Winfried Nachtwei, MdB, Bündnis 90/Die Grünen

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Friedensarbeit auf dem Balkan

Studienreise 7.-14. April 2002

- Teilbericht Bosnien-Herzegowina -

Vor 61 Jahren, am 6. April 1941, begann der deutsche Angriff auf Jugoslawien.

Vor zehn Jahren, am 6. April 1992, begann die Belagerung Sarajevos, die 1.395 Tage dauerte und 10.615 Todesopfer forderte.

Vor drei Jahren flog die NATO Luftangriffe gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Am Boden vertrieben serbische Kräfte Hunderttausende Kosovo-Albaner.

Vor einem Jahr zündelten UCK-Extremisten in Mazedonien. Der drohende Bürgerkrieg konnte durch eine politische Intervention verhindert werden.

Die Waffen im früheren Jugoslawien ruhen, aber der Frieden ist noch längst nicht gewonnen. Das internationale Interesse ist zu anderen Brennpunkten weiter gewandert.

Grüne, Linke, Friedensbewegte stritten immer wieder heiß über die westlichen Militärinterventionen. Oft ging es dabei mehr um die eigene politisch-moralische Identität als um die Problemlösung vor Ort. Zivile Konfliktbearbeitung wurde dabei eingefordert, war aber wenig bekannt.

Vor diesem Hintergrund entstand bei mir im Jahr 2000 die Idee, eine Studienreise ins ehemalige Jugoslawien zu initiieren: als Angebot, sich vor Ort zu informieren über die Anstrengungen, vom Krieg zum Frieden zu kommen, als Chance, eigene friedenspolitische Positionen mit den Realitäten zu konfrontieren. Über die Reise sollten Friedensarbeiten bekannter gemacht werden, die weniger spektakulär sind als Militäreinsätze und normalerweise in den Medien kaum vorkommen.

Das Internationale Bildungs- und Begegnungswerk/IBB in Dortmund, mit dem ich 1988 erstmals in Weißrussland gewesen war, nahm die Idee auf und bereitete eine Reise vor, die im Frühjahr 2001 nach Bosnien-Herzegowina, Belgrad und in den Kosovo führen sollte. Die Reise musste dann aber wegen der kritischen Sicherheitslage im Presevotal/Südostserbien und Mazedonien abgesagt werden.

Im April 2002 kam die Reise endlich zustande. 18 Teilnehmerinnen waren bereit, hierfür 1.100 € zu investieren. Die Programmorganisation leisteten Eric Bachmann und Dorie Wilsnack, die organisatorische Reiseleitung lag bei Michael Rüben vom IBB.

Nach einem gemeinsamen Programm in Sarajevo sollte sich die Gesamtgruppe am 3. Tag in drei Untergruppen Richtung Kosovo (Prizren, Prishtina, Mitrovica), Bosnien-Herzegowina (Gornji Vakuf, Jajce, Banja Luka, Zenica) und Serbien (Belgrad, Novi Sad, Pancevo) aufteilen.

7. April

Mit ca. zwei Stunden reiner Flugzeit liegt Sarajevo vor unserer Haustür. Der Flughafen hat ein neues Empfangsgebäude, wird aber offenbar bisher noch wenig angeflogen. Uns empfängt Maja Arifhodzic, die hiesige engagierte Koordinatorin.

Bei der Fahrt zum Hotel „Saraj“ am anderen Ende der Stadt oberhalb der zerstörten Nationalbibliothek an der Straße nach Pale sind im Unterschied zu vor einigen Jahren nur noch wenige zerstörte Gebäude zu sehen. In der Altstadt Bascarsija mit ihren Gassen und Souvenirlädchen und über die Fußgängerstraße Ferhadija im anschließenden habsburgisch geprägten Zentrum flanieren die Menschen, unter ihnen etliche Grüppchen von SFOR-Soldaten. Die vielen Straßencafes warten auf Sonne und Besucher. Am Ende der Woche sind beide da.

Normal sind während der ganzen Reise Aushänge „Waffen verboten“ und Plakataushänge zur Minengefahr. Im Mine Action Center sind die aktuellsten Minenkarten kostenlos erhältlich.

Heinrich Böll Stiftung (HBS) Sarajevo

Die Leiterin Azra Dzajic stellt zusammen mit Elvis Konsis die Arbeit des Regionalbüros, dessen Leiterin sie seit der Gründung vor drei Jahren ist. Außenstellen befinden sich inzwischen in Zagreb, Belgrad und Budapest. In Sarajevo arbeiten 6 lokale Kräfte bei der Stiftung.

Rahmenbedingungen: Die lange gemeinsame Geschichte im früheren Jugoslawien hat sich erst seit einigen Jahren auseinander entwickelt. Es sind Nachkriegs- und Übergangsgesellschaften zugleich, wo sich demokratische Erfahrungen aufbauen. Das Besondere der Nachkriegsgesellschaft ist, dass der Krieg durch äußere Intervention und Ermüdung zu Ende ging, dass keinen echten Sieg und keine echte Niederlage gab und die Kriegsursachen weiter bestehen.

Bosnien-Herzegowina ist de facto zweigeteilt. Die Republika Srpska (serbische Entität) und die Föderation (kroatisch-muslimische Entität) verhalten sich wie zwei Staaten, was zu enormem Aufwand führt. Es gibt kaum gemeinsame Institutionen, aber viel gegenseitige Blockadehaltung. Es gibt 141 Ministerien. Es heißt, wenn man in Sarajevo auf der Straße einen Stein werfe, würde man einen Minister treffen.

Die internationale Präsenz hat die Situation stabilisiert und beruhigt. SFOR hat eine gewisse Bewegungsfreiheit geschaffen und bleibt notwendig. Bei Abzug ginge wieder einiges los.

Die starke internationale Präsenz verschiebt die Verantwortung im Land. Ein Vollprotektorat wäre eigentlich besser gewesen und hätte auch mehr Vertrauensbildung ermöglicht. Inzwischen befürchten gerade Jüngere, dass man BiH international abschreibt.

Offiziell liegt die Arbeitslosenquote in der Föderation bei 40%, in der Serbischen Republik bei 60%. Real wird der Landesdurchschnitt wohl bei 60% liegen. Viele Menschen wühlen im Müll, auch Professoren. Viele Frauen sind alleinerziehend, darunter viele Landfrauen ohne Beruf. Die Städte sind deutlich „ländlicher“ geworden. Es gibt ungefähr 35.000 (Halb-) Waisen. Investoren werden abgeschreckt durch die wirtschaftlich unsichere Lage und Rechtsunsicherheit. Ein Grundproblem ist, überhaupt einen einheitlichen Wirtschaftsraum herzustellen.

Deutliche Unterschiede bestehen zu Kroatien: Nach dem Machtwechsel gab es einen Aufschwung. Kroatien spielt inzwischen eine stabilisierende Rolle. Die Arbeitslosigkeit liegt dort bei 20%, das System ist geregelter. Nationalismus ist noch nicht am Ende und lohnt sich noch. Aber inzwischen entwickelt sich eine Zivilgesellschaft (im Sozialismus gab es keine eigenständigen Vereine), was sehr im öffentlichen Leben zu spüren ist, anders als in B-H. Gemeinsam ist die Vergangenheit der Kriege, die nicht als Bürgerkriege, sondern als Territorialkriege gesehen werden.

Im Kosovo gab es einen drastischen Kriminalitätsanstieg. Internationale und Lokale schieben sich gegenseitig Verantwortung zu. Kosovo bleibt der Schlüsselkonflikt der eng zusammenhängenden Balkankonflikte.

Im letzten Jahr wurden in BiH insgesamt 37 Projekte gefördert. Hauptpartner sind lokale NGO`s.

Betont wird immer der regionale Aspekt. In 2001 standen aus Stabilitätspaktmitteln 2,1 Mio. DM für die Arbeit in der ganzen Region zur Verfügung, in diesem Jahr etwas weniger, 1 Mio. für Projekte. Bei manchen anderen Organisationen gingen die Förderungen um bis zu 70% zurück. Man bemüht sich um Extramittel.

Schwerpunkte sind Demokratieforderung und Umweltschutz.

Zu Demokratieförderung gehört alles, was zur Dialogbereitschaft und Stabilisierung beitragen kann. Politik ist sehr stark diskreditiert als Parteipolitik. Die Angst, von solcher Politik missbraucht zu werden, ist groß.

Am Anfang standen Frauenprojekte. Die „Frauen in Schwarz“ in Serbien (vgl. Teilbericht Serbien) werden von der HBS schon seit 7, 8 Jahren unterstützt und als strategische Partnerinnen gesehen. „Wandernde Werkstätten“ veranstalten in der Provinz Treffen mit Frauen, leisten viel Rechtsberatung. Unterstützt werden Frauenstudienzentren, eine Art Alternative Unis, mit Themen, die an normalen Unis nicht vorkommen. In Zagreb wurde eine Fraueninfothek aufgebaut. Alljährlich findet eine fünftägige Tagung „Frauen und die Politik“ statt mit Frauen aus alle Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien, aus mittel- und osteuropäischen Staaten. Hier wächst ein Feminismus mit östlichem Touch. Die Tagung wird jeweils in Englisch, Kroatisch und Deutsch dokumentiert.

Angeboten werden dreitägige Trainings zu Verbandsarbeit und Kampagnenorganisation. Herausgegeben wurde die Handbücher „Möglichkeiten einer politisch wirksamen Umweltbewegung“ und „Die Kunst, erfolgreich Kampagnen zu führen“ sowie „Die serbische Seite des Krieges“ (Deutsch, Englisch, Französisch). Unterstützt wurde die serbische oppositionelle Studentenvereinigung OTPOR. (vgl. Teilbericht Serbien)

Vergangenheitsaufarbeitung gibt es in B-H noch nicht, auch kein Zentrum, das zum Krieg archivieren würde. Zum 10. Jahrestag des Beginns der Belagerung ist aber eine Sonderausgabe des Nachrichtenmagazins DANI erschienen – mit einer 39-seitigen, vierspaltigen Liste aller während der Belagerung in Sarajevo umgekommenen Menschen. Dies wurde von der HBS, aber nicht von den Institutionen der Staatengemeinschaft unterstützt.

Vor allem junge Menschen wollen einfach nur weg. In 2000 gingen 35.000. Die HBS finanziert als Quasi-Programm gegen die Auswanderung insgesamt 55 Stipendiaten (a) in Geisteswissenschaften, die sonst marginalisiert wären, und (b) in „grünen Fächern“. Dabei erhalten die Studierenden 250 KM (Konvertible Mark, 1:1 zur alten DM)/Monat für Studien an Unis in BiH. Insgesamt stehen für das Stipendienprogramm 200.-250.000 KM zur Verfügung.

Elvis berichtet vom KDV-/Zivildienst-Projekt. (zusammengefasst bei Zene Zemama, 13.4.), das HBS und „Schüler helfen Leben“ („Wir lieben diese Organisation“) unterstützen.

Zusammenarbeit: mit anderen Stiftungen breit z.B. zu den kroatischen Wahlen. Beim deutschen Botschafter findet monatlich ein jour fixe statt, an dem auch lokale NGO`s teilnehmen. SFOR führt regelmäßige briefings durch. Hinzu kommen Koordinationstreffen beim Hohen Repräsentanten (OHR). Allerdings sind einige Organisationen und NGO`S nicht an Transparenz und Kooperation interessiert, z.B. us-amerikanische. (US-AID verfügt über 240 Mio. US-$)

Wiedersehen mit Erich Rathfelder im „Morica Han“, der früheren großen Karawanserei. Erich kenne ich seit meinen München-Semestern Anfang der 70er Jahre. Seit 1991 berichtet er für taz und andere Medien vom Balkan. Seine Bücher von 1992 und 1997 führen uns in den nächsten Tagen an den verschiedenen Orten die Kriegsrealität in Erinnerung. (Historische Exkurse im folgenden Bericht aus E. Rathfelder: Sarajevo und danach. Sechs Jahre Reporter im ehemaligen Jugoslawien, München 1998) Jetzt berichtet er von einer Gedenkveranstaltung am gestrigen Samstag zum 10. Jahrestag des Beginns der Belagerung von Sarajevo. Ein Journalist kommentierte erschüttert sein Filmaufnahmen von damals.

8. April

Centre for Nonviolent Action Sarajevo/ Centar za nenasilnu akciju (CNA), Sarajevo (www.nenasilje.org) – Bericht von Sabine Klotz -

Gesprächspartner/innen: Nenad Vukosavljevic,  der seiner Einberufung in die serbische Armee durch die Flucht nach Deutschland entging und an dem ersten Kurs des Zivilen Friedensdienstes 1997 in Deutschland teilnahm (diese Kurze werden seit 1999 auch vom Entwicklungsministerium unterstützt) sowie eine Mitarbeiterin aus Belgrad, Serbien, und ein Mitarbeiter aus Doboj, BiH.

