Winfried Nachtwei, MdB, Bündnis 90/Die Grünen

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Abschreckendes Beispiel

Folgen und Lehren des Kosovo-Krieges

(1) Schnelle Verdrängung: Die Auseinandersetzung um den Kosovokrieg war vor allem unter Friedensbewegten und Grün-Anhängern so schmerzhaft, daß sich mit dem Aufatmen über den Waffenstillstand und der Rückkehr des politischen Alltags das schnelle "Vergessen" aufdrängt – wie nach dem Bosnienkrieg, wo eine umfassende politische Auswertung versäumt wurde und fast nur die direkten Interessenten ihre Schlußfolgerungen zogen. Solche Verdrängungen sind kurzsichtig und gefährlich. Angesagt ist eine (selbst-)kritische Bilanzierung.

(2) Kriegsbilder: Ungeklärt stehen gegensätzliche Bewertungen des NATO-Krieges, ja auch des serbischen Vertreibungskrieges und ihrer Folgen nebeneinander. War der serbische Vertreibungskrieg langfristig geplant oder vor allem Reaktion auf die NATO-Angriffe? War der Luftkrieg der NATO wirklich eine humanitäre Intervention oder – nüchterner formuliert - ein Übel zur Verhinderung noch größerer Übel? War er das erste Exempel der neuen NATO-Strategie und ein imperialistischer Krieg? Oder ging es ganz banal um die Gesichtswahrung der NATO? In dem realen Gemenge von Interessen, Motiven und Zielen waren für die rotgrüne Bundesregierung die Verhinderung eines zweiten Bosnien, die Stabilisierung des südlichen Balkan sowie der Zusammenhalt der NATO die ausschlaggebenden Motive.

Ungeklärt sind Schlüsselfragen wie die nach den Handlungsalternativen zu verschiedenen Zeitpunkten (z.B. im Sommer 1998, im März 1999), der westlichen Politik gegenüber UCK und LDK und ihrer Bedeutung für den Konfliktverlauf.

Die verbreitete selektive Wahrnehmung während der Kriegszeit setzt sich auch in den Bilanzen fort, man will möglichst Recht behalten: Die NATO prüft nur die Wirkung ihrer Angriffe auf militärische Ziele. Die Zerstörungen der zivilen Infrastruktur und ihre Folgen werden nicht offengelegt.

Kriegsbilanzen aus der Friedensbewegung kreisen praktisch nur um den NATO-Krieg. Der Vertreibungskrieg, dessen mörderische Realität jetzt mit der Entdeckung zahlloser Massengräber sichtbar wird, scheint kaum zu interessieren. (vgl. "Kriegsrückschau", Friedens-Forum 4/99; "Kosovo – NATO-Krieg in Europa", anti militarismus information/ ami 7/99)

(3) Kontinuität, Bruch oder was? Indem Bundeswehrsoldaten zum ersten Mal in einem Kriegseinsatz schossen und töteten, reihten sie sich in die Kontinuität früherer deutscher – und anderer - Armeen ein. Ansonsten steht der erste Kriegseinsatz der Bundeswehr aber im diametralen Gegensatz zu den Kriegen von kaiserlicher Armee und Wehrmacht: Erstmalig war es eine demokratisch legitimierte Kriegsbeteiligung eines demokratischen Deutschland; erstmalig für die Überlebensrechte einer verfolgten Minderheit und für nichtimperialistische Ziele; erstmalig seit hundert Jahren war es ein multinationaler Einsatz zusammen mit den anderen demokratischen Staaten, darunter den Nachbarstaaten, die vor 60 Jahren von der deutschen Wehrmacht überfallen und besetzt worden sind.

Kontinuitätsbehauptungen wie "Der dritte Feldzug gegen Serbien" (Broschüre der VVN) sind historisch absurd und laufen auf eine gnadenlose Verharmlosung der früheren Kriege gegen Serbien hinaus.

(4) Erfolg der NATO? Der NATO-Krieg endete mit der Kapitulation des Milosevic-Regimes im Kosovo und dem vollständigen Abzug aller serbischen Kräfte. Insofern war er der erste begrenzte, "siegreiche" Luftkrieg ohne eigene Opfer in der Geschichte. Daraus wird vielfach die Schlußfolgerung gezogen, der Kosovo-Krieg könne Modell künftiger Kriseneinsätze der NATO werden, wenn die Europäer endlich ihren militärischen Rückstand gegenüber den USA aufholen würden. Diese Bewertung ist ein Kurzschluß.

