsstunde einer gemeinsamen Bund-Länder-Beteiligung, eines gemeinsamen deutschen Polizeikontingents. Danach erfolgte eine rasante Entwicklung. Nicht zuletzt durch die Initiative und das Engagement der Länder. Es erfolgte da eine administrative und strukturelle Neuformierung. Es wurde von der Innenministerkonferenz eine eigene Arbeitsgruppe ins Leben gerufen. Diese sollte die Interessen von Bund und Ländern bündeln, um für diese wichtige Aufgabe mit gemeinsamer Zunge zu sprechen und gemeinsame Aktionen vorzubereiten und durchzuführen. Das ist, um das Ergebnis vorwegzunehmen, gelungen. Wir arbeiten mit dieser Organisationsform, die im übrigen aus organisatorischen Gründen dem Bundesministerium des Innern zugeordnet ist, unter der Bezeichnung "Arbeitsgruppe IPTF". Dieser Name wurde gebildet als Ergebnis der gemeinsamen Missionsteilnahme in Bosnien-Herzegowina, der "International Police Task-Force in Bosnien-Herzegowina" (IPTF). Dieser Name hat sich bis heute nicht geändert, obwohl in der Zwischenzeit natürlich noch viele andere Missionen hinzugekommen sind. Die Geschäftsstelle dieser Arbeitsgruppe, hat bisher alle administrativen Maßnahmen durchgeführt, um die deutschen Polizeikollegen sicher und gut vorbereitet in eine Polizeimission zu entsenden, sie während der Polizeimission zu betreuen und auch nach Rückkehr in angemessener Weise nachzubereiten, d.h. auch nach der Rückkehr zu betreuen.

    Ich sagte vorhin: 16 Länder mit zum Teil unterschiedlichen Interessenlagen mussten unter einen Hut gebracht werden. Das ist gut gelungen, denke ich. Die deutsche Polizei ist zwar im Auftrag der Vereinten Nationen eingesetzt, nämlich in den beiden Schwerpunktmissionen Kosovo und Bosnien-Herzegowina - immerhin mit einem Personalumfang von ca. 520 Beamten - aber wir sind nicht nur auf die Vereinten Nationen fixiert, sondern wir haben uns darauf eingestellt, dass wir alle internationalen Organisationen unterstützen können: OSZE, EU und Vereinte Nationen. In der Rückschau wird das besonders deutlich: Wir waren in der Vergangenheit auch für die OSZE tätig. Wir waren in Kroatien. Wir haben an der "Verification-Mission" im Kosovo teilgenommen. Wir waren im WEU-Einsatz in Mostar (mit Herrn Koschnick) ebenso wie im WEU-Einsatz auf der Donau, zur Durchsetzung des Embargos gegen Rest-Jugoslawien. Damit möchte ich nur zum Ausdruck bringen: Wir sind offen für alle anfordernden internationalen Organisationen, nur muss vorher deutlich sein, wie und mit welchem Mandat die Polizisten zum Einsatz kommen sollen.

    Angesichts der Erkenntnis, dass die bisherigen Strukturen und Arbeitsabläufe der internationalen Organisationen zur Durchführung internationaler Polizeimissionen nicht optimal waren, sind sowohl die Vereinten Nationen (Stichwort Brahimi-Report) als auch die OSZE und die Europäische Union im Begriff, neue Konzepte zu entwickeln, um in möglichst kurzer Zeit Polizisten in Krisengebieten zum Einsatz zu bringen. Das wichtige aus meiner Sicht dabei ist, dass diese Aktivitäten koordiniert werden, da wir unsere personellen Ressourcen nur einmal anbieten könne. D.h. wir haben ein bestimmtes Kontingent, eine maximale Anzahl von Beamten, die wir zur Verfügung stellen können.

    Ich freue mich über die auch hier erfolgte positive Darstellung der internationalen deutschen Polizeikontingente. Und ich kann das nur bestätigen: Die deutschen Beamten haben in allen Missionen, die sie praktisch seit 1989 durchgeführt haben, eine gute Arbeit geleistet. Sie haben sich einen guten internationalen Ruf erworben. Und ich muss auch das unterstreichen, was hier gesagt wurde im Hinblick auf die Mediendarstellung: Leider ist es uns nicht gelungen, da will ich auch nicht die Schuld auf andere abwälzen, unsere Erfolge immer so transparent zu machen. Weder im Bereich unserer Volksvertreter noch in den Medien. Aber da ist einfach eine professionelle Medienarbeit gefragt, wie sie beispielsweise die Bundeswehr macht. Dies ist jedoch eine Frage der materiellen und personellen Ressourcen, über die wir nicht in dem Umfang verfügen. Wir haben in unserem Ministerium insgesamt acht Beamte, die alle Friedensmissionen (und wir haben in den Hoch-Zeiten fünf Friedensmissionen gleichzeitig zu betreuen gehabt) abwickeln müssen. Trotzdem wird die Arbeit geleistet und findet insbesondere auch bei den Beamten im Einsatz Anerkennung.

    Die internationale Anerkennung finden auch unsere Beamten in den Auslandsmissionen. Und das bedeutet, dass die Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf eine polizeiliche Teilnahme an internationalen Missionen ständig gefragt ist. Es gibt heute, glaube ich keine Mission, in der eine Zivilkomponente (Polizei) enthalten ist, bei der eine Beteiligung Deutschlands nicht zumindest angefragt wurde. Wir bemühen uns auch dem Rechnung zu tragen, obwohl manchmal politische Gründe dem entgegenstehen.