Das CNA ist eine in allen Nachfolgestaaten der früheren Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (außer Slowenien) tätige Nichtregierungsorganisation, die nicht auf Profit ausgerichtet ist. Ihre  Ziele bestehen in der Entwicklung einer Zivilgesellschaft, der Förderung von Frieden und Gewaltfreiheit  sowie der  regionale Kooperation und Vernetzung über die neuen Staatsgrenzen zwischen den Republiken des ehemaligen Jugoslawien hinweg. Die durch die Kriege in der Region unterbrochene Kommunikation zwischen Personen, die aus verschiedenen Regionen stammen oder unterschiedlichen ethnischen oder religiösen Gruppen angehören, soll wieder aufgenommen und Vorurteile abgebaut  werden.  CNA organisiert Trainings in gewaltfreier Konfliktbearbeitung (Konflikttransformation) und unterstützt andere auf diesem Gebiet aktive Gruppen. Dabei sollen die Teilnehmer/innen der Trainings dazu befähigt werden, als Multiplikator/inn/en ihre Kenntnisse bezüglich eines gewaltfreien Umgangs mit Konflikten in ihrem jeweiligen Umfeld weiterzugeben. Zielgruppen sind daher hauptsächlich Personen, die in lokalen NGOs z.B. zum Thema Menschenrechte und Frieden oder politischen Parteien  engagiert sind oder bestimmten Berufsgruppen angehören,  wie Lehrkräfte und Mitarbeiter/innen von Medien. 

An Grundkursen (basic programme) nehmen jeweils 20 Menschen aus der Region teil.  Dabei achtet CNA darauf, die Kurse so zusammenzustellen, dass  nach regionaler Herkunft und Geschlechtszugehörigkeit  der Teilnehmer/inn/en eine gleichmäßige Verteilung gewährleistet ist (regionally and gender balanced). In dem Kurs werden folgende Themen behandelt: Konstruktiver, gewaltfreier  Umgang mit Konflikten , Umgang mit Vorurteilen, Bewusstsein schaffen für verschiedene Arten von Gewalt und Diskriminierung, Ermutigung von marginalisierten Gruppen, für ihre eigenen Interessen einzutreten, Versuch, sich in die andere Seite im Konflikt  und in deren Wahrnehmung hineinzuversetzen, Umgang mit eigener Schuld bzw. der Schuld der eigenen ethnischen Gruppe, Netzwerkbildung.

  

Darüber hinaus veranstaltet CNA einen sechsmonatigen Kurs Training for Traniners. CNA versucht mit den AbsolventInnen der Kurse in Kontakt zu bleiben und Follow Ups  durchzuführen. Das Problem bei der Weitergabe der bei CNA gelernten Kenntnisse und Fertigkeiten besteht für die AbsolventInnen darin, dass sie in ihrem jeweiligen Umfeld diese Ansätze nicht komplett umsetzen können, da diese dort in der Regel nicht akzeptiert werden.  Daher geht bei den AbsolventInnen die Motivation zurück, ihre im CNA-Training neuerworbenen Kenntnisse in ihrem Alltag und Beruf einzusetzen.

Vor dem Hintergrund  der Tätigkeit des Kriegsverbrechertribunals in den Haag (ICTY) setzt sich CNA dafür ein, dass die Bevölkerung in den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawien  die jüngste Vergangenheit, insbesondere die Kriege, nicht verdrängen sondern intensiver als bisher bearbeiten sollte. Daher plant es ein Projekt mit ehemaligen Soldaten aus Bosnien-Herzegowina, Serbien und Kroatien durchzuführen, mit dem eine öffentliche Debatte über Schuld und Versöhnung angeregt werden soll. Die kürzlich von der serbischen Regierung eingesetzte Kommission für Wahrheit und Versöhnung wird von CNA abgelehnt, da diese keinen regionalen Bezug habe und in ihr ausschließlich SerbInnen vertreten seien.

CNA kooperiert mit der deutschen NGO Kurve Wustrow, die im Wendland in der Anti-Atombewegung aktiv ist. Finanziell unterstützt  wird es u.a. vom Auswärtigen Amt, vom Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland und von der Menschenrechtsabteilung des Schweizerischen Außenministeriums.  In Sarajevo arbeitet CNA mit der lokalen NGO Abraham (siehe das Protokoll dazu) zusammen, die den intererreligiösen Dialog fördert.   Das Berghof-Forschungszentrum für konstruktive Konfliktbearbeitung in Berlin führt Evaluationen der Arbeit des CNA, darunter auch Befragungen der AbsolventInnen der CNA-Kurse durch.

Botschafter Peters und Botschaftsrat Tröster in der Deutschen Botschaft

BiH mache keine Schlagzeilen mehr. Umso dankbarer sei er für den Besuch.

Hierzulande herrsche weiterhin großes Misstrauen. Der Staat sei in sich nicht gefestigt. Der Hohe Repräsentant verfüge über einmalige Befugnisse. Er kann Minister absetzen und Wahlen ansetzen. Ihm zur Seite steht der Lenkungsausschuss. Man sei nicht soweit, wie erhofft. Aber auch Befürchtungen hätten sich nicht bewahrheitet. Er sei sich nicht sicher, ob BiH erfolgreich ausgehen werde.

Das jüngste Urteil des Verfassungsgerichtes sei bedeutsam: Bosniaken, Kroaten und Serben seien nun konstitutive Entitäten mit gleichen Bürgerrechten.

Die Internationale Gemeinschaft (I.G.) ist da, um Dayton zu implementieren – und nicht, um alle Probleme zu lösen. Aber es gebe keinen Sektor, wo die I.G. nicht mitwirke und Knochenarbeit leiste, bei der Rechtsstaatshilfe, beim Polizeiaufbau. 5,8 Mrd. US-$ flossen seit Dayton nach B-H. Ohne Druck laufe gar nichts. Da man sich zum Beispiel nicht auf die Melodie der Nationalhymne einigen konnte, musste diese oktroyiert werden.

Der Vertrag von Dayton stärkt die Entitäten und schwächt den Zentralstaat. Die Föderation mit ihren zehn Kantonen gilt als Staat mit der höchsten Ministerdichte der Welt. Die drei Armeen unterstehen drei Kommandos. Es heißt, die einzige Bedrohung für Soldaten dieses Staates seien andere Soldaten dieses Staates. Auch wenn Dayton kein Modell sei für einen funktionierenden Rechtsstaat. Ein Nachverhandeln, ein Dayton II wolle keiner, das sei ein Tabu. Wer es öffne, bekomme nur Schlechteres. Dayton ist ein kompliziertes Vertragswerk für eine komplizierte Situation und war das Maximum des Erreichbaren. Die Republika Srpska (serbische Entität) profitierte am meisten davon.

Allerdings könne im Einvernehmen immer über Dayton hinausgegangen werden.

Die handelnden Politiker mit Kriegserfahrung sind noch relativ jung, unter 50 Jahren. Sie haben noch viele Jahre was zu sagen. In den Köpfen herrschen noch feudales und stark historisch geprägtes Denken. Eine Aufklärung gab es nie. Entscheidend sei die Veränderung von Mentalitäten.

Bildungshilfe sei bisher sträflich vernachlässigt worden. In der I.G. herrsche kurzfristiges Denken vor. Für ein halbes Jahr gebe es Geld und Experten, dann sei man wieder weg.

Eigentlich gebe es gemeinsame Schulen. Nur weigern sich Eltern oft, ihre Kinder in Schulen zu schicken, wo Lehrer und Schüler von anderen Entitäten seien. Negativbeispiel sei eine moderne aus den USA finanzierte Schule, die deshalb leer stehe.

Rechtsstaatliches Denken sei nicht verwurzelt, persönliche Verpflichtungen dominieren. Die Organisierte Kriminalität sei viel schlimmer, als man es sich vorstelle – und zwar in allen Entitäten. Ein deutscher Oberstaatsanwalt arbeite im Büro des Hohen Repräsentanten zur Korruption. Im Rahmen der Justizreform werde jeder auf Qualifikation und ethnische Unvoreingenommenheit überprüft.

Flüchtlinge: Insgesamt wurden durch den Krieg mehr als 50% der Menschen „verschoben“.  Im Jahr 2001 kam die Flüchtlingsrückkehr wieder in Gang. 60.000 kehrten zurück. Aber jetzt fehlt es an Geld. Die Rückkehr erfolgt oft in feindlichem Umfeld, wo Nachbarn zeigen, dass die Rückkehrer nicht willkommen sind. Mehrfach war Rückkehr nur mit SFOR-Hilfe durchsetzbar.

Deutschland hatte insgesamt 250.000 Flüchtlinge aufgenommen. Ca. 30.000 befinden sich noch dort.

Das Durchschnittseinkommen in der Föderation liegt bei über 500 Konvertible Mark (KM), in der Serbischen Republik unter 400 KM. Entscheidende weitere Einnamequellen sind Überweisungen aus dem Ausland, Schattenwirtschaft und Organisierte Kriminalität.

Das Bild auf den Straßen von den flanierenden, gut gekleideten und vielen schönen Menschen täusche: Fast jeder Lebenslauf sei gebrochen. Kriegsversehrte sind nicht zu sehen, sie trauen sich nicht raus aus der Wohnung oder können nicht. Es fehlt, dass sich die Leute anbrüllen. „Versöhnung“ sei hier ein problematischer Begriff. Im Islam sei „Gerechtigkeit“ wichtiger.

Versöhnung könne von den Bosniaken schnell als „Schlussstrich“ verstanden werden.

Die Deutsche Botschaft sei personell unterbesetzt, die Britische habe doppelt so viel Personal, die US-Botschaft so viel, wie alle EU-Staaten zusammen.

Botschafter Dieter Woltmann, stellvertretender Leiter der OSZE-Mission, Head Office

Die OSZE verfügt über 25 Field Offices.

Unmittelbar nach dem Krieg bis 2000 wurden sechs Runden von Wahlen durchgeführt, die ohne Wahlgesetze bis ins Letzte organisiert und durchgeführt wurden. Die dafür erlassenen Regelwerke wurden jeweils weiterentwickelt, zum Beispiel mit einer 30%-Frauenquote (gleich verteilt über die ganze Liste), Verlust des passiven Wahlrechts bei Besetzung fremden Eigentums.

Die schnellen ersten Wahlen waren aber ein großer Fehler: Die Kriegsparteien wurden wieder gewählt und konnten ihre Macht weiter festigen. Inzwischen gibt es multiethnische Parteien, die leider überwiegend nur von Bosniaken gewählt werden.

Hauptproblem ist das ethnische Denken.

Die Demokratisierungsabteilung fördert vor allem den Aufbau von Nichtregierungsorganisationen und die Teilnahme von Frauen an der Politik. Der jetzige Schwerpunkt liegt bei Jugendlichen, die hier keine Chance sehen. Nach Umfragen würden 64% das Land sofort verlassen, wenn sie könnten. Es herrscht eine ungeheure Frustration. Viele fliehen in einen bescheidenen Hedonismus bzw. in Schwarzarbeit.

Unterstützt werden Schüler- und Studentenvereinigungen, die kommunalpolitisch aktiv werden. Eingewirkt wird auch auf Jugendorganisationen von Parteien. Allerdings sind diese lammfromm und nur auf Karriere orientiert. Gefördert werden 63 junge Nachwuchskräfte zwischen 20 und 30 Jahren aus allen Ethnien, Regionen und Religionen.

15 Political Ressource Centers bieten Räume, Zeitungen, Internetzugang, Telefon und Fax für eigenständige Aktivitäten. Hier wird zugleich versucht, die politische Diskussion zu strukturieren und aktuelle Themen anzusprechen – gegen die Dominanz ethnischer Themen und die Stereotype „Die anderen wollen uns ausrotten! Ich schütze euch, folgt mir!“.

Die Menschenrechtsabteilung arbeitet vor allem zu Flüchtlingen. OSZE-Personal achtet in Wohnungsbehörden, Justiz und Polizei auf Einhaltung der Regularien. Durchgesetzt wurde das Prinzip der chronologischen Bearbeitung gegen die übliche Vetternwirtschaft.

Die Rückkehr der Flüchtlinge muss nachhaltig sein. Bei der Arbeitsvergabe, in Schulen darf nicht diskriminiert werden. Gegen Rückkehrer gibt es immer wieder brutale Gewalt mit Handgranaten und Brandstiftung.

Eine Katastrophe sind die Geschichtsbücher. Die Geschichte ist dreigeteilt bis ins Mittelalter, auch das Volksliedgut.

Die frühere Medienabteilung förderte freie Medien und investigativen Journalismus. Die Bedrohung von Journalisten ist üblich. Kinder von mutigen Journalisten werden in der Schule verprügelt. In letzter Zeit habe sich das gebessert.

Im militärischen Bereich arbeitet die OSZE für Vertrauensbildung zwischen den zwei bzw. drei Armeen. Endziel ist, den Anachronismus von drei Armeen zu überwinden. Nahziel ist die Beteiligung an Partnership for Peace. Bisher ist sogar die Föderationsarmee zweigeteilt, wo Kroaten nur für Kroaten und Bosniaken für Bosniaken zuständig sind. Voraussetzung für PfP-Teilnahme ist eine Armee pro Land. Notwendig ist ein durchsichtiger Militärhaushalt. Bisher speist sich dieser aus verschiedensten Quellen – auch aus Kommunen und Kantonen. 10,3% des Bruttoinlandsprodukts fließen ins Militär! Das ist unbedingt zu senken. Schon jetzt kann man nicht mal den Sold auszahlen und sind ständig Neuverschuldungen notwendig. Die Armeen haben kein Geld für Ausrüstung, Treibstoff, sind eigentlich funktionsuntüchtig.