Die NATO hat wohl einige Teilerfolge errungen: Milosevic wurde zum Einlenken gebracht und damit der Vertreibungskrieg nach elf Wochen, aber vor seiner Vollendung gestoppt. Ein Flächenbrand wurde verhindert und – erstmalig in diesem Jahrhundert der Vertreibungen – die Rückkehr der Vertriebenen ermöglicht. War das aber wirklich Ergebnis der Doppelstrategie von militärischem Druck und diplomatischer Initiative, wie ihre Akteure behaupten? War deshalb die westliche Politik erfolgreich? Genau besehen ergeben sich viel mehr Fragen als Antworten:

Das erste und oberste Kriegsziel – die humanitäre Katastrophe stoppen, "dem Morden Einhalt gebieten" – wurde nicht erreicht, im Gegenteil: mit Beginn der Luftangriffe konnten die serbischen Kräfte den Vertreibungskrieg in ungeahnte Dimensionen radikalisieren, wurden 1,5 Millionen Menschen vertrieben und schätzungsweise 10.000 Zivilisten ermordet. Zehntausende Häuser, Höfe und Wohnungen wurden geplündert und systematisch zerstört. Der begrenzte Luftkrieg aus der Distanz, der "Krieg ohne Kampf" beeinträchtigte die serbischen Streitkräfte viel weniger als erwartet und im Krieg behauptet. Weder Luftabwehr, noch Führungssystem und Logistik wurden lahm gelegt. Die serbischen Truppen im Kosovo ließen mit ihrer dezentralen Kriegführung und der alten Primitivtaktik von Attrappen die High-Tech-Systeme der NATO/ USA ins Leere schießen. Die Zerstörung serbischer Waffen durch die NATO, darunter die 244 von deutschen Tornados verschossenen HARM-Flugkörpern, sind bis heute merkwürdig "unsichtbar". Der britische ehemalige UN-Kommandeur in Bosnien, General Rose, spricht von einem "tragischen Fehlschlag" des NATO-Luftkrieges.

Erheblich zerstörerischer und politisch wirksamer waren offenbar die Bombardierungen der Infrastruktur, insbesondere die Unterbrechung der Stromversorgung durch Graphitbomben. Indem damit die Grundversorgung der Zivilbevölkerung insgesamt ins Visier genommen und erhebliche zivile Opfer in Kauf genommen wurden, verstieß die NATO gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht und desavouierte den humanitären Anspruch ihrer Intervention.

Beigetragen zum Einlenken Milosevic’s hat mit Sicherheit die vollständige internationale Isolation seines Regimes durch die Rückkehr von Rußland und VN in die Kosovo-Politik (dafür waren die deutschen Initiativen besonders bedeutsam) und das Verhandlungsgeschick der EU-Vermittler, aber auch der akut drohende Bodenkrieg. (angeblicher Geheimbeschluß der wichtigsten NATO-Länder am 27. Mai in Bonn)

Total erfolgreich war die NATO mit ihrem Einsatzgrundsatz "keine Verluste", der in einem auffälligen Gegensatz stand zur hochmoralischen Legitimation des Luftkrieges stand.

Knapp vorbeigeschrammt ist die NATO an einer existentiellen Zerreißprobe und Europa an dem GAU eines Bodenkrieges, der das Verhältnis zwischen Rußland und dem Westen in die härtesten Zeiten des Kalten Krieges zurückkatapultiert hätte.