    Über die Entscheidungen von Feira ist ja schon gesprochen worden, auch über das Konzept der Europäischen-Union, eine "Stand-by-Force" von 5.000 Polizeibeamten aufzustellen. Was machen wir daraus? Es wird von der Bundesrepublik Deutschland erwartet, dass sie sich analog der militärischen Beteiligung mit ca. 20% beteiligt. Und das wären ca. 1.000 Polizisten. Das ist eine große Herausforderung für die deutsche Polizei, insbesondere wenn man berücksichtigt, dass jeder deutsche Polizist, sei es nun Bundespolizist oder Landespolizist, seine originäre Aufgabe in seiner Organisationen hat. Und es ist eben etwas anderes als beim Militär, bei dem sowohl die Struktur als auch die Manpower zur Entsendung zur Verfügung steht. Wir müssen unsere Polizisten "von der Straße" wegnehmen, um sie in diesen Einsatz zu schicken. Und wir müssen dabei darauf achten, dass wir unserer Grundverpflichtung nachkommen, nämlich für die innere Sicherheit im Lande zu sorgen. Gerade im Moment können Sie erleben, welche besondere Belastung auf die deutsche Polizei zukommt in Verbindung mit den Ereignissen des 11. September. Aber auch unabhängig davon wissen Sie ja, dass die deutsche Polizei nicht gerade zuviel Personal hat. Und wenn es dann heißt: Tausend Polizisten ins Ausland! Dann muss das sorgfältig vorbereitet werden.

    Generell wird vom Grundsatz der Freiwilligkeit ausgegangen. Jeder Beamte, der in den Einsatz geht, tut das freiwillig. Wir haben auch gute Erfahrungen damit gemacht, denn nur ein freiwillig entsandter Beamter ist auch entsprechend motiviert, um eine solche schwierige Aufgabe zu übernehmen. Aber es gibt auch im Hinblick auf das Berufsbild des deutschen Polizisten einen Ansatz, hier andere Überlegungen anzustellen. Man muss aus meiner Sicht, und da stehe ich nicht alleine da, das Berufsbild einfach noch mehr europäisieren oder internationalisieren. Natürlich gibt es bereits positive Beispiele: Der Innenminister plädiert für eine europäische Grenzpolizei. Und an den Aufbau einer europäischen "Krawallpolizei", in Verbindung mit den Ausschreitungen bei den Fußballspielen, wird gedacht. Das sind schon entsprechende Ansätze. Aber ich denke, es muss dann auch irgendwann soweit sein, dass es zum Berufsbild eines deutschen Polizeibeamten gehört, ob Bundes- oder Landesbeamter, dass eine Entsendung zu einer solchen Mission mit dazugehört. Und dann stellt sich natürlich auch die Frage einer Freiwilligkeit. Aber das sind Überlegungen, die man sicherlich etwas später noch anstellen muss.

    Bei allem Bemühen die deutschen Polizisten, oder überhaupt die polizeiliche Komponente, schnell in den Einsatz zu bringen, müssen auch bestimmte Grundbedingungen erfüllt sein, insbesondere wenn dies innerhalb von 30 Tagen möglich sein soll. Dies muss nicht daran scheitern, dass wir nicht so schnell die Beamten verfügbar oder sie nicht so schnell vorbereitet hätten; das kann strukturiert und vorbereitet werden. Andere Voraussetzungen sind schwieriger zu erfüllen, z.B. die Finanzierung solcher Einsätze. Hier muss vorher festgelegt werden, wer die Kosten trägt und woher das Geld kommt. Dies ist nämlich bindende Voraussetzung für den zu erwirkenden Kabinettbeschluss.

    Trotz der Entsendung von Beamten zu internationalen Organisationen, bleibt die nationale Verantwortung und die Fürsorge erhalten. D.h. unsere Überlegungen müssen nach wie vor immer gerichtet sein auf die bestehenden Rahmenbedingungen der bevorstehenden Einsätze. Und kein Innenminister wird einen Polizeibeamten in eine Mission schicken, wenn kein sicheres Umfeld da ist, wenn die Führungsstrukturen nicht vorhanden sind und wenn Unklarheiten bestehen über die Führungsverantwortung. Dazu gehören die Stichworte "militärische Führung" und "zivile Führung": Es wird kein Innenminister einer Entsendung zustimmen, wenn die Führung dieser ganzen Organisation militärisch ist. Das entspricht nicht dem Selbstverständnis der deutschen Polizei.

    Damit möchte ich schließen und einen Sachverhalt besonders hervorheben: Im Mittelpunkt steht natürlich immer der Mensch, der Polizist, den wir entsenden. Und deshalb freue ich mich, dass wir bis jetzt keine einsatzbedingten Opfer zu beklagen haben. Wir haben zwar durch einen Hubschrauberabsturz und durch Verkehrsunfälle bedauerlicherweise Todesfälle gehabt, nicht aber durch direkte Störeinwirkungen. Wir hoffen auch für die Zukunft, dass das so bleibt. Dazu gehört eine professionelle und gute Vorbereitung. Und darum sind wir bemüht.