Jetzt soll die Zahl der Soldaten von 23.000 auf 13.000 verringert werden. Die Ausscheidenden sollen pro Kopf 10.000 KM Abfindung erhalten. Die dafür notwendigen 100 Mio. KM sind nur international aufzubringen. Aber es ist besser, Abrüstung als Aufrüstung zu finanzieren.

Ein Staat kann nicht funktionieren, wo neben dem Mehrheitsprinzip auch umfassendes Paritätsprinzip herrscht und wo alles zum „vitalen“ nationalen Interesse erklärt werden kann, auch der Straßenbau und die Müllbeseitigung. Über Völkerkammern (Oberhäuser) können Minderheiten alles blockieren.

Zurzeit sind 180 Internationale im Land, bei Wahlen sind es mehr als 400. Hinzu kommen 200 bis 250 lokale Mitarbeiter, von denen zunehmend mehr Führungsfunktionen einnehmen.

Die internationalen Mitarbeiter werden von den Teilnehmerstaaten vorgeschlagen und von der OSZE-Mission in Sarajevo mit 6-Monatsverträgen angestellt. (Die Verträge sind aus arbeitsrechtlichen Gründen so kurz: Die Auswahl erfolgt nur auf Grund schriftlicher Bewerbung. Bei Nichteignung wird dann einfach nicht verlängert.) In der Bundesrepublik gibt es seit Mitte 1999 Vorbereitungskurse. Die westlichen Staaten zahlen ihrem Personal eine Grundvergütung, zu der das OSZE-Tagegeld von 90 $ kommt. Der Missionsschlüssel richtet sich nach dem Beitragsschlüssel. Die Mehrheit der Mitarbeiter kommt aus englischsprachigen westlichen Staaten. Das Personal besteht je zur Hälfte aus Frauen und Männer.

Die OSZE ist keine Karriereorganisation. Nach maximal fünf Jahren müssen Mitarbeiter die OSZE verlassen.

In Deutschland ist es zunehmend schwierig, , Mitarbeiter anzuwerben. Gebraucht werden Personen mit internationaler Erfahrung und speziellen Qualifikationen, z.B. Menschenrechtsexperten.

Insgesamt ist diese Mission sehr unabhängig und wenig von der OSZE-Zentrale in Wien beeinflusst. Entscheidend ist immer das Budget. Mit dem Rückgang der Medienaufmerksamkeit reduzierte sich auch laufend der Haushalt. Haushaltsprobleme machen vor allem Kleinstbeitragszahler wie Weißrussland (Promillebeitrag), das über die OSZE-Mission wegen seiner dortigen Demokratieförderung in Minsk verärgert ist.

In der Mission habe man viel mehr Ideen, alles könnte mehr in die Breite gehen. Dafür wäre mehr Geld angebracht. In Deutschland würde man sich mehr Aufmerksamkeit wünschen.

Ohne SFOR gebe es kein sicheres Umfeld mehr.

Schüler helfen Leben im Jugendbegegnungshaus in Ilidza/West-Sarajevo (www.shl-online.de)

Projektkoordinatorin Jasmina Mameledzija und Friedensfachkraft Steffen Emmerich (Eirene).

Das dreistöckige Jugendbegegnungshaus (shlhouse) wurde 1999 eröffnet. Hier treffen sich Jugendliche aller Volksgruppen aus allen Teilen Bosnien-Herzegowinas. Das Haus wird von drei deutschen Freiwilligen zusammen mit neun bosnischen Mitarbeitern geleitet. Im Kosovo betreibt SHL seit 2001 ein Jugendzentrum mit zwei Freiwilligen.

SHL wurde 1992 gegründet. Schon 1993 brachten SchülerInnen mit Lkw`s Schulmaterial nach B-H. Zwischen 1994 und 1996 wurden mehr als 110 Kindergärten und 8 Schulen errichtet. 1996 stieg SHL auf Jugendarbeit um und brachte Jugendliche von beiden Entitäten zusammen. SHL trug alle Kosten der Zeitschrift „Nepitani (Die Ungefragten)“ und jetzt auch der Jugendzeitschrift für Kultur und Politik „IZA (Dahinter)“ mit ihren 6 Redakteuren. IZA stützt sich auf ein balkanweites Netzwerk von Journalisten und Publizisten und will den Informationsaustausch zwischen allen ex-jugoslawischen Staaten fördern. Politische Auflagen behindern bisher noch den freien Verkauf in allen Ländern.

Ein Schwerpunkt ist die Unterstützung von Jugendvertretungen. Bisher waren Schülerrechte unbekannt, war die Lehrerautorität uneingeschränkt. SHL organisiert Seminare dazu, berät bei Schüleraktivitäten und hilft bei der Vernetzung bestehender Schülervertretungen in Sarajevo und einzelnen anderen Kantonen. Zurzeit bestehen Kontakte zu über 60 Schülern aus 19 Städten.

Weitere Schwerpunkte sind Kulturprogramme, Medienhilfe und eine KDV-Kampagne zusammen mit anderen Organisationen. (vgl. Zene Zenama)

Grundbotschaft von SHL ist:

„He Leute, es gibt hier was. Bosnien ist nicht langweilig. Ihr braucht nicht nach Deutschland zu schielen. Ihr könnt Euer Land in kleinen Bereichen aufbauen.“ Man arbeitet gegen das „Meer der Resignation“. (Bei Zene Zenama stoßen wir auf Zuckertütchen mit Aufdrucken von SHL: „B+H mit Dir reicher! Bleiben!“ oder „Bleibe, lass uns nicht allein!“)

Natürlich sind fehlende Arbeit und Ausbildung zentrale Probleme. Aber daneben haben Jugendliche viele andere Probleme. Seit Jahren kamen Jugendliche hierzulande mit ihren Problemen als letzte. Sie hatten keinerlei Einfluss, es gab kaum oder keine Freizeitaktivitäten. Da kommt es darauf an, Motivation und eigenständiges Engagement zu fördern.

Politik ist bei Jugendlichen meist als nationalistische Parteipolitik diskreditiert. Über SHL lernen Jugendliche andere Dimensionen von Politik kennen.

Die hier arbeitenden deutschen Jugendlichen sind hier im Rahmen des Freiwilligen Sozialen Jahrs oder der Anderen Dienste im Ausland für jeweils 15 Monate und über Eirene entsandt. Steffen hat eine Ausbildung zur Friedensfachkraft bei der Kurve Wustrow gemacht und wird vom BMZ finanziert.

Am Sozialen Tag in Deutschland nahmen 2001 100.000 SchülerInnen teil. Mehr als 4 Mio. DM kamen darüber zusammen. Im Rahmen von Oster- und Sommercamps lädt SHL besonders aktive SchülerInnen zur Projekt- und Landesbesichtigung nach B-H ein. Beim Sponsoring für den nächsten Sozialen Tag im Juni arbeitet SHL wirksam mit der Wirtschaft zusammen. Telekom stellt z.B. ein Call-Center.

Auf die Frage nach der Berechtigung der westlichen Militärintervention(en) beklagt Jasmina, dass Krieg und Belagerung so lange hingenommen worden seien. „Es hätten viele Menschenleben gerettet werden können.“

SHL erhält am 8. Juni 2002 in Münster den Westfälischen Friedenspreis, zusammen mit der Chefanklägerin am UN-Kriegsverbrechertribunal für das ehemalige Jugoslawien, Carla Del Ponte.

(vgl. Infomaterial von SHL)

ABRAHAM/IBRAHIM   (www.abraham.ba/Deutsch/Homepage_Deutsch.htm)   

1998 von Katholiken, Orthodoxen, Muslimen und Juden gegründete Bürgervereinigung, die durch interreligiöse Friedensarbeit Verständigungs- und Versöhnungsprozesse in BiH fördern will.

(vgl. Bericht der  anderen Gruppe)

9. April

Beginn der Regionalfahrten nach Kosovo, Belgrad und – hier -in die „Provinz“ von

Bosnien-Herzegowina

(Als Dolmetscherin begleitet uns die Studentin Alma Abdurahmanovic, der wir für ihre kompetente Arbeit und ansteckende Fröhlichkeit danken.)

Jugendzentrum Omladinski Centar in Gornji Vakuf/Uskoplje (bosnisch-kroatischer Name)

Das Zentrum liegt in der Ortsmitte direkt an der Kreuzung mit der Durchgangsstraße und gegenüber einem zertrümmerten Geschäftshaus. Entlang der querenden Hauptsstraße vollzog sich ab 1992 die Teilung der 25.000-Einwohner-Stadt in einen muslimischen und einen kroatischen Teil.

„11. Februar 1993, 11.30 Uhr. „Leichte Kampftätigkeit in Gornji Vakuf“ meldet die Presseoffizierin bei den britischen UN-Truppen in B-H per Sprechfunk. (…) Die strahlende Sonne dieses Februartages nagt an den Eisresten. (…) Darüber können sich die Menschen in Gornji Vakuf jedoch nur wenig freuen. Denn gerade die günstige Witterung hat die Kriegstätigkeit befördert. (…) Nun öffnet sich das Tal, und Gornji Vakuf liegt vor uns. In Abständen von jeweils 200 m sind britische Panzer in Stellung gegangen und sichern mit ihren Kanonen den Konvoi. Links und rechts tauchen die ersten zerstörten Häuser auf. Zur Linken brennt ein Dachstuhl aus. Auf dem Marktplatz, der noch beim letzten Besuch im November voller Leben war, auf dem sich tausende Menschen um Gemüse und Geräuchertes, Schnaps und Werkzeuge, Stoffe und Taschenlampen scharten, ist zu einer einzigen Trümmerstelle zerschossen worden.

Die kroatische Seite habe die Überhand gewonnen, ohne den Widerstand der Muslime vollständig gebrochen zu haben, erklären britische Soldaten. Die muslimische Altstadt sei zerstört. Die Leute lebten in den Kellern und leisteten Widerstand.“ (Rathfelder S. 116 f)

Gespräch mit der Gründerin und Leiterin des Zentrums, der Lehrerin Jasminka Drino-Kirlic. Im Eingangsraum ist ein ständiges und munteres Kommen und Gehen. Nebenan läuft ein Kinder-Computerkurs.

Frau D.-K. möchte zunächst lieber nicht mehr vom Krieg sprechen. Bei den Wahlen 1992 wurden die nationalistischen Parteien gewählt. Man tauschte Wohnungen z.T. mit Freunden und ging nicht mehr auf die andere Seite. Im Januar 1993 begann der Krieg, der bis Februar 1994 dauerte und schreckliche Zerstörungen und Exzesse brachte wie der 2. Weltkrieg nicht. In der Stadt entstanden parallele Strukturen. Erst seit Herbst 2001 sind sie wieder gemeinsam.

Zehn Jahre danach spüre man noch die Grenze. Abends habe man Angst, auf die andere Seite zu gehen.

Das Schulwesen ist weiter geteilt. Zwei Programme in einer Schule vertiefen die Spaltung. Die Kollegien sind getrennt. Die Unterrichtsinhalte differieren am ehesten in Sprache und Literatur.

Mit Hilfe der Vereinigten Methodisten (UMCOR) wurde ab 1995 eine Bibliothek aufgebaut, ein Haus gemietet und Kinder zu Englisch- und Computer-Kursen eingeladen. In den ersten zwei Jahren war nur geteilter Unterricht möglich, montags kroatisch, dienstags bosniakisch ... Inzwischen beginnen alle drei Monate neue Kurse mit jeweils ca. 300 Neuanfängern. Workshops werden auch angeboten zu gewaltfreier Konfliktbearbeitung und Drogen. Die Kinder würden hier offener und stärker.

Kinder aus Gornij Vakuf nahmen an Ferienfreizeiten des Komitees für Grundrechte und De-

mokratie teil. Am Strand waren die Gruppen zunächst getrennt, zwischen ihnen die Leute vom Jugendzentrum. Das Komitee brachte gemischte Gruppen zustande.

(An den Freizeiten des Komitees nahmen im Sommer 2001 1.745 Personen teil, in den letzten acht Jahren insgesamt 13.480; vgl. Komitee für Grundrechte und Demokratie: Ferien vom Krieg. Dokumentation der Ferienfreizeiten für Flüchtlingskinder aus dem ehemaligen und heutigen Jugoslawien – Sommer 2001, Köln März 2002)

Das Zentrum arbeitet mit 11 Angestellten und 26 Freiwilligen zwischen 16 und 18 Jahren und ist von 9.00 bis 21.00 Uhr geöffnet. Im Laufe eines Jahres besuchen ca. 1.000 verschiedene Jugendliche das Zentrum. Anderweitige Jugendarbeit gibt es nicht im Ort.

Viele Kontakte bestehen zu Eltern. Die JZ-Mitarbeiter haben sich Ansehen erworben. Von Behörden gibt es allerdings keinerlei Unterstützung, aber auch kein Hintertreiben.

Finanziert wird das Zentrum von der Internatiobalen Gemeinschaft, SHL, der GTZ, den Quäkern. Zurzeit läuft eine Evaluation der JZ-Arbeit.

Jajce Youth Centre/Zentrum für Bildung und Begegnung

Unterwegs wählen wir bei Bugojno die falsche Abzweigung und fahren über den Bergrücken bis vor Kupres.

Jajce war die Hauptstadt des mittelalterlichen bosnischen Staates. Hier wurde 1943 das II. Jugoslawien aus der Taufe gehoben.