Insgesamt wurde der militärische Sieg der NATO äußerst teuer erkauft: Nicht nur hinsichtlich der zig Milliarden NATO-Kosten, sondern auch wegen der in Jugoslawien angerichteten Zerstörungen (die Kriegskosten insgesamt werden auf ca. 100 Mrd. DM geschätzt) und enormen Wiederaufbaukosten. Schon die ca. 20.000 Splitterbomben sind eine verheerende Hinterlassenschaft. Eine VN-Kommission konnte bisher wohl nicht die befürchtete große ökologische Katastrophe erkennen, beobachtete aber besorgniserregende Umweltschäden auf lokaler Ebene. Verschärft hat sich mit dem Doppelkrieg die Verfeindung zwischen den Volksgruppen, wodurch ein Zusammenleben noch viel schwieriger wird. Nachhaltig beschädigt wurden das Verhältnis Rußlands zum Westen. Viele nichteuropäische Staaten fühlen sich durch den Bruch des völkerrechtlichen Gewaltverbots durch die NATO bedroht, verstärkte Rüstungsanstrengungen sind die naheliegende Folge.

Inzwischen wird bekannt, daß es in der NATO erhebliche Dissense in der Zielauswahl gab und daß der NATO-Oberbefehlshaber für Europa, General Clark, deutsche und griechische Einwände gegen die Bombardierung ziviler Ziele ignoriert habe. Das ZEIT-Dossier berichtete von ihm als dem "gefesselten Kriegsherrn", von dem 19 Dienstherren einen rücksichtsvollen Sieg über die Serben gefordert hätten. Die Botschaft: "Eine härtere Kriegsführung mit weniger Rücksicht auf Verluste hätte schneller zum Erfolg geführt. Die Politiker hätten die Militärs beinahe um den Sieg gebracht."

(5) Modell zukünftiger Krisenbewältigung? Die bundesdeutsche Gesellschaft, viele Friedensbewegte und Grüne haben mit dieser ersten bundesdeutschen Kriegsbeteiligung eine (Hemm-)Schwelle überschritten und ein erstes Mal einen "Krieg im Frieden" hingenommen, ja unterstützt. Damit sind Kriege gesellschaftlich ein Stück weit führbarer geworden. Aber der erste "Krisenreaktionskrieg" der NATO ist kein Modell, sondern abschreckendes Beispiel einer verspäteten Krisenbewältigung durch die Staatengemeinschaft.. Er beweist erneut, wie kostspielig und opferreich, unberechenbar und riskant militärische Krisenreaktion und "Friedenserzwingung" bei innerstaatlichen Konflikten ist. Viele, die in den letzten Jahren leichthin vom erweiterten Bundeswehrauftrag inclusive Peaceenforcement redeten, die auch Illusionen schneller und "sauberer" Zukunftskriege schürten, erleben nun ihre große Ernüchterung. Wenn schon "begrenzte Luftoperationen" ohne eigene Opfer hinsichtlich ihrer Wirksamkeit und ihrer politischen und gesellschaftlichen Akzeptanz so heikel waren, um wieviel mehr gilt das für einen Bodenkrieg, der zwangsläufig sichtbare eigene Opfer fordern würde.

Frühzeitige Krisenvorbeugung ist immer ungleich billiger, vernünftiger und menschlicher, auch wenn sie angesichts des geringeren Handlungsdrucks, divergierender Interessen und des Entwicklungsrückstandes entsprechender Instrumente schwierig in die Tat umzusetzen ist.

(6) Frieden schaffen nach dem Krieg: Die Kfor-Friedenstruppe kam als Befreier in das Kosovo. Die Soldaten versuchen nach besten Kräften und unparteiisch zu helfen und zu schützen und aus dem Stand alle möglichen staatlichen Funktionen zu übernehmen. Das Engagement der Bundeswehrsoldaten dabei ist vorbildlich und macht den Kontinuitätsbruch zur Wehrmacht vor 58 Jahren besonders deutlich.

Doch offenbar ist die Friedenstruppe nicht in der Lage die Racheakte, ja den Vertreibungsterror kosovo-albanischer Kräfte, die Massenflucht der Serben und Roma, die wuchernde Kriminalität zu unterbinden. Es besteht der Verdacht, daß der Schutz der Minderheiten, der z.Zt. angesichts des vorhandenen Haß- und Waffenpotentials nur militärisch und nicht von einer internationalen Polizei geleistet werden kann, nur halbherzig zum Auftrag von Kfor gemacht wurde. Damit wird das offizielle Ziel der Staatengemeinschaft, ethnische "Säuberungen" zu verhindern und einen multiethnischen Kosovo zu garantieren, konterkariert. Der gewalttätige Alltag im Kosovo zeigt, wie wenig die Staatengemeinschaft sich über das Militärische hinaus auf die komplexe Aufgabe des Friedenschaffen vorbereitet hatte und dadurch ein Machtvakuum entstehen ließ, in dem sich UCK und Bandenkriminalität ausbreiten können. Kurzfristig wurden die VN anstelle der OSZE mit dem zivilen Aufbau betraut, wieder wurde keine einheitliche Führungsstruktur aufgebaut. Für die so wichtige internationale Polizeitruppe, die erstmalig exekutive Funktionen wahrnehmen soll, gibt es nirgendwo ausreichende Personalreserven und kaum Ausbildung ...