Das malerisch liegende Jajce mit seinen ca. 25.000 Einwohnern wurde ab Mai 1992 von serbischen Kräften auf den umliegenden Bergen belagert und nach sechs Monaten eingenommen. 1995 wurde es von kroatischen Einheiten zurückerobert und war für Monate völlig isoliert. Nach Dayton kehrten zunächst kroatische, dann auch 200 muslimische Familien zurück. Dafür kehrten 200 kroatische Familien nach Bugojno zurück. Über eineinhalb Jahre gab es ein Hin und Her. Die Atmosphäre war wie tot und völlig lethargisch. Der Wiederaufbau begann nur zögerlich. Noch heute stehen viele Dörfer leer. Sie sind oft vermint und ohne Wasser und Strom.

Das Zentrum liegt am Hang mit schönem Blick auf den Ort und die Festung. Wir sprechen mit Ruben Kurschat vom Friedenskreis Halle, der seit Dezember 2000 als Friedensfachkraft hier arbeitet.

Das Zentrum geht zurück auf die Initiative des Friedenskreis Halle, der sich Anfang der 90er Jahre gründete und seine Ansatzpunkte in der KDV-Arbeit, Abschaffung der Wehrpflicht und langfristig vielleicht der Armeen hatte. 1992 nahm der Friedenskreis seine Arbeit in Kroatien auf, zunächst in Flüchtlingslagern. In Jajce fanden erste Wiederaufbau-Workcamps ab 1996 statt. Jugendliche kamen aus Deutschland für drei Wochen her und halfen beim Dachdecken, Häuserverputzen etc. Geholfen wurde zunächst Familien und alten Leuten. Die Einheimischen schauten erst nur zu.

1997 begannen zwei Freiwillige im alten Gymnasium mit offener Jugendarbeit. Seit 2000 werden zwei Stellen im Rahmen des Zivilen Friedensdienstes über Eirene finanziert. Im früheren Jugoslawien gab es nur zentralisierte und organisierte Jugendarbeit.

Konfliktlinien verlaufen zwischen den Ethnien, zwischen Stadt und Land, Alteingesessenen und „kulturlosen“ Zuzüglern, zu Heimkehrern aus dem Ausland, die scheel angesehen werden, weil sie Glück hatten (Schule, Sprachen, Computer).

Bei Kindern und Jugendlichen kommt es darauf an, die eigenen Interessen rauszukitzeln. In den letzten 10 Jahren ging es nie darum, was für sie wichtig war. Viele wissen nicht, was sie wollen. Die eigenen Interessen wahrnehmen, ausfechten, durchsetzen, aber auch Kompromisse finden, z.B. welcher von drei Filmen gesehen werden soll. Die eigentlichen Konfliktlinien werden nicht thematisiert.

Die Besucher sind gemischt, abends vielleicht 20-30, regelmäßig um 70. In letzter Zeit kommen auch mehr Mädchen. Die Alltagsarbeit und inhaltliche Planung liegt voll beim lokalen Team. Die Friedensfachkraft berät bei der Projektplanung und unterstützt die Administration, Weiterbildung und die Vernetzung über`s Land.

Pax Christi – Deutsche Sektion in Banja Luka 

Die Umleitung über Mrkonjic Grad führt uns durch das enge Tal der Cma. Rechtzeitig werden wir vor Felsbrocken auf der Fahrbahn gewarnt. Wir befördern sie in den Fluss.

Reichlich verspätet treffen wir in Banja Luka ein, wo ein Dutzend MitarbeiterInnen verschiedener Kooperationsprojekte auf uns bei gedecktem Tisch warten. Einige sind aus 100 km Entfernung angereist.

Die Pax-Christi-MitarbeiterInnen Orhan Faslic und Mara Kosic (zzt. in Bochum studierend) geben einen Überblick, der von den Anwesenden ergänzt wird.

Banja Luka hat ca. 250.000 Einwohner. 30.-40.000 Flüchtlinge leben hier. Die letzten Camps werden in wenigen Monaten aufgelöst. Etliche wollen nicht mehr auf`s Land zurück.

Im „Club 15-100“ werden multiethnische Workshops für Frauen und Männer angeboten, deren Produkte (z.B. Bilderrahmen) bei verschiedenen Anlässen verkauft werden. Zusammen mit der Caritas finden Englisch-, Näh und Alphabetisierungskurse statt. Beschäftigung ist auch eine Therapie. Auch wenn die Kurse für alle offen sind, so werden sie doch überwiegend von Menschen orthodoxen Glaubens besucht.

Der Verein für Flüchtlinge und Vertriebene in Dubiza wurde 1997 gegründet, stützt sich auf deutsche Spendengelder und hilft bei der Rückkehr nach oft 8-10-jähriger Abwesenheit. Die maßgebliche politische Partei ist gegen die Rückkehrer eingestellt. Deren Sicherheit ist inzwischen aber gewährleistet. Zerstörte Häuser und hohe Arbeitslosigkeit erschweren die Rückkehr. Bisher kam nur ein Rückkehrer auf seine alte Arbeitsstelle! Beim Wohnungsrückkauf sind ca. 100 KM/m2 – also 3.000 bis 5.000 KM pro Wohnung - aufzubringen.

Versöhnungsarbeit setzt bei Frauen und Kindern an. Die Initiative „Hallo Nachbarn“ arbeitet mit Einheimischen zusammen. „Der Schritt“ engagiert sich für Kinder und betreibt ein Haus für misshandelte Frauen.

Die muslimische humanitäre Organisation Merhamet betreibt eine Suppenküche, die regelmäßig von ca. 120 Personen, vor allem Alten und Alleinstehenden aufgesucht wird. Diese beziehen keine oder nur eine kleine Rente unter 100 K. Leiter ist der ehemalige Museumsdirektor Prof. Achmed. Als Bosniake verlor er hier seine Wohnung und  musste fliehen. Seine Familie ist in der ganzen Welt verstreut. Inzwischen bekam er seine Wohnung zurück. Finanziert wird die Suppenküche von Stiftern über jeweils 6-9 Monate, z.B. der Kanadischen Botschaft oder dem katholischen Hilfswerk Renovabis. Die Küche ist ethnisch offen. Verbreitet ist bei Angehörigen anderer Entitäten aber die Einstellung, dass man da nicht hingeht. 

Nichtregierungsorganisationen sind hierzulande was ganz Neues. Sie übernehmen viele Aufgaben, die eigentlich Sache von Staat und Kommune wären.

Stadtrundgang mit den Pax-Christi-Leuten durch das baumreiche Banja Luka, zum Platz der zerstörten Moschee, zur Festung und in ein Lokal am Ufer der Vrbas.

In Banja Luka waren 16 Moscheen zerstört und abgerissen worden. Im Mai 2001 sollte an der Stelle einer berühmten Moschee der Grundstein zu ihrem Wiederaufbau gelegt werden. 2000 serbische Störer warfen Steine und Flaschen. Die Gäste, unter ihnen viele Vertreter der I.G., waren über Stunden im Islamischen Gemeindezentrum eingesperrt. Die Polizei schützte das Haus, ging aber nicht gegen die Demonstranten vor. Auch SFOR griff nicht ein.

Der Vorfall warf international ein so schlechtes Bild auf die Stadt, dass die Grundsteinlegung im Juni unter starkem Polizeischutz und ohne Störungen verlief. Allerdings ruht seitdem die Bautätigkeit.

Am Platz der Moschee schildert Orhan Faslic seine Erlebnisse als Augenzeuge des 7. Mai: Die Steine seien schon zuvor mit einem Lkw hergebracht worden. Auch ankommende Wagen wurden demoliert. Französische SFOR kam nicht. Ein Blechzaun schirmt das Gelände zur Straße hin ab. An Tür und Mauern des Islamischen Zentrums sind Zeichen gemalt: „Nur der Zusammenhalt rettet die Serben!“

Angesprochen auf die Interventions- und Pazifismus-Debatten der 90er Jahre in Pax Christi antworten sie: „Wir könnten was dazu sagen, wurden auch dazu aufgefordert. Aber was können wir dazu beitragen? Wir haben doch andere Probleme, die Diskussion in Deutschland war fern davon.“ Ich betone, dass die bosnischen Stimmen gerade wichtig seien, wenn es um Menschen gehen solle. Mara berichtet, in Bochum habe ihr ein ansonsten aufgeschlossener Professor davon abgeraten, eine Information zu Bosnien anzubieten. Dafür bestehe doch kein Interesse.

Wenn SFOR abzöge, gebe es wohl keinen neuen Krieg, aber neue Eskalationen.

Ihre Hauptwünsche sind:

-         Vergesst uns nicht!

-         Berücksichtigt bei der Hilfe unsere Bedürfnisse!

-         Berichtet in Deutschland, dass die Verständigung voranschreitet!

-         Man kann ruhig vorbeigucken.

 

10. April

Helsinki Citizens Assembly Banja Luka 

- Bericht von Sabine Klotz -

Gesprächsort: HCA-Büro. Weitere Büros befinden sich in Sarajevo und Tuzla.

Gesprächspartner/innen: Lidija Zivanovic, Leiterin des Büros, und Zoran Levi, Projektkoordinator, sowie drei weitere einheimische Mitarbeiterinnen.

Sprache: deutsch und lokale Sprache, gedolmetscht in beide Richtungen von Alma, zwischendurch direkt auf englisch mit den drei anderen einheimischen Mitarbeiterinnen, etwas deutsch mit Herrn Levi

Frau Zivanovic und Herr Levi erinnern sich gut an einen vorherigen Besuch einer Delegation von Grünen MdB, bei dem sie sich als Angeklagte gefühlt haben. Winni Nachtwei, der bei dem damaligen Besuch auch dabei war, kann sich nicht erklären, wie dieser Eindruck entstanden sein kann.

HCA versteht sich als Bürgerrechtsbewegung in der Tradition derjenigen Bürgerrechtsbewegung in den Staaten des damaligen Ostblocks, die als Folge der Gründung der Konferenz über Sicherheit in Zusammenarbeit (KSZE) 1975  ins Leben gerufen wurde. Der Bestandteil des Namens „Helsinki“ bezieht sich auf den damaligen Konferenzort der KSZE.  Die Mitglieder der Dissidenten- und Bürgerrechtsbewegungen in Osteuropa, wie der tschechoslowakischen Charta 77 oder der Basisgruppen in der ehemaligen DDR ,beriefen sich auf die Grundrechte wie Meinungs- und Versammlungsfreiheit, die in der Gründungakte der KSZE enthalten waren. 

Das im August 1996  eröffnete Büro der HCA in Banja Luka hat die Schwerpunkte zivile Konfliktbearbeitung, Vernetzung in der Region, Förderung von Menschenrechten und politischer Partizipation. Zielgruppen  sind insbesondere Jugendliche und Frauen.  HCA hat weitere Büros in Tuzla und Sarajevo (beide in der Föderation). Seit Mitte 2001 ist HCA als lokaler Bürgerverein registriert. Zuvor galt ein anderes Vereinsrecht, wonach HCA mit einem Jugend- oder Rentnerverein rechtlich gleichgestellt war. Damals galt die Bedingung, dass ein Bürgerverein 30 Unterschriften von Unterstützer/innen  vorweisen müsste. Aus Angst vor möglichen Sanktionen hatten viele Leute jedoch Bedenken, ihre Unterschrift zu Gunsten  einer als oppositionell bekannten Gruppe auf eine Liste zu setzen.

Anfangs bestand HCA ausschließlich aus Frau Zivanovic und Herrn  Levi, in dessen Privathaus sich die Büros von HCA befinden. Seitdem das neue Vereinsrecht gilt, hat HCA drei Koordinator/innen und einen Vereinsvorstand, insgesamt zehn aktive Mitarbeiter/innen, darunter mehrere freie. Für eine Vereinsgründung sind nur noch drei Unterschriften von Unterstützer/innen nötig. Fiskalpolitisch wirkt sich problematisch aus, dass HCA vom Staat als  Wirtschaftsunternehmen und nicht als humanitäre Organisation betrachtet wird. Denn Organisationen humanitärer Hilfe brauchen im  Unterschied zu Unternehmen keine Steuern bezahlen.  Einheimische Spender erhalten auch einen Steuererlass, wenn sie für humanitäre Organisationen  zahlen.    Als Unternehmen muss HCA  10% seiner Einnahmen an Steuer und 42% an Sozialabgaben leisten. HCA hat aber kaum eigene Einkünfte. Die Angestellten verzichten daher auf Gehalt. 

Das Verhältnis zwischen HCA und anderen in BiH tätigen Organisationen:

Konkrete Projekte von HCA werden finanziell unterstützt von  der Westminster-Stiftung, der schwedischen  Entwicklungshilfebehörde SIDA, dem schwedischen Olof-Palme-Center, von HIVOS aus den Niederlanden, von der EU, von der der SPD nahestehenden Friedrich-Ebert Stiftung, von der SOROS-Stiftung, von der US National Adv. for Democracy,  und von der schwedischen NGO Kvinna till Kvinna (etwa: Frau für Frau oder von Frau zu Frau). Eine langfristige Planung ist  schwierig, da die Zuwendungen von ausländischen Geldgebern sich immer auf konkrete kurzfristige Projekte beziehen. HCA ist bestrebt, trotz der finanziellen Abhängigkeit von Spendern seine inhaltliche Unabhängigkeit wahren zu können.  Die Beziehungen zum örtlichen Büro der OSZE werden  von HCA-MitarbeiterInnen ambivalent bewertet: Zu Beginn ihrer Anwesenheit habe die OSZE-Mission die Handlungsfreiheit der einheimischen Menschenrechtsorganisationen gefördert. Seit einiger Zeit bestünde aber ein Konkurrenzverhältnis mit der Demokratisierungsabteilung der OSZE, die  Ideen von lokalen Organisationen als die eigenen ausgebe. Die von der OSZE durchgeführte Förderung der politischen Partizipation von Frauen und deren politischer Bildung findet Zustimmung von Seiten der HCA. Beklagt  wird der häufige Wechsel von  internationalen Mitarbeiter/innen und die mangelnde Informationsweitergabe zwischen ausscheidenden und neu beginnenden Missionsmitgliedern. Mit der internationalen Verwaltung in BiH, dem Office of the High Representative, OHR, hatte HCA zunächst einen guten Kontakt, als das OHR Treffen  zwischen NGOs und örtlichen Schulbehörden organisierte. Diese Treffen wurden jedoch nicht fortgesetzt.  Den HCA-Angehörigen  sind die Ziele der internationalen Organisationen in Bezug auf BiH sowie die Verteilung von Kompetenten zwischen einheimischen Organisationen und den internationalen Organisationen unklar.  Sie beklagen, es gebe zu viele Meetings und zu wenige Taten.

Leiter der Außenstelle der Deutschen Botschaft in Banja Luka, VLR I Marc Bogdahn

Die Außenstelle besteht seit 1998. Im Obergeschoss befindet sich die französische Vertretung, mit der eng zusammengearbeitet wird. Ihre Aufgaben sind neben Visa-Angelegenheiten, Ansprechpartner für Organisationen vor Ort zu sein, Deutschkurse zu organisieren.

Vor dem Krieg erklärten sich 60% als Serben, 8-10% als Kroaten, der Rest Bosniaken. Jetzt sind 90% der Republik S Serben.

Die Rückkehr läuft langsam an. Bisher kehrten insgesamt 6.000 Kroaten zurück und 50.000 Bosniaken, davon 30.000 allein in 2001. Die Behörden bremsten sehr bis 1998. Inzwischen gibt es nicht mehr diese Obstruktion. Ca. 30% erhielten ihr Eigentum zurück, in der Föderation sind es 50%. Der Trend ist, das Eigentum zurückzufordern und dann zu verkaufen.

Das Durchschnittseinkommen liegt bei 300 KM, die Rente bei 100 KM. Sozialleistungen gibt es nicht.

Pro Tag gehen von Banja Luka 2-3 Busse nach Sarajewo, aber 20 nach Belgrad. Das „Mutterlandsstreben“ ist nicht mehr so stark wie 1996. Gewisse Spannungen bestehen zwischen dem offeneren westlichen und dem östlichen Teil der Republik Srpska

Alle paar Wochen werden Kriegsverbrecher verhaftet. Inzwischen ist es schwer, Karadzic überhaupt zu orten. Der Krieg ist nun 6 ½ Jahre her. Das ist viel und wenig zugleich.

Post-Pessimists 

Gespräch mit Tanja Stupar in einer Hotel-Lobby.

In Banja Luka besteht eine P-P-Gruppe seit 1998. Sie hat ca. 20 Mitglieder, darunter 10 Aktive. Es sind vor allem StudentInnen der Kunstakademie und SchülerInnen im Alter von 15 bis 26 Jahren.

Der Anstoß zu den P-P ging von der norwegischen Volkshilfe aus: P-P sind solche, die den Pessimismus überwunden haben, aber noch keine Optimisten sind. P-P-Gruppen gibt es in allen Staaten des ehemaligen Jugoslawien.

In Banja Luka machen die P-P Seminare zu Antisemitismus, Geschlechterfragen, Aids, organisieren Kunstausstellungen und literarische Abende. Zurzeit läuft ein Wettbewerb in Literatur und Schwarz-Weiß-Fotographie in allen Staaten des ehemaligen Jugoslawien.

Im Krieg haben viele Künstler nicht mehr veröffentlicht. Die starke literarische Tradition wurde zurückgedrängt. „Wir haben sehr viel Kreativität. Aber Zeit und Ort sind nicht gut für Kreativität.

Tanja trägt uns ihr Gedicht „Der Baum“ und „Hunger“ vor. Ihr Buch „Haus aus Buchstaben“ ist in den Buchläden von Banja Luka und Sarajevo nicht erhältlich.

Schwester Ancilla von den „Schwestern der Anbetung des heiligen Blutes Christi“

Im obersten Stockwerk des Schwesternhauses übernachten wir.

1870 kamen erste Schwestern des Ordens nach Banja Luka. Nach dem 2. Weltkrieg wurden sie enteignet. 1955 waren Schwester Ancilla und andere junge Frauen die ersten Novizinnen nach dem Krieg, in dessen Verlauf viele vertrieben worden waren.

In Alexandrova (?) errichteten die Schwestern mit Hilfe des Erzbistums Essen und österreichischer Spenden das Projekt „Mensch“: Ein geschlossenes Drogenzentrum mit gegenwärtig 34 Männern zwischen 18 und 41 Jahren. Die meisten sind heroinabhängig. Die Behandlung läuft über zwei Jahre, ohne Medikamente, mit Arbeitstherapie, Gruppenarbeit und strenger Disziplin. Im Mittelpunkt steht die Frage „wer bin ich?“. Die Einstellung zum Leben muss sich ändern. Die Droge ist nicht das erste Problem. Die Ursachen, die zur Droge brachten, werden angegangen. Das sind nicht nur die Kriegsgeschehnisse. Manche sind seit 20 Jahren abhängig. 95% blieben nach der Behandlung stabil.

Die Einrichtung ist in ganz Bosnien-Herzegowina einmalig. Die Behandlung kostet 200 KM/Monat. Die Politik ignoriert die Drogenproblematik und ist nur auf Nationalismus fixiert.

„Wir haben keine sicheren Einkünfte. Wir leben von der Vorsehung.“

„Ihr“ Bischof ist weiterhin Franjo Komarica, den wir am 26. Oktober 1996 mit unserer grünen Spitzendelegation besuchten. Auszug aus meinen Aufzeichnungen:

„Als er die Tragödie mit dem „Verlust des Glaubens“ begründet, ist er mir noch so ein Glaubensfixierter. Aber angesichts seines Glaubensverständnisses kann ich ihm dann besser folgen. Europa „segnete die Tragödie“. “Prinzipien traten hinter Interessen zurück. Wir leisten unerbittliche Arbeit von Versöhnung, Versöhnung, Versöhnung und Wiederaufbau. Feinde zu lieben, ist gar nicht so einfach. Wir haben geschrieen: keine Waffen, keine Waffen! Was ist das um Gottes willen! Unsere Schreie stießen auf taube Ohren! Ihr habt das zugelassen, diesen Neofaschismus. Warum habt ihr das zugelassen?“ Joschka nennt Gründe, warum wir jahrelang gegen militärisches Eingreifen waren. Jürgen schweigt. „Was könnt Ihr Großen uns sagen?“ Jedes Wort kommt mir gegenüber diesem herzlichen, inbrünstigen, verzweifelten, starken Menschen so flach und billig vor.

„Ich will noch in der Dunkelheit eine Kerze anzünden! Das Gesetz des Dschungels ist erkennbar in Europa. Das macht mir Sorgen. Ich flehe Euch an: Verhindert das andere Bosnien in Europa!“

Die vorigen Gespräche waren für uns ziemlich Routine, Sprache und Gesichtsausdrücke flach, Händedruck, weiter.

Jetzt sind wir im Bann, im Innersten angesprochen, gepackt, aufgewühlt. Jeden von uns sieht er beim Reden intensiv und einzeln, nicht flüchtig an.

Mir steigen die Gefühle die Brust hoch in die Augen, auch andere können die Tränen kaum halten..

Diese Dreiviertelstunde ist der zusammenfassende Höhepunkt unserer Reise. Wie glücklich bin ich, dass wir das nach sechs gemeinsamen Tagen mit beiden Vorständen erleben.“

Die Süddeutsche Zeitung berichtete in ihrer Reportage zur Grünen-Bosnien-Reise über dieses Zusammentreffen als das „Gelöbnis von Banja Luka“. (SZ 28.10.1996)

11. April

Fahrt von Banja Luka nach Zenica

In Kotor Varos sind nur vereinzelte zerstörte Häuser zu sehen. Immer wieder zerstörte Moscheen. Es sind offenkundig Vertreibungs- und nicht Kriegszerstörungen.

Vor Teslic beginnt wieder die Föderation – und mit ihr schlagartig das T D-1-Netz. Auffällig die vielen großen Wohnhausneubauten. Fahndungsplakate mit den Konterfeis von Radovan Karadzic und Ratko Mladic. Bis zu 5.000.000 $ sind auf ihre Ergreifung ausgesetzt.

1993: Die Industriestadt Zenica ist das Ziel einer Delegation von Bündnis 90/Die Grünen mit den Bundestagsabgeordneten Gerd Poppe, Vera Wollenberger und Uli Fischer und Marieluise Beck, Abgeordnete in der Bremer Bürgerschaft. „Sie stellt die erste offizielle Delegation von Parlamentariern aus einem Staat der Europäischen Union, wenn nicht des gesamten Auslandes seit Beginn des Krieges in B-H dar. „Wir dachten damals, dies ist das erste Zeichen von Solidarität von außerhalb, aus Europa, wir dachten, Deutschland stellt sich auf unsere Seite“, wird später einmal der Chefredakteur der bosnischen Wochenzeitung „Slobodna Bosna, Senad Avdic, über diesen Besuch sagen.

Die eingeschlossene Bevölkerung weiß nicht, dass diese Delegation für den Bundestag keineswegs repräsentativ ist und in der eigenen Partei wegen ihrer Reise angegriffen wird. Aber dennoch sollte sie einen Türspalt für eine überparteiliche Bosnienpolitik in Deutschland öffnen und Bündnis 90/Die Grünen in eine politische Zerreißprobe führen. (…)

In Zenica erfährt die Delegation von Vertretern der Hilfsorganisationen, dass seit zwei Monaten keine Hilfslieferungen mehr nach Zentralbosnien gelangt sind. Sie wird von Warnungen über eine weitreichende Hungersnot im kommenden Winter überhäuft.

Die Enttäuschung über die „unterlassene Hilfeleistung“ Europas und der Welt sitze bei den Menschen in der Stadt tief, betont Bürgermeister Spahic. Die Bevölkerung könne nicht verstehen, dass sie, die weiterhin an den Idealen der multikulturellen Gesellschaft festhalten wollen, von allen verlassen ist. „Europa“ so Gerd Poppe auf einer Pressekonferenz in Zenica, „stirbt hier in Bosnien. Denn hier wird Europa verteidigt mit seinen Werten. Wenn Europa den Menschen nicht hilft, dann gibt es sich selbst auf.“ (Über Marie Luise Beck, die im Vorfeld beträchtliche humanitäre Hilfe organisiert hatte, hat die Delegation auch mit einem Konvoi von 300 Lkw`s zu tun, der vor Gornji Vakuf von kroatischen Soldaten blockiert wird. Auf Intervention der Abgeordneten beim kroatischen Nationalistenführer Mate Boban darf der Konvoi dann doch noch weiter fahren – „auf Verantwortung der deutschen Delegation“.)

„Das weitere Schicksal des Konvois wird zur Lehrstunde für die Untätigkeit der Internationalen Organisationen. Weil der Konvoi nicht vom UNHCR geleitet wird, wollen die britischen Soldaten keinen Geleitschutz geben. Der Kommandeur der Briten in Vitez muss aber wissen, dass gerade hier in Nova Bila und Vitez Gefahr droht. Denn einige Tage zuvor waren drei Busse mit muslimischen Gastarbeitern, die nach Zentralbosnien fahren wollten, von Kroaten zusammen geschossen worden. Dabei wurden 12 Menschen getötet und über 40 verwundet.

Der 10 km lange Konvoi kommt in Nova Bila an und gerät wie erwartet in einen vom kroatischen Kommandeur der Region, Tihomir Blaskic, geplanten Hinterhalt. Kroatische Soldaten erschießen mindestens acht Fahrer. Die UN-Soldaten greifen erst ein, als viele der Lastwagen von den Kroaten geraubt und weggefahren sind. Genau acht Warrior-Panzer erscheinen und geleiten die restlichen Lkw durch die Frontlinie. Weniger als 100 Trucks erreichen schließlich bosnisch kontrolliertes Gebiet. Die kroatischen Soldaten wagen es nicht, gegen die UN-Soldaten vorzugehen. Ein energisches Eingreifen zu einem früheren Zeitpunkt hätte also den gesamten Konvoi retten können.

Aus dieser Erfahrung heraus fordert die Delegation nach der Rückkehr in Deutschland auf dem so genannten Länderrat in einer Resolution, das Mandat der UN-Truppen zu erweitern und den bewaffneten Schutz für die Hilfskonvois zu gewährleisten. Das Gremium stimmt zu und fordert damit die Reaktion der so genannten „Pazifisten“ heraus. Auf einem Parteitag im Herbst wird der Beschluss rückgängig gemacht. Die UN soll nach dem Willen der Mehrheit die Hilfskonvois nicht mit militärischen Mitteln schützen können. Bei der Debatte kommt eine Grundhaltung zum Ausdruck, die innenpolitische Auseinandersetzung höher bewertet als das Schicksal der Menschen vor Ort. Diese Grundhaltung ist auch bei den anderen Parteien anzutreffen.“ (Rathfelder S. 140 ff.)