Was wir seit Jahren zusammen mit der Friedensforschung predigten, bestätigt sich seit Monaten krass. Alles spricht nun für einen forcierten Ausbau der Krisenprävention, von Instrumenten der zivilen Konfliktbearbeitung und des Peacebuilding, grundsätzlich und im Rahmen des Stabilitätspakts Südlicher Balkan, der riesigen Bewährungsprobe für Europa. Die Nachhinein-Stabilisierung ist um ein Vielfaches teurer und komplizierter, als es ein frühzeitiger Stabilitätspakt gewesen wäre. Weitere solche Krisenengagements kann sich die Staatengemeinschaft und auch das reiche Westeuropa schlichtweg nicht erlauben.

(7) Europäische "Nachrüstung"? Die USA, die den größten Teil der Kampfflugzeuge stellten, dominierten sehr stark die konkrete Kriegführung, vor allem hinsichtlich der militärischen Aufklärung, der Wahl der Ziele und Waffen. Die Klagen über die US-Dominanz, ja Arroganz der Macht im Kosovo-Konflikt ist aber wohlfeil, so lange ihr die Uneinigkeit und Schwäche der europäischen Staaten Vorschub leistet. Die viel beschworene Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik braucht einen kräftigen Schub – an der richtigen Stelle. Mit dem Hohen Repräsentanten der GASP, der Strategieplanungs- und Frühwarneinheit, den Gemeinsamen Strategien stehen Instrumente zur Verfügung, die mehr Einheitlichkeit im außenpolitischen Handeln der EU ermöglichen. Zuallererst auf den Aufbau von militärischen Fähigkeiten der EU zu setzen, heißt, das Pferd vom Schwanz aufzuzäumen. Es läuft auf den Widersinn hinaus, beim "nächsten Mal" in der schlimmsten Form der Krisenbewältigung besser mithalten zu können.

(8) Programmatische Konsequenzen: Viele derjenigen Grünen, die enttäuscht sind über den Programmverstoß der Mehrheit, verlangen eine Rückkehr der Regierungsgrünen auf den "rechten Pfad". Diese Erwartung geht davon aus, daß unser Programm richtig und nur unser Verhalten falsch wäre. In Wirklichkeit kommen wir nicht darum herum, uns den Widersprüchen der Realitäten zu stellen und dementsprechend das grüne Programm weiterzuentwickeln.

Auf dem Feld der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung, der konstruktiven Friedenspolitik wurden unsere Programmaussagen im ersten Jahr grüner Regierungsbeteiligung voll und ganz bestätigt, Revisionsbedarf sehe ich nicht. Nach den Erfahrungen der letzten Monate ist eine weitere Konkretisierung wie auch eine realistischere Bewertung ihrer Leistungsfähigkeit, aber auch ihrer Grenzen möglich. Auf diesem Politikfeld sind die Grünen weiterhin treibende Kraft und besteht völliger Konsens in der Partei.

Programmatischen Änderungsbedarf gibt es in der Militärfrage. Es gibt wohl keine Veranlassung, von einer grundsätzlich militärkritischen Haltung abzugehen. Für diese sprechen weiterhin z.B. die Ressoucenverschwendung durch die weltweite Rüstung auf Kosten sozialer und nachhaltiger Entwicklung, die von den Eigeninteressen der militärischindustriellen Komplexe vorangetriebene und Instabilitäten und Unfrieden stiftende Aufrüstung, die immer zerstörerischeren Fähigkeiten von Armeen und ihre Regelverwendung als Instrumente staatlicher Interessen- und Machtpolitik. Unverändert ist Widerstand angesagt gegen den Umbau der NATO zu einem Interventionsbündnis im Dienste "vitaler" – sprich wirtschaftlicher – Interessen und gegen Bestrebungen zur Selbstmandatierung.