Pax Christi in Zenica

Zenica an der Bosna hatte vor dem Krieg ca. 150.000 Einwohner. Im größten Stahlwerk Jugoslawiens arbeiteten 22.000 Menschen. Bombardierungen zu Kriegsbeginn legten es lahm. Heute hat das Werk nur noch 2.000 Beschäftigte.

Mehr als 300.000 Flüchtlinge kamen durch Zenica. Heute gibt es in Zenica und Umgebung noch vier Lager und einige Collectiv Centers mit ca. 10.000 registrierten Flüchtlingen.

Die Dt. Sektion von Pax Christi arbeitet seit 1992/93 mit Freiwilligen in Flüchtlingslagern in Ex-Jugoslawien. 1996 ging man von Split nach Zenica, Begov Han und in die kroatisch kontrollierte Enklave Zepce nördlich Zenica.

Georg Schiel, gelernter Lehrer und ehemaliger Gärtner, arbeitet hier als Koordinator zusammen mit Goran Bulajic und sieben lokalen MitarbeiterInnen. Hinzu kommen internationale Freiwillige für begrenzte Zeiträume. Georg`s Entsendeorganisation ist das Forum Ziviler Friedensdienst.

Im Rahmen eines Rückkehrerprojekts der Stadt Köln wurden drei große Häuser für kroatische und serbische Familien als Übergangswohnungen wiederhergestellt und eines neu gebaut. Mit der Zeit wurden auch Roma, Kriegsinvalide und „Sozialfälle“ in die Häuser verlegt. Insgesamt kamen 10-15 Familien aus Deutschland zurück. Köln unterstützte das mit 600.000 DM, die EU mit 1,5 Mio. DM.  

Mit den Rückkehrern gab es etliche Probleme. Einerseits war ihnen in der Bundesrepublik viel versprochen worden. Die Unterstützung hier sah dann anders aus. Zugleich haben sie auch recht hohe Ansprüche. Sie beurteilen ihre Lage als schlecht, verfügen aber im Unterschied zu wirklich besitzlosen Binnenflüchtlingen über Videorecorder, Schrankwand etc. Verbreitet ist eine Anspruchshaltung gegenüber den Helfern: `Warum ist das Fenster undicht? Besorgt mir Arbeit, einen Wagen!` Statt hier für 400 KM zu arbeiten, würde man lieber zurück nach Deutschland gehen.

Schwerpunkt der P-C-Gemeinwesenarbeit liegt zzt. im Haus Kasina 34. Den 22 Familien mit ca. 90 Personen werden Kurse (Nähen, Computer), Kinderbetreuung, regelmäßige Treffs angeboten.

Ein Wohnungsrat wurde gegründet.

Ein weiterer Schwerpunkt ist die Sozialarbeit in den Flüchtlingslagern, zunächst nur in Putovici. Seit September 2001 werden alle Lager betreut.

Putovici liegt 15 km oberhalb der Stadt, mit dem Wagen in 20 Minuten über eine schmale Straße erreichbar. Die zehn Wohn- und drei Küchen- und Klo-Baracken wurden 1992 von der norwegischen Volkshilfe errichtet. 1993/4 lebten ca. 1.000 Flüchtlinge hier, inzwischen sind es noch 160. Geblieben sind vor allem diejenigen, die weniger Energie haben, die nicht wissen wohin, Alleinstehende. Manche sind seit 10 Jahren hier. Jede Wohnung besteht aus dem zentralen Aufenthaltsraum und vier kleinen Räumen, insgesamt ca. 40 m2. Bis vor kurzem gab es nur für eine Stunde am Tag Wasser. Jeder Familie steht eine Parzelle zur eigenen Nutzung zu. Sie werden aber nur z.T. genutzt. Die Gemeinschaftssanitäranlagen sind verwahrlost.

Montag bis Mittwoch sind die P-C-MitarbeiterInnen in anderen Lagern, Donnerstag und Freitag hier. In der Woche übernachten sie meist im Lager. Die meisten Bewohner seien in einer Art krank. Entscheidend sei, dass man da sei, mit ihnen rede, auch medizinische Behandlung vermittle. Familien, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, wird dabei geholfen: durch Besuch der künftigen Wohnung, durch Instandsetzungszuschüsse von 2.600 € aus Mitteln des Auswärtigen Amtes. In diesem Jahr stehen für die Renovierung und Reparatur von 50 kriegszerstörten Häusern 130.000 € zur Verfügung.

(vgl. Dokumentation von Pax Christi Zenica)

Medica in Zenica 

Als 1992 „erste Berichte über die Vergewaltigung von Frauen veröffentlicht wurden, kam es zu einem Aufschrei der Empörung. Nach einem Treffen von Hunderten von Frauen im Januar 1993 in Zagreb werden einige konkrete Projekte in Angriff genommen, darunter das Frauenhaus in Zenica. (…)

Noch waren die Handwerker bei der Arbeit, die medizinischen Geräte lagen unausgepackt in den Transportkisten. Die mitten in diesem Durcheinander wirbelnde Monika Hauser, die Gründerin und der Motor des Frauentherapiezentrums „Medica“ in Zenica, ließ damals, Ende März 1993, keinen Zweifel daran, dass das Haus Anfang April geöffnet würde. (…) Mit der Energie einer Frau, die wusste, dass Tausende von vergewaltigten und traumatisierten Frauen schnellstens ihrer Hilfe bedurften, hatte die knapp dreißigjährige Monika Hauser seit ihrem ersten Besuch in Zentralbosnien – das war Anfang Januar des gleichen Jahres – alle Hebel in Bewegung gesetzt und in kürzester Zeit die organisatorischen Voraussetzungen für das Projekt vor Ort geschaffen. (…) Jetzt, einige Monate später, sind bereits 1.200 Frauen ambulant und stationär behandelt worden. Ein multikulturell zusammengesetzes Team aus 20 bosnischen Ärztinnen, Psychologinnen, einer Psychiaterin, einer Soziologin, Krankenschwestern, einer muslimischen Theologin, Übersetzerinnen und Verwalterinnen, Köchinnen und anderen Hilfskräften ist zusammengestellt. Es ist das erste Projekt in der Geschichte, das sich der traumatisierten Frauen während eines aktuellen, noch nicht beendeten Krieges annimmt.“ (Rathfelder S. 138 f)

Medica 1 umfasst das Frauentherapiezentrum und ein Kinderhaus, Medica 2 ein Zentrum für Ausbildung und Erziehung, Medica 3 die psychosoziale Beratung und ein SOS-Telefon für Gewaltopfer. Stationär wurden bisher über 500 Frauen und 300 Kinder behandelt, 3.300 Personen erhielten psychologische Beratung, 26.600 Patientinnen nahmen den medizinischen Dienst in Anspruch.

Finanzielle UnterstützerInnen sind u.a. Medica mondiale/Köln, Oxfam, USAID, EU, Caritas, UNHCR, UNICEF, Soros, Kinderhilfe, ein türkisches und britisches SFOR-Bataillon.

Im Büro hängt ein Kriegsverbrecherfahndungsplakat. Etliche Gesuchte sind durchgekreuzt, gefasst.

- Bericht von Sabine Klotz -

Medica Zenica besteht aus mehreren Untergruppen, die verschiedene Funktionen und Schwerpunkte haben, aber miteinander kooperieren. Insgesamt 68  Personen arbeiten ganztags  oder stundenweise für ein Medica-Projekt. Hilfesuchende Frauen und Kinder können  von verschiedenen Einheiten von Medica Unterstützung erfahren.  Falls Medica jedoch die nötige Hilfe nicht leisten kann, verweist es  die Klientinnen wenn von ihnen gewünscht auch an andere Organisationen weiter, z.B.  an eine Rechtsberatung und ein Kinderschutzzentrum.

 

Medica wurde im Jahr 1993, während des Krieges gegründet, als eine große Zahl von Frauen vergewaltigt wurde.  Durch Medica erhalten traumatisierte Frauen medizinische und psychologische Hilfe, während dem Krieg wurden Abtreibungen vorgenommen, es gibt eine Zufluchtsstätte (Frauenhaus) für Frauen und Kinder, ein Notruftelefon und einen Kindergarten. Hinzu kommen Kurse in beruflicher Weiterbildung für Frauen, z.B. zum Restaurieren alter Möbel, Handarbeiten und Frisieren. Durch die Teilnahme an den Kursen soll nicht nur das Selbstbewusstsein der Frauen sondern auch ihre Chancen erhöht werden, wirtschaftlich unabhängig vom Einkommen ihre Mannes oder männlicher Verwandter zu sein. Aufgrund des Kriegs haben  viele Familien mit dem Mann auch den alleinigen Versorger verloren, so dass einkommensschaffende Maßnahmen für Frauen für diese Familien überlebensnotwendig sind. Dank einer Fatwa zu Gunsten von Frauen, die während des Kriegs von Soldaten vergewaltigt wurden,  wurden muslimische Vergewaltigungsopfer  nicht von ihren Familien verstoßen. Durch den Krieg sind auch viele der überlebenden Männer traumatisiert, wodurch die ohnehin weitverbreitete Gewalt in Familien, speziell von Männern gegen ihre Frauen noch mehr zugenommen hat.  Viele Frauen und Kinder müssen aber in Gewaltverhältnissen bleiben, da Frauen aufgrund ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit von ihrem Mann und in manchen Fällen aufgrund eines sehr geringen Bildungsstands keine Alternative haben.  Daher  beklagt unsere Interviewpartnerin besonders, dass nach dem  Ende des Krieges aufgrund zurückgehender Spendengelder die psychosoziale Beratungsstelle für Frauen und Kinder von Medica in Visoko geschlossen werden musste.

 

Nach Ansicht der Gesprächspartnerin hat die gesamte Bevölkerung in BiH ein Kriegstrauma und leidet unter Post Traumatic Stress Disorder (PTSD), es wird aber traditionell als peinlich angesehen, sich psychologisch oder psychiatrisch behandeln zu lassen. Deshalb wollen manche Klientinnen anonym bleiben.  Medica verfolgt einen holistischen Ansatz beim Umgang mit traumatisierten Frauen, in dem es das Ziel verfolgt, die Betroffenen darin zu unterstützen, ihr Trauma zu bewältigen. Es gibt Kurzzeit- und Langzeittherapien, wobei Medica die Betroffenen fragt, welche Art von Hilfe sie brauchen. Zeuginnen, die vor dem Kriegsverbrechertribunal, ICTY, aussagen wollen, werden von Medica  psychologisch und juristisch unterstützt, um eine erneute Traumatisierung zu verhindern.

 

Medica  Zenica betreibt die Infoteka, die die Lage von Frauen, darunter auch Roma-Frauen, in BiH erforscht, Lobby- und Netzwerkarbeit betreibt.  Es arbeitet mit Medica in Djakova/Djakovica im Kosovo/a sowie bei der Suche nach Vermissten mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz (ICRC) zusammen. Es wird finanziert durch Spendengeldern von Privatpersonen und von der Schweizerischen Regierung.

 

Durch das Bosna-Tal nach Sarajevo

Hier war offenbar Kampfgebiet. Sehr viele Häuser sind zerstört, Landschaft und Vegetation sehen irgendwie „zerrupft“ aus. An allen möglichen Stellen befinden sich kleine Friedhöfe, z.B. direkt neben Wohnhäusern.

In keinem Land habe ich bisher so viele Friedhöfe gesehen wie in B-H. Von der Straße oberhalb unseres Hotels in Sarajevo sind allein sieben Friedhöfe zu sehen! Auf den weißen Grabsteinen nur die Todesjahre 1992 bis 1995, Geburtsjahrgänge vor allem die 60er und 70er Jahre.

Kriegsspuren in und um Sarajevo

Von der südlichen Hangstraße Blick auf das Zentrum und die Altstadt. Moscheen, orthodoxe und katholische Kirchen und Synagogen stehen in diesem früheren „Jerusalem Europas“ dicht beieinander. (vgl. Buch und Karte mit diesem Titel)

Vom April 1992 bis zum 26. Februar 1996 verlief oberhalb am Hang der Belagerungsring aus 260 Panzern, 120 Mörsern und zahllosen Heckenschützen (sniper). Beschossen wurden Moscheen, Kirchen, Synagogen, Schulen, Hospitäler, Museen und die Orte, wo Menschen nach Brot und Wasser anstanden. In Brand geschossen wurde das Gebäude von Parlament und Regierung von B-H, wo am 6. April 1992 SDS-Heckenschützen das Feuer in eine 100.000-köpfige Menschenmenge eröffneten, die gegen den Krieg demonstrierten. Die breite Straße westlich vom Holiday Inn hieß Sniper Alley. Die sniper töteten 225 Menschen, darunter 60 Kinder, und verwundeten über 10.000. Berichtet wird von einem „Kriegstourismus“, wo sich auch Fremde als Heckenschützen betätigten. Den serbischen 82- und 120-mm-Granaten fielen am 5.2.1994 auf dem Grünen Markt 67 Menschen und am 28.8.1995 in der städtischen Markthalle 43 Menschen zum Opfer.

„In Sarajevo war man niemals vor Granaten sicher, aber man hielt sich beim Gehen instinktiv eng an die Häusermauern, auch wenn nicht geschossen wurde. Man hatte den nächsten Hauseingang im Blick, um, falls das pfeifende Geräusch der Granate zu hören war, sofort dort hinein schlüpfen zu können. Man lief wegen der Scharfschützen nicht mehr auf offenem Gelände, man wusste über die Artilleriepositionen auf den umliegenden Bergen Bescheid. Und man wusste um die Zeiten der Angriffe. Besonders vormittags war es gefährlich, wenn die Artilleristen ausgeschlafen hatten. Zur Mittagzeit dagegen wollten auch Artilleristen essen. Das waren die günstigsten Zeiten, um die stark gefährdeten Straßenabschnitte zu benutzen. Am späten Nachmittag wiederum, nachdem oben in den Bergen Alkohol geflossen war, wurde es auch in so genannten sicheren Zonen gefährlich. Dann wurde nämlich unkoordiniert geschossen.“ (Rathfelder S. 159 f)

Hier am Hang über Sarajevo stand ich schon einmal am 22. Oktober 1996, zusammen mit Joschka Fischer, Kerstin Müller, Jürgen Trittin, Werner Schulz, Marieluise Beck. Hier nahmen wir damals wahr, was man vorher wissen konnte, aber nicht wahr haben wollte: Sarajevo auf dem Präsentierteller, wehrlos in der Mausefalle, drei Jahre lang. Hier packte mich Schmerz und vor allem Scham angesichts der unterlassenen, verhinderten Hilfeleistung ...

Die Hangstraße führt vorbei an einem von Durchschüssen zersiebten Blechzaun durch den Stadtteil Grbavica, der während der Belagerung bis zur Miljacka von serbischen Kräften besetzt war.

Im Zentrum sind die meisten Zerstörungen beseitigt. 1996 waren alle höheren Gebäude vom 5./6. Stock an großflächig aufgerissen, durchsichtig, gelöchert, geschwärzt, verbogene Stahlträger, Glaszacken, wehende Vorhänge. Abgesehen von vielen Schussnarben an den Häuserwänden zeugen jetzt nur noch die Gebäude von Parlament und Oslobodenje von den gewaltigen Kriegszerstörungen. Anders sieht es in den Außenbezirken und rund um den Flughafen aus: Etliche Gebäude sind teilzerstört und teilbewohnt. Auch von Schusswunden übersäte Wohnhäuser werden instandgesetzt. Angefangen wird mit dem Dach.

In Butmir südlich des Flughafens finden wir das „Tunnel-Museum“. Vom Januar bis Juli 1993 gruben bosnische Soldaten unter der Startbahn einen 760 m langen Tunnel nach Dobrinja. Da der Flughafen von UNPROFOR kontrolliert wurde und für Heckenschützen einsehbar war, wurde der 1,60 m hohe Gang zur einzigen bosnischen Verbindung zwischen Sarajevo und der Außenwelt über den Berg Igman. Über eine Ölleitung, Strom- und Telefonkabel gelang eine Minimalversorgung der Stadt. Verletzte wurden aus der Stadt transportiert, Kämpfer in sie hineingebracht.

In Sarajevo und unterwegs fallen viele neue große und moderne Moscheen ins Auge: Sie sind mit saudi-arabischem Geld errichtet, in Sarajevo gegen den Willen des Bürgermeisters und vieler einheimischer Muslime. Diese Moscheen sollen „Botschaften“ der in Saudi Arabien herrschenden fundamentalistischen Strömung des Islam sein.

12. April

Fahrt nach Mostar durch das phantastische Tal der tiefgrünen Neretva.

In der Seitenstraße am Hotel Ero, dem früheren Sitz von EU und OSZE, und den Nachbarstraßen hat sich seit 1996 nichts geändert: mit „Kleinwaffen“ zerschossene Wohnhäuser, deren Gerippe noch stehen, deren „Fleisch“ aber durch Tausende Einschüsse abgerissen ist.

Die Mitfahrenden empfinden diese Art von Zerstörungen genauso wie ich beim ersten Mal. Sie zeugen von besonders verbissen-hartnäckiger, „handwerklicher“ Zerstörungswut.

In der muslimischen Altstadt reiht sich ein Cafe an das nächste. Wir scheinen die einzigen Touristen zu sein. In den Lädchen dominieren französische Reiseführer. Mostar liegt im französischen SFOR-Sektor. Die Stadt-Landschaft um die frühere Alte Brücke (Stari Most) mit den steilaufragenden Felsen und Lokalen über der Neretva ist einer der Paradiesplätze dieser Erde. Hier empfinde ich die Zerstörungen als besonders wahnsinnig. Neun Jahre nach ihrer Zerstörung ist die Restauration der Brücke kaum voran gekommen.

13. April

Deutsches (4.) Heereskontingent SFOR in Rajlovac (NW Sarajevo)

Nachdem sich aus Deutschland kein Kontakt zur SFOR herstellen ließ, wird unser Besuch kurzfristig mit Hilfe von Botschafter Peters durch Major Lange organisiert.

Abholung am Hotel per Bundeswehrbus.

Seit dem 11. September ist der Haupteingang zum deutschen SFOR-Hauptquartier nach hinten verlegt worden und durch eine lang gezogene Zufahrt besonders gesichert.

Der stv. Kommandeur Oberst Gerlach begrüßt uns zusammen mit ca. 20 Offizieren des Stabes und gibt ein power-point-briefing von der üblichen Informationsdichte. Warum ich die Teilnehmernamen vorher am Telefon buchstabieren musste, sogar der Nachmeldungen noch aus dem Bus heraus, wird jetzt klar: für jeden gibt`s ein Namensschild auf seinem Platz.

Das Dt. Kontingent umfasst ca. 1.600 Soldaten, davon 1.200 Führungs- und Unterstützungskräfte, 340 Einsatzkräfte, 150 multinationale Stabsanteile. Diese Relationen gelten als günstig. Der Verantwortungsbereich erstreckt sich über 130x40 km und umfasst 260.000 Einwohner. Zur Verfügung stehen 900 Fahrzeuge, darunter 80 gepanzerte.

Auch wenn der Einsatz als ruhiger wahrgenommen werde, gebe es doch einige Bedrohungspotentiale: interethnische Spannungen, mutmaßliche Kriegsverbrecher, politische Hardliner, Reduzierung der Entitäten-Armeen, desolate Wirtschaftslage, Korruption, Organisierte Kriminalität und Terrorismus.

Prioritäten sind: Schutz der Internationalen, Sicherheitsunterstützung/Präsenz und Erhalt von Reaktionsfähigkeit, Aufbauhilfe, Reduzierung.

Im Rahmen der Aufbauhilfe wurden seit 1997 1.600 Wohneinheiten mit 5 Mio. € errichtet. (pro Wohneinheit wurden 20.000 DM für Dach, Kohleofen, einen Schlafraum zur Verfügung gestellt; der Rest war Sache der Bewohner) Jetzt werden mehr Hilfen zur strukturellen Entwicklung geleistet.

(vgl. Schaubilder)

Mit Oberstleutnant M. (Btl-Kommandeur aus Sachsen, 1. Auslandseinsatz) nach Dobrinja, wo uns die Patrouillentätigkeit der 3./gem.JgAufklKp in einem Hot Spot vorgestellt wird. Einweisung durch Oberleutnant K. auf einem Parkdeck. Soldaten sichern in alle Richtungen.

Die Kompanie ist für`s ganze westliche Sarajewo und Umgebung zuständig, dazu gehören auch Teile der Serbischen Republik. Die Hauptkampflinie lief quer durch das Viertel über das Parkdeck. Vom benachbarten Hügel und vom Turm einer orthodoxen Kirche schossen serbische Kräfte in das Wohngebiet. Nach Ende der Kampfhandlungen verlief die „gelebte Grenze“ längs der breiten Straße, westlich bosniakisch, östlich serbisch. Mit dem – für die Soldaten unbegreiflichen - Schiedsspruch eines irischen Richters vom 27.4.2001 wurde die Inter Entity Boundary Line nach Osten verschoben, so dass nun mehr als 800 serbische Wohnungen mit ca. 2000 Bewohnern in der Föderation liegen. Bisher sind 70 Wohnungen neu bezogen. Ausziehende Serben „entkernen“ vorher die Wohnungen, reißen Fensterrahmen und Stromleitungen heraus.

Auftrag der Kompanie ist: Stabilität und Bewegungsfreiheit zu gewährleisten, Reaktionsfähigkeit bei krisenhaften Entwicklungen sicherzustellen, für die Operation „Vigilant Hedgehog“ (wachsamer Igel) in Dobrinja Informationen zu gewinnen und die Aktion Harvest (freiwillige Abgabe von Waffen und Munition) durchzuführen. Die Stärke der eingesetzten Kräfte (ein, zwei Patrouillen nur mit Radfahrzeugen, gepanzerte Fahrzeuge) richtet sich nach der jeweiligen Lage. Bisher gab es nur „normale“ und keine „angespannte“ oder gar „Krisenlage“.

Die Gebiete der Hauptkampflinien waren in der Regel stark vermint. Auf der benachbarten, von Wohnblocks umgebenen Wiese machte man sich „Ärger“ der besonderen Art: Dreimal wurden Minen- und Munitionsfunde gemeldet, dreimal wurde abgesucht, dreimal wurde man auf derselben, überschaubaren Spielwiese (!) fündig. Offenbar waren immer wieder Kampfmittel verlegt worden, um die Anderen zu schikanieren. Das seinen „typische Nickeligkeiten“ zwischen den Entitäten.

Oberfeldwebel S. aus Görlitz führt uns entlang der neuen, für uns nicht sichtbaren Grenze durch das Wohnviertel. Sie verläuft auf der Straßenmitte, knickt beim Dobrinja-Bach ab, die Verkaufslokale auf der rechten Seite tragen alle kyrillische Schrift.

Bosnische Häuser sind z.T. nur in Richtung der Serben renoviert – um sie zu ärgern. In etlichen Blocks liegen bewohnte Wohnungen neben und über zerstörten.

An der Entitäten-Grenze befindet eine Taxi-Wechselstation und ein serbischer Busbahnhof. Polizeikontrollen dienen der persönlichen Einkommensaufbesserung.

Ein Offizier: „Die Ethnien vertragen sich nur, wenn sie wenig miteinander zu tun haben.“ Eine Grunderfahrung sei auch, dass man die Soldaten gern machen lasse, aber selbst kaum Hand anlege. Nach über vier Monaten Einsatz hier ist der vitale und lebensfrohe Offizier äußerst ernüchtert. Bei aller Notwendigkeit des Einsatzes halte ihn persönlich nichts in diesem Land.

Er möchte nicht, dass sein Sohn noch in 20 Jahren hier Dienst tun muss. Er teilt das Schicksal von Angehörigen von Sicherheitsorganen, die immer nur mit den negativsten Erscheinungen zu tun haben – und solchen hoffnungsvollen Menschen und Projekten, wie wir sie auf der Reise kennen lernten, kaum begegnen.

Zene Zenama/Women to Women im House of Human Rights, Sarajevo 

- Bericht von Sabine Klotz -

Gesprächsort: Büro von Zene Zenama im Erdgeschoss des Human Rights House in Sarajevo, in dem weitere einheimische Menschenrechtsorganisationen, wie Helsinki Comission for Human Rights und eine Jugendorganisation Büros unterhalten

Gesprächspartnerin: Selma Hadzihalilovic, eine der drei Gründerinnen

Sprache: englisch, auch nach Ankunft der Dolmetscherin

Nach der Vorstellungsrunde teilt Selma mit, Winni Nachtwei in seiner Funktion als Mitglied des Verteidigungsauschusses im Bundestag ein Anliegen vortragen zu wollen: es geht um die Unterstützung der Kampagne zur Kriegsdienstverweigerung (siehe unten). Selma wünscht sich, dass die deutsche Regierung in dieser Angelegenheit bei der bosnischen Regierung vorstellig wird und Kriegsdienstverweigerung als Menschenrecht propagiert.

Zene Zenama  ist nicht nur im Netzwerk zum Thema Kriegsdienstverweigerung, sondern auch im Netzwerk verschiedener Frauenorganisationen Mitglied, in denen auch die Frauen in Schwarz und Medica Zenica tätig sind, und kooperiert mit den anderen im Human Rights House ansässigen NGOs. Eine der Gründerinnen war vorher bei Medica Zenica, eine andere bei den Frauen in Schwarz Mitglied. Die Kooperation mit Frauengruppen aus Belgrad konnte mehrere Jahre lang nur in Ländern außerhalb von ex-Jugoslawien, wie Deutschland und Italien, stattfinden. Bei der Kooperation zwischen NGOs verschiedener Entitäten erweisen sich die wechselseitigen Vorurteile und Verletzungen als Hindernisse, denn es gebe weiterhin eine krasse Selbst- und Fremdidentifikation („wir“ und „sie“).´

Zene Zenama kooperiert mit Frauengruppen im Ausland, u.a. mit der schwedischen Frauen -NGO Kvinna till Kvinna (siehe dazu auch das Protokoll zu HCA), die die Gründung von Zene Zenama untersützt hat. Selma verweist auf ein vom International Council of Voluntary Agencies (ICA) herausgegebenes Buch, das alle in Bosnien-Herzegowina aktiven NGOs aufführt. Ihrer Ansicht nach gibt es zahlreiche einheimische NGOs und viele Netzwerke von NGOs , die aber nicht miteinander verbunden sind. Ein sehr gutes Netzwerk gebe es zum Thema „Women in economy“, das einkommenschaffende Maßnahmen für Frauen fördere. Darüber hinaus  gebe es das „Barcelona-Netzwerk“ zum Thema Gewalt gegen Frauen, Notruftelefone und ein Frauen-Netzwerk gegen Frauenhandel. Zum Thema Friedensförderung existierten regionale und internationale Netzwerke, in denen insbesondere die Frauen in Schwarz eine wichtige Rolle spielten. Weitere Netzwerke gebe es  zu den Themen Wasser und gewaltfreie Konfliktlösung.              