Aber: Spätestens seit Bosnien und Kosovo ist auch für immer mehr Friedensbewegte und Grüne offenkundig, daß es inzwischen einen teilweisen Funktionswandel von Militär gegeben hat, daß es in der Rolle friedensbewahrende Einsätze notwendig, ja unverzichtbar sein kann. Und mit der Regierungsbeteiligung stehen die Grünen – unbeschadet der pazifistischen und antimilitaristischen Einstellung eines Teils ihrer Anhänger - in der Mitverantwortung für die Bundeswehr, d.h. auch ihre Ausstattung, Ausbildung und Einsätze, und nehmen Einfluß auf das Agieren der Bundesrepublik in der NATO. Vorbei ist die Zeit, wo die Grünen sich mit selektiven Abrüstungsforderungen und blosser Negativkritik an Bundeswehr und NATO begnügen konnten. Der Mitgestaltungsauftrag (im friedens- und abrüstungsförderlichen Sinne) ist unausweichlich und erfordert eine Abkehr von bisherigen Pauschal- bis Feindbildern hin zu einer nüchtern-kritischen Sicht der Bundeswehrrealitäten. Eine antimilitärische Fundamentalopposition und politische KDV-Haltung, wie sie für Friedensgruppen und Individuen weiterhin völlig legitim ist, kommt für eine Regierungs-partei nicht mehr in Frage.

Entsprechend steht die Klärung der Rolle des Militärischen in einer Außen- und Sicherheitspolitik an, die realitätstüchtige und wirksame Friedenspolitik sein soll und weiterhin an den Prinzipien der Zivilisierung und Entmilitarisierung (d.h. Zurückdrängen der bisheriger Militärlastigkeit von Sicherheitspolitik) festhalten will. Im Hinblick auf die Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" werden wir in Kürze konzeptionelle Vorschläge zu einer Bundeswehr als einer in Auftrag und Umfang reduzierten Freiwilligenarmee vorlegen.

(9) Friedensbewegung ade? Die meisten Friedensorganisationen und viele Mitglieder und Anhänger der Grünen sind tief enttäuscht über die Kriegsbeteiligung der Regierungsgrünen. Für einige sind die Grünen nun die schlimmsten Verräter, als "Kriegspartei" ausgeschlossen aus der Friedensbewegung. Auf der anderen Seite findet die Außenpolitik Joschka Fischers in der Gesellschaft, in Medien, Fachöffentlichkeit und international höchste Anerkennung.

Obwohl in der Gesellschaft mit den Kriegswochen die Zweifel an der NATO-Strategie zunahmen, dümpelte der Antikriegsprotest eher vor sich hin. Am meisten Wirkung entfaltete er im Internet, in den Leserbriefspalten der überregionalen Zeitungen und innerhalb der Grünen, auffällig wenig unter jüngeren Leuten. Unter Gegnern des NATO-Krieges ist die Position verbreitet, die Medien und vor allem die Grünen ("Dolchstoß in den Rücken der Friedensbewegung") für die Schwäche des Protestes verantwortlich machen. Nach meiner Beobachtung hat aber auch der Antikriegsprotest selbst erheblich zu seiner Schwächung beigetragen. Je absoluter, ideologischer und selbstgerechter er auftrat, desto mehr isolierte er sich, zerbröselte mit dem Kriegsende und trug zur weiteren Spaltung und Marginalisierung der kleinen Friedensbewegung bei. Je solidarischer hingegen der Antikriegsprotest für alle Kriegsopfer Partei ergriff, je offener er sich den politisch-moralischen Dilemmata stellte, je mehr er sich für konstruktive Friedensarbeit und –politik engagierte, desto mehr bot und bietet er die Chance, daß die weitere Auszehrung der Friedensbewegung gestoppt wird, ja daß ein Wiederaufschwung möglich wird.

Denn eine Friedensbewegung, die in der Gesellschaft wieder gehört wird, ist auch und gerade unter Rot-Grün unverzichtbar