Selma betont, dass Bosnien-Herzegowina der Frieden aufgezwungen worden sei und sich keine Seite als Verlierer sehe, gleichzeitig gebe es noch viele offene Rechnungen. Die Bevölkerung schiebe die Verantwortung von sich weg auf andere, z.B. auf die Angehörigen der internationalen Organisationen, wie dem Office of the High Representative. „Peace was imposed“, „Bosnia never reached peace“.  Die soziale Lage sei besonders für Frauen sehr schlecht: sie seien wirtschaftlich abhängig von den Männern und würden bei Privatisierungen als erste ihre Stelle verlieren. Für Arbeiter/innen würden keine Sozialabgaben gezahlt, was im Falle von Krankheit oder Unfall zum finanziellen Ruin der Betroffenen führen könne.

 Zene Zenama leistet psychologische Unterstützung für Frauen („ genderbased therapy“), geringe finanzielle Unterstützung von zurückgekehrten weiblichen Flüchtlingen, von alleinerziehenden Müttern und alten Frauen. Regelmäßig werden öffentliche Veranstaltungen und Kurse zu den Themen Politik, Literatur, Menschenrechte, Gender und Gesundheit angeboten.   In Bosnien-Herzegowina gibt es nur wenige Gruppen, die Frauen unterstützen, wenn diese Opfer von Gewalt wurden und die Frauenhäuser betreiben: Medica in Zenica (siehe Protokoll dazu), Zena BiH in Mostar, eine Gruppe in Sarajevo und eine in Bijelina und in Banja Luka.  Die Gruppe in Bijelina  befasst sich auch mit dem Problem des Frauenhandels und der Zwangsprostitution. 

Selma empfiehlt, eine Dorfschule in Jaluka in der Ost-Republika Srpska aufzusuchen, deren Rektor trotz sehr schlechter infrastruktureller Bedingungen versucht, ein friedliches Zusammenleben zu fördern.  

Im Büro von Zene Zenama hing ein Plakat (siehe Foto) auf dem stand: „Das Haager Tribunal (gemeint ist das UN-Tribunal zur strafrechtlichen Verfolgung von Kriegsverbrechen, die auf dem Territorium der ehemaligen Sozialistischen Republik Jugoslawien begangen wurden, das ICTY) ist nicht antikroatisch, nicht antiserbisch, nicht antibosniakisch, es ist gegen Kriegsverbrecher.“ 

Zusammen mit SHL und unterstützt von der Böll-Stiftung ist Zene Zenama sehr aktiv in der Kampagne für Kriegsdienstverweigerung (Prigovor Savjesti/Conscientous objection) in Bosnien-Herzegowina.

In den Verteidigungsgesetzen beider Entitäten von 1996 ist das Recht auf KDV erwähnt.

Es mangelt nur an der Umsetzung. In der Föderation können die Jugendlichen innerhalb von 90 Tagen nach Einladung zur Musterung ihren Antrag einreichen, in der Republika Srpska innerhalb von 15 Tagen. Das Recht ist kaum bekannt. Es fehlen Zivildienstgesetze wie –plätze. Die vielen Deserteure während des Kosovo-Krieges veranlassten Nichtregierungsorganisationen seit 1999, sich der Sache der Wehrpflichtigen anzunehmen. Z.Z., die Abteilung Menschenrechte beim OHR und SHL organisierten öffentliche Veranstaltungen, an denen auch beide Verteidigungsministerien beteiligt waren. Im Jahr 2001 bildete sich eine Coordination Working Group aus OSZE/Menschenrechtsabteilung, HR, UN und NGO`s. Im Januar 2002 begann eine landesweite, sehr professionelle KDV-Kampagne, bei der Regionalzentren gegründet und in sieben Regionen je 14 Vorträge gehalten wurden. Die NGO „Warum nicht?“ informiert kurz vor der Musterung über das KDV-Recht. Die Resonanz unter Jugendlichen und in den Medien ist erheblich. Viele wollen wegen der ethnischen Ausrichtung der Armen nicht zum Militär und weil sie als Rückkehrer und Angehörige von Minderheiten im Konflikt stehen. Dies ist für viele ein Motiv, das Land zu verlassen.

Seit Februar wurden erste Kriegsdienstverweigerer anerkannt. In Banja Luka arbeiten die ersten vier Zivildienstleistenden in einem Reha-Zentrum.

Selma ist Koordinatorin des Teams für Gesetzesfragen. Sie bittet nachdrücklich um ausländische Unterstützung, z.B. im Rahmen von Parlamentarierkontakten.

Angesichts der Schwäche der hiesigen Zivilgesellschaft und sozialer Einrichtungen hätte ein Zivildienst eine besonders wichtige Funktion.

Besuch im Touristenbüro in Sarajevo, Branilaca Sarajeva Zelenih beretki

Überraschend reichhaltig und aktuell ist das Angebot an Karten, Prospekten, Postern. Die gut deutsch sprechende Mitarbeiterin kann auch Privatzimmer vermitteln. (Tourismus Verein der Föderation BiH, e-mail: tour.off@bih.net.ba; 00387-33-220 724)

Ein üppiger Hochglanzprospekt des Tourismus-Ministeriums animiert für „Bosnien und Herzegowina – Ihr nächstes Abenteuer“ (produziert u.a. von „Eco-Tours Green Visions“) und bietet acht verschiedene Reisetypen an. (www.bhtourism.ba)

Im großen Buchgeschäft in der Nähe (Einmündung der Fußgängerstraße Ferhadija in die Marschall-Tito-Straße) sind englisch- und deutschsprachige Bücher zur jüngsten Geschichte erhältlich. Zum Beispiel der Bildband „Sarajevo – die verwundete Stadt“ von Miroslav Prstojevic, Untersuchungsberichte zu Srebrenica, die Bild-Karte/Survival Map „1992 - 1993 Sarajevo 1994 - 1995“, das dreisprachige Buch „Sarajevo – Das Jerusalem Europas“ von Nijazija Kostovic mit Karte.

Zusammenfassung

(1) Die Kriegsvergangenheit scheint auf den ersten Blick und vor allem im Vergleich zu 1996 lange zurück zu liegen. In Sarajevo sind viele Zerstörungen beseitigt. Doch in einzelnen Vierteln und anderen Regionen sind die Kriegsfolgen noch unübersehbar: die zerschossenen Wohnhäuser und gesprengten Moscheen, den Zeugnissen extremer Zerstörungswut.

Die Waffen ruhen seit sechseinhalb Jahren. Doch Misstrauen, Verwundungen, nationalistische Borniertheiten dauern an. Keiner hat richtig gewonnen, keiner richtig verloren. Die hohe Politik wird beherrscht von ethnischem Denken. In der Gesellschaft dominieren passiv abwartende Haltungen gegenüber dem Engagement der Internationalen.

Weit weg ist noch ein friedliches Nebeneinander, gar Zusammenleben. Riesenaufgaben für das, was in der UN-Terminologie Peacebuildung heißt – damit nach dem Krieg nicht vor dem Krieg ist. Hier erleben wir überall: Friedenspolitik und –arbeit geht nur als Langstrecken-disziplin!

(2) Plastisch und persönlich wird die Vielfalt von gesellschaftlicher Friedensarbeit und Bemühungen, erste Elemente von Zivilgesellschaft in einem äußerst schwierigen Umfeld zu bauen.

Sie reichen von Sozialarbeit mit den Ärmsten der Armen über offene Jugendarbeit bis zur Demokratieförderung und Nachwuchsförderung. Wo es an staatlicher und kommunaler Sozialpolitik mangelt, sind sie vielfach die einzigen Träger sozialer Hilfe.

Die meisten Projekte haben in weiterem Sinne mit ziviler Konfliktbearbeitung zu tun: Die

enorme Konfliktträchtigkeit des Kontextes stellt schon in der „normalen“ Sozial- und Jugendarbeit ganz andere Anforderungen an eine demokratische Konfliktfähigkeit.

Die Friedensprojekte sind oft Pilotprojekte, einmalig in ihrem Ort, wirksam deutlich über die Graswurzelebene hinaus. Vielleicht sind es Nischen, aber welche mit Ausstrahlung. Strategisch bedeutsam erscheinen die Projekte, die Jugendliche bei der Übernahme gesellschaftlicher Verantwortung fördern.

Sie sind schon viel mehr als die berühmten Tropfen auf dem heißen Stein, die sofort verdunsten. Aber sie sind noch nicht so stark und viele, dass sie den Stein insgesamt abkühlen würden.

Die besuchten Friedensprojekte sind alle auf ausländische Geldgeber angewiesen, werden  aber wesentlich von einheimischen Kräften getragen. Friedensfachkräfte aus Deutschland haben eine unterstützend-beratende Funktion. Die seit 1999 in Projekte und Fachkräfte fließenden Fördermittel von AA und BMZ und der Aufbau des Zivilen Friedensdienstes sind beste Friedensinvestitionen. Sie personell und finanziell nicht nur zu halten, sondern zu stärken, muss für eine präventive Sicherheits- und Friedenspolitik selbstverständlich sein.

(3) Angesichts des rückläufigen internationalen Interesses an B-H und der verbreiteten Angst, vergessen und abgeschrieben zu werden, kommt unsere Reise und ihr „antizyklisches“ Signal gerade richtig. Besondere politische Unterstützung sollte die Kampagne für KDV und Zivildienst in Bosnien erfahren. Nicht nur, weil es hier um die Umsetzung eines Menschenrechts geht. Sondern auch weil sich die Kampagne gegen den Unsinn ethnischer Institutionen richtet, Abrüstung fördert und mit dem Zivildienst zivilgesellschaftliches Elemente gestärkt werden können.

(4) Ermutigend bei allen Riesenschwierigkeiten ist, welche tollen Menschen wir in allen Bereichen kennen lernen, Frauen und Männer mit Energie und Menschenfreundlichkeit, mit Mut, Klugheit und Professionalität : bei Pax Christi und in Jugendzentren, bei Schüler Helfen Leben, Abraham, Centre for Nonviolent Action und Post-Pessimists, bei Böll-Stiftung und Helsinki Citizens Assembly, bei Bundeswehr, OSZE und Deutscher Botschaft, bei den Frauen von Medica und Zene Zenama und den Nonnen von Banja Luka. Es sind Menschen, die Hoffnung verkörpern und bewirken.

Sie nicht allein zu lassen, sondern gerade bei den Mühen der Ebenen zu unterstützen und zu stärken, ist die Pflicht von Friedenspolitik, Friedensarbeit und Friedensbewegung gleichermaßen.

(5) Die Orte des Bosnien-Krieg, vor allem der Blick vom Hang auf Sarajevo, die „Hauptstadt der Friedhöfe“ reaktivieren bei mir den Schock und die Scham, die ich 1996 hier mit Kerstin, Joschka und den anderen empfand: Dass Europa, auch wir, nicht alles gegen den Vertreibungskrieg und die Belagerung Sarajevos getan, dass wir die 200.000 Toten vor unserer Haustür hingenommen hatten.

In diesen Tagen wird ein niederländischer Untersuchungsbericht zu Srebrenica veröffentlicht. Massive politische und Führungsfehler ermöglichten 1995 die kampflose Eroberung der UN-Schutzzone und das Massaker an tausenden Männern. Das wühlt seit Jahren die niederländische Gesellschaft auf und führte jetzt zum Regierungsrücktritt. Dass die Bundesrepublik nicht das Risiko einging, so zu versagen, weil man erst gar nichts zur Sicherung der Schutzzonen beitrug, ist bei uns kein Thema.

Überhaupt fällt mir auf, wie sehr die Erfahrungen des Bosnien-Krieges in den deutschen und grünen Debatten inzwischen in den Hintergrund getreten sind und durch Kosovo- und Afghanistan-Krieg bei vielen überlagert, ja regelrecht gelöscht wurden. Als gebe es vor den rot-grünen Kriegsbeteiligungen nicht schwerste Fälle von unterlassener Nothilfe gegenüber europäischen Nachbarn – und unsere Beihilfe dazu.

(6) Bosnien-Herzegowina ist ein schönes und vielgestaltiges Land, in der Hauptstadt Sarajevo noch das „Jerusalem Europa“ zu spüren. Bosnien lohnt die Reise in jeder Hinsicht. Tourismus ist wieder möglich. In Mostar, Sarajevo, Banja Luka und anderswo warten viele auf die Rückkehr von Touristen.

Weitere Informationen

- Dia- Vortrag „Friedensarbeit auf dem Balkan“: ReiseteilnehmerInnen stehen für Veranstaltungen gern zur Verfügung. Kontakte siehe oben.